S. 65 / Nr. 13 Familienrecht (d)

BGE 68 II 65

13. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1942 i. S. Harder gegen
Harder-Schmidlin.


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Regeste:
Verhältnis des speziellen Scheidungsgrundes des Art. 137 ZGB zum allgemeinen
des Art. 142: Der spezielle Scheidungsgrund des einen Ehegatten schliesst den
allgemeinen des andern nicht aus. Der aus Art. 137 beklagte Ehegatte verliert
deswegen, weil er Ehebruch begangen hat, nicht grundsätzlich das Recht,
seinerseits die Scheidung wegen tiefer Zerrüttung zu verlangen (an der er
nicht überwiegend schuld ist).
Rapport entre la cause déterminée de divorce prévue à l'art. 137 CC et la
cause indéterminée prévue à l'art. 142. La cause déterminée de l'un des époux
n'exclut pas la cause indéterminée de l'autre. Le conjoint actionné en vertu
de l'art. 137, et qui a commis adultère, ne perd donc pas, de ce fait, en
principe, le droit de demander le divorce pour cause d'atteinte profonde au
lieu conjugal (la désunion n'étant pas due à sa faute prépondérante).
Relazione tra la causa determinata del divorzio prevista dall'art. 137 CC e la
causa indeterminata contemplata dall'art. 142. La causa determinata di uno dei
coniugi non esclude la causa indeterminata dell'altro. Il coniuge convenuto in
virtù dell'art. 137 (adulterio) non perde quindi in linea di massima il
diritto di chiedere il divorzio per grave turbazione delle relazioni coniugali
non dovuta a sua colpa preponderante.

A. - Die Ehefrau erhob Klage auf Trennung der Ehe gestützt auf Art. 142 ZGB.
Der Mann beantragte Abweisung der Klage und verlangte seinerseits Scheidung
aus

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dem gleichen Titel, welcher Widerklage sich die Frau widersetzte.
B. - Das Bezirksgericht Frauenfeld sprach die Scheidung in Anwendung von Art.
142 ZGB aus. Es kam zum Schlusse, an der vorhandenen tiefen Zerrüttung der Ehe
sei die Frau mindestens ebenso schuldig als der Mann, jedenfalls dieser nicht
überwiegend.
C. - Gegen dieses Urteil appellierte die Klägerin unter Geltendmachung einer
neuen Tatsache, nämlich dass der Beklagte «in letzter Zeit» mit einer A. H.
geschlechtlich verkehrt und sie geschwängert habe. Der Widerkläger gab diese
Anschuldigung zu, behauptete jedoch, dass seine Beziehungen zu der andern Frau
erst nach der Trennung von der Klägerin begonnen hätten.
D. - In seinem Urteil vom 17. März 1942 stellt das Obergericht des Kantons
Thurgau den behaupteten und vom Beklagten zugegebenen Ehebruch fest und führt
aus, nach konstanter Praxis schliesse das Vorliegen eines Ehebruches die
Geltendmachung des allgemeinen Scheidungsgrundes der tiefen Zerrüttung aus;
der Ehebruch des einen Ehegatten gebe dem andern ein Recht zur Klage,
gleichgültig welches das Verschulden des letztern an der Zerrüttung der Ehe
sei und ohne Rücksicht darauf, ob eine Zerrüttung schon vor dem Ehebruch
bestanden habe. Der ehebrecherische Gatte könne sich nicht mehr auf Art. 142
ZGB berufen; die Klage des Mannes auf Scheidung sei daher abzuweisen und die
auf blosse Trennung gehende der Frau gutzuheissen.
E. - Mit der vorliegenden Berufung hält der Widerkläger an seinem Antrag auf
Abweisung der Klage und Gutheissung der Widerklage auf Scheidung fest. Die
Klägerin trägt auf Bestätigung des angefochtenen Urteils an
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz geht davon aus, dass ein Ehegatte, der Ehebruch begangen hat,
selber nicht mehr die

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Scheidung wegen tiefer Zerrüttung verlangen könne. Einen solchen Grundsatz hat
die bundesgerichtliche Rechtsprechung jedoch nie aufgestellt. Im Gegenteil
wurde in vielen Fällen anerkannt, dass die Scheidung auf Begehren des einen
Ehegatten aus einem speziellen Scheidungsgrunde, z.B. Ehebruch, und zugleich
auf Begehren des andern aus dem allgemeinen Scheidungsgrund der tiefen
Zerrüttung ausgesprochen werden kann. Die gegenteilige Auffassung liesse sich
mit dem Gesetz nicht vereinbaren. Der allgemeine Scheidungsgrund des Art. 142
ZGB hat nicht bloss subsidiären Charakter, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass
er von demjenigen Ehegatten nicht angerufen werden könnte, gegen den ein
spezieller Scheidungsgrund besteht. Etwas derartiges ist auch im Urteil BGE 57
II 245
, das die Vorinstanz für ihre Auffassung anruft, nicht gesagt, sondern
nur, dass der Ehebruch des andern Gatten ein Recht auf Scheidung gibt
ungeachtet des eigenen Verschuldens des Klageberechtigten, selbst wenn dieser
selber und unter noch grösserem subjektiven Verschulden Ehebruch begangen hat.
Daraus folgt keineswegs, dass der ehebrecherische Gatte sich - gegebenenfalls
- nicht seinerseits auf Art. 142 berufen dürfte. Vielmehr muss das gleiche
gelten, ob sich nun auf beiden Seiten der gleichartige oder zwei verschiedene
Scheidungsgründe gegenüberstehen. Nur in dem Sinne tritt der allgemeine
Scheidungsgrund hinter den speziellen zurück, bezw. hat dieser vor jenem den
Vorrang, dass ein Ehegatte, der zugleich einen speziellen und den allgemeinen
Scheidungsgrund geltend macht, darauf Anspruch hat, dass das Gericht in erster
Linie über den speziellen entscheide, statt die Scheidung einfach aus Art. 142
auszusprechen und die Frage nach dem speziellen Grund dahingestellt zu lassen
(BGE 47 II 249 und EGGER in der von der Vorinstanz zitierten N. 4 zu Art. 137
ZGB). Daraus folgt aber nicht, dass der spezielle Scheidungsgrund des einen
Ehegatten den allgemeinen des andern Gatten ausschlösse.
Nach dem Gesagten verliert also der Beklagte Harder

