S. 23 / Nr. 9 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 23

9. Urteil des Kassationshofes vom 1. Februar 1946 i.S. Schweiz.
Bundesanwaltschaft gegen Roth und Mitbeschuldigte.

Regeste:
Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB. Gefährdung des Eisenbahnverkehrs.
a) Gefährdung liegt vor, wenn die Möglichkeit des schädigenden Ereignisses
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nahe liegt (Erw. 1 Abs. l).
b) Erheblich gefährdet (Abs. 2) sind Leib und Leben von Menschen oder fremdes
Eigentum, wenn der Schaden, welcher bei voller Auswirkung der Gefahr eintreten
würde, erheblich wäre (Erw. 1 Abs. 2).
c) Gefährdung und Erheblichkeit derselben bejaht (Erw. 2 und 3).
d) Fahrlässigkeit des Stationsvorstandes, des Lokomotivführers und des
Zugführers, die eine ausserordentliche Kreuzung zweier Züge vergessen (Erw.
4).
e) Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
ist im Verhältnis zu Art. 239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.304
StGB Sondervorschrift (Erw. 5).
Art. 238 CP. Mise en danger du service des chemins de fer.
a) Il y a mise en danger lorsque, d'après le cours normal des choses, le fait
dommageable peut se produire avec une certaine probabilité (consid. 1 al. 1).
b) Le danger pour la vie ou l'intégrité corporelle des personnes ou la
propriété d'autrui est sérieux au sens de l'art. 238 al. 2 CP si le dommage
qui se serait produit en cas de complète réalisation du risque avait été
sérieux (consid. 1 al. 2).
c) Mise en danger et danger sérieux, admis dans le cas particulier (consid. 2
et 3).
d) Négligence du chef de gare, du conducteur de locomotive et du chef de train
qui oublient l'avis qui leur a été donné du croisement extraordinaire de deux
trains (consid. 4).

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e) L'art. 238 CP est une lex specialis par rapport à l'art. 239 CP (consid.
5).
Art. 238 CP. Messa in pericolo del servizio ferroviario.
a) Esiste messa in pericolo, se, giusta il corso normale delle cose, l'evento
dannoso può prodursi con una certa probabilità (consid. 1 cp. 1).
b) Il pericolo per la vita o l'integrità corporale delle persone o della
proprietà altrui è grave ai sensi dell'art. 238 cp. 2 CP, se il danno, che si
sarebbe verificato nel caso in cui il pericolo avesse avuto pieno effetto,
fosse stato grave (consid. 1 cp. 2).
c) Messa in pericolo e grave pericolo ammessi in concreto (consid. 2 e 3)
d) Negligenza del capostazione, del macchinista e del capotreno che
dimenticano l'avviso dato loro d'un incrocio straordinario di due treni
(consid. 4).
e) L'art 238 CP è una lex specialis rispetto all'art. 239 CP (consid. 5).

A. ­ Gemäss Zirkular der Kreisdirektion II der Schweizerischen Bundesbahnen
vom 3. Januar 1944 sollte am 6. Januar 1944 ein Militärextrazug von
Konolfingen nach Langnau fahren und um 12.26 Uhr auf der Station Zäziwil mit
einem fahrplanmässigen Güterzug kreuzen. Stationsvorstand Alexander Roth in
Zäziwil teilte dies dem Stationsgehilfen Anken am 5. Januar mündlich mit,
vergass ihm jedoch am 6. Januar um 12 Uhr, als ihn Anken ablöste, das Zirkular
zu übergeben. Auch vermerkte er den Extrazug nicht auf der Anschrifttafel der
Station. Anken fertigte um 12.31 Uhr den Güterzug nach der 3,8 km entfernten
Station Konolfingen ab, ohne das Eintreffen des Extrazuges abzuwarten, dessen
Abfahrt in Konolfingen in diesem Augenblick durch das Streckenläutwerk noch
nicht gemeldet war. Der Lokomotivführer Louis Roth und der Zugführer Alfred
Dubach des Güterzuges, denen die ausserordentliche Kreuzung durch den
Stationsvorstand in Langnau ordnungsgemäss schriftlich mitgeteilt worden war,
vergassen sie ebenfalls, ebenso die beiden Bremser des Güterzuges, die vom
Zugführer mündlich davon unterrichtet worden waren. Der Extrazug wurde in
Konolfingen um 12.30 Uhr mit zehn Minuten Verspätung abgefertigt. Der
Stationsvorstand wollte das Streckenläutwerk erst nachher betätigen. In diesem
Augenblick

