S. 305 / Nr. 51 Rechtsgleichheit (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 75 I 305

51. Auszug uns dem Urteil vom 12. Oktober 1949 i. S. Basler Molkerei Banga
gegen Gemeinderat Pfeiffingen und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.


Seite: 305
Regeste:
Revision von Steuerentscheiden, Steuerrückerstattung.
Deren Verweigerung verletzt Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, wenn der Pflichtige durch die
Steuerbehörde über Inhalt oder Anwendung der gesetzlichen Vorschriften in
einen Irrtum versetzt oder wenn ihm die Steuerbehörde über massgebliche
Umstände eine unrichtige Auskunft erteilt hat.
Revision de décisions fiscales, restitution d'impôts.
Un refus viole l'art. 4 Cst. lorsque le contribuable a été induit en erreur
par l'autorité fiscale sur le contenu ou l'application des dispositions
pénales ou lorsque cette autorité lui a donné des renseignements inexacts sur
des circonstances décisives.
Revisione di decisioni fiscali, restituzione d'imposte.
Un rifiuto viola l'art. 4 CF, quando il contribuente è stato indotto in errore
dall'autorità fiscale sul contenuto o sull'applicazione delle disposizioni
legali o quando quest'autorità gli ha dato delle informazioni inesatte su
circostanze decisive.

Aus dem Tatbestand:
A. ­ Das Steuerreglement der Gemeinde Pfeffingen vom 17. März 1930 bestimmte
in § 6:
« Der Vermögenssteuer unterliegen:
a) Alle im Gemeindebann gelegenen Gebäude und Grundstücke nach dem
Katasterwert. Die Hypothekarschulden dürfen ganz abgezogen werden, ausgenommen
bei proportionaler Sohuldenverteilung.

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b) ...
c) ...
Verbriefte Schulden, denen Vermögenswerte gegenüberstehen, dürfen ganz
abgezogen werden, müssen aber mindestens alle 3 Jahre mit den
Hypothekarschulden, sowie sonstigen abzugsberechtigten Schulden vor der
Taxationskommission belegt werden. »
In der Gemeindeversammlung vom 26. Oktober 1932 wurde § 6 Abs. 1 lit. a des
Reglementes abgeändert. Darnach unterliegen der Vermögenssteuer:
« Alle im Gemeindebann gelegenen Gebäude und Grundstücke nach dem
Katasterwert. Von dieser Schätzung dürfen die nachgewiesenen
Hypothekarschulden bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 40000.­in Abzug gebracht
werden. »
B. ­ Bei der Veranlagung der Beschwerdeführerin liess die Taxationskommission
der Gemeinde von sämtlichen geltend gemachten Schulden nur einen Abzug von Fr.
40000.­ zu. Als die Pflichtige sich am 29. Juni 1939 darüber beschwerte, dass
ein Schuldenabzug von Fr. 7965.- nicht zugelassen werde, wurde ihr
geantwortet, dass der Gemeindeversammlungsbeschluss für alle Schulden
massgebend sei, nicht bloss für die Hypothekarschulden, dass aber der
verlangte Abzug ohne eine bezügliche Verpflichtung der Gemeinde anerkannt
werde, um einen Rekurs zu vermeiden.
Am 2. Juni 1945 teilte die Gemeindekanzlei der Beschwerdeführerin auf deren
Ersuchen mit, § 6 des Reglementes habe in der Fassung von 1932 folgenden
Wortlaut:
Der Vermögenssteuer unterliegen:
a) Alle im Gemeindebann gelegenen Gebäude und Grundstücke nach dem
Katasterwert. Von dieser Schätzung dürfen die nachgewiesenen Schulden bis zu
einem Höchstbetrag von Fr. 40000.­ in Abzug gebracht werden.
Im Juli gleichen Jahres beschaffte sich der Vertreter der Pflichtigen einen
Auszug aus dem Regierungsratsprotokoll vom 4. November 1932, mit dem der
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft das revidierte Steuerreglement
genehmigt hat. Gegen die Vermögensschatzung für 1945 rekurrierte die
Pflichtige, worauf die

