S. 149 / Nr. 35 Verfahren (d)

BGE 71 IV 149

35. Urteil des Kassationshofes vom 1. Juni 1945 i. S. Schweiz.
Bundesanwaltschaft und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Müller.


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Regeste:
1. Art. 270 Abs. 6 BStrP. In Strafsachen, welche der Bundesgerichtsbarkeit
unterstehen, ist der Bundesanwalt zur Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt, um
geltend zu machen, das kantonale Gericht sei mangels Übertragung der
Gerichtsbarkeit sachlich nicht zuständig.
2. Art. 340 Ziff. 1 StGB. Die Verbrechen und Vergehen des elften Titels (Art.
251 ff.), welche Urkunden des Bundes betreffen, unterstehen der
Bundesgerichtsbarkeit unbekümmert darum, ob die Urkunde eine öffentliche oder
nicht öffentliche ist.
1. Art. 270 al. 6 PPF. Dans les causes pénales soumises à la juridiction
fédérale, le Ministère public de la Confédération est fondé à se pourvoir en
nullité pour relever que le tribunal cantonal n'était pas compétent ratione
materiae faute de délégation de la juridiction.
2. Art. 340 ch. 1 CP. Les crimes et délits du titre onzième (art. 251 ss),
lorsqu'ils concernent des titres fédéraux, ressortissent à la juridiction
fédérale, qu'il s'agisse ou non de titres authentiques.
1. Art. 270 cp. 6 PPF. Nelle cause penali soggette alla giurisdizione
federale, il Procuratore generale della Confederazione è legittimato a
ricorrere per cassazione ove intenda contestare la competenza per materia del
tribunale cantonale in difetto del deferimento della giurisdizione.
2. Art. 340 cifra 1 CP. I crimini e i delitti del titolo undecimo del codice
(art. 251 e ss.), quando concernono dei documenti federali, sono soggetti al
potere giurisdizionale della Confederazione, trattisi o non trattisi di
documenti pubblici.


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A. - Die Bezirksanwaltschaft Horgen hatte gegen Müller Anklage erhoben wegen
Diebstahls, ferner wegen Urkundenfälschung und Betrugs, weil er ein auf den
Namen seiner Ehefrau ausgestelltes unübertragbares Streckenabonnement der
Schweizerischen Bundesbahnen selber handschriftlich auf seinen Namen sowie die
darauf stehende Unterschrift «Marie Müller» in «Mario Müller» abgeändert und
dieses Abonnement zweimal benutzt und damit die Bahn um Fr. 2.50 geschädigt
hatte. Das Bezirksgericht Horgen erklärte ihn im Sinne der Anklage schuldig
und verurteilte ihn zu drei Wochen Gefängnis. Gegen dieses Urteil ergriff die
Staatsanwaltschaft die Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich mit dem
Antrag, die Akten seien an sie zurückzuweisen, damit sie gemäss Art. 18 BStrP
dem Kanton durch die zuständige Bundesbehörde die Gerichtsbarkeit zur
Verfolgung der Urkundenfälschung übertragen lasse, worauf das erstinstanzliche
Urteil im Schuldpunkt zu bestätigen und die Strafe auf drei Monate Gefängnis
zu erhöhen sei.
B. - Durch Urteil vom 26. Januar 1945 erklärte das Obergericht die Übertragung
der Gerichtsbarkeit für unnötig und folgte im übrigen dem Antrag der
Staatsanwaltschaft. Zur Begründung der Ansicht, die Zürcher Gerichte seien
ohne Übertragung der Gerichtsbarkeit zuständig, führt das Urteil aus, nach dem
Wortlaut von Art. 340 Ziff. 1 Abs. 3 StGB, welcher die Urkundenfälschung der
Bundesgerichtsbarkeit unterstellt, sofern Urkunden des Bundes in Betracht
kommen, würde diese Gerichtsbarkeit auch die Fälschung nicht öffentlicher
Bundesurkunden, als was die Abonnemente der Bundesbahnen nach Art. 110 Ziff. 5
Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 110 - 1 Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
1    Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
2    Familiengenossen sind Personen, die in gemeinsamem Haushalt leben.
3    Als Beamte gelten die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege sowie die Personen, die provisorisch ein Amt bekleiden oder provisorisch bei einer öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege angestellt sind oder vorübergehend amtliche Funktionen ausüben.
3bis    Stellt eine Bestimmung auf den Begriff der Sache ab, so findet sie entsprechende Anwendung auf Tiere.151
4    Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient.
5    Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von Mitgliedern einer Behörde, Beamten und Personen öffentlichen Glaubens in Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen ausgestellt werden. Nicht als öffentliche Urkunden gelten Urkunden, die von der Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen Geschäften ausgestellt werden.
6    Der Tag hat 24 aufeinander folgende Stunden. Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet.
7    Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft.
Satz 2 StGB aufzufassen seien, ergreifen. Allein eine solche wörtliche
Auslegung sei mit Sinn und Zweck jener Zuständigkeitsnorm nicht in Einklang zu
bringen. Es sei davon auszugehen, dass die übrigen Verfehlungen, welche sie
der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt, qualifizierter Art seien. Es handle
sich durchwegs um strafbare Handlungen, die entweder gegen die

