S. 233 / Nr. 38 Staatsrecht (d)

BGE 71 I 233

38. Auszug aus dem Urteil vom 28. Mai 1945 i.S. Kanton Wallis gegen Kanton
Zürich.


Seite: 233
Regeste:
Niederlassungsfreiheit, interkantonales Armenrecht.
Bei bloss vorübergehender Unterstützungsbedürftigkeit des Niedergelassenen ist
der Wohnkanton zu dessen Unterstützung verpflichtet, ohne gegenüber dem
Heimatkanton einen Anspruch auf Heimschaffung oder Ersatz seiner Auslagen zu
haben; Bestätigung der Rechtsprechung (Erw. 2).
Recht des Heimatkantons, sich einer ungerechtfertigten Heimschaffung wegen
Verarmung durch staatsrechtliche Klage (Art. 83 lit. b OG) zu widersetzen
(Erw. 1).
Liberté d'établissement. Assistance publique intercantonale.
En cas d'indigence passagère de la personne établie, le canton du domicile est
tenu de l'assister, sans pouvoir exiger le rapatriement de l'indigent ou le
remboursement des frais occasionnés. Confirmation de la jurisprudence.
(Consid. 2.)
Faculté du canton d'origine de s'opposer par une demande de droit public au
renvoi injustifié pour cause d'indigence (art. 83 lettre b OJ). (Consid. 1)
Libertà di domicilio; assistenza pubblica intercantonale.
In caso di bisogno d'assistenza di natura temporanea, il cantone di domicilio
è obbligato ad assistere il domiciliato senza poter esigerne il rimpatrio o
chiedere il rimborso delle sovvenzioni; giurisprudenza confermata (consid. 2).
Diritto del cantone d'insorgere contro un rimpatrio ingiustificato
dell'indigente, mediante azione di diritto pubblico: art. 83 lett. b OGF
(consid. 1).

Aus dem Tatbestand:
A. ­ Die in Biel-Goms (Kt. Wallis) heimatberechtigte Konstanze Zeiter hat sich
Mitte August 1944 in Zürich niedergelassen. Am 7. November 1944 wurde sie
wegen

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eine Unterleibsleidens in die kantonale Frauenklinik aufgenommen. Da sie die
Pflegekosten von Fr. 5.­ täglich nicht bezahlen konnte, ersuchte die
zürcherische Armendirektion das Departement des Innern des Kantons Wallis, die
zuständige Armenbehörde zur Übernahme der heimatlichen Versorgung zu
veranlassen, falls sie es nicht vorziehe, für die Kosten aufzukommen, für
welche die Heimatbehörde auf jeden Fall ab 20. Dezember 1944 in Anspruch
genommen werde. Das Departement des Innern des Kantons Wallis wies das Gesuch
ab, da es sich um eine vorübergehende und daher nach der BV vom Wohnkanton zu
leistende Unterstützung handle. Darauf teilte der Regierungsrat des Kantons
Zürich dem Staatsrat des Kantons Wallis mit, dass er am 11. Januar 1945
gestützt auf Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV die armenrechtliche Heimschaffung und
Wegweisung der Konstanze Zeiter beschlossen habe und diese Massnahme
unverzüglich vollziehen lassen werde.
Bevor dies geschah, hat Konstanze Zeiter am 2. Februar 1945 die Klinik
verlassen und sich zu ihren Eltern nach Visp begeben.
B. ­ Mit staatsrechtlicher «Beschwerde» vom 10. Februar 1945 hat der Staatsrat
des Kantons Wallis beim Bundesgericht das Begehren gestellt, der Entscheid des
Regierungsrates des Kantons Zürich vom 11. Januar 1945 sei aufzuheben. Gemäss
Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV könne die Niederlassung nur bei dauernder
Unterstützungsbedürftigkeit entzogen werden. Solche liege hier nicht vor. Es
handle sich bei Konstanze Zeiter um eine akute Erkrankung, nicht um ein
dauerndes Leiden. Der Kanton Zürich sei daher nicht berechtigt, sie
auszuweisen und damit die Kosten ihrer Unterstützung auf den Kanton Wallis zu
überwälzen.
C. - Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt in der Antwort:
1. Das Begehren des Kantons Wallis sei abzuweisen;
2. Der Kanton Wallis sei widerklagsweise zu

