BGE 73 II 144
25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. September 1947 i. S.
Giger-Müller-Stiftung gegen Giger.
Regeste:
Parteifähigkeit einer Stiftung im Streit über die Gültigkeit des sie
begründenden Testamentes.
Eigenhändige letztwillige Verfügung (Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512 |
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1 | Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512 |
2 | Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können. |
Letztwillige Verfügungen können nicht formlos widerrufen werden (Art. 509
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 509 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
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1 | Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
2 | Der Widerruf kann die Verfügung ganz oder zum Teil beschlagen. |
ZGB).
Begriff der Vernichtung im Sinne von Art. 510 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 510 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung dadurch widerrufen, dass er die Urkunde vernichtet. |
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1 | Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung dadurch widerrufen, dass er die Urkunde vernichtet. |
2 | Wird die Urkunde durch Zufall oder aus Verschulden anderer vernichtet, so verliert die Verfügung unter Vorbehalt der Ansprüche auf Schadenersatz gleichfalls ihre Gültigkeit, insofern ihr Inhalt nicht genau und vollständig festgestellt werden kann. |
Art 511 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 511 - 1 Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
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1 | Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
2 | Ebenso wird eine letztwillige Verfügung über eine bestimmte Sache dadurch aufgehoben, dass der Erblasser über die Sache nachher eine Verfügung trifft, die mit jener nicht vereinbar ist. |
die lediglich ein vorausgegangenes Testament widerruft, und einer spätern
Verfügung, die aus neuen positiven Anordnungen besteht.
Qualité d'une fondation pour se porter partie dans un procès ayant trait à la
validité du testament en vertu duquel elle a été constituée.
Les dispositions de dernières volontés ne peuvent être révoquées que dans
certaines formes déterminées (art. 509 CC).
Suppression de l'acte, notion selon l'art. 510 al. 1 CC.
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Rapport entre des dispositions qui se bornent à révoquer un testament
antérieur et un acte ultérieur de dernières volontés constitué par des
dispositions positives nouvelles; l'art. 511 al. 1 CC n'est pas applicable.
Capacità d'una fondazione di stare in giudizio, quando si tratti d'una lite
sulla validità del testamento, in base al quale è stata costituita.
Testamento olografo (art. 505 CC). Intenzione di faro testamento?
Le disposizioni testamentarie possono essere revocate soltanto secondo certo
forme (art. 509 CC).
Distruzione dell'atto; concetto giusta l'art. 510 cp. 1 CC.
Relazione tra disposizioni che si limitano a revocare un testamento
antecedente o un ulteriore atto d'ultima volontà che consiste in nuove
disposizioni di carattere positivo; l'art. 511 cp. 1 CC non è applicabile.
A. Mit öffentlichem Testament vom 6. September 1940, das Fürsprecher und
Notar Dr. X. beurkundete, verfügte der kinderlose Witwer Emil Giger-Müller in
Niedergösgen, dass er unter dem Namen «E. & M. Giger-Müller-Stiftung» eine
Stiftung gemäss Art. 80 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 80 - Zur Errichtung einer Stiftung bedarf es der Widmung eines Vermögens für einen besondern Zweck. |
ausgebildete Krankenschwester für alle Einwohner von Niedergösgen zur
Krankenpflege zur Verfügung zu halten». Als Vermögen wandte er dieser Stiftung
seine Liegenschaft in Niedergösgen, sein Mobiliar und einen Barbetrag von Fr.
100,000. zu. Ausserdem setzte er eine Reihe von Vermächtnissen aus, u. a. ein
solches im Betrage von Fr. 50,000. zugunsten der Familie Dreier. Seine
Geschwister, die heutigen Beklagten, verwies er auf den nach Vollzug aller
dieser Zuwendungen verbleibenden Rest seines Vermögens. Als
Willensvollstrecker ernannte er Dr. X.
B. Am 2. April 1941 richtete Giger an Dr. X. den folgenden, von ihm ganz mit
eigener Hand geschriebenen Brief:
Nd. Gösgen, 2. April 1941.
Chargé.
