S. 433 / Nr. 68 Verfahren (d)

BGE 73 I 433

68. Urteil vom 21. November 1947 i. S. Hammarlöw, gegen Bern, kantonale
Rekurskommission.


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Regeste:
Verwaltungsgerichtsbeschwerde:
1. Zustellung kantonaler Rekursentscheide.
2. Beschwerdefrist.
3. Wiederherstellung gegen die Folgen einer Fristversäumnis.
Recours de droit administratif:
1. Notification des décisions de l'autorité cantonale.
2. Délai de recours.
3. Restitution pour inobservation d'un délai.
Ricorso di diritto amministrativo:
1. Notifica delle decisioni dell'autorità cantonale.
2. Termine di ricorso.
3. Restituzione in intero contro il lasso dei termini.

A. ­ Der Beschwerdeführer wohnte in den Jahren 1931 bis 1940 in Bern, wo er
zwei Liegenschaften besitzt. Am 19. April 1940 meldete er sich in Bern
polizeilich ab, um sich nach Jugoslawien zu begeben. Im Juni 1941 kehrte er in
die Schweiz zurück. Er wohnte zuletzt in Lausanne. Im Mai 1946 verreiste er
nach Schweden. Am 3. Januar 1947 kehrte er wieder in die Schweiz zurück. Er
hat während dieser Abwesenheit seine Wohnung im Hause avenue Mon Repos 10 in
Lausanne beibehalten.
B. ­ Im Jahre 1944 war gegen ihn in Bern ein Nach- und Strafsteuerverfahren
für das I. eidg. Wehropfer und für die eidg. Wehrsteuer I eröffnet worden. Der
Beschwerdeführer hatte die Steuerpflicht und die Steuerberechnung bestritten
und die gegen ihn ergangenen Einspracheentscheide an die kantonale
Steuerrekurskommission weitergezogen. Mit Entscheiden vom 18. Juni 1948 setzte
die kantonale Rekurskommission die auf Grund des Wehropferbeschlusses als
Steuer und Busse zu erbringenden Leistungen und die Leistungen für die

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I. Periode der Wehrsteuer fest. Die Entscheide sind am 20. Juni 1946 als
eingeschriebene Sendung zur Post gegeben worden. Sie wurden in Abwesenheit des
Beschwerdeführers von der in seiner Wohnung lebenden Hausangestellten Frl.
Fischbach beim Postbureau St-François in Lausanne erhoben und mit Flugpost an
eine Adresse des Beschwerdeführers in Schweden weitergeleitet.
C. ­ Nach seiner Rückkehr in die Schweiz hat sich der Beschwerdeführer die
während seiner Auslandsabwesenheit gegen ihn ergangenen Rekursentscheide
mitteilen lassen. Er erhebt gegen sie mit Eingaben vom 5. und 7. Juli 1947
Verwaltungsgerichtsbeschwerden mit den Anträgen, die Entscheide aufzuheben,
die Veranlagungen für das Wehropfer I und die Wehrsteuer I nach der von ihm
vorgebrachten Begründung herabzusetzen und die ihm aufgelegten Bussen zu
streichen. Er macht geltend, seine Beschwerden seien fristgemäss. Er habe die
am 20. Juni 1946 an die Adresse in Lausanne zugestellten Entscheide nie
erhalten. Sie seien offenbar bei der Übermittlung nach Schweden verloren
gegangen. Die Hausangestellte Fischbach aber sei nicht bevollmächtigt gewesen,
Einschreibe-Sendungen entgegenzunehmen. Die Zustellung sei also sachwidrig
durchgeführt worden und habe keinen Fristenlauf auslösen können. Die
Berechnung der Steuerbeträge sei unrichtig und die Bussen ungerechtfertigt.
D. ­ Die kantonale Rekurskommission beantragt, auf die Beschwerden nicht
einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Die eidgenössische Steuerverwaltung
beantragt Abweisung der Beschwerden.
Das Bundesgericht ist auf die Beschwerden nicht eingetreten
in Erwägung:
1. ­ Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind innert 30 Tagen, vom Eingang der
schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Entscheides an gerechnet, beim
Bundesgericht