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verpflichten, für die seit 20. Dezember 1944 im Kanton Zürich entstandenen
Kosten aufzukommen.
Zur Begründung wird vorgebracht: Die BV von 1874 stehe armenrechtlich
vollständig auf dem Boden des Heimatprinzips. Die heimatliche
Unterstützungspflicht sei unabhängig davon, ob eine dauernde oder nur
vorübergehende Unterstützungsbedürftigkeit vorliege. Das Bundesgericht habe
dies zu Unrecht verkannt. Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV regle lediglich die
Voraussetzungen des Niederlassungsentzugs und greife nicht in die heimatliche
Unterstützungspflicht ein. Die heimatliche Spitalversorgung brauche auch nicht
notwendig mit dem Entzug der Niederlassung verbunden zu sein; möglich sei auch
eine blosse Übergabe des Bedürftigen an die Heimatbehörde mit formloser
Rückkehr in den Wohnkanton nach der Heilung. Es werde auf den Aufsatz von Dr.
NAEGELI im «Armenpfleger» (1941 S. 74 ff.) verwiesen. Die praktischen
Auswirkungen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts seien
unbefriedigend. Die Armenfürsorge einzelner, dem Konkordat nicht angehöriger
Kantone beschränke sich auf die Ablehnung einer Unterstützung ihrer
auswärtigen Bürger und das Abwarten der Heimschaffung, was nicht im Interesse
der Hilfsbedürftigen liege. Andrerseits würden die Kantone vom Anschluss an
das Konkordat abgehalten, solange sie die Möglichkeit hätten,
Unterstützungskosten einfach auf den Wohnkanton abzuwälzen. Die strenge
Befolgung der bundesgerichtlichen Praxis durch den Kanton Zürich hätte
schliesslich eine erhebliche Mehrbelastung der westschweizerischen Kantone zur
Folge, da die Zahl der Zürcher Bürger in der Westschweiz ein Vielfaches der
Westschweizer im Kanton Zürich betrage.
D. ­ Der Staatsrat des Kantons Wallis beantragt in der Replik Abweisung der
Widerklage und hält an seinen früheren Ausführungen fest.
E. ­ In der Duplik macht der Regierungsrat des Kantons Zürich wiederum
geltend, dass die bisherige

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bundesgerichtliche Praxis dem in der BV klar verankerten Heimatprinzip
widerspreche. Bisher seien Unterstützungsfälle ausser Konkordat nach
altbewährter Regel so abgewickelt worden, dass der Wohnkanton von dem Tage an,
da er einen Krankenfall dem Heimatkanton gemeldet, noch eine sogenannte
«Übernahmefrist» von 14 Tagen gewährt habe. Mit der darauf folgenden Übergabe
des Bedürftigen an den Heimatkanton sei keine Ausweisung verbunden worden. An
diese Regelung hätten sich bisher alle Kantone gehalten, auch Wallis. Es
bestehe somit die eigenartige Situation, dass eine bundesgerichtliche Praxis
bestehe, die allgemein als unzutreffend abgelehnt und nicht beachtet werde.
Das Bundesgericht hat den Standpunkt des Kantons Wallis geschützt aus
folgenden
Erwägungen:
1. ­ Zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde ist nur legitimiert, wer
durch den angefochtenen Entscheid in seinen verfassungsmässigen Rechten
verletzt ist. Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gewährleistet dem einzelnen Schweizerbürger das
Recht, an jedem beliebigen Orte der Schweiz zu verweilen und zu wohnen. Durch
ungerechtfertigte Verweigerung oder Entziehung der Niederlassungs- oder
Aufenthaltsbewilligung ist daher nur der Betroffene selbst in seinem
verfassungsmässigen Rechte verletzt. Macht er von seinem Beschwerderecht
keinen Gebrauch, so kann es nicht etwa der Heimatkanton oder die
Heimatgemeinde ausüben. Diese werden von Verweigerung oder Entzug der
Niederlassung unmittelbar nicht berührt. An der Ausweisung aus
armenrechtlichen Gründen immerhin ist der Heimatkanton insofern beteiligt, als
die Ausweisung erst zulässig ist, nachdem eine amtliche Aufforderung zu
angemessener Unterstützung an ihn ergangen ist; auch ist der Vollzug der
Ausweisung wegen Verarmung der heimatlichen Regierung im voraus anzuzeigen
(Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
und 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV). Im Hinblick hierauf und auf die im

