S. 195 / Nr. 46 Strafgesetzbuch (d)

BGE 69 IV 195

46. Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1943 i.S. Kopp und Künzli
gegen Fanger.

Regeste:
Ein Sühnebegehren ist nur dann Strafantrag, wenn nach fruchtlosem Sühneversuch
die Strafverfolgung ohne weitere Erklärung des Antragstellers stattfindet. Das
ist nach luzernischem Recht nicht der Fall (§ 8 des Gesetzes vom 9. März 1938
über das Strafverfahren in Ehr- und Kreditstreitsachen).
Une requête en conciliation ne vaut plainte pénale que si, après l'essai
infructueux de conciliation, la poursuite pénale s'exerce sans nouvelle
déclaration de la part du plaignant. Tel n'est pas le cas en droit lucernois
(§ 8 de la loi du 9 mars 1938 sur la procès dure pénale en matière d'atteintes
à l'honneur et au crédit).
Una domanda di conciliazione equivale ad una denuncia penale solo quando,
fallito il tentativo di conciliazione, il procedimento penale ha corso senza
nuova dichiarazione del denunciante. Cosi non è secondo il diritto lucernese
(§ 8 della legge 9 marza 1938 sulla procedura penale in materia di offesa
all'onore ed al credito).


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A. - Das luzernische Gesetz über das Strafverfahren in Ehr- und
Kreditstreitsachen vom 9. März 1938 erklärt in § 3 für die Verfolgung der
Ehrverletzungen und Kreditschädigungen das Gesetz über das
Strafrechtsverfahren anwendbar, soweit ersteres nicht Ausnahmen vorsieht. Eine
solche enthalten die §§ 6-8: Wer das Verfahren einleiten will, hat beim
zuständigen Friedensrichter unter Einreichung eines Rechtsbegehrens die
Vorladung des Beklagten zu verlangen. Für das Verfahren vor dem
Friedensrichter gelten die einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozessordnung.
Kommt vor dem Friedensrichter eine Einigung nicht zustande, so kann die
Strafklage binnen zwei Monaten vom Friedensrichtervorstand an beim zuständigen
Amtsstatthalter eingereicht werden. Nach unbenütztem Ablauf dieser Frist
erlischt der Weisungsschein.
Am 7. Juni 1942 stellten Margrit Kopp und Berta Künzli gegen Frieda Fanger in
Luzern das Begehren um Abhaltung des Friedensrichtervorstandes wegen
Verleumdung, Beschimpfung und Kreditschädigung. Eine Einigung kam nicht
zustande, und den Gesuchstellerinnen wurde der Weisungsschein ausgestellt. Sie
reichten ihn am 7. Juli 1942 beim Statthalteramt ein. Das Verfahren führte zur
Verurteilung der Beklagten durch das Amtsgericht Luzern-Stadt. Auf Appellation
hin stellte jedoch das Obergericht des Kantons Luzern durch Erkenntnis vom 27.
Oktober 1943 das Verfahren mangels rechtzeitigen Strafantrages ein. Es stellte
fest, dass die Strafklägerinnen noch im März 1942 von den eingeklagten
Äusserungen Kenntnis erhalten hätten, so dass die dreimonatige Frist zur
Stellung des Strafantrages jedenfalls Ende Juni 1942 abgelaufen sei. Sie sei
nicht gewahrt worden, denn dazu habe die Anrufung des Friedensrichters nicht
genügt, sondern hätte die Klage beim Amtsstatthalter eingereicht werden
müssen. Aus dem Begriff des Strafantrages folge, dass er bei jener Instanz
gestellt werden müsse, die zur Einleitung einer Strafuntersuchung

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zuständig sei. Im Kanton Luzern seien das die Statthalterämter und der
Staatsanwalt. Die Einreichung des Rechtsbegehrens beim Friedensrichter
begründe die Rechtshängigkeit nicht und sei nicht notwendige
Prozessvoraussetzung, die Klage könne auch ohne Sühneversuch wirksam beim
Statthalteramt eingereicht werden, in welchem Falle dem Kläger Frist gesetzt
werden solle, ihn nachzuholen; Nichtbeachtung dieser Frist ziehe aber keine
prozessualen Nachteile nach sich. Die Anrufung des Friedensrichters bedeute
also nicht den ersten notwendigen Schritt zur Einleitung des Strafverfahrens,
sondern sei dazu da, ein solches zu verhindern. Der Friedensrichter habe zur
Strafuntersuchung nichts beizutragen, er stelle beim Scheitern des
Einigungsversuchs lediglich den Weisungsschein aus, und es bleibe dem Kläger
anheimgestellt, ob er die Klage einreichen wolle oder nicht.
B. - Die Klägerinnen greifen diesen Entscheid mit der Nichtigkeitsbeschwerde
an. Sie führen aus, was zur Wahrung der Antragsfrist erforderlich sei,
bestimme nicht der kantonale Gesetzgeber, sondern sei eine Frage der Auslegung
des Art. 29
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 29 - Eine besondere Pflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit begründet oder erhöht, und die nur der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma19 obliegt, wird einer natürlichen Person zugerechnet, wenn diese handelt:
a  als Organ oder als Mitglied eines Organs einer juristischen Person;
b  als Gesellschafter;
c  als Mitarbeiter mit selbständigen Entscheidungsbefugnissen in seinem Tätigkeitsbereich einer juristischen Person, einer Gesellschaft oder einer Einzelfirma20; oder
d  ohne Organ, Mitglied eines Organs, Gesellschafter oder Mitarbeiter zu sein, als tatsächlicher Leiter.
StGB. Das sei ein Gebot einheitlicher Anwendung des
eidgenössischen Rechts. Die Berücksichtigung des Aussöhnungsversuchs als
Strafantrag dränge sich auf, denn der Strafantrag sei nichts anderes als das
förmliche Begehren des Antragsberechtigten, womit er seinem Willen Ausdruck
gebe, der Täter sei zu bestrafen. Dieser Wille sei mit dem Rechtsbegehren an
den Friedensrichter klar ausgedrückt. Dass der Friedensrichter nur auszusöhnen
habe, lasse nichts dagegen schliessen, denn das müsse auch der Amtsstatthalter
noch tun, der gemäss ausdrücklicher Vorschrift zu prüfen habe, ob sich die
Parteien nicht doch noch vergleichen können.
C. - Die Beschwerdegegnerin beantragt Abweisung der Beschwerde.