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Allgemeinheit direkt gerichtet seien, oder um solche, an deren Verfolgung vor
allem die Allgemeinheit ein erhöhtes Interesse habe. Das treffe auch zu für
strafbare Handlungen, die von einem Bundesbeamten in Ausübung seiner amtlichen
Verrichtungen verübt werden oder die sich gegen die rechtmässige Ausübung der
amtlichen Verrichtungen eines Bundesbeamten wenden. Es könne aber nicht gesagt
werden, die Absicht des Gesetzgebers sei dahin gegangen, schlechterdings
alles, was mit dem Bunde zusammenhängt, der Bundesstrafgerichtsbarkeit zu
unterstellen, so dass schon deshalb jegliche Bundesurkunde unterschiedslos
dieses erhöhten Strafschutzes teilhaftig werde. Andernfalls hätten
folgerichtig auch die strafbaren Handlungen gegen den öffentlichen Verkehr,
soweit sie gegen die Bundesbahnen, die Post, den Telegraphen- und
Telephonbetrieb gerichtet sind, der Beurteilung durch die Bundesstrafbehörden
vorbehalten werden müssen. Somit ergebe sich, dass die Unterstellung unter die
Bundesgerichtsbarkeit etwas Aussergewöhnliches sei. Nur das erhöhte
Schutzinteresse der Allgemeinheit rechtfertige diese Sonderregelung. Daraus
folge, dass der Bereich der Bundesgerichtsbarkeit nicht über diesen
Schutzzweck hinausgehe. Nun sei nicht einzusehen, was für ein erhöhtes
Interesse die Allgemeinheit daran haben könnte, dass Urkundendelikte, welche
nicht durch einen Beamten begangen werden und sich gegen Urkunden aus der rein
privatrechtlichen Sphäre der Bundesverwaltung richten, grundsätzlich der
Bundesgerichtsbarkeit unterworfen werden. Auch die Entstehungsgeschichte des
Art. 340
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 110 - 1 Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
1    Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
2    Familiengenossen sind Personen, die in gemeinsamem Haushalt leben.
3    Als Beamte gelten die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege sowie die Personen, die provisorisch ein Amt bekleiden oder provisorisch bei einer öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege angestellt sind oder vorübergehend amtliche Funktionen ausüben.
3bis    Stellt eine Bestimmung auf den Begriff der Sache ab, so findet sie entsprechende Anwendung auf Tiere.151
4    Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient.
5    Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von Mitgliedern einer Behörde, Beamten und Personen öffentlichen Glaubens in Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen ausgestellt werden. Nicht als öffentliche Urkunden gelten Urkunden, die von der Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen Geschäften ausgestellt werden.
6    Der Tag hat 24 aufeinander folgende Stunden. Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet.
7    Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft.
StGB zeige, dass nur die wichtigsten strafbaren Handlungen, an deren
Ahndung die Allgemeinheit in hohem Masse interessiert sei, in erster Linie der
Zuständigkeit der Bundesstrafgerichte vorbehalten werden wollten. Erst die
nationalrätliche Kommission habe die Fälschung von Bundesurkunden in das
Verzeichnis dieser Gesetzesbestimmung aufgenommen, einem Gutachten des
Bundesanwalts folgend, das zu erwägen gab, ob nicht in Anpassung an den
damaligen

