BGE 71 IV 190
43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Oktober 1945 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Uri.
Regeste:
1. Immissio inter femora, begangen gegenüber einem Mädchen oder einem Knaben,
stellt eine beischlafsähnliche Handlung im Sinne von Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
dar.
2. Auslegung von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
3. Verminderte Zurechnungsfähigkeit eines homosexuell veranlagten
Sittlichkeitsverbrechers? Begutachtung durch Sachverständige? (Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
StGB).
1. L'immissio inter femora, accomplie sur une fillette ou un garçon, constitue
un acte analogue à l'acte sexuel, au sens de l'art. 191 ch. 1 CP.
2. Interprétation de l'art. 191 ch. 1 al. 2 et 191 ch. 2 al. 5 CP
(domestique).
3. Responsabilité restreinte d'un auteur de délits de moeurs de constitution
homosexuelle? Examen par un expert? (art. 11 et 13 CP).
1. L'immissione inter femora compiuta su una ragazza o un ragazzo è un atto
analogo all'atto sessuale ai sensi dell'art. 191 cifra 1 CP.
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2. Interpretazione dell'art. 191, cifra 1, cp. 2 e 191, cifra 2, cp. 5 CP
(servo).
3. Responsabilità scemata d'un delinquente contro i buoni costumi, la
costituizione del quale è omosessuale. Esame ad opera d'un perito? (art. 11 e
13 CP).
3. ... Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes liegt eine
beischlafsähnliche Handlung im Sinne von Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
vor, wenn das Glied zur Ausübung des Beischlafs an die Scheide eines. Mädchens
geführt wird, aber wegen ungenügender Entwicklung des Mädchens nicht
eindringen kann (BGE 70 IV 159), sondern auch dann, wenn der Täter sein Glied
in der Richtung auf die Scheide zwischen die Oberschenkel eines Mädchens
stösst, ohne zu versuchen, mit dem Glied in die Scheide einzudringen (Urteil
vom 14. Juli 1944 i.S. Peter). Gerade so verhielt es sich nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz im Falle des Mädchens Y. Mit Recht
ist also dieser Fall unter Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Der Vorinstanz ist aber auch in der rechtlichen Beurteilung des Falles des
Knaben Z. beizupflichten. Kind ist im Sinne von Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
nicht nur das Mädchen, sondern auch der Knabe. Bei der Gesetzesberatung wurde
ausdrücklich hervorgehoben, dass diese Bestimmung (Vorentwurf 1908 Art. 122,
Entwurf 1918 Art. 166) für Kinder beider Geschlechter in gleicher Weise gelte
(ZÜRCHER und GAUTIER in der 2. Exp. komm., Prot. 3 154 /155; SEILER im
Nationalrat und BAUMANN im Ständerat, StenBull Sonderausgabe NatR 377, StR
186). Für die Annahme, dass Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Knaben und Mädchen unter 16 Jahren nur gegen Angriffe des andern Geschlechts
schützen wolle, bestehen keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Zürcher dachte bei
der Bestimmung über die beischlafsähnlichen Handlungen in erster Linie an den
Schutz des Knaben (Prot. 3 154), und Gautier bezog diese Bestimmung vor allem
auf «des actes contre nature» (Prot. 4 43). Dazu kommt die Erwägung, dass
gleichgeschlechtliche Angriffe für das Kind in sittlicher Beziehung keine
geringere
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Gefahr bedeuten als andersgeschlechtliche. Demnach umfasst der Begriff der
beischlafsähnlichen Handlung im Sinne von Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
natürlichen Beischlaf gleichende Handlungen zwischen einem männlichen Täter
und einem Knaben. Hieher gehört aber namentlich die immissio inter femora, wie
der Beschwerdeführer sie jeweilen gegenüber dem Knaben Z. vollzogen hat. Ob
darüber hinaus entsprechend der Auffassung Gautiers überhaupt jede
Befriedigung am Körper eines Kindes (tout assouvissement sur le corps de la
victime, Prot. 3 155 unten) als beischlafsähnliche Handlung zu gelten habe,
kann vorliegend dahingestellt bleiben.