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Rekurskommission am 11. August 1945 das steuerpflichtige Vermögen von Fr.
533786.­ herabsetzte auf Fr. 432888.­. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1945
ersuchte die Beschwerdeführerin die Gemeinde um Rückerstattung der für die
Jahre 1933 bis und mit 1944 zuviel bezahlten Steuern. Gegen den abweisenden
Entscheid rekurrierte sie am 5. Februar 1946 an den Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft, wurde aber von diesem mit Entscheid vom 19. Juli 1949
abgewiesen. Dieser Entscheid wird im wesentlichen wie folgt begründet:
Obwohl das Steuerrecht des Kantons die Steuerrückerstattung nicht ausdrücklich
vorsehe (vom Falle des § 28 des Schenkungs- und Erbschaftssteuergesetzes
abgesehen), sei sie in der Praxis für einzelne Gebiete doch anerkannt worden,
u. a. bei Rechnungsfehlern, die aus der Einschätzungsanzeige ersichtlich
seien, oder wenn der Pflichtige irrtümlich die höhere Steuerrechnung eines
Dritten, oder wenn er in einem Irrtum über die massgebliche Zahl der richtigen
Steuerrechnung zuviel bezahlt habe. Es dürfe aber nicht übersehen werden, dass
die Steuerveranlagung mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig
werde, und dass der Gesichtspunkt der Änderung der Steuerverfügung wegen
Wandels der Anschauungen über die Anforderungen des Staatsinteresses
zurückzutreten hätten hinter das Erfordernis der Rechtssicherheit.
Hier sei unbestritten, dass die Steuerveranlagungen in formell richtiger Weise
zustande gekommen und daher in Rechtskraft erwachsen seien, mit der Folge,
dass darauf grundsätzlich nicht zurückgekommen werden könne, gleichgültig, ob
die Auslegung des Steuerreglementes durch die zuständige Behörde bezüglich des
Schuldenabzuges richtig oder unrichtig gewesen sei. Es könne sich nur fragen,
ob die Rückerstattung gewährt werden müsse im Hinblick auf von den
Gemeindebehörden der Pflichtigen erteilte unrichtige Auskünfte, d. h. aus dem
Gesichtspunkt des Handelns wider Treu und Glauben. Voraussetzung hiefür wäre,
dass die Steuerbehörde den Pflichtigen durch positiv

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unrichtige Auskunft oder durch Stillschweigen auf ein Auskunftsbegehren
absichtlich oder grobfahrlässig irregeführt habe über den Wortlaut der
massgebenden, dem Pflichtigen nicht zugänglichen Bestimmungen, oder über eine
eindeutige Praxis. Davon könne für die Veranlagung der Jahre 1933 bis und mit
1939 keine Rede sein.
Die Auskunft der Gemeindekanzlei vom 30. Juni 1939 habe freilich mit dem Text
des Reglementes nicht übereingestimmt, sondern höchstens mit der Absicht, die
bei der Revision des Reglementes bestanden, darin aber keinen adäquaten
Ausdruck gefunden habe. Tatsächlich hätten die Gemeindebehörden die
Veranlagung durchwegs nach der von der Beschwerdeführerin beanstandeten Praxis
durchgeführt. Es stehe daher fest, dass die Gemeindebehörden der
Beschwerdeführerin gegenüber in gutem Glauben gehandelt hätten. Die
Bescheinigung vom 2. Juni 1945 habe der Gemeindeverwalter anscheinend
unvorsichtigerweise aus dem Gedächtnis gegeben. Übrigens sei daraus
ersichtlich gewesen, dass damit nur ein Teil von § 6 des Reglementes
wiedergegeben werde. Wenn sich die Beschwerdeführerin wirklich um den Text
interessiert hätte, wäre ihr zuzumuten gewesen, die Ergänzung der
Bescheinigung zu verlangen. Sie habe aber offenbar vor 1945 überhaupt keinen
ernstlichen Versuch gemacht, den ganzen Text von § 6 zu erhalten. Sie hätte es
in der Hand gehabt, sich durch Einsichtnahme in eines der auf der
Gemeindekanzlei aufliegenden Reglemente des Gemeindeprotokolls oder des
bezüglichen Regierungsratsbeschlusses die nötige Klarheit zu verschaffen.
Diese Verhältnisse liessen auch für die Steuerjahre 1940-1944 die Annahme
nicht zu, der Beschwerdeführerin sei durch die Gemeindebehörde in einer gegen
den Grundsatz von Treu und Glauben verstossenden Weise ein Schaden zugefügt
worden, der nun wieder gutgemacht werden müsste.
C. ­ Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 19. August 1949 beantragt die Basler
Molkerei Banga, den Entscheid des Regierungsrates vom 19. Juli 1949
aufzuheben,

