S. 18 / Nr. 7 Stimmrecht, kantonale Wahlen und Abstimmungen (d)

BGE 74 I 18

7. Urteil vom 22. Januar 1948 i. S. Bühler gegen Kanton Zürich.

Regeste:
Beschwerde betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen;
Beschwerdefrist (Art. 85 lit. a , 86 Abs. 1 und 89 Abs. 1 OG;.
Ein Stimmberechtigter, der sich durch die Formulierung der Abstimmungsfrage
(hier: Verbindung zweier Gesetze in einer Vorlage) im Stimmrecht verletzt
fühlt, muss den die Abstimmungsfrage festlegenden Hoheitsakt anfechten und
kann nicht mehr im Anschluss an die Abstimmung Beschwerde führen.
Recours concernant les élections et votations cantonales, délai de recours
(art. 85 lettre a, 86 al. 1 et 89 al. 1 OJ).
Un électeur qui s'estime lésé dans son droit de vote par la façon dont la
question soumise au peuple est formulée (en l'espèce, réunion de deux lois
dans un seul texte législatif) doit attaquer l'acte qui arrête l'objet de la
votation et ne peut plus former recours une fois celle-ci intervenue.
Ricorso in materia di elezioni e votazioni cantonali; termine per ricorrere
(art. 86, lett. a, 86 cp. I e 89 ch. 1 OGF).
Un elettore che si ritiene leso nel suo diritto di voto a motivo del modo in
cui è formulata la questione sottoposta al popolo (in concreto, riunione di
due leggi in un solo testo legislativo) deve impugnare l'atto che fissa
l'oggetto della votazione e non può più ricorrere dopo la votazione.


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A. ­ Am 10 Juli 1947 legte der Regierungsrat des Kantons Zürich dem Kantonsrat
den Entwurf eines «Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Alters- und
Hinterlassenenversicherung» vor. Bei der Beratung im Kantonsrat wurde
vorgeschlagen, zur Beschaffung der Mittel für den Kantonsbeitrag an die AHV
die Erbschafts- und Schenkungssteuer zu erhöhen und die deshalb notwendigen
Änderungen des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes dem Einführungsgesetz
zur AHV beizufügen. Der Kantonsrat stimmte diesem Vorschlag am 15. Juli 1947
zu und genehmigte das «Gesetz über die Einführung des Bundesgesetzes über die
Alters- und Hinterlassenversicherung und die Abänderung des Gesetzes über die
Erbschafts- und Schenkungssteuer» in der Sitzung vom 28. Juli. Darauf setzte
der Regierungsrat am 31. Juli die Volksabstimmung auf den 28. September fest
und veröffentlichte diese Anordnung nebst dem Gesetzestext und einem Bericht
dazu im kantonalen Amtsblatt vom 15. August.
Die Volksabstimmung vom 28. September ergab für das Gesetz 73,739 ja und
46,103 nein. Durch Beschluss vom 6. Oktober erklärte der Kantonsrat das Gesetz
als vom Volke angenommen. Dieser Erwahrungsbeschluss wurde mit dem
Abstimmungsergebnis im kantonalen Amtsblatt vom 7. Oktober veröffentlicht.
B. ­ Am 6. November 1947 hat Nationalrat Dr. R. Bühler in Winterthur gestützt
auf Art. 85 OG staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag:
a Das zürcherische Gesetz über die Einführung des Bundesgesetzes über die
Alters- und Hinterlassenenversicherung und die Abänderung des Gesetzes über
die Erbschafts- und Schenkungssteuer sei aufzuheben, die Volksabstimmung über
dieses Gesetz vom 28. September 1947 ungültig zu erklären und der Kanton
Zürich anzuweisen, eine neue Volksabstimmung anzuordnen, in welcher der
Gesetzes-Entwurf den Stimmberechtigten in zwei getrennten Vorlagen,
Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die AHV einerseits und Änderung des
Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes anderseits vorgelegt wird.
Eventuell seien nur die Bestimmungen über die Änderung des Gesetzes über die
Erbschafts- und Schenkungssteuer, nämlich § 15, 16 und 17 des angefochtenen
Gesetzes aufzuheben».