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wurde ihm die Abfahrt des Güterzuges von Zäziwil durch Glockensignal gemeldet.
Das veranlasste ihn, sofort das Glockenzeichen «alle Züge aufhalten» zu geben,
den Strom der Fahrleitung auszuschalten und nach der Station Zäziwil zu
telephonieren, dass dort das gleiche geschehe. Auf dies hin stellte der
Stationsgehilfe in Zäziwil ebenfalls den Strom ab. Inzwischen hatte der
Lokomotivführer des Extrazuges den Güterzug, der ihm auf der etwa 2,7 km weit
in gerader Richtung verlaufenden eingeleisigen Strecke entgegenfuhr, aus etwa
1 km Entfernung bemerkt und den Extrazug durch eine Schnellbremsung nach einem
Bremsweg von ungefähr 180 m zum Stehen gebracht. Der Lokomotivführer des
Güterzuges dagegen wurde auf den Extrazug erst aufmerksam, als er merkte, dass
die Fahrleitung nicht mehr unter Spannung stand. Er brachte hierauf den
Güterzug nach einem Bremsweg von etwa 200 m durch eine Schnellbremsung 300 bis
400 m vom Extrazug entfernt ebenfalls zum Stehen. Beide Züge waren vor dem
Abbremsen mit einer Geschwindigkeit von 60 km/Std. gefahren.
B. ­ Alexander Roth, Louis Roth und Alfred Dubach wurden wegen fahrlässiger
Gefährdung des Eisenbahnverkehrs im Sinne des Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB dem
Gerichtspräsidenten von Konolfingen zur Beurteilung überwiesen. Dieser
erklärte sie des erwähnten Vergehens schuldig und büsste Alexander Roth mit
Fr. 400.­, die beiden andern mit je Fr. 150.­.
Auf Appellation der Verurteilten sprach das Obergericht des Kantons Bern am 6.
März 1945 alle drei frei. Es liess die Frage offen, ob das Merkmal der
Erheblichkeit der Gefährdung, das zum Tatbestand des Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB
gehört, in einem erhöhten Grade der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes
oder in der Grösse des möglichen Schadens liege. Es verneinte die erhebliche
Gefährdung, weil die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten der
Angeschuldigten zu einem Zusammenstoss der beiden Züge führen würde, geringer
gewesen sei als die Wahrscheinlichkeit,

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dass das Unglück verhütet werden könne. Es entspreche nämlich dem normalen
Verlauf der Dinge, dass zwei Züge, die einander bei weiter und guter Sicht auf
gerader Strecke mit 60 km/Std. entgegenfahren, von aufmerksamen
Lokomotivführern rechtzeitig angehalten werden könnten. Das Obergericht sah
auch die Voraussetzungen des Art. 239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.304
StGB nicht für erfüllt an, da durch die
zu beurteilenden Geschehnisse das öffentliche Interesse an der ungehinderten
Abwicklung des Eisenbahnverkehrs nicht wesentlich berührt worden sei.
C. ­ Die Bundesanwaltschaft ficht das Urteil des Obergerichts mit der
Nichtigkeitsbeschwerde an mit den Anträgen, es sei gegenüber allen drei
Angeschuldigten aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin hält dafür, dass Art. 238
Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB anwendbar sei. Das angefochtene Urteil verletze den Begriff der
erheblichen Eisenbahngefährdung zunächst dadurch, dass es die erfolgte
Schnellbremsung unbeachtet lasse. Der Nichteintritt eines Schadens sei bei
einem Sachverhalt wie dem vorliegenden einem Zufall zuzuschreiben; eine
konkrete Gefahr habe bestanden; zudem sei der Eisenbahnverkehr nicht nur
gefährdet, sondern gestört worden. Eventuell ist nach Auffassung der
Beschwerdeführerin Art. 239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.304
StGB anzuwenden.
D. ­ Die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis bestraft, wer
vorsätzlich den Eisenbahnverkehr hindert, stört oder gefährdet und dadurch
wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr
bringt, namentlich die Gefahr einer Entgleisung oder eines Zusammenstosses
herbeiführt (Abs. 1). Handelt der Täter fahrlässig und werden dadurch Leib und
Leben von Menschen oder fremdes Eigentum erheblich gefährdet, so ist die
Strafe Gefängnis oder Busse (Abs. 2).