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festzustellen, dass die Steuerrückforderung gegenüber der Gemeinde Pfeffingen
für einen Betrag von Fr. 4078.50 nebst 5 % Zins auf den einzelnen Positionen
seit der jeweiligen Erhebung zu Recht bestehe, und die Gemeinde Pfeffingen
anzuweisen, der Beschwerdeführerin die daraus sich ergebenden Beträge zu
bezahlen; eventuell sei die Sache zur Erledigung im Sinne des
bundesgerichtlichen Urteils an den Regierungsrat zurückzuweisen. Es wird
Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV geltend gemacht. Diese wird darin erblickt, dass der
Regierungsrat, obwohl er grundsätzlich einen Rückerstattungsanspruch trotz
Fehlens gesetzlicher Bestimmungen anerkenne, ihn der Beschwerdeführerin
verweigere. Die Steuerbehörde habe die abgeänderte Vorschrift des § 6 lit. a
von Amtes wegen anwenden müssen. Da ein gedruckter Text nicht vorhanden
gewesen sei, habe die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gehabt, die
jeweiligen Einschätzungen im ordentlichen Steuerrekursverfahren anzufechten.
Sie habe in guten Treuen annehmen müssen, dass der von der Gemeindekanzlei
mitgeteilte Text dem Wortlaut des Reglementes entspreche. Ob die falsche
Auskunft erstmals im Jahre 1939 oder schon früher erteilt worden sei, sei
unwesentlich. Denn die zuständige Steuerbehörde sei von jeher der Auffassung
gewesen, die Revision von 1932 betreffe den Abzug aller Schulden. Das
Verhalten der Behörde sei mindestens grobfahrlässig gewesen, sodass ihr der
Vorwurf des Handelns gegen Treu und Glauben nicht erspart werden könne.
Aus den Erwägungen:
1./2.­ .....
3. ­ Steuerentscheide, die auf Grund einer Selbsteinschätzung des Pflichtigen
in einem Verfahren ergehen, in welchem dieser Gelegenheit hatte, die geltend
gemachte Steuerforderung auf Bestand und Umfang zu prüfen, und den Entscheid
allfällig binnen bestimmter Fristen bei einer obern Instanz anzufechten,
erwachsen in materielle Rechtskraft (BGE 33 I 695 Erw. 1; 48 I 126 Erw. 2;