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Rechtszustand die Bundesgerichtsbarkeit auf alle strafbaren Handlungen
ausgedehnt werden sollte, an denen der Bund interessiert ist. Die
nationalrätliche Kommission habe sich diese Auffassung jedoch nicht in vollem
Umfange zu eigen gemacht, z. B. nicht hinsichtlich der strafbaren Handlungen
gegen die elektrischen Anlagen und gegen den öffentlichen Verkehr, die der
Bundesgerichtsbarkeit bisher unterworfen waren. Die Aufnahme der
Bundesurkunden werde auch von hier aus besehen nur sinnvoll, wenn man ihre
Anwendung auf öffentliche Bundesurkunden beschränke, die von einem Beamten
oder einer Behörde kraft ihrer Machtbefugnisse ausgestellt werden.
C. - Gegen dieses Urteil haben sowohl die Bundesanwaltschaft als auch die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Nichtigkeitsbeschwerde erklärt mit
dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache sei an das Obergericht
zurückzuweisen, damit es neu entscheide, nachdem es um Übertragung der
Gerichtsbarkeit nachgesucht haben werde. Es wird ausgeführt, dass das vom
Obergericht gutgeheissene Schutzinteresse der Allgemeinheit den Umfang der
Bundesgerichtsbarkeit nach dem Strafgesetzbuch nicht zu kennzeichnen vermöge.
In Wirklichkeit seien es nicht die «Delikte gegen die Gesamtheit», welche der
Bundesgerichtsbarkeit unterstellt sind, sondern die strafbaren Handlungen
gegen den Bundesstaat und seine Staatstätigkeit, mit Einschluss gewisser
strafbarer Handlungen gegen die Bundesverwaltung. Massgebend sei das
Schutzinteresse des Bundesstaates, seiner Verwaltung und seiner Einrichtungen.
Auf Grund der Entstehungsgeschichte des Art. 340
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 110 - 1 Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
1    Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
2    Familiengenossen sind Personen, die in gemeinsamem Haushalt leben.
3    Als Beamte gelten die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege sowie die Personen, die provisorisch ein Amt bekleiden oder provisorisch bei einer öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege angestellt sind oder vorübergehend amtliche Funktionen ausüben.
3bis    Stellt eine Bestimmung auf den Begriff der Sache ab, so findet sie entsprechende Anwendung auf Tiere.151
4    Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient.
5    Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von Mitgliedern einer Behörde, Beamten und Personen öffentlichen Glaubens in Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen ausgestellt werden. Nicht als öffentliche Urkunden gelten Urkunden, die von der Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen Geschäften ausgestellt werden.
6    Der Tag hat 24 aufeinander folgende Stunden. Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet.
7    Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft.
StGB betont die
Bundesanwaltschaft den Zusammenhang der Bundesurkunden mit Bundeseinrichtungen
als für die Auslegung des Begriffes wegleitend. Dieser Zusammenhang bestehe
ohne Rücksicht darauf, dass das Strafgesetzbuch gewisse Arten von Urkunden zu
Privaturkunden des Bundes macht. Die Bundesverwaltung (im weiteren Sinne) habe
ein Interesse daran, dass alle Urkundendelikte verfahrensrechtlich gleich
behandelt werden

