S. 284 / Nr. 48 Verwaltungs- und Disziplinarrecht (d)
BGE 75 I 284
48. Urteil vom 23. September 1949 i. S. Schaufelberger gegen eidg. Justiz- und
Polizeidepartement.
Regeste:
Schweizerbürgerrecht: Zuständigkeit der kantonalen und eidg. Behörden zur
Entscheidung, wenn fraglich ist, ob eine Person das Schweizerbürgerrecht
besitzt. Rechtskraft eines kantonalen Feststellungsentscheides.
Nationalité suisse: Compétence des autorités cantonales et fédérales pour
décider si une personne possède ou non la nationalité suisse. Force de chose
jugée d'une décision cantonale portant une telle constatation.
Cittadinanza svizzera: Competenza a decidere delle autorità cantonali e
federali quando esistono dei dubbi se una persona possieda o no la
cittadinanga svizzera. Forza di cosa giudicata di una decisione cantonale
accertante la cittudinanza svizzera.
A. Die Beschwerdeführerin Bertha Schaufelberger, geboren 1896 in
Deutschland, hält sich seit Jahrzehnten als Hausangestellte in der Schweiz
auf. Ihr Vorfahr Hans Ulrich Schaufelberger, geboren 1686, Bürger von Wila
(Zürich), wanderte in jungen Jahren nach Deutschland aus. Seine Nachkommen
blieben dort. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Hans Ulrich
Schaufelberger oder einer seiner Nachfahren Schritte zum Verzicht auf das
angestammte Bürgerrecht oder zu dessen Erhaltung unternommen hätte.
Zu Beginn des Jahres 1939 gelangte Bertha Schaufelberger an die Gemeinde Wila
mit dem Begehren, als deren Bürgerin und damit als Schweizerbürgerin anerkannt
zu werden. Die Gemeinde unterbreitete den Fall der Direktion des Innern des
Kantons Zürich, welche am 24. Februar
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1939, durch Vermerk auf den von der Gesuchstellerin zum Nachweis ihrer
zürcherischen Abstammung beigebrachten deutschen kirchlichen und
standesamtlichen Urkunden, folgende Verfügung traf: « Die Eintragung in das
Familienregister wird bewilligt. » Auf Grund der Eintragung wurde der
Beschwerdeführerin ein Heimatschein ausgestellt.
B. Jedoch entschied das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 25.
August 1948, dass Bertha Schaufelberger das Schweizerbürgerrecht und die
Bürgerrechte des Kantons Zürich und der Gemeinde Wila nicht besitze. Zur
Begründung führte es aus, die Nachfahren des Hans Ulrich Schaufelberger hätten
das angestammte Bürgerrecht im Kanton Zürich und in der Gemeinde Wila mangels
Erneuerung verloren, wenn nicht schon im Laufe des 18. Jahrhunderts, so doch
auf jeden Fall nach Massgabe einer Verordnung des Kleinen Rates des Kantons
Zürich vom 15. Oktober 1812. Demzufolge habe die Beschwerdeführerin durch ihre
Abstammung diese Bürgerrechte und damit das Schweizerbürgerrecht nicht
erworben.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Antrag, ihn aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdeführerin Bürgerin
der Gemeinde Wila sei und somit das Bürgerrecht des Kantons Zürich und das
Schweizerbürgerrecht besitze.
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt Abweisung der
Beschwerde.
