S. 223 / Nr. 49 Obligationenrecht (d)

BGE 71 II 223

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. September 1945 i.S.
Jos. Habegger G.m.b.H. gegen W. Kuhn und Sohn.

Regeste:
Bedeutung eines Bestätigungsschreiben im kaufmännischen Verkehr, das von der
mündlich getroffenen Vereinbarung abweicht.
Signification de la lettre de confirmation qui s'écarte de ce qui a été
convenu oralement entre commerçants.
Significato d'una lettera di conferma che si scosta da quanto pattuito
oralmente tra commercianti.

2. ­ Entgegen der Meinung der Vorinstanz folgt aus dem Scheitern des
Nachweises für den Abschluss einer mündlichen Vereinbarung am 7. März noch
nicht ohne weiteres die Unbegründetheit der eingeklagten Forderung. Die
Vorinstanz hat ausser acht gelassen, dass ein Bestätigungsschreiben im
kaufmännischen Verkehr nicht bloss die Bedeutung eines Beweismittels für einen
vorausgegangenen mündlichen Vertragsschluss haben kann, sondern dass ihm
darüber hinaus unter Umständen rechtserzeugende Kraft zukommt. Das ist der
Fall, wenn der Inhalt der sog. Bestätigung von der mündlich getroffenen
Vereinbarung abweicht oder neue Bedingungen enthält, und der Empfänger darauf
schweigt. Dann hat das Bestätigungsschreiben nämlich den Charakter einer
Vertragsofferte und das Stillschweigen des Empfängers ist als deren Annahme

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zu betrachten (BGE 30 II 301, 38 II 587, 40 II 138, welche Entscheide die
Vorinstanz in Verkennung ihrer Tragweite lediglich dafür anruft, dass das
Unterbleiben eines Widerspruchs gegen ein Bestätigungsschreiben ein starkes
Indiz für dessen Richtigkeit, also für die Übereinstimmung seines Inhalts mit
der mündlichen Vereinbarung, bilde; vgl. ferner SCHLÄPFER, die Bedeutung des
Schweigens beim Vertragsschluss nach schweiz. Recht, S. 73 ff.; gleich für das
deutsche Recht DÜRINGER /HACHENBURG, Komm. zum HGB 3. Aufl. Band 4 S. 399 ff.;
RGZ 129 S. 347 ff.).
Diese Grundsätze über die Folgen des Schweigens auf ein Bestätigungsschreiben
gelten nun aber nur unter der Voraussetzung, dass Treu und Glauben,
Verkehrssicherheit, Handelsübung sie rechtfertigen. Dies trifft nur zu, wenn
der Absender der ehrlichen Überzeugung ist, in seinem Bestätigungsschreiben
lediglich das zusammengefasst zu haben, was tatsächlich bereits mündlich
vereinbart war. Das kommt in den oben erwähnten Entscheiden des
Bundesgerichtes, abgesehen vielleicht von demjenigen in Band 30 II 301, nicht
mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck und ist deshalb hier
nachdrücklich hervorzuheben. Bestätigt der Absender bewusst etwas von der
mündlichen Vereinbarung Abweichendes oder stellt er bewusst eine Vereinbarung
fest, die in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat, so hat man es mit der
arglistigen Erschleichung eines Vertragsschlusses zu tun, die keinen Schutz
verdient. Solche Bestätigungsschreiben kann der Empfänger ohne Schaden
unbeantwortet lassen (vgl. RGZ 129 S. 347; DÜRINGER /HACHENBURG sowie
SCHLÄPFER a.a.O.).
3. ­ Die Betrachtung des vorliegenden Falles im Lichte dieser Erwägungen führt
zu folgendem Ergebnis:
Das Stillschweigen der Beklagten auf das Schreiben vom 7. März 1944, das ihr
unbestrittenermassen zugekommen ist, begründet gemäss Art. 6
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 6 - Ist wegen der besonderen Natur des Geschäftes oder nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten, so gilt der Vertrag als abgeschlossen, wenn der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird.
OR die Vermutung,
dass ein Vertrag zustandegekommen sei, dessen Inhalt sich aus dem sog.
Bestätigungsschreiben ergibt. Die Beklagte, die

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es nicht für nötig fand, der Klägerin mitzuteilen, dass sie mit dem Inhalt des
Schreibens nicht einig gehe, trifft nun die volle Beweislast dafür, dass der
Inhalt der sog. Bestätigung der am 7. März getroffenen Abmachungen tatsächlich
nicht entspreche, und darüber hinaus, dass sich die Klägerin dieser Diskrepanz
bewusst war.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 II 223
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 24. September 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 II 223
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Bedeutung eines Bestätigungsschreiben im kaufmännischen Verkehr, das von der mündlich getroffenen...


Gesetzesregister
OR: 6
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 6 - Ist wegen der besonderen Natur des Geschäftes oder nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten, so gilt der Vertrag als abgeschlossen, wenn der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird.
BGE Register
30-II-298 • 38-II-583 • 40-II-133 • 71-II-223
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • beklagter • entscheid • vertragsabschluss • bewilligung oder genehmigung • bescheinigung • treu und glauben • schaden • vermutung • beweismittel • bedingung • bundesgericht • charakter • richtigkeit • indiz • verkehrssicherheit • beweislast