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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Wo und in welcher Form der Strafantrag zu stellen ist, sagt das
Strafgesetzbuch nicht; es überlässt dies dem Verfahrensrecht, das ist für die
der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstellten strafbaren Handlungen das
kantonale Prozessrecht (Art. 343
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 29 - Eine besondere Pflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit begründet oder erhöht, und die nur der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma19 obliegt, wird einer natürlichen Person zugerechnet, wenn diese handelt:
a  als Organ oder als Mitglied eines Organs einer juristischen Person;
b  als Gesellschafter;
c  als Mitarbeiter mit selbständigen Entscheidungsbefugnissen in seinem Tätigkeitsbereich einer juristischen Person, einer Gesellschaft oder einer Einzelfirma20; oder
d  ohne Organ, Mitglied eines Organs, Gesellschafter oder Mitarbeiter zu sein, als tatsächlicher Leiter.
StGB; BGE 68 IV 100). Ob aber eine diesen
Vorschriften entsprechende Prozesshandlung inhaltlich Strafantrag sei, ist
eine Frage des Bundesrechts. Dieses versteht unter dem Strafantrag die
Willenserklärung des Verletzten, dass die Strafverfolgung stattfinden solle,
und zwar eine Willenserklärung, welche nach dem massgebenden Prozessrecht die
Strafverfolgung auch tatsächlich in Gang bringt und das Verfahren ohne weitere
Erklärung des Antragstellers seinen Lauf nehmen lässt. Daher ist ein
Sühnebegehren dann Strafantrag, wenn der Weisungsschein von Amtes wegen
weitergeleitet wird, wie z.B. im Kanton Schaffhausen (Art. 71 Abs. 1 EG z.
StGB), jenes Begehren somit beim Scheitern des Aussöhnungsversuches notwendig
zur Verfolgung des Beklagten führt. Wenn der Kläger dagegen, wie im Kanton
Luzern, durch Zurückbehaltung des Weisungsscheines die Strafverfolgung
verhindern kann, hat er diese solange nicht anbegehrt, als er ihn nicht
einreicht. Das Sühnebegehren dann Strafantrag sein lassen, wenn der
Weisungsschein vom Kläger abgegeben worden ist, hiesse die dreimonatige Frist
des Art. 29
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 29 - Eine besondere Pflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit begründet oder erhöht, und die nur der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma19 obliegt, wird einer natürlichen Person zugerechnet, wenn diese handelt:
a  als Organ oder als Mitglied eines Organs einer juristischen Person;
b  als Gesellschafter;
c  als Mitarbeiter mit selbständigen Entscheidungsbefugnissen in seinem Tätigkeitsbereich einer juristischen Person, einer Gesellschaft oder einer Einzelfirma20; oder
d  ohne Organ, Mitglied eines Organs, Gesellschafter oder Mitarbeiter zu sein, als tatsächlicher Leiter.
StGB verlängern um die Frist, welche das kantonale Prozessrecht
dem Kläger zur Einreichung des Weisungsscheines einräumt. Und sollte ein
Kanton eine solche Frist überhaupt nicht vorsehen, so könnte der Verletzte
während der vollen Verjährungsfrist die Strafverfolgung ungewiss lassen. Wohl
anerkennt das Bundesgericht im Gebiete des Zivilrechts die Anrufung des
Friedensrichters ausnahmslos als Klageanhebung im Sinne des Bundesrechts (BGE
42 II 103). Die besonderen Gründe, welche dem Gesetzgeber des
Strafgesetzbuches die kurze Befristung des Antragsrechts nahe

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legten, sprechen jedoch dagegen, jene Erstreckung der Antragsfrist im Gebiete
des Strafrechts zuzulassen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 69 IV 195
Date : 01. Januar 1942
Published : 22. Dezember 1943
Source : Bundesgericht
Status : 69 IV 195
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Ein Sühnebegehren ist nur dann Strafantrag, wenn nach fruchtlosem Sühneversuch die Strafverfolgung...


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StGB: 29  343
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