S. 68 / Nr. 16 Familienrecht (d)
BGE 74 II 68
16. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Juni 1948 i. S. Glutz gegen Glutz.
Regeste:
Scheidungsgerichtsstand, Art. 144 ZGB. Die Priorität kommt der zuerst
rechtshängig gewordenen Klage zu, auch wenn der in einem andern Kanton
domizilierte Ehegatte als erster den Sühneversuch anbegehrt hatte und durch
eine Sperrfrist (wie nach § 254 der zürcherischen ZPO) an der Hängigmachung
gehindert war.
For de l'action en divorce. Art. 144 CC. C'est au tribunal devant lequel
l'action a été pendante en premier lieu qu'il appartient de statuer, même si
l'époux domicilié dans un autre canton avait été le premier à citer son
conjoint en conciliation et avait été empêché de se mettre au bénéfice de la
litispendance par l'effet d'une disposition telle que le § 254 du code de
procédure civile zurichois qui oblige les époux à attendre qu'il se soit
écoulé huit semaines dès la tentative de conciliation pour pouvoir saisir le
tribunal.
Foro dell'azione di divorzio, art. 144 CC. E'competente il tribunale al quale
la domanda è stata dapprima introdotta, quand'anche il coniuge domiciliato in
un altro cantone abbia per primo citato l'altro coniuge per un esperimento di
conciliazione e sia stato impedito di mettersi al beneficio della
litispendenza per l'effetto di un disposto tale quello del § 254 del codice di
procedura zurighese, il quale obbliga i coniugi ad attendere che siano
trascorse 8 settimane dall'esperimento di conciliazione prima di adire il
tribunale.
A. Die seit 1941 vom Ehemann getrennt lebende Ehefrau leitete am 19. März
1947 beim Friedensrichter von Weiach (im zürcherischen Bezirk Dielsdorf)
Scheidungsklage ein. Der Sühneversuch verlief am 27. März 1947 fruchtlos. Nach
§ 254 der zürcherischen ZPO durfte alsdann die Ausstellung der Weisung nicht
vor acht Wochen nach dem Sühneversuch verlangt werden.
B. Inzwischen fand am 17. April 1947 auf Begehren des Ehemannes an dessen
aargauischem Wohnort ein ebenso fruchtloser Sühneversuch betreffend den Antrag
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auf Trennung der Ehe statt, und am 5. Mai 1947 reichte der nach aargauischer
ZPO durch keine Sperrfrist gehinderte Ehemann die Klage auf Ehetrennung beim
Bezirksgerichte Zurzach ein. Die Ehefrau erhob mit Hinweis auf den von ihr in
Weiach veranlassten Sühneversuch die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit.
Sie hatte am 2. Mai beim Bezirksgericht Dielsdorf vorsorgliche Massnahmen im
Sinne von Art. 145 ZGB nachgesucht und reichte am 5. Juni dort dann auch die
Scheidungsklage ein.
C. Die aargauischen Gerichte beider Instanzen haben die
Unzuständigkeitseinrede abgewiesen, das Obergericht mit Urteil vom 19. März
1948.
D. Mit der vorliegenden Berufung hält die Ehefrau an der
Unzuständigkeitseinrede fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Gerichtsstand für eine Scheidungs- oder Trennungsklage befindet sich
nach Art. 144 ZGB für den Ehemann an seinem Wohnort im Kanton Aargau, für die
Ehefrau an ihrem Wohnort im Kanton Zürich, sofern sie zum Getrenntleben
berechtigt ist und tatsächlich im Kanton Zürich Wohnsitz genommen hat. Da
jedoch zwischen den gleichen Ehegatten nicht zwei Scheidungsprozesse
nebeneinander durchgeführt werden können, ist während der Dauer eines solchen
Prozesses der beklagte Ehegatte gehindert, seinerseits selbständig an einem
andern Ort auf Scheidung oder Trennung zu klagen; er ist, wenn er auch
seinerseits ein Scheidungs- oder Trennungsbegehren stellen will, auf eine
Widerklage angewiesen. Das Bundesgericht hat die Priorität derjenigen Klage
zuerkannt, die nach Massgabe kantonalen Prozessrechtes zuerst rechtshängig
geworden ist (BGE 64 II 176 und 185). Das ist im vorliegenden Falle die Klage
des Ehemannes, und während dieser Rechtshängigkeit ist der aargauische
Gerichtsstand auch für das Scheidungsbegehren der Ehefrau als
ausschliesslicher gegeben. Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Ehemann
habe seine Klage
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in rechtsmissbräuchlicher Weise während der die Frau an der Anhängigmachung
des Streites hindernden Sperrfrist der zürcherischen Prozessordnung
eingereicht, um ihr zuvorzukommen. Im Unterschied zu dem in BGE 72 II 323
beurteilten Falle hat er ordnungsgemäss einen Sühneversuch vorausgehen lassen,
nicht gesetzwidrig das Vorverfahren abgekürzt oder unterdrückt.
2. Es ist nicht zu verkennen, dass sich aus der Geltung einer Sperrfrist zur
Anhängigmachung der Klage im Wohnsitzkanton des einen, nicht aber in
demjenigen des andern Ehegatten Unzukömmlichkeiten ergeben, indem eben dem
letztern so unter Umständen ermöglicht wird, die Priorität an sich zu reissen,
auch wenn der im Kanton Zürich wohnende Ehegatte als erster durch Anrufung des
Friedensrichters eine Scheidungs- oder Trennungsklage eingeleitet hat.