D. Im Instruktionsverfahren vor Bundesgericht ist ein Bericht des
zürcherischen Regierungsrates eingeholt worden, worin dargelegt ist, wie im
Kanton Zürich im Jahre 1939 die Zuständigkeit zur Entscheidung von
Bürgerrechtsfragen geordnet war.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Seit dem 1. Januar 1941 entscheidet dann, wenn fraglich ist, ob eine
Person das Schweizerbürgerrecht besitzt, einzig das eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement, unter Vorbehalt der Beschwerde an eine obere
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Instanz (ursprünglich an den Bundesrat, heute an das Bundesgericht) (Art. 5,
6, 11 des BRB vom 20. Dezember 1940 betreffend Änderungen der Vorschriften
über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechtes; Art. 6, 7 des gleich
betitelten BRB vom 11. November 1941). Diese Zuständigkeit der Bundesbehörde
schliesst diejenige kantonaler Behörden aus. Die Bundesbehörde ist bei der
Behandlung fraglicher Fälle an kantonale Entscheidungen jedenfalls dann nicht
gebunden, wenn diese seit dem 1. Januar 1941 getroffen worden sind. Dagegen
war es vor diesem Zeitpunkte den Kantonen überlassen, die Zuständigkeit und
das Verfahren zur Beurteilung solcher Fälle zu ordnen oder nicht zu ordnen;
eine eidgenössische Instanz, welche anders als bloss vorfrageweise hatte
prüfen können, ob eine Person das Schweizerbürgerrecht besitze oder nicht, war
damals nicht vorgesehen (vgl. BGE 61 I 243, 63 I 196 ff.).
Hier hat die Direktion des Innern des Kantons Zürich noch vor dem 1. Januar
1941, mit Verfügung vom 24. Februar 1939, die Bewilligung zur Eintragung der
Beschwerdeführerin im Familienregister von Wila erteilt. Sie hat dadurch die
Beschwerdeführerin als Bürgerin dieses Ortes und infolgedessen auch als
Kantons- und Schweizerbürgerin anerkannt; denn im Familienregister einer
Gemeinde kann nur eingetragen werden, wer dort das Bürgerrecht besitzt (Art.
113 ff. der Verordnung des Bundesrates über den Zivilstandsdienst vom 18. Mai
1928). Es fragt sich, ob die Direktion des Innern mit dieser Anerkennung eine
materiell rechtskräftige Entscheidung über die Frage der schweizerischen
Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen habe, eine Entscheidung
also, an welche die seit dem 1. Januar 1941 zuständige Bundesbehörde gebunden
wäre. Die Frage der Rechtskraft stellt sich indes nur, wenn es sich nicht
bloss um einen Vorfrageentscheid handelt; denn ein solcher ist lediglich Teil
der Entscheidungsgründe und daher der materiellen Rechtskraft, welche auf das
Dispositiv beschränkt ist, nicht fähig.
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2. Die zürcherische Direktion des Innern ist oberste kantonale
Aufsichtsbehörde über den Zivilstandsdienst und übt als solche alle Funktionen
aus, die von der bundesrätlichen Verordnung vom 18. Mai 1928 der kantonalen
Aufsichtsbehörde übertragen sind (§ 16 der kantonalen Verordnung über den
Zivilstandsdienst vom 18. Oktober 1928). In dieser Eigenschaft hat sie hier,
im Rahmen der ihr nach Art. 117 und 133 der eidgenössischen Verordnung
zustehenden Befugnisse, die Eintragung der Beschwerdeführerin in das
Familienregister von Wila bewilligt. Gleichzeitig hat sie aber auch die Frage
entschieden, ob die Beschwerdeführerin Schweizerbürgerin sei; dient doch das
Familienregister insbesondere dort, wo das bisherige kantonale Bürgerregister
in ihm aufgegangen ist, wie es im Kanton Zürich der Fall ist, auch zum
Nachweis des Bürgerrechtes. Und zwar hat die Direktion des Innern die Frage
der Staatsangehörigkeit nicht bloss vorfrageweise geprüft; vielmehr war diese
Frage ebenfalls Gegenstand der Entscheidung selbst, wie sich aus dem
eingeholten Bericht des Regierungsrates ergibt. Es war denn auch in erster
Linie ein Gesuch der Beschwerdeführerin um Anerkennung als Schweizerbürgerin
zu behandeln. Dieses Gesuch wurde in einer förmlichen Verfügung beurteilt,
welche der Gesuchstellerin durch Zustellung des Heimatscheins mitgeteilt
wurde. Dem entspricht es, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Ablehnung
ihres Standpunktes durch die Direktion des Innern hätte an den Regierungsrat
rekurrieren können (§ 13 des zürcherischen Gesetzes betreffend die
Organisation und die Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner
Direktionen vom 26. Februar 1899). Die Zuständigkeit der Direktion des Innern
zur Feststellung von Bürgerrechten in Zweifelsfällen war zwar in der
kantonalen Gesetzgebung nicht ausdrücklich vorgesehen, hatte sich aber, wie
aus den Ausführungen des Regierungsrates hervorgeht, auf dem Wege der Praxis
herausgebildet, war also nichtsdestoweniger geltendes Recht.