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einzureichen (Art. 107 OG). Es kommt also auf den Zeitpunkt an, in welchem die
mit der Zustellung betraute Dienststelle die Sendung abliefert, nicht auf den
Zeitpunkt, in welchem der Betroffene von der Entscheidung tatsächlich Kenntnis
nimmt. Verzögerungen in der Kenntnisnahme formrichtig zugestellter
Entscheidungen bewirken keine Verschiebung der Beschwerdefrist. Das galt schon
unter der Herrschaft des alten Organisationsgesetzes (BGE 55 I S. 220 und
Zitate).
2. ­ Die angefochtenen Entscheide sind am 20. Juni 1946 als eingeschriebene
Sendung zur Post gegeben worden und wurden in Abwesenheit des
Beschwerdeführers von dessen Hausangestellten Frl. Fischbach entgegengenommen.
Wenn die Zustellung damit richtig vollzogen war, so begann die Beschwerdefrist
mit der Aushändigung der Sendung an Frl. Fischbach und sie ging mit dem Ablauf
von 30 Tagen zu Ende.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Rechtswirksamkeit der Zustellung mit der
Behauptung, Frl. Fischbach sei nicht ermächtigt gewesen, für ihn bestimmte
Einschreibesendungen entgegenzunehmen. Die Sendung sei Frl. Fischbach entgegen
einer sonst eingehaltenen Regel ausgehändigt worden; denn es habe keine
schriftliche Vollmacht vorgelegen, durch welche Frl. Fischbach sich als zum
Empfang von eingeschriebenen Sendungen ermächtigt hätte ausweisen können.
Indessen bedurfte es dann keiner schriftlichen Vollmacht, wenn Frl. Fischbach
gegenüber den Organen der Postverwaltung auf andere Weise genügend ausgewiesen
war. Das ist zweifellos der Fall. Denn der Beschwerdeführer hatte Frl.
Fischbach nicht nur allgemein die Entgegennahme seiner Post anvertraut,
sondern den Quartierbriefträger im Jahre 1946 ausdrücklich ermächtigt, auch
Einschreibesendungen an Frl. Fischbach auszuliefern. Er hatte auch wiederholt
durch Frl. Fischbach Einschreibesendungen beim Postbureau erheben lassen
(Auskunft der Kreispostdirektion II vom 30. Juli 1947). Unter diesen

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Umständen war die Sendung der kantonalen Rekurskommission vom 20. Juni 1946
mit der Aushändigung an Frl. Fischbach sachgemäss zugestellt. Die beiden
Beschwerden, die nicht innerhalb von 30 Tagen seit der Auslieferung erhoben
wurden, sind als verspätet von der Hand zu weisen.
3. ­ Der Beschwerdeführer hätte allerdings, gemäss Art. 35 , Abs. 1 OG, um
Wiederherstellung gegen die Folgen der Fristversäumnis einkommen können. Dies
hätte aber, nach Vorschrift des Gesetzes, innert 10 Tagen seit Wegfall des
Hindernisses geschehen müssen. Nimmt man an, dass er während der ganzen Dauer
seiner Abwesenheit im Auslande an der Wahrung seiner Rechte verhindert war, so
hätte das Restitutionsgesuch wenigstens sofort nach seiner Rückkehr in die
Schweiz, also innert der Zeit vom 3. bis 13. Januar 1947 gestellt werden
müssen. Der Beschwerdeführer hat aber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch
gemacht. Seine Beschwerden vom 5. und 7. Juli 1947 wären auch als Gesuche um
Wiederherstellung gegen die Folgen der Fristversäumnis zu spät erhoben worden.
Vgl. auch Nr. 61. - Voir aussi nº 61.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 I 433
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 21. November 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 I 433
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Verwaltungsgerichtsbeschwerde:1. Zustellung kantonaler Rekursentscheide.2. Beschwerdefrist.3...


Gesetzesregister
OG: 35  107
BGE Register
55-I-219 • 73-I-433
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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