S. 45 / Nr. 10 Prozessrecht (d)

BGE 74 II 45

10. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Mai 1948 i. S. Baumgartner gegen
Baumgartner.

Regeste:
Auf eine statt beim Bundesgericht bei der kantonalen Behörde eingereichte
Anschlussberufung wird nur eingetreten, wenn sie noch innert Frist an das
Bundesgericht weitergeleitet worden ist (Art. 59 Abs. 1 , 32 Abs. 3 OG).
Le recours joint qui a été adressé à l'autorité cantonale, au lieu du Tribunal
fédéral, n'est recevable que s'il a été transmis à ce dernier dans le délai
légal (art. 59 al. 1, 32 al, 3 OJ).
Il ricorso adesivo inoltrato all'autorità cantonale invece che al Tribunale
federale è ricevibile soltanto se è trasmesso a quest'ultimo entro il termine
legale (art. 59 cp. 1, 32 cp. 3 OGF).

Gegen das Scheidungsurteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 29. Januar
1948 legte die Beklagte rechtzeitig Berufung an das Bundesgericht ein. Nachdem
der Kläger am 5. März 1948 die in Art. 56 OG vorgeschriebene

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Anzeige erhalten hatte, übergab er der Post am 15. März 1948 eine an das
Obergericht adressierte Eingabe, mit der er Anschlussberufung erklärte. Das
Obergericht leitete diese Eingabe am 16. März, dem Tage ihres Eingangs, durch
die Post an das Bundesgericht weiter, wo sie am 17. März 1948 eintraf.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Anschlussberufung ist nach Art. 59 Abs. 1 OG wie nach Art. 70 Abs. 1 des
frühern OG (aOG) binnen zehn Tagen vom Eingang der Berufungsanzeige an beim
Bundesgericht einzureichen. Eine statt beim Bundesgericht bei der kantonalen
Behörde eingereichte Anschlussberufung wurde unter der Herrschaft des aOG dann
und nur dann als rechtzeitig angesehen, wenn sie durch Vermittlung der
kantonalen Behörde vor Fristablauf an das Bundesgericht gelangte, oder wenn
die kantonale Behörde sie wenigstens noch innert Frist zu Handen des
Bundesgerichts der Post übergab (BGE 28 II 206, 29 II 556 E. 10, vgl. 24 II
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). An dieser Rechtsprechung ist auch unter dem neuen OG festzuhalten; denn
nach dem klaren Wortlaut von Art. 32 Abs. 3 dieses Gesetzes gilt eine Frist
nur dann als eingehalten, wenn die Handlung innerhalb derselben vorgenommen
wird (Satz 1), und müssen schriftliche Eingaben spätestens am letzten Tage der
Frist «an die Stelle, bei der sie einzureichen sind, gelangt oder zu deren
Handen der schweizerischen Post übergeben sein» (Satz 2).
Ist eine bei der kantonalen Instanz einzureichende Eingabe innert der Frist
direkt beim Bundesgericht eingereicht worden, so gilt die Frist nach dem 3.
Satze von Art. 32 Abs. 3 OG freilich ebenfalls als eingehalten (dies in
Abweichung von der Rechtsprechung zu Art. 67 Abs. 1 aOG; vgl. BGE 57 II 424
und dort zit. frühere Entscheide). Dabei handelt es sich jedoch, wie bei der
Gesetzesberatung ausdrücklich hervorgehoben wurde (StenB 1943, StR S. 106 f.,
Votum Evéquoz), um eine

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Ausnahmevorschrift. Der Gesetzgeber wollte damit dem Umstande Rechnung tragen,
dass es naheliegt, ein Rechtsmittel bei der Instanz einzureichen, die darüber
zu entscheiden hat, und dass daher Rechtsmittel, die nach dem OG nicht direkt
beim Bundesgericht, sondern bei der kantonalen Behörde einzureichen sind,
leicht an die falsche Stelle geraten können (vgl. aaO das Votum Fricker).
Natur und Zweck dieser Vorschrift verbieten also ihre analoge Anwendung auf
den Fall, dass ein bei der Rechtsmittelinstanz anzubringendes Rechtsmittel
beim Vorderrichter angebracht wurde. Eine innert Frist bei der kantonalen
Behörde eingereichte, dagegen erst später an das Bundesgericht weitergeleitete
Anschlussberufung als rechtzeitig gelten zu lassen, geht im übrigen auch wegen
der damit verbundenen Gefahr der Verschleppung des Prozesses und im Hinblick
auf Art. 60 Abs. 2 OG nicht an; indem diese Bestimmung dem Bundesgericht die
Befugnis einräumt, offensichtlich unbegründete Berufungen nach Ablauf der
Frist für die Anschlussberufung sofort abzuweisen, setzt sie voraus, dass eine
erst nach Ablauf dieser Frist an das Bundesgericht weitergeleitete
Anschlussberufung unwirksam ist.
Die vorliegende Anschlussberufung, die die Vorinstanz erst am 11. Tage von der
Zustellung der Berufungsanzeige an zu Handen des Bundesgerichts der Post
übergeben hat, ist demnach verspätet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Anschlussberufung wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 II 45
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 27. Mai 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 II 45
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Auf eine statt beim Bundesgericht bei der kantonalen Behörde eingereichte Anschlussberufung wird...


Gesetzesregister
OG: 32  56  59  60  70
BGE Register
24-II-24 • 28-II-200 • 29-II-546 • 57-II-423 • 74-II-45
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • frist • kantonale behörde • tag • rechtsmittel • stelle • die post • entscheid • fälligkeit • verfahren • anschlussbeschwerde • adresse • beklagter • vermittler • termin • innerhalb • vorinstanz • rechtsmittelinstanz • scheidungsurteil