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70 I 169 Erw. 1; 74 I 405 Erw. 1; Urteil vom 2. Juli 1945 i. S. Müller;
BLUNSCHY, Der Rückerstattungsanspruch im öffentlichen Recht S. 91 ff.,
BLUMENSTEIN, Steuerrecht 326f., System 198, ZWAHLEN, La restitution de l'impôt
payé à tort im Recuoil des travaux der Universität Neuenburg an den schweiz.
Juristentag 1946 S. 296 ff.). Mit der Rückforderung der auf Grund eines
Veranlagungsverfahrens festgesetzten und entrichteten Steuerleistung wird
geltend gemacht, der Pflichtige sei bei der Selbsteinschätzung oder anlässlich
späterer Erklärungen gegenüber der Einschätzungsbehörde oder den
Rechtsmittelinstanzen von für Bestand oder Umfang der Steuerpflicht
erheblichen irrtümlichen Annahmen ausgegangen, und wird verlangt, dass die
Steuerbehörde auf eine erledigte Veranlagungsverfügung zurückkomme, deren
Unrichtigkeit feststelle und die Rückgabe des zuviel bezahlten Betrages
anordne. Das Begehren um Rückerstattung kommt also demjenigen um Beseitigung
der Rechtskraftwirkungen, d. h. um die Revision des Steuerentscheides gleich.
Für die Revision eines in Rechtskraft erwachsenen Steuerentscheides bedarf es
nach der herrschenden Lehre einer gesetzlichen Vorschrift, welche die Revision
ausdrücklich zulässt (BLUMENSTEIN, Steuerrecht 325, IRENE BLUMENSTEIN, Die
eidgen. Wehrsteuer 271, BURCKHARDT, Organisation der Rechtsgemeinschaft 2.
Aufl. 73, FLEINER, Institutionen S. 201, 437 f.). Auch das Bundesgericht geht
in seiner Rechtsprechung bei Beschwerden wegen Verweigerung der Rückleistung
kantonaler Steuern hievon aus (das erwähnte Urteil i. S. Müller, Erw. 5 und
die dort genannten weitern Entscheide). Die allgemeine verwaltungsrechtliche
Rückforderungsklage wegen Bezahlung einer Nichtschuld ist nur ausnahmsweise
vorgesehen. Die Rückforderung wird insbesondere dadurch ausgeschlossen, dass
das Steuergesetz die auf Grund eines Veranlagungsverfahrens festgestellte
Steuerforderung als geschuldet bezeichnet (BGE 74 I 405).
Bei eidgenössischen Steuern hat das Bundesgericht

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allerdings die Zulassung der Revision trotz Fehlens einer bezüglichen
Vorschrift im Gesetz vorgeschrieben, falls die Veranlagung unter Verletzung
wesentlicher prozessualer Grundsätze zustande gekommen ist, ferner, wenn im
Entscheid Tatsachen unberücksichtigt geblieben sind, die aus amtlichen Akten
hätten entnommen werden können, und beim Vorliegen solcher Tatsachen, die der
Pflichtige im Veranlagungsverfahren nicht geltend machen konnte (BGE 70 I 169,
71 I 106, 74 I 403). Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum des Pflichtigen lässt
jedoch auch diese Praxis nicht als Revisionsgrund gelten, weil es in erster
Linie Sache des zur Abgabe einer Steuererklärung aufgeforderten Bürgers sei,
sich darüber Rechenschaft zu geben, ob und inwieweit er in Anspruch genommen
werden könne.
Gegenüber Entscheiden über kantonale Steuern steht dem Bundesgericht nicht
dieselbe freie Überprüfungsbefugnis zu, wie bei eidgenössischen Steuern. Es
kann eine kantonale Behörde zur Zulassung der Revision und zur daraus
folgenden Steuerrückerstattung nicht schon dann verpflichten, wenn Grundsätze
der Billigkeit oder Zweckmässigkeit dafür sprechen würden, oder wenn dem
Pflichtigen bei seiner Erklärung ein Irrtum über tatsächliche oder rechtliche
Verhältnisse unterlaufen ist, der bei der ihm zuzumutenden Sorgfalt hätte
vermieden werden können (vgl. dazu ZWAHLEN, der a.a.O. die Zulassung der
Revision aus derartigen Gründen befürwortet). Das Bundesgericht kann einen
kantonalen Entscheid, der die Gewährung der Revision verweigert, nur aufheben,
wenn die Ablehnung einer Rechtsverweigerung gleichkommt. Eine derartige
Rechtsverweigerung muss jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Pflichtige
durch die Steuerbehörde oder deren Organe selbst über Inhalt oder Anwendung
der massgebenden Vorschrift des Gesetzes in einen Irrtum versetzt worden ist,
oder wenn ihm die Behörde sonst über für seine Steuererklärung massgebliche
Umstände eine unrichtige Auskunft erteilt hat. Denn es liesse sich mit
sachlichen Gründen nicht rechtfertigen,

