S. 177 / Nr. 27 Obligationenrecht (d)

BGE 68 II 177

27. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 1. Juli 1942 i. S. Mauerhofer gegen
Röthenmund.

Regeste:
Abtretung, Gewährleistung für Zahlungsfähigkeit, Art. 171 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 171 - 1 Bei der entgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende für den Bestand der Forderung zur Zeit der Abtretung.
1    Bei der entgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende für den Bestand der Forderung zur Zeit der Abtretung.
2    Für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners dagegen haftet der Abtretende nur dann, wenn er sich dazu verpflichtet hat.
3    Bei der unentgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende auch nicht für den Bestand der Forderung.
OR.
Zahlungsunfähigkeit ein Begriff eidgen. Rechts; sie setzt entsprechend der
Vorschrift des Art. 83 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 83 - 1 Ist bei einem zweiseitigen Vertrag der eine Teil zahlungsunfähig geworden, wie namentlich, wenn er in Konkurs geraten oder fruchtlos gepfändet ist, und wird durch diese Verschlechterung der Vermögenslage der Anspruch des andern gefährdet, so kann dieser seine Leistung so lange zurückhalten, bis ihm die Gegenleistung sichergestellt wird.
1    Ist bei einem zweiseitigen Vertrag der eine Teil zahlungsunfähig geworden, wie namentlich, wenn er in Konkurs geraten oder fruchtlos gepfändet ist, und wird durch diese Verschlechterung der Vermögenslage der Anspruch des andern gefährdet, so kann dieser seine Leistung so lange zurückhalten, bis ihm die Gegenleistung sichergestellt wird.
2    Wird er innerhalb einer angemessenen Frist auf sein Begehren nicht sichergestellt, so kann er vom Vertrage zurücktreten.
OR ein dauerndes Unvermögen des Schuldners
voraus, seine Gläubiger zu befriedigen, nicht auch dessen Konkurs oder
Auspfändung.
Fehlen besonderer Beweisvorschriften; Beweislast; Unanwendbarkeit des
Bürgschaftsrechtes (Art. 495 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 495 - 1 Der Gläubiger kann den einfachen Bürgen erst dann zur Zahlung anhalten, wenn nach Eingehung der Bürgschaft der Hauptschuldner in Konkurs geraten ist oder Nachlassstundung erhalten hat oder vom Gläubiger unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt bis zur Ausstellung eines definitiven Verlustscheines betrieben worden ist oder den Wohnsitz ins Ausland verlegt hat und in der Schweiz nicht mehr belangt werden kann, oder wenn infolge Verlegung seines Wohnsitzes im Ausland eine erhebliche Erschwerung der Rechtsverfolgung eingetreten ist.
1    Der Gläubiger kann den einfachen Bürgen erst dann zur Zahlung anhalten, wenn nach Eingehung der Bürgschaft der Hauptschuldner in Konkurs geraten ist oder Nachlassstundung erhalten hat oder vom Gläubiger unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt bis zur Ausstellung eines definitiven Verlustscheines betrieben worden ist oder den Wohnsitz ins Ausland verlegt hat und in der Schweiz nicht mehr belangt werden kann, oder wenn infolge Verlegung seines Wohnsitzes im Ausland eine erhebliche Erschwerung der Rechtsverfolgung eingetreten ist.
2    Bestehen für die verbürgte Forderung Pfandrechte, so kann der einfache Bürge, solange der Hauptschuldner nicht in Konkurs geraten ist oder Nachlassstundung erhalten hat, verlangen, dass der Gläubiger sich vorerst an diese halte.
3    Hat sich der Bürge nur zur Deckung des Ausfalls verpflichtet (Schadlosbürgschaft), so kann er erst belangt werden, wenn gegen den Hauptschuldner ein definitiver Verlustschein vorliegt, oder wenn der Hauptschuldner den Wohnsitz ins Ausland verlegt hat und in der Schweiz nicht mehr belangt werden kann, oder wenn infolge Verlegung des Wohnsitzes im Ausland eine erhebliche Erschwerung der Rechtsverfolgung eingetreten ist. Ist ein Nachlassvertrag abgeschlossen worden, so kann der Bürge für den nachgelassenen Teil der Hauptschuld sofort nach Inkrafttreten des Nachlassvertrages belangt werden.
4    Gegenteilige Vereinbarungen bleiben vorbehalten.
) auf die Gewährleistungspflicht des
Abtretenden.
Cession Garantie de la solvabilité, art. 171 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 171 - 1 Bei der entgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende für den Bestand der Forderung zur Zeit der Abtretung.
1    Bei der entgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende für den Bestand der Forderung zur Zeit der Abtretung.
2    Für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners dagegen haftet der Abtretende nur dann, wenn er sich dazu verpflichtet hat.
3    Bei der unentgeltlichen Abtretung haftet der Abtretende auch nicht für den Bestand der Forderung.
OR.
L'insolvabilité est une notion du droit fédéral; elle suppose, conformément
aux dispositions de l'art. 83 al. 1 CO, l'incapacité prolongée du débiteur de
satisfaire ses créanciers, mais non la faillite ni des saisies infructueuses.
Absence de prescriptions spéciales sur la preuve; fardeau de la preuve,
inapplicabilité du droit du cautionnement (art. 495 al. 1 CO) à l'obligation
de garantie du cédant.
Cessione, garanzia della solvenza del debitore, art. 171 op. 2 CO.
L'insolvenza è una nozione di diritto federale; essa presuppone, giusta l'art.
83 op. l CO, l'incapacità prolungata del debitore di soddisfare i suoi
creditori, ma non il fallimento nè pignoramenti infruttuosi.