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und dass die einschlägigen Verfahren der Kontrolle der Bundesbehörden und
damit ihrer Wegleitung unterstehen, unbekümmert darum, dass davon neben andern
auch geringfügige Fälle erfasst werden mögen. Diese Kontrolle sei
erfahrungsgemäss nur zu erreichen, wenn die Fälle der Bundesgerichtsbarkeit
unterstehen, wobei die Fälle regelmässig Delegationssachen gewesen seien und
bleiben würden. Eine unterschiedliche Behandlung öffentlicher und privater
Bundesurkunden wäre in Wirklichkeit untunlich und sogar geeignet, Unsicherheit
zu bewirken.
D. - Der Beschwerdegegner hat eine Antwort auf die Beschwerde nicht
eingereicht.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Der Bundesanwalt ist neben der Staatsanwaltschaft Zürich zur
Nichtigkeitsbeschwerde befugt. Denn vorfrageweise ist zu beachten, was sich
aus den folgenden Ausführungen zur Sache ergibt, dass es sich um eine
sogenannte Delegationsstrafsache im Sinne des Art. 18 BStrP handelt, in
welcher dem Bundesanwalt die Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 270
Schlussabsatz zusteht. Dass die kantonalen Gerichte die Sache nicht als
Delegationssache behandelt haben, ändert daran nichts. In Wirklichkeit ist sie
es, und die Nichtigkeitsbeschwerde ist hier dem Bundesorgan gerade
unentbehrlich, um geltend zu machen, die kantonalen Gerichte seien mangels
Übertragung der Gerichtsbarkeit sachlich nicht zuständig.
2.- Während unter der Herrschaft des früheren Bundesstrafrechts der Umfang des
Begriffes der Bundesurkunde (Bundesakte) im Gesetz selbst (Art. 61) unbestimmt
gelassen war, insbesondere unsicher war, ob auch die von Behörden und Beamten
bei gewerblichen Verrichtungen ausgestellten Urkunden dazu gehörten (vgl. BGE
32 I 555), hat das Strafgesetzbuch durch Art. 110 Ziff. 5 Abs. 2 den Begriff
deutlich umschrieben. Darnach gibt es öffentliche und nicht öffentliche
Bundesurkunden. Nicht öffentlich sind die von der Verwaltung der

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wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Bundes oder anderer
öffentlichrechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen
Geschäften ausgestellten Urkunden. Dazu gehören die Eisenbahnbillete und
Abonnemente der Schweizerischen Bundesbahnen; sie verurkunden den
privatrechtlichen Transportvertrag. Wenn Art. 340 Ziff. 1 der
Bundesgerichtsbarkeit die Fälschungsdelikte unterstellt, «sofern Urkunden des
Bundes in Betracht kommen», so sind diese nicht öffentlichen Bundesurkunden
dem gesetzlichen Wortlaut nach eingeschlossen.
Die Vorinstanz hält sich an den klaren Wortlaut nicht gebunden, weil er des
vernünftigen Sinnes entbehre und den wirklichen Absichten des Gesetzgebers
zuwiderlaufe. Allein von Unvernunft der wortlautgemässen Lösung zu reden, geht
zu weit. Die Einbeziehung der privaten Bundesurkunden in die
Bundesgerichtsbarkeit dient nicht, wie die Vorinstanz meint, dem erhöhten
Schutzinteresse der Allgemeinheit (der Rechtsschutz lässt sich in kantonaler
Zuständigkeit nicht weniger verwirklichen), sondern, wie der Bundesanwalt
dartut, dem Schutzinteresse des Bundesstaates. Geht man hievon aus, so
erscheint es als normal, dass die Delikte, die gegen den Bundesstaat und seine
Einrichtungen verübt werden, in erster Linie unter die Strafgerichtsbarkeit
des Bundes fallen, und wäre es auch nur, um die Kontrolle der Bundesbehörden
über die im Bereiche der Bundesverwaltung (im weitern Sinne) begangenen
Delikte zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie verfahrensrechtlich gleich
behandelt werden. Das lässt sich gerade auch für die Fälschung von
Bundesurkunden vertreten. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es nicht von
Bedeutung, ob der Fall ein wichtiger oder unwichtiger sei. Zuzugeben ist
allerdings der Vorinstanz, dass der Gesetzgeber diese Überlegung nicht
folgerichtig durchgeführt hat. Allein das ist kein Grund, sie da zu übersehen,
wo sie ihn geleitet hat. Was die Bundesurkunden anlangt, hat das von der
Vorinstanz