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diesfalls den Schaden, der dem Pflichtigen aus einem allenfalls sogar
schuldhaften Verhalten der Behörde erwachsen müsste, durch ihn selbst tragen
zu lassen. Zweifelhaft ist, ob abgesehen von solchen Fällen die Revision aus
dem Gesichtspunkt des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV auch dann bewilligt werden müsste, wenn der
Gesuchsteller erhebliche Tatsachen oder Beweismittel anrufen kann, die ihm
ohne eigenes Verschulden früher nicht bekannt waren, oder die schon im
früheren Verfahren geltend zu machen für ihn unmöglich war oder keine
Veranlassung bestand. Daraus, dass bei Verwaltungsverfügungen, denen
materielle Rechtskraft abgeht, unter den genannten Voraussetzungen aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

BV eine Pflicht der Behörde bestehen kann, eine Verfügung auf Antrag des
Betroffenen in Wiedererwägung zu ziehen, d. h. ein darauf gerichtetes Gesuch
materiell zu behandeln (BGE 67 I 72), folgt nicht unbedingt, dass dies auch
für rechtskräftige Entscheidungen gelten muss. Die Frage kann hier, wie sich
aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, dahingestellt bleiben.
4. ­ Weder das Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft noch das
Steuerreglement der Gemeinde Pfeffingen sehen die Möglichkeit der
Rückforderung zuviel bezahlter Steuern und die Revision eines in Rechtskraft
erwachsenen Steuerentscheides vor. In der Praxis wird jedoch die Revision
unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl gewährt, so u. a. gerade dann,
wenn die Steuerbehörde den Bürger durch positiv unrichtige Auskünfte über den
Wortlaut der massgebenden, dem Pflichtigen nicht zugänglichen Bestimmungen
absichtlich oder grobfahrlässig irregeführt hat (Entscheid S. 8/9). Es wird
jedoch in Abrede gestellt, dass diese Voraussetzung hier vorliege. Ausserdem
wird erklärt, die Beschwerdeführerin hätte es selbst in der Hand gehabt, sich
durch nähere Nachforschungen über den Inhalt der Vorschrift des Reglementes
Gewissheit zu verschaffen und die Feststellung der Gemeindebehörde in deren
Brief vom 30. Juni 1939 zu berichtigen.
Es ist unbestritten, dass die Gemeindebehörde der

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Beschwerdeführerin über den Inhalt von § 6 des Steuerreglementes eine
unrichtige Auskunft erteilt, d. h. erklärt hat, die Beschränkung des
Schuldenabzuges gelte nicht bloss für die grundpfändlich gesicherten, sondern
auch für die übrigen Schulden. Wenn auch zutreffen mag, dass die
Gemeindebehörde glaubte, ihre Feststellung, die den bisher gegenüber der
Beschwerdeführerin ergangenen Entscheiden entsprach, stimme mit § 6 des
Reglementes überein, so ist damit doch nicht dargetan, dass der
Gemeindebehörde keine Nachlässigkeit zur Last falle. Die Einsichtnahme in den
Wortlaut des massgebenden Textes hätte ergeben müssen, dass die Annahme, die
Beschränkung des Schuldenabzuges gelte für alle Schulden, unrichtig sei. Der
Stellungnahme der Beschwerdeführerin musste entnommen werden, dass diese die
Auffassung der Steuerkommission als unrichtig betrachte oder doch in Zweifel
ziehen wolle. Bei dieser Sachlage wäre die Gemeindeverwaltung verpflichtet
gewesen, sich durch vorherige Einsicht in den massgebenden Text darüber zu
vergewissern, dass die Zweifel der Beschwerdeführerin haltlos seien. Wenn sie
das unterliess, handelte sie nachlässig und damit schuldhaft. Ob es sich um
grobe oder leichte Fahrlässigkeit handle, ist unerheblich. Es genügt die
Feststellung, dass bei der Auskunfterteilung eine pflichtwidrige
Nachlässigkeit unterlaufen ist. Die Revision, die damit begründet wird, dass
die Beschwerdeführerin gestützt auf die unrichtige Auskunft der Steuerbehörde
zuviel Steuern entrichtet habe, durfte unter diesen Umständen nicht abgelehnt
werden.
Auch die weitere, dem Entscheid zugrunde liegende Annahme, ein allfälliges
Verschulden der Gemeindeverwaltung sei unerheblich, weil die
Beschwerdeführerin die unrichtige Besteuerung ihrem eigenen schuldhaften
Verhalten zuzuschreiben hätte, lässt sich mit sachlichen Gründen
schlechterdings nicht halten und verletzt Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Die Abänderung des
ursprünglichen Textes des Reglementes wurde weder gedruckt noch an
öffentlicher Stelle angeschlagen. Sie konnte also nicht durch Einsicht in die