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folgenden darzulegende Bedeutung von Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV als Norm des
interkantonalen Armenunterstützungsrechts muss dem Heimatkanton das Recht
zugestanden werden, sich, sofern nicht jegliches praktische Interesse dafür
fehlt oder dahingefallen ist, dem Entzug der Niederlassung zu widersetzen, und
zwar durch staatsrechtliche Klage beim Bundesgericht (Art. 83 lit. b OG) mit
dem Begehren um Feststellung, dass die beabsichtigte oder bereits beschlossene
Ausweisung wegen Fehlens der verfassungsmässigen Voraussetzungen
ungerechtfertigt sei (vgl. BGE 49 I 335 Erw. 1). Soweit die als
staatsrechtliche «Beschwerde» bezeichnete Eingabe des Kantons Wallis auf
solche Feststellung gerichtet ist, ist daher auf sie einzutreten. Unzulässig
ist lediglich das Begehren um Aufhebung des Ausweisungsbeschlusses, das nur
von der ausgewiesenen Konstanze Zeiter selbst hätte gestellt werden können.
Mit der Widerklage verlangt der Kanton Zürich vom Kanton Wallis den Ersatz
eines Teils der ihm erwachsenen Unterstützungskosten. Zur Beurteilung dieser
staatsrechtlichen Streitigkeit im Sinne von Art. 83 lit. b OG ist gleichfalls
das Bundesgericht zuständig, da nicht beide Kantone dem Konkordat über die
wohnörtliche Unterstützung vom 1. Juli 1937 angehören und deshalb dessen
Schiedsklausel (Art. 17 f.) ausser Betracht fällt.
2. ­ Das Bundesgericht hat im Anschluss an die Praxis des Bundesrates (SALIS
II Nr. 631) in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass aus dem Verbot des
Niederlassungsentzugs bei nur vorübergehender Unterstützungsbedürftigkeit des
Niedergelassenen folge, dass der Wohnkanton selber zur Unterstützung
verpflichtet sei und gegenüber dem Heimatkanton keinen Anspruch auf
Heimschaffung oder Ersatz seiner Auslagen erheben könne (BGE 40 I 414, 49 I
449
f., 58 I 44, 66 I 66 f.). Gegen diese Rechtsprechung, die in dem ebenfalls
Zürich betreffenden Falle Raschle (Urteil vom 9. Mai 1941) nochmals
ausdrücklich bestätigt wurde, sucht der Regierungsrat des