Herrn Dr. X.
Betr. Öffentliches Testament vom 6. September 1940.
Ich widerrufe hiermit feierlich das unter dem 6. September 1940 errichtete
Testament, insbesondere auch die zu Gunsten der Gemeinde errichtete Stiftung,
indem mir dieselbe durch gewisse
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Organe das Leben hier verekelt. Bis zu meiner Wiederverheiratung gelten die
gesetzlichen Erbfolgerechte. Mit der spätern Liquidation und dem Beistand
meiner künftigen Gattin bleiben Sie betraut.
Nieder-Gösgen, den 2. April 1941.
Emil Giger-Müller.
Nach den Angaben von Dr. X. widerrief Giger ihm gegenüber kurz darauf die in
diesem Brief enthaltene-Willenserklärung und erklärte ausdrücklich, «es sei so
zu halten, als sei der Brief überhaupt nicht geschrieben worden, und das
notarielle Testament behalte seine volle Gültigkeit». Hierauf soll Dr. X., wie
die Klägerin behauptet, das Schreiben vom 2. April 1941 «als überholtes Stück
abgelegt», «zu den abgelegten Akten gelegt» haben.
C. Am 5. Oktober 1942 schrieb Giger an Dr. X. wiederum mit eigener Hand
was folgt:
Nd. Gösgen, 5. Oktober 1942.
Chargé.
Herrn Dr. X.
Betr. m. Testament vom 6. September 1940.
Im Anschluss möchte ich verfügen, dass die der Familie Dreier testierte Summe
von Fr. 50,000. auf Fr. 30,000. ermässigt wird. Im fernern vermache ich Frl.
A... Fr. 10,000. zur Beendigung ihres Studiums.
An Frl. I... Fr. 2500..
5. Oktober 1942.
E. Giger-Müller.
Hiezu erklärt Dr. X., Giger habe, von ihm telephonisch darauf hingewiesen,
dass für diese neuen Verfügungen «die im Gesetz vorgeschriebene Form gewahrt
werden müsse», auf die vorgesehene Abänderung ausdrücklich verzichtet und
gesagt, er lasse es «beim alten». Hierauf will Dr. X. das Schreiben vom 5.
Oktober 1942 «unter den Akten 'Diverses abgelegt» haben.
D. Einige Tage vor seinem Tode erklärte Giger mündlich vor zwei Zeugen, er
wende den Rest seines verfügbaren Vermögens der inländischen Mission zu. Die
Zeugen unterliessen es jedoch, für die in Art. 507
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 507 - 1 Die mündliche Verfügung ist sofort von einem der Zeugen unter Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag der Errichtung in Schrift zu verfassen, von beiden Zeugen zu unterschreiben und hierauf mit der Erklärung, dass der Erblasser ihnen im Zustande der Verfügungsfähigkeit unter den obwaltenden besonderen Umständen diesen seinen letzten Willen mitgeteilt habe, ohne Verzug bei einer Gerichtsbehörde niederzulegen. |
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1 | Die mündliche Verfügung ist sofort von einem der Zeugen unter Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag der Errichtung in Schrift zu verfassen, von beiden Zeugen zu unterschreiben und hierauf mit der Erklärung, dass der Erblasser ihnen im Zustande der Verfügungsfähigkeit unter den obwaltenden besonderen Umständen diesen seinen letzten Willen mitgeteilt habe, ohne Verzug bei einer Gerichtsbehörde niederzulegen. |
2 | Die beiden Zeugen können stattdessen die Verfügung mit der gleichen Erklärung bei einer Gerichtsbehörde zu Protokoll geben. |
3 | Errichtet der Erblasser die mündliche Verfügung im Militärdienst, so kann ein Offizier mit Hauptmanns- oder höherem Rang die Gerichtsbehörde ersetzen. |
Beurkundung zu sorgen.
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E. Giger starb am 21. Januar 1943.
Zuerst wurde den Beteiligten nur das öffentliche Testament vom 6. September
1940 bekannt. Nachdem die Beklagten, die gesetzlichen Erben Gigers, die
Stiftungsgründung als zu Recht bestehend anerkannt hatten, wurde die Stiftung
in das Handelsregister eingetragen.