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für die Gemeinde geltenden Vorschriften festgestellt wer den. Unter solchen
Umständen durfte sich die Beschwerdeführerin auf die Feststellung der
Gemeindekanzlei verlassen. Sie wurde ihr durch die zuständige Kanzlei der
Einschätzungsbehörde bei Anlass der Vermögenseinschätzung für das Steuerjahr
1939 erteilt, und es bestand für die Beschwerdeführerin kein Anlass zur
Annahme, dass die Auskunft unrichtig sein könnte. Sie durfte vielmehr davon
ausgehen, der Entscheid sei nicht ohne vorherige genaue Prüfung der
Zulässigkeit des Schuldenabzuges ergangen; dies umso mehr, als darin noch
besonders unterstrichen wird, « das alte Formular » sei in der Frage des
Schuldenabzuges überholt. Das musste den Eindruck noch verstärken, die
Entscheidung beruhe auf näherer Prüfung der gesetzlichen Grundlage. Bei
Einsicht bloss in das von der Gemeindekanzlei handschriftlich berichtigte
Exemplar des Reglementes hätte übrigens die Gefahr bestanden, dass die
Beschwerdeführerin die Unrichtigkeit der ihr erteilten Auskunft nicht hätte
feststellen können. Der angefochtene Entscheid stellt selbst fest, dass auch
dem Regierungsrat von der Gemeindeverwaltung Reglemente zugestellt worden
sind, die in der Weise mit Tinte « berichtigt » waren, dass in Abs. 2 von § 6
das Wort « ganz » durch die Worte « bis zu Fr. 40000.­» ersetzt war. Damit war
aber der Inhalt der Abänderung unrichtig wiedergegeben, da diese sich nicht
auf Absatz 2, sondern nur auf lit. a von Absatz 1 bezieht. Dass auch eine
wiederholte Anfrage die erforderliche Abklärung voraussichtlich nicht gebracht
hätte, beweist schliesslich die Auskunft vom 2. Juni 1945, mit der die
Gemeindekanzlei die Bestimmung von § 6 zwar wörtlich, im entscheidenden Punkt
aber unrichtig wiedergab, wieder mit der beruhigenden Behauptung, der
Regierungsrat habe diese Fassung durch seinen Beschluss vom 26. Oktober 1932
genehmigt.
5.­ Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin bei Abgabe der
Steuererklärungen für die Jahre 1940-1944 unter dem Einfluss der unrichtigen
Auskunft der

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Gemeindebehörde über den Inhalt von § 6 des Reglementes gehandelt hat. Die
Revision der bezüglichen Entscheide und die sich daraus ergebende
Steuerrückerstattung darf ihr daher nicht verweigert werden....
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als die
Rückerstattung zuviel bezahlter Steuern für die Steuerjahre 1940-1944
verweigert wurde, und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons
Basel-Landschaft insoweit aufgehoben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 75 I 305
Date : 01. Januar 1948
Published : 12. Oktober 1949
Source : Bundesgericht
Status : 75 I 305
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Revision von Steuerentscheiden, Steuerrückerstattung.Deren Verweigerung verletzt Art. 4 BV, wenn...


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BV: 4
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