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Gefährdet ist der Eisenbahnverkehr nicht jedesmal schon dann, wenn objektiv
die Möglichkeit besteht, dass Menschen verletzt oder getötet werden oder
fremdes Eigentum beschädigt werde. Die Möglichkeit eines solchen Ereignisses
muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nahe liegen. In dieser
Weise hat das Bundesgericht den Begriff der Gefährdung bereits unter der
Herrschaft des revidierten Art. 67 BStrR ausgelegt (BGE 58 I 216, 61 I 206),
und so fasst es ihn auch seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches auf.
Wenn nun Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB die fahrlässige Tat nur dann bestraft wissen
will, wenn Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum erheblich
gefährdet werden, so verlangt diese Bestimmung damit nicht, dass der Eintritt
des schädigenden Ereignisses wahrscheinlicher, die Gefahr dringlicher sein
müsse als im Falle vorsätzlicher Begehung, sondern dass der Schaden, welcher
bei voller Verwirklichung der Gefahr eintreten würde, erheblich wäre. Das
Strafgesetzbuch weicht auch in dieser Hinsicht nicht vom revidierten Art. 67
BStrR ab, der dem Begriff der erheblichen Gefährdung des Eisenbahnverkehrs den
gleichen Sinn gab (BGE 54 I 298, 363).
2. ­ Indem der Güterzug die Station Zäziwil verliess, ohne die Kreuzung des
Militärextrazuges abzuwarten, entstand die Möglichkeit eines Zusammenstosses.
Sie lag so nahe, dass das Merkmal der Gefährdung des Eisenbahnverkehrs erfüllt
ist. Die Stationen Zäziwil und Konolfingen sind 3,8 km von einander entfernt.
Beide Züge, welche ungefähr gleichzeitig abfuhren und eine Geschwindigkeit von
60 km/Std. einhielten, brauchten somit bei Berücksichtigung der Anlaufzeit
etwa zwei Minuten, um zusammenzutreffen. Die Gefahr, dass in dieser kurzen
Zeit sich nichts mehr ereigne, was den Zusammenstoss verhindern könne, war
gross. Wohl machte der Umstand, dass die Strecke 2,7 km weit gerade verläuft,
es beiden Lokomotivführern objektiv möglich, den Gegenzug rechtzeitig zu sehen
und den eigenen vor dem Zusammenstoss anzuhalten. Dass das tatsächlich
geschehen werde, hing

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aber weitgehend von der prompten Pflichterfüllung der Beteiligten und vom
Zufall ab. Der Lokomotivführer des Güterzuges hat denn auch den Extrazug nicht
so frühzeitig bemerkt, wie er ihn hätte wahrnehmen können. Bloss weil die
Fahrleitung nicht mehr unter Spannung war, wurde er auf ihn aufmerksam. Die
beiden Züge waren in diesem Augenblick nur noch einige hundert Meter von
einander entfernt. Das Ausschalten des Stromes auf beiden Stationen, das zur
Verhütung des Unglücks beigetragen hat, war eine Massnahme, deren
rechtzeitiges Gelingen von der Geistesgegenwart und dem raschen Handeln des
Stationsbeamten von Konolfingen und von anderen Zufälligkeiten abhing. Dass
sie in der kurzen Zeit von höchstens anderthalb Minuten angeordnet und
durchgeführt werden könne, wie es tatsächlich geschehen ist, stand nicht zum
vornherein fest. Die beiden Züge hielten 300 bis 400 m von einander entfernt
an. Hätten beide ihre Fahrt mit je 60 km /Std. nur 10 Sekunden länger
fortgesetzt, so wären sie zusammengestossen. Eine augenblickliche, vielleicht
dienstlich begründete Abwendung des Blickes der Lokomotivführer oder eine
kurze Verzögerung in der Ausschaltung des Stromes hätte hiezu genügt. Unter
solchen Umständen lässt sich nicht sagen, es habe im normalen Gang der Dinge
gelegen, dass das Unglück verhütet wurde. Dass Dritte und auch einer der
Beschuldigten selbst (der Lokomotivführer des Güterzuges) erfolgreich
eingriffen, um den Schaden abzuwenden, ändert daran nichts. Dieses Eingreifen
hat nicht die Entstehung, sondern nur die Auswirkung der Gefahr verhütet.
Anders wäre es beispielsweise, wenn der Lokomotivführer des Güterzuges schon
beim Ausfahren aus der Station Zäziwil sich der vorgeschriebenen Kreuzung
wieder erinnert und seinen Zug sofort in die Station zurückgeführt hätte, noch
ehe der Extrazug sich in Bewegung setzte, oder wenn der Extrazug, nachdem die
Beschwerdegegner die Kreuzungsvorschrift missachtet hatten, in Konolfingen das
Eintreffen des Güterzuges abgewartet hätte. So wickelten sich die