In der Folge erhielten die Beklagten Kunde von den Schreiben vom 2. April 1941
und 5. Oktober 1942. Auf ihr Verlangen lieferte Dr. X. diese Urkunden der
Amtsschreiberei Olten-Gösgen ab. Die Beklagten nahmen hierauf den Standpunkt
ein, das öffentliche Testament vom 6. September 1940 und ihre Erklärungen über
die Anerkennung desselben seien hinfällig.
F. Mit dieser Auffassung nicht einverstanden, leitete die Stiftung am 25.
September 1945 die vorliegende Klage ein mit den Begehren, es sei
festzustellen, dass das öffentliche Testament vom 6. September 1940 zu Recht
bestehe, das Eigentum an der Liegenschaft des Erblassers sei ihr zuzusprechen,
und die Beklagten seien zu verpflichten, ihr das Mobiliar des Erblassers
herauszugeben und Fr. 100,000. nebst Zins zu bezahlen.
Beide kantonalen Instanzen haben die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht erneuert die Klägerin ihre
Klageanträge. Die Beklagten schliessen auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Einer der Form nach vorhandenen und gehörig organisierten Stiftung kann
im Prozess über die Frage, ob das sie begründende und mit einem Vermögen
ausstattende Testament gültig sei, die Partei- und Prozessfähigkeit nicht
abgesprochen werden, selbst wenn man der Eintragung in das Handelsregister bei
Stiftungen anders als bei Aktiengesellschaften (Art. 643 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 643 - 1 Die Gesellschaft erlangt das Recht der Persönlichkeit erst durch die Eintragung in das Handelsregister. |
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1 | Die Gesellschaft erlangt das Recht der Persönlichkeit erst durch die Eintragung in das Handelsregister. |
2 | Das Recht der Persönlichkeit wird durch die Eintragung auch dann erworben, wenn die Voraussetzungen der Eintragung tatsächlich nicht vorhanden waren. |
3 | Sind jedoch bei der Gründung gesetzliche oder statutarische Vorschriften missachtet und dadurch die Interessen von Gläubigern oder Aktionären in erheblichem Masse gefährdet oder verletzt worden, so kann das Gericht auf Begehren solcher Gläubiger oder Aktionäre die Auflösung der Gesellschaft verfügen. ...347 |
4 | Das Klagerecht erlischt, wenn die Klage nicht spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung im Schweizerischen Handelsamtsblatt angehoben wird. |
heilende Wirkung zubilligt und daher annimmt, dass eine auf Grund eines
ungültigen Begründungsaktes
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eingetragene Stiftung selber von Anfang an ungültig sei (vgl. BGE 73 II 84 E.
3, wo einer wegen widerrechtlichen Zwecks angefochtenen Stiftung im Streit
über ihre Gültigkeit Parteistellung zugestanden wurde). Die Beklagten
bestreiten also die Prozessfähigkeit der Klägerin zu Unrecht.
2. Im Schreiben vom 2. April 1941 widerrief der Erblasser wenn nicht das
Testament vom 6. September 1940 als ganzes, so doch jedenfalls die
Bestimmungen über die Stiftung.
Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, erfüllt dieses Schreiben alle
Erfordernisse eines eigenhändigen Testamentes im Sinne von Art. 605
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 605 - 1 Ist beim Erbgang auf ein noch nicht geborenes Kind Rücksicht zu nehmen, so muss die Teilung bis zum Zeitpunkte seiner Geburt verschoben werden. |
|
1 | Ist beim Erbgang auf ein noch nicht geborenes Kind Rücksicht zu nehmen, so muss die Teilung bis zum Zeitpunkte seiner Geburt verschoben werden. |
2 | Ebenso lange hat die Mutter, soweit dies für ihren Unterhalt erforderlich ist, Anspruch auf den Genuss am Gemeinschaftsvermögen. |
Behauptung der Klägerin, der Erblasser habe damit nicht eine letztwillige
Verfügung treffen, sondern nur seinen Notar beauftragen wollen, eine Änderung
des frühern Testamentes vorzubereiten, ist mit dem Wortlaute der darin
niedergelegten Willenserklärung (namentlich mit den Worten: «Ich widerrufe
hiermit feierlich ...») unvereinbar. Gegen die Annahme, dass es sich nur um
einen Auftrag an den Notar gehandelt habe, spricht überdies der Umstand, dass
das Schreiben die im brieflichen Verkehr allgemein üblichen
Höflichkeitsformeln nicht enthält. Wieso aus den Angaben des Notars über den
mündlichen Widerruf des erwähnten Schreibens hervorgehen soll, dass dem
Erblasser bei seiner Abfassung der Testierwille gefehlt habe, ist
unerfindlich.
Gemäss Art. 509
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 509 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
|
1 | Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
2 | Der Widerruf kann die Verfügung ganz oder zum Teil beschlagen. |
mindestens in den Bestimmungen, die die Klägerin angehen, durch das Schreiben
vom 2. April 1941 wirksam widerrufen worden.
3. Der angeblich gegenüber dem Notar erklärte Widerruf des Schreibens vom 2.
April 1941 könnte, auch wenn er festgestellt wäre, die in diesem Schreiben
liegende letztwillige Verfügung nicht aufheben, da er nicht in eine der Formen
gekleidet wurde, die für die Testamentserrichtung vorgesehen sind (Art. 509
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 509 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
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1 | Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind. |
2 | Der Widerruf kann die Verfügung ganz oder zum Teil beschlagen. |
ZGB).
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Ob der Notar das Schreiben vom 2. April 1941 «zu den abgelegten Akten legte»,
braucht ebenfalls nicht untersucht zu werden, da hierin niemals eine
Vernichtung der Urkunde im Sinne von Art. 510 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 510 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung dadurch widerrufen, dass er die Urkunde vernichtet. |
|
1 | Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung dadurch widerrufen, dass er die Urkunde vernichtet. |
2 | Wird die Urkunde durch Zufall oder aus Verschulden anderer vernichtet, so verliert die Verfügung unter Vorbehalt der Ansprüche auf Schadenersatz gleichfalls ihre Gültigkeit, insofern ihr Inhalt nicht genau und vollständig festgestellt werden kann. |
könnte. Unter Vernichtung kann nur eine Handlung verstanden werden, die die
Testamentsurkunde körperlich zunichte macht (z. B. Verbrennen, Zerreissen)
oder wenigstens ihre körperliche Erscheinung so verändert, dass ohne weiteres
erkennbar ist, dass sie als entkräftet gelten soll (Durchstreichen,
Überschreiben, Durchlöchern usw.). Etwas derartiges ist hier nicht geschehen.
Das Schreiben vom 2. April 1941 hat keine äussere Veränderung erfahren. Es
ist, wenn die Darstellung der Klägerin zutrifft, lediglich an einem andern
Orte verwahrt worden als die Akten, denen der Notar aktuelle Bedeutung
beimass. Einen solchen Vorgang als Vernichtung anzuerkennen, ist nicht nur aus
sprachlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen unmöglich. Würde das blosse
Beiseitelegen eines Testamentes zu seiner Entkräftung genügen, so entstünde
grösste Unsicherheit. Die Gültigkeit eines Testamentes, das ein Notar, Anwalt
oder sonstiger Beauftragter des Erblassers vorlegt, hinge dann praktisch
einfach von den Angaben dieses Beauftragten darüber ab, wo er es verwahrte.
Der Zweck zuverlässiger Feststellung des letzten Willens, dem die Vorschriften
über die Testamentsformen dienen sollen, würde so vereitelt.
Die Klägerin kann daher mit ihrer auf das öffentliche Testament vom 6.
September 1940 gestützten Klage nur durchdringen, wenn das Schreiben vom 5.