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deswegen, weil er Ehebruch begangen hat, nicht grundsätzlich das Recht, selber
die Scheidung wegen tiefer Zerrüttung zu verlangen. Allerdings müsste die auf
Art. 142 ZGB gestützte Scheidungsklage des ehebrecherischen Gatten in
Anwendung von Art. 142 Abs. 2 abgewiesen werden, wenn sich ergäbe, dass die
Zerrüttung überwiegend seiner Schuld zuzuschreiben ist und nicht etwa schon
vollständig eingetreten war, bevor der Ehebruch erfolgte. Daher muss der
Richter, ungeachtet des spätern Ehebruchs, die Ursachen dieser Zerrüttung
untersuchen, um entscheiden zu können, ob der (ehebrecherische)
Scheidungskläger sich auf den Scheidungsgrund des Art. 142 Abs. 1 berufen
kann, oder ob ihm Abs. 2 entgegensteht. Wenn in BGE 47 II 250 beiläufig
bemerkt wurde, der des Ehebruches schuldige Ehegatte könnte nur dann
seinerseits wegen bereits früher eingetretener tiefer Zerrüttung klagen, wenn
an dieser ausschliesslich der andere Teil schuld wäre, so erscheint dabei
irrtümlicherweise der extreme Fall statt als blosses (besonders schlüssiges)
Beispiel in der Formulierung einer Bedingung, was mit dem Text von Art. 142
Abs. 2 nicht vereinbar ist. Diese Vorschrift bestimmt abschliessend und für
alle Fälle, unter welchen Voraussetzungen das Scheidungsrecht trotz
vorhandener tiefer Zerrüttung nicht gegeben ist. Danach hat ein Ehegatte, der
an der tiefen Zerrüttung weniger als der andere oder höchstens gleich viel wie
dieser schuld ist, den Scheidungsanspruch aus diesem Titel; und diesen einmal
«erworbenen» Scheidungsgrund verliert er auch durch einen nachträglich selber
gesetzten speziellen nicht.
Dass das Verhältnis zwischen den verschiedenen geltend gemachten
Scheidungsgründen so sein muss, wird ohne weiteres verständlich im Hinblick
auf die Ansprüche aus Art. 151 und 152 ZGB. Die gegenteilige Auffassung hätte
gegebenenfalls zur Folge, dass der aus Art. 142 ZGB mehr oder ausschliesslich
schuldige Ehegatte vom andern, nur aus Art. 137 schuldigen Leistungen
verlangen könnte.

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Ebenso ergäben sich unbillige Konsequenzen hinsichtlich der Wartefrist (Art.
150 ).
Demnach durfte im vorliegenden Falle die Vorinstanz die auf Art. 142 ZGB
gestützte Scheidungsklage des Ehemannes Harder - trotz seinem zugegebenen
Ehebruche - nicht abweisen, ohne die zu ihrer Begründung vorgebrachten
tatsächlichen Behauptungen zu untersuchen. Die Sache ist daher an das
Obergericht zurückzuweisen, damit es prüfe, ob vor dem Ehebruch des Mannes
schon eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten war,
dass ihm die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht zuzumuten war. Ist dies der
Fall, so muss seine Scheidungsklage gutgeheissen werden, sofern diese vor dem
Ehebruch schon vollendete Zerrüttung nicht überwiegend seiner eigenen Schuld
zuzuschreiben ist - was das Bezirksgericht verneint hatte. Die grundsätzlich
begründete Klage der Frau aus Art. 137 gegen ihn könnte dann nur deshalb doch
nicht gutgeheissen werden, weil die von ihm verlangte Scheidung die blosse
Trennung natürlich ausschliesst.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil aufgehoben
und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 68 II 65
Date : 31. Dezember 1942
Published : 22. Mai 1942
Source : Bundesgericht
Status : 68 II 65
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Verhältnis des speziellen Scheidungsgrundes des Art. 137 ZGB zum allgemeinen des Art. 142: Der...


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