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Der Beschwerdeführer erklärt, die Beschwerde richte sich dagegen, dass bei der
Abstimmung zwei Gesetze verkoppelt worden seien. Die Verkoppelung sei
ausschliesslich aus abstimmungstaktischen Erwägungen erfolgt und entbehre
jeder sachlichen Begründung. Da dem Bürger über zwei völlig verschiedene
Gesetze nur eine Frage vorgelegt worden sei, habe er nur entweder beide
Gesetze annehmen oder beide Gesetze verwerfen können. Dadurch sei der
Stimmberechtigte in der freien Ausübung des Stimmrechts beschränkt worden und
der Volkswille nicht richtig zum Ausdruck gekommen. Die Verkoppelung verstosse
gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV sowie gegen Art. 1 und 30 KV. Der Beschwerdeführer sei
zur Beschwerde legitimiert einerseits als Bürger, dessen Stimmrecht durch die
unzulässige Verkoppelung zweier Gesetzesvorlagen beeinträchtigt worden sei,
anderseits als Bürger, der von den Bestimmungen über die Erbschafts-- und
Schenkungssteuer betroffen werde.
C. ­ Der Kantonsrat beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell
sie abzuweisen. Zur Begründung des Antrags auf Nichteintreten wird geltend
gemacht, der kantonale Instanzenzug sei nicht erschöpft, da das Ergebnis der
Volksabstimmung innert 4 Tagen durch Beschwerde beim Kantonsrat hätte
angefochten werden können. Ferner erhebe sich die Frage, ob die Beschwerde
nicht schon gegen den Kantonsratsbeschluss vom 28. Juli 1947 hätte erhoben
werden sollen, denn durch diesen Beschluss sei das Einführungsgesetz zur AHV
mit der Novelle zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz verbunden und damit
die vom Beschwerdeführer beanstandete Fragestellung an die Stimmberechtigten
festgelegt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Mit der Beschwerde wird, wie aus Antrag und Begründung klar hervorgeht,
nicht geltend gemacht, das angefochtene Gesetz enthalte verfassungswidrige

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Bestimmungen, sondern es wird lediglich gerügt, dass über die beiden Teile des
Gesetzes nicht getrennt abgestimmt wurde. Es handelt sich somit, auch soweit
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV angerufen wird, um eine Abstimmungsbeschwerde im Sinne von Art. 85
lit. a OG. Das ergibt sich auch daraus, dass der Beschwerdeführer sich
ausdrücklich auf diese Vorschrift stützt und seine Legitimation in erster
Linie aus dem Stimmrecht herleitet. Er behauptet freilich, er werde auch als
Steuerzahler durch das angefochtene Gesetz betroffen. Als solcher ist er aber
wohl kaum legitimiert, sich wegen angeblicher Mängel im Abstimmungsverfahren
zu beschweren (vgl. BGE 59 I 121). Wie dem auch sei, so ändert die Berufung
des Beschwerdeführers auf seine Eigenschaft als Steuerzahler jedenfalls nichts
daran, dass es sich um eine Abstimmungsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG
handelt. Ebenso ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, dass der
Beschwerdeführer eventuell lediglich die Aufhebung der im angefochtenen Gesetz
enthaltenen neuen Bestimmungen des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes
beantragt, denn damit wird nicht verlangt, dass diese Bestimmungen als
inhaltlich verfassungswidrig aufzuheben seien; vielmehr geht das
Eventualbegehren gleich wie das Hauptbegehren der Beschwerde dahin, dass über
diese Steuerbestimmungen getrennt abgestimmt werde.
2. ­ Die beanstandete Beschränkung in der freien Ausübung des Stimmrechts
durch angeblich unzulässige Vereinigung zweier Gesetze in einer einheitlichen
Abstimmungsvorlage ist das Ergebnis der Beschlüsse des Kantonsrats vom 15. und
28. Juli 1947, durch welche dieser dem Einführungsgesetz zur AHV Bestimmungen
über die Änderung des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes beigefügt und
das Gesetz endgültig genehmigt hat. Das Bundesgericht hat die Frage, ob in
einem solchen Falle die staatsrechtliche Beschwerde noch im Anschluss an die
Volksabstimmung erhoben werden könne, bisher offen gelassen (nicht
veröffentlichtes Urteil vom 22. Dezember