4. Die Vorinstanz nimmt an, der Knabe Z sei im Sinne von Art. 191 Ziff. 1
Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Verfehlungen ihm gegenüber mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu ahnden
seien. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass dieser Erschwerungsgrund
zutreffe. Mit Recht. Die Höhe der Mindeststrafe und der Umstand, dass ein
Antrag Langs, die kasuistische Aufzählung der Erschwerungsgründe durch eine
auf die «Verletzung besonderer Pflichten der Erziehung oder Pflege»
abstellende Generalklausel zu ersetzen (Prot. 3 152 und 160), von der zweiten
Expertenkommission abgelehnt worden ist (Prot. 3 170), verbieten eine
ausdehnende Auslegung von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Dienstbotenverhältnis (das übrigens erst im Laufe der Beratungen der zweiten
Expertenkommission unter die Erschwerungsgründe aufgenommen wurde, Prot. 3
152, 170) ist nun kennzeichnend, dass es auf der einen Seite eine besondere
Autorität, auf der andern Seite eine besondere Abhängigkeit begründet. Dem
Missbrauch dieser Autorität bezw. Abhängigkeit zu verbrecherischen Zwecken
will Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Verschärfung der Strafdrohung entgegentreten. Ein solches
Unterordnungsverhältnis besonderer Art bestand zwischen dem Beschwerdeführer
und dem Ferienknaben Z. schon deswegen nicht, weil es diesem jederzeit
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freistand, zu seinen Eltern heimzukehren. Z. war im Hinblick auf die nur ganz
lose Bindung an den Beschwerdeführer auch nicht etwa dessen Pflegekind oder
Zögling. Die Vorinstanz hat daher den zweiten Absatz von Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
zu Unrecht angewendet. Der Fall Z. fällt nur unter die Strafdrohung von Art.
191 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
einem Jahre bis zu zwanzig Jahren, Art. 35 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 35 - 1 Die Vollzugsbehörde bestimmt dem Verurteilten eine Zahlungsfrist von einem bis zu sechs Monaten.28 Sie kann Ratenzahlung anordnen und auf Gesuch die Fristen verlängern. |
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1 | Die Vollzugsbehörde bestimmt dem Verurteilten eine Zahlungsfrist von einem bis zu sechs Monaten.28 Sie kann Ratenzahlung anordnen und auf Gesuch die Fristen verlängern. |
2 | Besteht der begründete Verdacht, dass der Verurteilte sich der Vollstreckung der Geldstrafe entziehen wird, so kann die Vollzugsbehörde die sofortige Bezahlung oder eine Sicherheitsleistung verlangen. |
3 | Bezahlt der Verurteilte die Geldstrafe nicht fristgemäss, so ordnet die Vollzugsbehörde die Betreibung an, wenn davon ein Ergebnis zu erwarten ist. |
7. Mit Grund wird in der Beschwerdeschrift die Frage der verminderten
Zurechnungsfähigkeit aufgeworfen. Der gutachtliche Bericht, den die
Staatsanwaltschaft beim kantonalen Amtsarzte eingeholt hat, erklärt den
Beschwerdeführer trotz der festgestellten Abweichung des Geschlechtstriebs von
der normalen Richtung als zurechnungsfähig. Die kantonalen Instanzen sind
dieser Auffassung gefolgt und haben die Abnormität des Beschwerdeführers nur
bei der Strafzumessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu seinen
Gunsten berücksichtigt. Aus der homosexuellen Veranlagung eines Täters ergibt
sich denn auch nicht ohne weiteres, dass er vermindert zurechnungsfähig sei.
Im vorliegenden Falle stellt sich aber angesichts der besondern Intensität der
verbrecherischen Tätigkeit des Beschwerdeführers doch die Frage, ob sein
abnormer Geschlechtstrieb so stark sei, dass es einer ungewöhnlichen
Willensanstrengung bedurft hätte, um ihn zu meistern, und ob er deswegen in
der Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt gewesen sei. Auf diese Frage
ist der vorliegende Arztbericht nicht eingegangen. Insofern ist der Vorschrift
von Art. 13
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit durch die Einholung eines
Sachverständigengutachtens Rechnung zu tragen ist (BGE 69 IV 53 E. 3), nicht
Genüge geschehen...