S. 108 / Nr. 17 Obligationenrecht (d)

BGE 73 II 108

17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. März 1947 i. S. X.
gegen Seligmann.

Regeste:
Ungerechtfertigte Bereicherung.
Bemessung der Bereicherung, Berücksichtigung des Rückforderungsschadens des
Bereicherten. Art. 64 f
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 64 - Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste.
. OR.
Enrichissement illégitime.
Calcul de l'enrichissement, prise en considération du dommage subi par
l'accipiens du fait de la restitution. Art. 64 s. CO.
Indebito arricchimento.
Calcolo dell'arricchimento; considerazione del danno subito dall'accipiens a
motivo della restituzione. Art. 64 e seg. CO.

Nach Art. 64
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 64 - Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste.
OR ist nicht die Bereicherung im Zeitpunkt des ungerechtfertigten
Empfanges von Vermögen zu Lasten des Entreicherten massgebend, sondern
diejenige im Zeitpunkt der Rückforderung. Nicht die erlangte, sondern die noch
vorhandene Bereicherung wird ergriffen. In der Zeitspanne zwischen dem
Vermögensübergang und der Rückforderung kann der Umfang der Bereicherung sich
ändern, da jedes mit der Tatsache der ungerechtfertigten Vermögensverschiebung
im Kausalzusammenhang stehende Ereignis auf ihn einwirkt, das eine Veränderung
im Vermögen des Empfängers herbeiführt. Eine ein für allemal gültige Formel
zur Ermittlung der Bereicherung lässt sich nicht aufstellen, sondern es müssen
unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, die das Gebiet der
Bereicherungsansprüche in ausgeprägtem Masse beherrscht, die Umstände des
konkreten Falles berücksichtigt werden. Dabei bereitet allerdings die
Abgrenzung des rechtlich relevanten Kausalzusammenhanges, d. h. der Entscheid,
welche die Vermögenslage des Empfängers beeinflussenden Ereignisse bei der
Ermittlung der zu erstattenden Bereicherung noch zu berücksichtigen sind,

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oft Schwierigkeiten. Allgemein lässt sich sagen, dass dieser Zusammenhang
nicht nur rechtlicher, sondern auch bloss wirtschaftlicher Natur sein kann. Im
übrigen hat man sich bei der Vorname dieser Abgrenzung stets die Funktion des
Bereicherungsanspruchs im System des Privatrechts vor Augen zu halten, die
darin besteht, der materiellen Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen.
Daraus folgt, dass grundsätzlich die Rückerstattungspflicht nicht zu einer
Schädigung des Bereicherten führen darf, sofern dieser bei der Entgegennahme
der grundlosen Leistung gutgläubig war.
Zu dem so umschriebenen Begriff der Bereicherung hat sich das Bundesgericht
schon in seiner bisherigen Rechtsprechung bekannt. So wird in BGE 64 II 130
ff., wenn auch mehr beiläufig, der Auffassung Ausdruck gegeben, dass nicht nur
eine durch die empfangene Leistung verursachte Schädigung des übrigen
Vermögens des Empfängers von der Bereicherung in Abzug zu bringen sei, sondern
dass für die Bemessung der Bereicherung gegebenenfalls auch ein sogenannter
Rückforderungsschaden berücksichtigt werden könne. Darunter ist eine
Vermögensverminderung zu verstehen, die dem Bereicherten dadurch erwächst,
dass er im Vertrauen auf die Endgültigkeit des Erwerbs eine andere sein
Vermögen beeinträchtigende Verfügung trifft oder eine Massnahme zur Wahrung
seines Vermögens unterlässt. Das ist z. B. der Fall, wenn er mit Rücksicht auf
den Empfang eines wertvollen Gegenstandes den bisher benützten, dem gleichen
Zweck dienenden, weniger wertvollen verschenkt und infolge der Rückerstattung
des ersteren um den Wert des letzteren geschädigt ist, oder wenn er eine
Anschaffung unterlässt und sich infolge der Rückerstattung bei gestiegenen
Preisen eindecken muss. Auch solche Nachteile, obgleich sie nur mittelbar mit
dem Erwerb bzw. der Rückerstattung zusammenhängen, muss der gutgläubige
Bereicherte in der Tat als Minderung seiner Bereicherung abziehen können,
damit er im Endergebnis nicht schlechter gestellt ist, als

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er es ohne die grundlose Vermögensverschiebung wäre. Der mit diesem Grundsatz
nicht im Einklang stehende Ausschluss gewisser Verwendungen gemäss Art. 65
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 65 - 1 Der Empfänger hat Anspruch auf Ersatz der notwendigen und nützlichen Verwendungen, für letztere jedoch, wenn er beim Empfange nicht in gutem Glauben war, nur bis zum Betrage des zur Zeit der Rückerstattung noch vorhandenen Mehrwertes.
1    Der Empfänger hat Anspruch auf Ersatz der notwendigen und nützlichen Verwendungen, für letztere jedoch, wenn er beim Empfange nicht in gutem Glauben war, nur bis zum Betrage des zur Zeit der Rückerstattung noch vorhandenen Mehrwertes.
2    Für andere Verwendungen kann er keinen Ersatz verlangen, darf aber, wenn ihm ein solcher nicht angeboten wird, vor der Rückgabe der Sache, was er verwendet hat, wieder wegnehmen, soweit dies ohne Beschädigung der Sache selbst geschehen kann.
OR
(dessen sachliche Begründetheit übrigens als zweifelhaft erscheint) darf als
Sondernorm nicht ausdehnend ausgelegt werden. Dass den Bereicherungskläger am
Rückforderungsschaden des Bereicherten ein Verschulden treffe, ist nicht
erforderlich. Es genügt der Kausalzusammenhang zwischen der grundlosen
Vermögensverschiebung und der Verminderung des übrigen Vermögens des
Bereicherten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 II 108
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 25. März 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 II 108
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ungerechtfertigte Bereicherung.Bemessung der Bereicherung, Berücksichtigung des...


Gesetzesregister
OR: 64 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 64 - Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste.
65
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 65 - 1 Der Empfänger hat Anspruch auf Ersatz der notwendigen und nützlichen Verwendungen, für letztere jedoch, wenn er beim Empfange nicht in gutem Glauben war, nur bis zum Betrage des zur Zeit der Rückerstattung noch vorhandenen Mehrwertes.
1    Der Empfänger hat Anspruch auf Ersatz der notwendigen und nützlichen Verwendungen, für letztere jedoch, wenn er beim Empfange nicht in gutem Glauben war, nur bis zum Betrage des zur Zeit der Rückerstattung noch vorhandenen Mehrwertes.
2    Für andere Verwendungen kann er keinen Ersatz verlangen, darf aber, wenn ihm ein solcher nicht angeboten wird, vor der Rückgabe der Sache, was er verwendet hat, wieder wegnehmen, soweit dies ohne Beschädigung der Sache selbst geschehen kann.
BGE Register
64-II-121 • 73-II-108
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bereicherung • empfang • kausalzusammenhang • rückerstattung • entscheid • schaden • ungerechtfertigte bereicherung • rückübertragung • ausgabe • funktion • wert • mass • vorname • treffen • sondernorm • bundesgericht