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1926 i. S. Stuber; Urteil vom 12. Juni 1931 i. S. Deutsch [BGE 57 I 184 ff.],
nicht veröffentlichte Erw. 1). Die Frage ist zu verneinen. Die
Schlussabstimmung des Kantonsrats über das angefochtene Gesetz war ein
verbindlicher staatlicher Hoheitsakt, durch den über die den Stimmberechtigten
zu unterbreitende Frage endgültig und damit im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG
letztinstanzlich entschieden wurde. Die Stimmberechtigten hatten zur
Formulierung der Abstimmungsfrage nicht mehr Stellung zu nehmen, sondern sich
lediglich über deren Bejahung oder Verneinung zu äussern. Sofern jene
Formulierung die freie Ausübung des Stimmrechts beeinträchtigt haben sollte,
wie der Beschwerdeführer behauptet, so wäre dies der Fall gewesen ohne
Rücksicht auf den Ausgang der Volksabstimmung. Infolgedessen konnte wegen
solcher Beeinträchtigung nur der Beschluss des Kantonsrates und nicht mehr das
von den Stimmberechtigten angenommene Gesetz angefochten werden. Diese Lösung
ist auch sachlich gerechtfertigt. Es wäre stossend, wenn ein
Stimmberechtigter, der sich durch die Formulierung der Abstimmungsfrage oder
andere, der Abstimmung vorausgehende und sie betreffende Anordnungen (vgl. BGE
49 I 328 /9) in seinem Stimmrecht verletzt fühlt, mit der Geltendmachung des
Mangels bis nach der Volksabstimmung zuwarten könnte; vielmehr erscheint es
geboten, sofort gegen diese Anordnung Beschwerde zu führen, damit der Mangel
womöglich noch vor der Abstimmung behoben werden kann und diese nicht
wiederholt zu werden braucht (vgl. BGE 69 I 16, wo aus ähnlichen Erwägungen
entschieden wurde, der Entscheid über die Zusammensetzung des Gerichts ­
Abweisung eines Rekusationsbegehrens ­ müsse direkt und könne nicht mehr mit
dem Endurteil über die Sache angefochten werden).
Die vom Beschwerdeführer beanstandete Formulierung der Abstimmungsfrage ist
den Stimmberechtigten zuerst durch die Veröffentlichung des Gesetzes und des
Abstimmungsdatums im kantonalen Amtsblatt vom

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15. August 1947 und dann durch die gemäss Art. 30 letzter Absatz der
Kantonsverfassung spätestens am 29. August erfolgte Zustellung der
Abstimmungsvorlage kundgemacht worden. An welchem dieser beiden Daten die
Frist zur staatsrechtlichen Beschwerde zu laufen begann, kann offen bleiben,
da die vorliegende, erst am 6. November 1947 eingereichte Beschwerde auf jeden
Fall verspätet ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 74 I 18
Date : 01. Januar 1948
Published : 22. Januar 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 I 18
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Beschwerde betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen;Beschwerdefrist (Art. 85 lit. a, 86 Abs. 1...


Legislation register
BV: 4  5
OG: 85  86  89
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49-I-318 • 57-I-184 • 59-I-114 • 69-I-15 • 74-I-18
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