Das liesse sich vermeiden, wenn man die Priorität der zuerst, wenn auch noch
ohne die Wirkungen der Rechtshängigkeit, eingeleiteten Klage zuerkennen
wollte, entsprechend dem bundesrechtlichen Begriff der Klageanhebung, wie er
für die Wahrung bundesrechtlicher Klagefristen aufgestellt worden ist. Dafür
genügt die erste Handlung, mit der der Kläger zum ersten Mal in bestimmter
Form den Schutz des Richters anruft, also gegebenenfalls das Gesuch um
Abhaltung eines vorgeschriebenen Sühneversuches (BGE 42 II 101, 74 II 15).
Gegenüber einer solchen Lösung erheben sich aber grundsätzliche und praktische
Bedenken. Das Verbot des gleichzeitigen Bestehens zweier Scheidungs-, bezw.
Trennungsprozesse zwischen den nämlichen Ehegatten ist nichts anderes als ein
Sonderfall der Einrede der schon begründeten Rechtshängigkeit. Obwohl die
Scheidungs- bezw. Trennungsbegehren des einen und des andern Ehegatten
voneinander zu unterscheiden sind, ist eben in gewissem Sinne Identität der
Streitsache gegeben, da der Bestand einer und derselben Ehe im Streite liegt.
Daher muss auf die eigentliche Rechtshängkeit und darf nicht auf bloss
vorbereitende
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Handlungen abgestellt werden, die wie die Anrufung des Friedensrichters in den
beiden hier in Frage stehenden Kantonen die Rechtshängigkeit nicht begründen.
Der im Kanton Zürich vorgesehenen Sperrfrist für die eigentliche
Anhängigmachung einer Scheidungs- oder Trennungsklage beim zuständigen Gericht
liefe es geradezu zuwider, wenn man der Klageeinleitung beim Friedensrichter
eine Wirkung beilegen wollte, die eben ihrem Wesen nach eine solche des
bereits hängigen und darum einen gleichzeitigen zweiten Prozess über den
gleichen Gegenstand ausschliessenden Rechtsstreites ist. Das Sühneverfahren
und insbesondere die im Kanton Zürich geltende Sperrfrist wollen keineswegs
die Rechtshängigkeit beschleunigen, sondern wenn möglich ihren Eintritt'
vermeiden.
Eine andere Lösung könnte darin bestehen, dass beim Wohnsitz des einen
Ehegatten im Kanton Zürich, falls dieser Ehegatte als erster eine Scheidungs-
oder Trennungsklage beim Friedensrichter einleitet, der in einem andern Kanton
wohnende Ehegatte gehalten wäre, jene Sperrfrist gleichfalls zu respektieren,
auch wenn das Prozessrecht seines Wohnsitzkantons sie nicht kennt. Es hält
indessen schwer, von Bundesrechts wegen in solcher Weise in das kantonale
Prozessrecht einzugreifen, und wäre es auch nur so, dass der betreffende
Ehegatte zwar nicht gehindert wäre, seine Klage gegebenenfalls schon während
der den andern Ehegatten hemmenden Sperrfrist anhängig zu machen, dass aber
die Priorität seiner Klage entfiele, wenn der im Kanton Zürich wohnhafte
Ehegatte, der als erster den Sühneversuch beantragt hatte, nach Ablauf der
Sperrfrist unverzüglich das zuständige Gericht mit der Klage befasst.
Die Unzukömmlichkeiten der in Frage stehenden Unstimmigkeit bei verschiedenen
Wohnsitzkantonen von Ehegatten erscheinen jedenfalls zur Zeit nicht als so
schwerwiegend, dass sich die Aufstellung einer in kantonales Prozessrecht
eingreifenden bundesrechtlichen Angleichungsregel gebieterisch aufdrängte.
Insbesondere ginge
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es nicht wohl an, die zürcherische Sperrfrist von Bundesrechts wegen als
unstatthaft zu erklären, sofern der andere Ehegatte in einem andern Kanton
seinen Wohnsitz hat. Dient sie doch dem schutzwürdigen Zweck, den scheidungs-
oder trennungswilligen Ehegatten nach fruchtlosem Sühneversuch nochmals zur
Besinnung zu veranlassen, bevor er sich zur Anhängigmachung des Prozesses
entschliesst. Es muss, wenigstens bis auf weiteres, dem Kanton Zürich (und
allfälligen andern Kantonen mit entsprechender Prozessordnung) einerseits
(vergl. MADAY, die Wartefrist nach § 254 Zürcher ZPO im zwischenkantonalen
Verhältnis, SJZ 1945 S. 166) und den übrigen Kantonen andererseits
anheimgestellt bleiben, auf dem Gesetzgebungs- oder Konkordatswege einen
Ausgleich zu treffen, falls sie dazu Veranlassung finden.
3. Der Antrag, die zürcherischen Gerichte seien für den Scheidungsprozess
als zuständig zu erklären, ist nur das Gegenstück zur Unzuständigkeitseinrede
gegenüber den aargauischen Gerichten. Nicht einzutreten ist auf den besonderen
Antrag auf Anerkennung der zürcherischen Zuständigkeit für vorsorgliche
Massnahmen, worauf sich das angefochtene Urteil nicht bezieht. Solche
Massnahmen sind übrigens während der Rechtshängigkeit des Scheidungs bezw.
Trennungsprozesses im Kanton Aargau nur vom dortigen Scheidungsgericht zu
treffen (Art. 145 ZGB, BGE 64 II 178).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Obergerichtes des Kantons
Aargau vom 19. März 1948 bestätigt.