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Kantons Zürich neuerdings anzukämpfen. Er vermag jedoch für seine Behauptung,
dass die BV vollständig auf dem in ihr «klar verankerten» Heimatprinzip stehe
und dass Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV lediglich eine Niederlassungs- und nicht eine
Unterstützungsfrage regle, keinerlei neue Gründe ins Feld zu führen, und hat
es insbesondere unterlassen, sich mit der Entstehungsgeschichte der
einschlägigen Vorschriften auseinanderzusetzen. Diese spricht aber durchaus
gegen seinen Standpunkt. Aus den Beratungen der eidgenössischen Räte und ihrer
Kommissionen (vgl. BURCKHARDT, Komm. zur BV S. 361 /3 und dort zitierte
Protokolle) geht klar hervor, dass man sich bewusst war, mit der Regelung des
Niederlassungsentzugs bei Verarmung gleichzeitig auch über den
Unterstützungswohnsitz, d.h. über die Abgrenzung der Unterstützungspflicht
zwischen Heimat- und Wohngemeinde zu entscheiden. In dieser Frage standen sich
Vertreter des althergebrachten Heimatprinzips und Anhänger des Grundsatzes der
wohnörtlichen Unterstützung gegenüber. Die schliesslich angenommene Fassung
von Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV ist ein Kompromiss zwischen diesen beiden Auffassungen.
Dass damit der Wohnsitzgemeinde eine bloss vorübergehende Unterstützung des
Niedergelassenen auf eigene Kosten zur Pflicht gemacht wurde, ist schon in den
ersten Jahren nach Inkrafttreten der BV ausdrücklich festgestellt worden (VON
PLANTA, Die Schweiz in ihrer Entwicklung zum Einheitsstaat, 1877, S. 57;
Entscheid des Bundesrates vom 12. Novembre 1878, SALIS II Nr. 631). Diese in
der Folge vom Bundesgericht übernommene Auffassung ist auch von der
Rechtslehre von jeher vertreten worden (SCHOLLENBERGER, Die Freizügigkeit,
1891, S. 21 /2; BURCKHARDT, Komm. zur BV S. 402; GUBLER, Interkantonales
Armenrecht S. 22). Es besteht weder eine eidgenössische Verfassungs- oder
Gesetzesvorschrift noch ein ungeschriebener Rechtssatz, wonach die Kantone
verpflichtet wären, ihre auswärts niedergelassenen Angehörigen dauernd oder
vorübergehend an deren Wohnort zu unterstützen; sie sind lediglich
verpflichtet, bei

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Vorliegen der verfassungsmässigen Voraussetzungen zum Niederlassungsentzug die
Heimschaffung ihrer Angehörigen zu dulden. Unter diesen Umständen könnte der
Heimatkanton zum Ersatz von Unterstützungsauslagen des Wohnkantons höchstens
dann verhalten werden, wenn er sich einer gerechtfertigten Heimschaffung
widersetzt oder sie missbräuchlich verzögert hat (BGE 49 I 450). Der vom
Regierungsrat des Kantons Zürich hervorgehobene Unterschied zwischen der
Ausweisung und der Heimschaffung ohne Niederlassungsentzug zu bloss
vorübergehender ärztlicher Behandlung oder Spitalpflege ist belanglos;
wesentlich für die hier zu beurteilende Frage ist einzig, dass für den
Heimatkanton eine Rechtspflicht, die Heimschaffung zu dulden, nur besteht,
wenn die Voraussetzungen des Niederlassungsentzuges gegeben sind.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich übersieht sodann oder übergeht mit
Stillschweigen, dass die Rechtsprechung, wonach die Kosten vorübergehender
Unterstützung zu Lasten des Niederlassungskantons fallen, sich nicht nur auf
Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
, sondern gleichfalls auf Art. 43 Abs. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
BV stützt. Nach dieser
letzteren Vorschrift geniesst der niedergelassene Schweizerbürger an seinem
Wohnsitz alle Rechte des Kantons- und Gemeindebürgers. Dieser Grundsatz der
allgemeinen Gleichbehandlung gilt, wie in BGE 49 I 337 /8 näher ausgeführt
worden ist, für das gesamte Staats- und Verwaltungsrecht und lässt keine
andern als die in der BV selbst erwähnten Ausnahmen zu. Eine solche besteht
aber nur für dauernde Armenunterstützung (Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
), nicht für bloss
vorübergehende, weshalb diese schon auf Grund von Art. 43 Abs. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
BV
gleichermassen an eigene Bürger wie an Angehörige anderer Kantone auszurichten
ist.
Zu Unrecht glaubt der Regierungsrat des Kantons Zürich schliesslich, die
einzige Verfassungsvorschrift, auf die sich eine eidgenössische Regelung des
Unterstützungswohnsitzes stützen könnte, sei Art. 48
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 48 Verträge zwischen Kantonen - 1 Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
1    Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
2    Der Bund kann sich im Rahmen seiner Zuständigkeiten beteiligen.
3    Verträge zwischen Kantonen dürfen dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen. Sie sind dem Bund zur Kenntnis zu bringen.
4    Die Kantone können interkantonale Organe durch interkantonalen Vertrag zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen ermächtigen, die einen interkantonalen Vertrag umsetzen, sofern der Vertrag:
a  nach dem gleichen Verfahren, das für die Gesetzgebung gilt, genehmigt worden ist;
b  die inhaltlichen Grundzüge der Bestimmungen festlegt.13
5    Die Kantone beachten das interkantonale Recht.14
BV. Durch diese
Vorschrift sollte, trotz ihres weiteren Wortlautes, der Bund lediglich
ermächtigt werden, über die bisher durch