Oktober 1942, das nach Form und Inhalt ebenfalls eine letztwillige Verfügung
darstellt und durch die angeblich nachfolgenden telephonischen Erklärungen des
Erblassers sowie durch die Einreihung unter die Akten r~ Diverses» in seiner
Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werden konnte, die Verfügung vom 2. April
1941 aufgehoben bzw. die dadurch widerrufenen Bestimmungen des Testaments
Seite: 150
vom 6. September 1940 wieder in Kraft gesetzt hat.
4. Das Schreiben vom 5. Oktober 1942 nimmt auf die Verfügung vom 2. April
1941 mit keinem Worte Bezug. Ein ausdrücklicher Widerruf derselben ist also
darin von vornherein nicht zu finden.
Das erwähnte Schreiben kann aber auch nicht in dem Sinne ausgelegt werden,
dass der Erblasser damit das Testament vom 6. September 1940 wiederhergestellt
und so die Verfügung vom 2. April 1941 implicite aufgehoben habe. Die Angabe
«Betr. mein Testament vom 6. September 1940», die Worte «Im Anschluss möchte
ich verfügen...» und die Erwähnung der a der Familie Dreier testierten Summe»
zeigen nur, dass der Erblasser das Testament vom 6. September 1940 oder
wenigstens gewisse Bestimmungen davon als noch gültig ansah. Dies lässt sich
damit erklären, dass er davon ausging, er habe mit seiner Verfügung vom 2.
April 1941 nicht das ganze öffentliche Testament, sondern nur die Bestimmungen
über die Stiftung aufgehoben, oder dass er irrtümlich glaubte, die
Verfügung vom 2. April 1941 sei infolge des mündlich erklärten Widerrufs oder
infolge Vernichtung der betreffenden Urkunde durch den Notar dahingefallen.
Weder im einen noch im andern Falle kann angenommen werden, er habe den Willen
gehabt, mit dem Schreiben vom 5. Oktober 1942 das öffentliche Testament vom 6.
September 1940 wieder in Kraft zu setzen. Auf jeden Fall ist in diesem
Schreiben ein solcher Wille nicht zum Ausdruck gekommen.
Die Vorschrift des Art. 511 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 511 - 1 Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
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1 | Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
2 | Ebenso wird eine letztwillige Verfügung über eine bestimmte Sache dadurch aufgehoben, dass der Erblasser über die Sache nachher eine Verfügung trifft, die mit jener nicht vereinbar ist. |
helfen. Diese Vorschrift begründet die (durch schlüssigen Beweis des
Gegenteils widerlegbare) Vermutung, dass der Erblasser, der eine letztwillige
Verfügung errichtet, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, mit
der spätern Verfügung die frühere beseitigen wolle. Diese Vermutung ist am
Platze, wenn die frühere wie die spätere Verfügung positive Anordnungen
(Erbeinsetzungen, Vermächtnisse usw.) enthält, da
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solche Anordnungen miteinander in Widerspruch geraten können. Zwischen einer
Verfügung, die lediglich ein vorausgegangenes Testament widerruft, und einer
spätern Verfügung, die aus neuen positiven Anordnungen besteht, ist ein
Widerspruch dagegen undenkbar. Die erwähnte Vermutung kann hier also
vernünftigerweise nicht gelten, m.a.W. Art. 511 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 511 - 1 Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
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1 | Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt. |
2 | Ebenso wird eine letztwillige Verfügung über eine bestimmte Sache dadurch aufgehoben, dass der Erblasser über die Sache nachher eine Verfügung trifft, die mit jener nicht vereinbar ist. |
Fällen nicht zur Anwendung kommen. Eine Widerrufsverfügung wird durch eine
spätere Verfügung vielmehr nur dann entkräftet, wenn die letztere den Willen
des Erblassers zum Ausdruck bringt, die erstere zu widerrufen oder das damit
widerrufene Testament wiederherzustellen, was im vorliegenden Falle, wie
dargetan, nicht zutrifft.
Das Schreiben vom 5. Oktober 1942 lässt also den am 2. April 1941 erklärten
Widerruf der Stiftungsgründung und der Zuwendungen an diese Anstalt unberührt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.