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Mancanza di prescrizioni speciali sulla prova; onere della prova;
inapplicabilità delle norme sullo fideiussione (art. 496 cp. 1) all'obbligo di
garanzia del cedente.

Aus dem Tatbestand:
Der Beklagte trat dem Kläger für Lieferungen einen Schuldbrief an
Zahlungsstatt ab. Als der Kläger dem Briefschuldner Blaser wegen
Zahlungsverzuges kündigte und Betreibung anhob, erhielt er zunächst
Teilzahlungen; im Nachlassvertrag, mit dem Blaser den Gläubigern Aktiven und
Passiven abtrat, kam der Kläger bei Versteigerung des Schuldbriefes zu
Verlust. Seine gegen den Beklagten erhobene Gewährleistungsklage wurde vom
Handelsgericht des Kantons Bern geschützt. Die Berufung des Beklagten dagegen
hat das Bundesgericht abgewiesen
aus folgenden Gründen:
Nach der zutreffenden und übrigens nicht angefochtenen Begründung der
Vorinstanz haftet der Beklagte gemäss der übernommenen Gewährspflicht dem
Kläger dafür, dass der Schuldbriefschuldner Blaser im Zeitpunkt, auf den die
Kündigung des Schuldbriefes frühestens möglich gewesen ist, zahlungsfähig war
(BGE 61 II 104 Erw. 2). Dieser Zeitpunkt ist unbestrittenermassen der 4.
Februar 1936. Es entspricht den Beweisregeln, dass nicht der Abtretende die
Zahlungsfähigkeit des debitor cessus, sondern umgekehrt der die Haftung aus
der Gewährspflicht in Anspruch Nehmende, also der Kläger, die
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beweisen hat (BGE 27 II 553).
Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist ein materiellrechtlicher; er kann
nicht, wie der Beklagte es versucht, durch Normen des bernisch-kantonalen
Prozessrechts, die übrigens nur die Regelung der Sicherstellung für die
Prozesskosten bezwecken, bestimmt werden. Abwegig ist auch die Annahme, der
Beweis der Zahlungsunfähigkeit könne nur durch Urkunden geleistet werden. Eine

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Beweisvorschrift oder irgendeine Beschränkung des Beweisrechts besteht für den
vorliegenden Sachverhalt auf dem Boden des eidgenössischen Rechts nicht.
In Übereinstimmung mit dem Schrifttum und unter Hinweis auf die Formulierung
des Art. 83
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 83 - 1 Ist bei einem zweiseitigen Vertrag der eine Teil zahlungsunfähig geworden, wie namentlich, wenn er in Konkurs geraten oder fruchtlos gepfändet ist, und wird durch diese Verschlechterung der Vermögenslage der Anspruch des andern gefährdet, so kann dieser seine Leistung so lange zurückhalten, bis ihm die Gegenleistung sichergestellt wird.
1    Ist bei einem zweiseitigen Vertrag der eine Teil zahlungsunfähig geworden, wie namentlich, wenn er in Konkurs geraten oder fruchtlos gepfändet ist, und wird durch diese Verschlechterung der Vermögenslage der Anspruch des andern gefährdet, so kann dieser seine Leistung so lange zurückhalten, bis ihm die Gegenleistung sichergestellt wird.
2    Wird er innerhalb einer angemessenen Frist auf sein Begehren nicht sichergestellt, so kann er vom Vertrage zurücktreten.
OR umschreibt die Vorinstanz den materiellrechtlichen Begriff der
Zahlungsunfähigkeit mit Recht auch nicht nach bestimmten Merkmalen oder
manifesten Erscheinungen wie Konkurs oder Auspfändung. Solche Erscheinungen
weisen unmittelbar die schuldnerische Zahlungsunfähigkeit nach; das schliesst
aber keineswegs aus, dass die vorhandene Zahlungsunfähigkeit auch in anderer
Weise dargetan werden kann. Zweck und Sinn der Gewährspflicht ist doch der,
dass der Zedent einzutreten sich verpflichtet für den Fall, dass der Schuldner
trotz gutem Willen nicht in der Lage ist, den Gläubiger zu befriedigen. Die
Gewährspflicht nach Art. 171 II ist eine Garantie für das Zahlenkönnen des
Schuldners. Die Leistungsunmöglichkeit setzt ein dauern des Unvermögen des
Schuldners voraus. Dieses Unvermögen bedeutet die « Zahlungsunfähigkeit ».
Erfolgte zumal die Zession, wie im vorliegenden Fall, gegen volles Entgelt, so
kann derjenige, der schon geleistet hat, gegenüber seinem gewährspflichtigen
Zedenten hinsichtlich der Begriffsbestimmung der Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners nicht schlechter gestellt sein als der Leistungspflichtige, der
beim zweiseitigen Vertrag nach Art. 83 die Leistung zurückhalten darf. Die
Vorinstanz hat deshalb mit Recht (in Anlehnung an die Begriffsumschreibung von
BECKER und OSER-SCHÖNENBERGER ZU Art. 83, Note 1, bzw. 6) die
Zahlungsunfähigkeit als einen tatsächlichen Zustand bezeichnet, wonach es dem
Schuldner an den genügenden Geldmitteln zur Befriedigung seiner Gläubiger
fehlt, wobei indessen dieser Zustand nicht ein bloss vorübergehender, &. B.
hervorgerufen durch kurzzeitige Unrealisierbarkeit der Aktiven, sein darf.
Anders ausgedrückt: Die in Frage stehende Forderung muss in dem bestimmten
Zeitpunkt uneinbringlich sein, d. h. es muss