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Ereignisse nicht ab. Als die beiden Züge auf der einspurigen Strecke einander
mit voller Geschwindigkeit entgegenfuhren, war die Möglichkeit eines
Zusammenstosses so in die Nähe gerückt, dass es bloss noch eines geringfügigen
Versagens eines Beteiligten bedurfte, um das Unglück herbeizuführen. Hätte,
wie vorher die Beschwerdegegner, ein weiterer Beamter wirklich versagt, so
hätten sich die Beschwerdegegner der Strafe nicht mit der Behauptung entziehen
können, der Zusammenstoss sei nicht auf ihr pflichtwidriges Verhalten
zurückzuführen, sondern auf das Verhalten dessen, der nach ihnen einen Fehler
beging. Gleich verhält es sich unter den gegebenen Umständen, wo
Pflichterfüllung durch die andern die aus der Nachlässigkeit der
Beschwerdegegner entstandene Gefahr kurz vor dem Unheil gebannt hat (vgl. BGE
61 I 206 f.).
3. ­ Die volle Auswirkung der Gefahr hätte zum Zusammenstoss der beiden Züge
geführt. Dass Leib und Leben von Menschen und fremdes Eigentum erheblich
gefährdet waren, liegt daher auf der Hand.
4. ­ Die Beschwerdegegner haben die nach den Umständen und nach ihren
persönlichen Verhältnissen gebotene Vorsicht nicht beobachtet, um der Weisung,
den Güterzug in Zäziwil bis zur Durchfahrt des Extrazuges warten zu lassen,
nachleben zu können. Alexander Roth hat vergessen, dem Stationsgehilfen vor
der Ablösung die vorgeschriebene Kreuzung förmlich mitzuteilen, wie es seine
Pflicht war, und den beiden andern Beschwerdegegnern ist die Weisung ebenfalls
aus dem Sinn gefallen. Sie bringen nichts vor, was ihr Vergessen entschuldbar
erscheinen liesse. Die schweren Folgen, welche die Missachtung einer
angeordneten Kreuzung auf einer einspurigen Linie haben kann und welche ihnen
bekannt waren, verpflichteten sie zu Massnahmen, die ihnen die erhaltene
Weisung im entscheidenden Augenblick in Erinnerung gerufen hätten. Für den
Stationsvorstand gehörte dazu die ausdrücklich vorgeschriebene Vermerkung des
Extrazuges auf der Anschrifttafel der Station; er hat sie unter

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lassen. Alle drei Beschwerdegegner haben die Gefährdung fahrlässig
herbeigeführt.
5. ­ Sind mithin die objektiven und subjektiven Voraussetzungen zur Anwendung
des Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB erfüllt, so kann dahingestellt bleiben, ob jene des
Art. 239 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.304
StGB gegeben wären. Nach letzterer Bestimmung ist mit
Gefängnis oder Busse zu bestrafen, wer fahrlässig den Eisenbahnbetrieb
hindert, stört oder gefährdet. Im Gegensatz zu Art. 238 verlangt sie nicht,
dass die Tat Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum gefährde.
Dieses besondere Tatbestandsmerkmal macht Art. 238 im Verhältnis zu Art. 239
zur Sondervorschrift, was denn auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass erstere
Bestimmung für die vorsätzliche Begehung schwerere Strafe androht als Art.
239.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Obergericht
zurückzuweisen, damit es die Beschwerdegegner in Anwendung von Art. 238 Abs. 2
bestrafe.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 IV 23
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 01. Februar 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 IV 23
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 238 StGB. Gefährdung des Eisenbahnverkehrs.a) Gefährdung liegt vor, wenn die Möglichkeit des...


Gesetzesregister
StGB: 238 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.304
BGE Register
54-I-293 • 58-I-214 • 61-I-203 • 72-IV-23
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aufhebung • beschuldigter • beschwerdegegner • bremse • bundesgericht • busse • dauer • distanz • ehe • eigentum • einspuren • eisenbahnverkehr • entgleisung • entscheid • frage • inkrafttreten • kantonales rechtsmittel • kassationshof • leben • persönliche verhältnisse • sachverhalt • schaden • sorgfalt • sprache • strafanstalt • strafgesetzbuch • trainer • uhr • verhalten • verurteilter • vorinstanz • wegnahme • weiler • weisung • wille • wissen • zufall