S. 77 / Nr. 14 Schweizerbürgerrecht (d)

BGE 71 I 77

14. Urteil vom 26. Januar 1945 i. S. E. G. gegen eidg. Justiz-und
Polizeidepartement.

Regeste:
Schweizerbürgerrecht: Die Schweizerin und Bürgerin der USSR, welche einen
Staatsangehörigen der USSR heiratet, verliert durch die Heirat ihr
Schweizerbürgerrecht.
Nationalité suisse: La Suissesse qui possède la. nationalité de l'URSS et qui
épouse un ressortissant de ce pays, perd sa nationalité suisse.
Nazionalità svizzera: La cittadina svizzera o russa (doppia nazionalità) che
sposa un cittadino dell'URSS perde la cittadinanza svizzera.

A. ­ E. H. wurde im Jahre 1909 in Osnowa (Russland) geboren. Sie ist die
Tochter des in Chabag (Bessarabien) geborenen J. H. von Oberkulm (Aargau).
Nach einer Bescheinigung des Stadtsowjets von Cherson vom 17. Juli 1932 war
sie als Bürgerin der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (USSR)
anerkannt.
Am 22. Juni 1937 heiratete sie in Nikolajew den Staatsangehörigen der USSR G.
Frau G. hält sich gegenwärtig mit drei Kindern in Deutschland auf, während ihr
Ehemann in Russland geblieben ist. Sie wünscht in die Schweiz einzureisen,
weshalb sie sich um die Ausstellung eines Schweizerpasses bemüht hat.

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Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat jedoch am 16. Oktober
1944 nach Art. 6 des Bundesratsbeschlusses vom 11. November 1941 über Änderung
der Vorschriften über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts
entschieden, dass Frau G. das Schweizerbürgerrecht und die Bürgerechte des
Kantons Aargau und der Gemeinde Oberkulm durch ihre Heirat mit dem
sowjetrussischen Staatsangehörigen G. verloren habe und das
Schweizerbürgerrecht gegenwärtig nicht besitze.
B. ­ Diesen Entscheid ficht Frau G. mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
Ob die Beschwerdeführerin durch ihre Heirat vom 22. Juni 1937 mit einem
Staatsangehörigen der USSR das Schweizerbürgerrecht verloren habe, ist nach
dem schweizerischen Recht zu entscheiden. Massgebend sind nicht die
Bestimmungen in Art. 5 des Bundesratsbeschlusses vom 11. November 1941,
sondern die Regeln, die für die Zeit vor dem 1. Mai 1942 anwendbar sind, an
welchem Tage jener Artikel gemäss Verfügung des eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements vom 19. Februar 1942 in Kraft getreten ist. Diese Regeln
beruhen auf dem Grundsatz, dass die Ehegatten das gleiche Bürgerrecht besitzen
sollen. Die Einheit des Bürgerrechts liegt, angesichts der Bedeutung der
Familie als Zelle der Gesellschaftsordnung, im Interesse des Staates, aber
auch der Familie selbst, welcher die mit Doppelbürgerrechten verbundenen
Schwierigkeiten erspart werden sollen (BGE 69 I S. 142 und dort zitierte
Entscheide). Der Grundsatz kommt zum Ausdruck in Art. 161 Abs. 1 des
Zivilgesetzbuches, wonach die Ehefrau das Bürgerrecht des Ehemannes erhält.
Anderseits haben die Bundesbehörden gemäss demselben Grundsatz stets daran
festgehalten, dass die Ehefrau,

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die durch die Heirat das Bürgerrecht des Ehemannes erwirbt, gleichzeitig ihr
bisheriges Bürgerrecht verliert, und dass diese Regel auch anwendbar ist, wenn
eine Schweizerin einen Ausländer heiratet. Das ist in Art. 10 Abs. 1 lit. b
des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1903 betreffend die Erwerbung des
Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe beiläufig bestätigt. Aus
dem Grundsatz der Einheit der Staatsangehörigkeit der Ehegatten hat das
Bundesgericht aber auch abgeleitet, dass eine Schweizerin, welche die
französische Staatsangehörigkeit nicht erst durch die Heirat mit einem
Franzosen erwerbe, sondern schon vorher besessen habe, ebenfalls infolge der
Heirat das Schweizerbürgerrecht verliere; denn nach feststehender
Rechtsprechung behalte eine Schweizerin, die einen Ausländer heirate, ihr
Schweizerbürgerrecht nur dann, wenn sie andernfalls heimatlos würde (BGE
a.a.O., S. 143 und dort zitierte Urteile).
Nichts anderes kann für die Beschwerdeführerin gelten, welche vor der
Verehelichung mit einem Staatsangehörigen der USSR zugleich das
Schweizerbürgerrecht und das Bürgerrecht der USSR besessen hat. Auch sie hat
das Schweizerbürgerrecht infolge der Heirat verloren. Freilich ist dem Recht
der USSR der Grundsatz der Einheit der Staatsangehörigkeit der Ehegatten fremd
(LESKE-LOEWENFELD, Die Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr, 7. Bd., 1.
Teil, S. 135), während das französische Recht ihn beibehalten hat, obwohl
nunmehr die Ausländerin, welche durch die Heirat die französische
Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes erwerben will, gewisse Anforderungen
erfüllen muss. Allein auf diesen Unterschied kommt hier nichts an. Massgebend
ist vom Standpunkt des schweizerischen Rechts aus einzig, dass die
Beschwerdeführerin infolge der Heirat das Bürgerrecht der USSR nicht verloren
hat, also nicht heimatlos geworden ist.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 I 77
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 26. Januar 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 I 77
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Schweizerbürgerrecht: Die Schweizerin und Bürgerin der USSR, welche einen Staatsangehörigen der...


BGE Register
69-I-141 • 71-I-77
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