3. Verwaltungsakte sind, dem zwingenden Charakter
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des öffentlichen Rechts und der Natur der öffentlichen Interessen
entsprechend, im allgemeinen abänderlich, wenn sie mit dem Gesetze nicht oder
nicht mehr in Einklang stehen. Anderseits kann es aber ein Gebot der
Rechtssicherheit sein, dass eine administrative Verfügung, welche eine
Rechtslage begründet oder festgestellt hat, nicht nachträglich wieder in Frage
gestellt werde. Ob eine Verfügung von der Behörde, weil materiell
rechtswidrig, zurückgenommen oder abgeändert werden könne, hängt daher, soweit
nicht positive gesetzliche Bestimmungen vorliegen, von einer Abwägung der
beiden sich gegenüberstehenden Gesichtspunkte ab, des Postulats der richtigen
Durchführung des objektiven Rechts auf der einen und der Anforderungen der
Rechtssicherheit auf der andern Seite. Darnach bestimmt es sich, sei es für
ganze Kategorien von Verwaltungsakten, sei es für einzelne Akte, ob ein
Zurückkommen seitens der Behörde zulässig ist (BGE 56 I 194, 74 I 445 und
Zitate).
Die Gesetzgebung über das Schweizerbürgerrecht bestimmt nicht positiv, dass
ein Entscheid der zuständigen kantonalen Behörde, durch welchen festgestellt
wird, ob eine Person Schweizerbürger ist, wegen materieller Gesetzwidrigkeit
nachträglich wieder aufgehoben werden kann; ebensowenig schreibt sie dessen
Unwiderruflichkeit vor. Die Interessenabwägung ist daher Sache des Richters.
Immerhin ist zu beachten, dass das Gesetz (BRB vom 20. Dezember 1940 und vom
11. November 1941, je Art. 2; vgl. auch den während der Gültigkeit dieser
Beschlüsse nicht anwendbaren Art. 12 BG vom 25. Juni 1903 betreffend die
Erwerbung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe) die
Nichtigerklärung des Erwerbs des Schweizerbürgerrechtes durch Einbürgerung
oder Eheschluss nur ausnahmsweise, unter bestimmt umschriebenen
Voraussetzungen und während beschränkter Zeit, zulässt. Der Grund dieser
Ordnung ist die Rücksicht auf das Gebot der Rechtssicherheit. Dieselbe
Erwägung hat auch hier, wo es sich um einen Feststellungsentscheid
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handelt, obenanzustehen. Die Beschwerdeführerin hat sich in guten Treuen auf
die formelle Anerkennung ihres Schweizerbürgerrechts durch die zuständige
zürcherische Behörde verlassen und von dem so bestätigten Recht jahrelang
unangefochten Gebrauch gemacht. Sie hat Anspruch darauf, in ihrem Vertrauen
auf die einmal getroffene amtliche Feststellung ihrer schweizerischen
Staatsangehörigkeit geschützt zu werden. Wenn die zürcherische Direktion des
Innern bei ihrer Verfügung vom 24. Februar 1939 übersehen hat, dass die
Nachfahren des Hans Ulrich Schaufelberger das angestammte Bürgerrecht im
Kanton Zürich und in der Gemeinde Wila mangels der nach früherem kantonalem
Recht erforderlichen Erneuerung verloren hatten, so war dieser Irrtum kein
Grund, welcher es dem nachher zuständigen eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement erlaubt hätte, nach neun Jahren den kantonalen Entscheid
umzustossen. Die Verfügung der zürcherischen Behörde mag sachlich unrichtig
sein, ist aber dessenungeachtet materiell rechtskräftig und daher auch für die
Bundesbehörde verbindlich.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben. Es
wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin das Schweizerbürgerrecht und
die Bürgerrechte des Kantons Zürich und der Gemeinde Wila besitzt.