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erwähnte, der nationalrätlichen Kommission bei Ausgestaltung der
Bundesgerichtsbarkeit vorgelegene Gutachten der Bundesanwaltschaft aus dem
Bedürfnis nach Einheitlichkeit der Behandlung auch ihre Unterstellung unter
die Bundesgerichtsbarkeit gefordert, ohne zwischen öffentlichen und nicht
öffentlichen Urkunden zu unterscheiden, und es ist anzunehmen, dass sie aus
diesem vorgetragenen Gesichtspunkt heraus aufgenommen worden sind und nicht
aus dem ganz andern, von der Vorinstanz vermuteten Gesichtspunkte des
wichtigen Falles. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht
öffentlichen Urkunden (Art. 110 Ziff. 5 Abs. 2) wurde ins Gesetz aufgenommen,
weil man nach eingehender Erörterung fand, für die Fälschung der öffentlichen
Urkunde sei strengere Strafe anzudrohen. Für die Frage, wem die
Gerichtsbarkeit zuzuweisen sei, spielte dagegen die Unterscheidung keine
Rolle. Es ist deshalb nicht überzeugend, wenn die Vorinstanz in der
Entstehungsgeschichte ebenfalls eine Bestätigung ihrer einschränkenden
Auslegung sehen will.
Wenn also die Ausdehnung der Bundesgerichtsbarkeit auf die Fälschung aller
Bundesurkunden weit davon entfernt ist, sinnlos zu sein, so mag immerhin
zugegeben werden, dass sich für die von der Vorinstanz befürwortete
Einschränkung ebenfalls gute Gründe anführen liessen. Allein diese waren vom
Gesetzgeber zu überlegen. Selbst wenn sie überwögen, würde das die
Einschränkung nicht erlauben. Einen eindeutigen umfassenden Gesetzestext
einschränkend anzuwenden, überschreitet die Grenzen, die der Gesetzesauslegung
gezogen sind, ist Abänderung des Gesetzes durch den Richter. Im gleichen
Gedankengang hat der Kassationshof schon ausgesprochen, dass das Gesetz in
erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen ist. Nur wenn es unklar ist,
kann zur Bestimmung seines Inhaltes die Entstehungsgeschichte Bedeutung
erhalten (BGE 69 IV 10).
3.- Die Nichtübertragung der Gerichtsbarkeit an die Zürcher Gerichte hat zur
Folge, dass diese nicht zuständig

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sind, die in die Bundesgerichtsbarkeit fallenden Anklagepunkte der
Urkundenfälschung (Fälschung des Streckenabonnements und dessen Gebrauch) zu
beurteilen. Das angefochtene Urteil ist infolgedessen aufzuheben und die Sache
zu neuer Entscheidung unter Weglassung dieser Anklagepunkte oder unter
Mitberücksichtigung derselben nach erlangter Übertragung der Gerichtsbarkeit
zurückzuschicken.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich vom 26. Januar 1945 wird aufgehoben, und die Sache wird zu
neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 IV 149
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 31. Mai 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 IV 149
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Art. 270 Abs. 6 BStrP. In Strafsachen, welche der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen, ist der...


Gesetzesregister
StGB: 110 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 110 - 1 Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
1    Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.150
2    Familiengenossen sind Personen, die in gemeinsamem Haushalt leben.
3    Als Beamte gelten die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege sowie die Personen, die provisorisch ein Amt bekleiden oder provisorisch bei einer öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege angestellt sind oder vorübergehend amtliche Funktionen ausüben.
3bis    Stellt eine Bestimmung auf den Begriff der Sache ab, so findet sie entsprechende Anwendung auf Tiere.151
4    Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient.
5    Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von Mitgliedern einer Behörde, Beamten und Personen öffentlichen Glaubens in Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen ausgestellt werden. Nicht als öffentliche Urkunden gelten Urkunden, die von der Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen Geschäften ausgestellt werden.
6    Der Tag hat 24 aufeinander folgende Stunden. Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet.
7    Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft.
340
BGE Register
32-I-555 • 69-IV-4 • 71-IV-149
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
strafbare handlung • vorinstanz • kassationshof • strafgesetzbuch • abonnement • weiler • anklage • grammatikalische auslegung • staatsanwalt • unternehmung • entscheid • begründung des entscheids • richterliche behörde • widerrechtlichkeit • änderung • kantonales rechtsmittel • wille • verwirkung • die post • diebstahl
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