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dargetan werden, dass der Gläubiger trotz Einleitung oder Durchführung der ihm
zu Gebote stehenden Rechtsmittel überhaupt nicht oder nicht zur vollen
Befriedigung hätte gelangen können.
In diesem Sinne hat die Vorinstanz den Beweis abgenommen und auf Grund von
Zeugenaussagen und Dokumenten, insbesondere der Nachlassakten, festgestellt,
dass Blaser schon geraume Zeit vor dem Februar 1936 seinen Verpflichtungen
nicht mehr gewachsen und dass er auf Grund einer schweren und chronischen
Überschuldung am 4. Februar 1938 dauernd zahlungsunfähig war. Die
Abschlagszahlungen von Fr. 1000.- nach dem 5. Mai 1936 und von Fr. 500.-
anfangs September gleichen Jahres wurden nur durch Betreibung und auf Grund
besonderer Abmachung nach Mahnung vom Schuldner Blaser erwirkt. Es war
offenbar das äusserste, was er dem Kläger noch leisten konnte, um die
Durchführung der Betreibung und damit den Konkurs oder Nachlassvertrag
hinauszuschieben. Jene Zahlungen können also die erwähnten Feststellungen der
Vorinstanz nicht aufheben. Für den gesamten Rest des klägerischen Anspruches
war Blaser am 4. Februar 1936 im gesetzlichen Sinne zahlungsunfähig. Auf die
Beweiswürdigung, die Berufungsschrift in diesem Punkte beanstandet, ist nicht
einzutreten. Die Feststellungen über das tatsächliche Vorliegen der
Zahlungsunfähigkeit sind für das Bundesgericht verbindlich. Und da diesen
Feststellungen von der Vorinstanz der zutreffende Begriff unterlegt wurde, ist
mit ihr die Haftbarkeit des Beklagten zu bejahen.
Mit Recht ist die Vorinstanz grundsätzlich auf den Einwand des Beklagten nicht
eingetreten, der dahin ging, der Kläger hätte bei intensiverer Durchführung
des Inkassos einen geringeren oder keinen Ausfall erlitten. Art. 495 I OR ist
nicht, auch nicht analog anwendbar. Die Gewährspflicht nach Art. 171 II ist
keine Bürgschaft. Die rechtliche Natur der beiden Haftungen ist vielmehr eine
völlig verschiedene. Im Gegensatz zum akzessorischen Charakter der

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Bürgschaft begründet das Garantie- oder Haftungsversprechen des Zedenten eine
selbständige Verpflichtung aus dem der Abtretung zu Grunde liegenden Geschäft,
hier dem Holzkauf. Die Grundsätze des Bürgschaftsrechtes dürfen deshalb auf
die selbständige Gewährleistungspflicht des Abtretenden keine Anwendung finden
(BGE 53 II 116 ff. und dortige Hinweise, BECKER und OSER SCHÖNENBERGER Note
1-3, bzw. 3 und 14 zu Art. 171). Der Einwand des Beklagten könnte nur
bedeutsam werden, wenn durch den Beweis der Behauptung, es wäre beim Schuldner
Blaser mehr zu holen gewesen, im Sinne des Gegenbeweises dargetan werden
könnte, dass Blaser doch nicht oder nicht in so weitgehendem Masse
zahlungsunfähig war. Dazu stellt aber die Vorinstanz fest, dass nicht erwiesen
sei, dass bei schonungsloserem Vorgehen beim Schuldner mehr zu erzielen
gewesen wäre.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 68 II 177
Date : 31. Dezember 1942
Published : 01. Juli 1942
Source : Bundesgericht
Status : 68 II 177
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Abtretung, Gewährleistung für Zahlungsfähigkeit, Art. 171 Abs. 2 OR.Zahlungsunfähigkeit ein Begriff...


Legislation register
OR: 83  171  495
BGE-register
27-II-545 • 53-II-111 • 61-II-102 • 68-II-177
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