Seite: 240
ein Konkordat geregelte Frage der Verpflegung und Beerdigung
transportunfähiger Schweizerbürger ein Bundesgesetz zu erlassen. Hierauf hat
sich dann auch das Bundesgesetz vom 22. Juli 1875 beschränkt. Dass dieses
Gesetz den aus Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV folgenden Grundsatz, wonach vorübergehende
Unterstützung Niedergelassener zu Lasten des Wohnkantons geht, nicht berühre,
hat das Bundesgericht bereits im Entscheid BGE 66 I 66 /67 ausgeführt.
Da allein diese Lösung den massgebenden Verfassungsbestimmungen entspricht,
kann nichts ankommen auf ihre angeblich unbefriedigenden Auswirkungen.
Übrigens ist nicht einzusehen, wieso die bundesgerichtliche Rechtsprechung
einer weiteren Verbreitung des Konkordats entgegenstehen soll, wenn sie, wie
der Regierungsrat erklärt, von den Kantonen allgemein nicht befolgt wird und
sich für diejenigen, die sich darauf berufen und dem Konkordat nicht
beitreten, nachteilig auswirkt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 I 233
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 27. Mai 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 I 233
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Niederlassungsfreiheit, interkantonales Armenrecht.Bei bloss vorübergehender...
Einordnung : Bestätigung der Rechtsprechung


Gesetzesregister
BV: 43 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
45 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
48
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 48 Verträge zwischen Kantonen - 1 Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
1    Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
2    Der Bund kann sich im Rahmen seiner Zuständigkeiten beteiligen.
3    Verträge zwischen Kantonen dürfen dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen. Sie sind dem Bund zur Kenntnis zu bringen.
4    Die Kantone können interkantonale Organe durch interkantonalen Vertrag zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen ermächtigen, die einen interkantonalen Vertrag umsetzen, sofern der Vertrag:
a  nach dem gleichen Verfahren, das für die Gesetzgebung gilt, genehmigt worden ist;
b  die inhaltlichen Grundzüge der Bestimmungen festlegt.13
5    Die Kantone beachten das interkantonale Recht.14
OG: 83
BGE Register
40-I-409 • 49-I-330 • 49-I-446 • 58-I-43 • 66-I-63 • 71-I-233
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
wallis • bundesgericht • regierungsrat • heimschaffung • frage • staatsrechtliche beschwerde • sozialhilfe • wohnsitz • widerklage • departement • tag • bundesrat • staatsrechtliche klage • wiese • unterstützungspflicht • norm • entscheid • niederlassungsfreiheit • duplik • replik
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