S. 37 / Nr. 4 Haftung für militärische Unfälle (d)

BGE 68 I 37

4. Auszug aus dem Urteil vom 6. Februar 1942 i.S. Gautschi gegen
Schweizerische Eidgenossenschaft.


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Regeste:
Schaden aus militärischen Unfällen.
1. Art. 27 MO ist nicht direkt anwendbar auf Vorgänge des Aktivdienstes, die
nicht den Charakter von militärischen Übungen haben. Der BRB vom 29. März 1940
über die Erledigung von Forderungen für Unfallschäden während des
Aktivdienstes (GesSlg 66 S. 293) hat aber für die Dauer des gegenwärtigen
Aktivdienstes Art. 27 -29 MO entsprechend anwendbar erklärt. (Erw. 1).
2. Die Verantwortung des Bundes nach Art. 27 MO ist eine Gefährdungshaftung.
Vorgänge des militärischen Betriebs, die kein besonderes Gefahrenmoment
aufweisen und sich von den entsprechenden des täglichen Lebens nicht
unterscheiden, begründen, wenn sie zu einem Unfall führen, die Haftung des
Bundes nicht (Erw. 3 und 4).
Réparation du dommage résultant d'accidents survenus pendant le service
militaire.
1. L'art. 27 OM n'est pas directement applicable aux faits du service actif
qui ne sont pas des exercices militaires. Mais l'ACF du 29 mars 1940
concernant le règlement de prétentions pour dommages résultant d'accidents
survenus pendant le service actif (ROLF 1940 p. 309) rend les art. 27 à 29 OM
applicables par analogie pendant le présent service actif (consid. 1).
2. La responsabilité de la Confédération en vertu de l'art. 27 OM est une
responsabilité à raison du risque créé. Les faits du service militaire qui ne
créent pas de risque spécial et qui ne

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se distinguent pas des mêmes faits survenus dans la vie ordinaire n'engagent
pas la responsabilité de la Confédération lorsqu'ils occasionnent un accident
(consid. 3 et 4).
Risarcimento del danno derivante da infortuni nel corso del servizio militare.
1. L'art. 27 OM non è applicabile direttamente ai fatti del servizio attivo
che non sono esercizi militari. Ma il DCF 29 marzo 1940 che regola le pretese
per danni cagionati durante il servizio attivo (RULF 56 pag. 318) rende gli
art. 27-29 OM applicabili per analogia durante l'attuale servizio attivo
(consid. 1).
2. La responsabilità della Confederazione in virtù dell'art. 27 OM è una
responsabilità a motivo del pericolo creato. I fatti del servizio militare che
non presentano uno speciale carattere di pericolosità e che non si distinguono
dai medesimi fatti accaduti nella vita cotidiana non implicano la
responsabilità della Confederazione qualora provochino un infortunio (consid.
3 e 4).

A. - Die etwa 74-jährige Klägerin, die im Restaurant Hirschen in Bünzen wohnt
und daselbst gegen ein Entgelt in bar und gegen die Verpflichtung zu Mithilfe
im Betrieb und im Haushalt volle Pension geniesst, erlitt am 11. Januar 1940
etwa um 14 Uhr einen Unfall. Sie war in der Küche beschäftigt. In der Küche
hielt sich ferner, ausser der Wirtin und zwei Küchenhilfen, auch auf Kanonier
Werner Stauffer, der als Tischordonnanz von sich im Restaurant Hirschen
verpflegenden Offizieren tätig war. Stauffer stiess bei einer Ausweichbewegung
mit der in seinem Rücken arbeitenden Klägerin zusammen. Diese stürzte und
erlitt einen Oberschenkelbruch, der einen längeren Spitalaufenthalt nach sich
zog. Schadenersatzansprüche der Klägerin wurden vom eidg. Militärdepartement
bestritten.
B. - Mit Klage vom 29. September 1941 gegen die Schweiz. Eidgenossenschaft hat
Frau Gautschi beim Bundesgericht beantragt, die Beklagte sei schuldig und zu
verurteilen, der Klägerin einen richterlich zu bestimmenden Betrag zuzüglich
Zins zu 5% seit 12. Januar 1940 zu bezahlen. - Die Klage stützt sich auf Art.
27 MO und eventuell Art. 1 des BRB vom 29. März 1940 über Erledigung von
Forderungen für Unfallschäden während des Aktivdienstes (GS 56 S. 293).

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Das Bundesgericht hat die Klage abgewiesen
in Erwägung:
1.- Art. 27 MO ist nicht anwendbar auf Vorgänge des Aktivdienstes, die nicht,
wenn auch in einem weiten Sinn, den Charakter von militärischen Übungen haben
oder mit solchen zusammenhängen (BGE 47 II 526, s. 47 II Nr. 81 und 87). Der
BRB vom 29. März 1940, Art. 1, hat aber die Haftung des Bundes für Tötung und
Verletzung von Zivilpersonen, sowie für Sachbeschädigungen infolge von
Unfällen, in der Weise erweitert, dass für die Dauer des gegenwärtigen
Aktivdienstes die Art. 27 -29 MO «entsprechende Anwendung» finden. Da für den
vorliegenden Unfall jener Zusammenhang mit einer militärischen Übung fehlt,
kann die Haftpflicht des Bundes nur auf Grund dieser Bestimmung in Frage
kommen, in der ganz allgemein vom «gegenwärtigen Aktivdienst» die Rede ist.
Deshalb ist, wie die Antwort anerkennt, ohne Bedeutung, dass der Unfall sich
vor Erlass des BRB ereignet hat.
2.- .....
3.- Art. 27 MO statuiert nicht eine Haftpflicht des Bundes für alle Tötungen
und Körperverletzungen, die mit einer militärischen Übung in
Kausalzusammenhang stehen. Zwar ist der Begriff der militärischen Übung nicht
eng zu fassen und nicht zu begrenzen auf die Ausbildung der Truppe im Gelände
und auf dem Exerzier- und Schiessplatz. Auch Betätigungen des innern Dienstes
können darunter fallen, dies aber doch nur, wenn aus der Eigenart des
militärischen Dienstbetriebs eine besondere Gefahr für Drittpersonen sich
ergibt, und diese Gefahr sich im Unfall verwirklicht hat (BGE 47 II 526,
Urteile Ifanger vom 27. Oktober 1938 und Widmer vom 22. Juni 1939, nicht
publiziert). Denn die Verantwortung des Bundes nach Art. 27 MO ist eine
Gefährdungshaftung. Weil militärische Übungen besondere Gefahren für Leib und
Leben von Zivilpersonen bilden, wurde die

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Kausalhaftung des Art. 27 eingeführt. Sie ist der Eisenbahnhaftpflicht, die
Gefährdungshaftung ist, nachgebildet (HÜRLIMANN, die Haftung des Bundes und
der Militärpersonen für den im Militärdienst entstandenen Schaden, S. 36 ff.
Es ist auf die Hilfsarbeiten in Art. 1 des EHG zu verweisen, «mit denen die
besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebs verbunden ist»). Darum hat die Praxis
jenes spezifische militärische Moment, das im Unfall zum Ausdruck kommen muss,
stets betont. Handlungen, Einrichtungen, Vorgänge des militärischen Betriebs
dagegen, die kein besonderes Gefahrenmoment aufweisen und sich von den
entsprechenden des gewöhnlichen täglichen Lebens nicht unterscheiden, können,
wenn sie zu einem Unfall führen, die Verantwortung des Bundes nicht begründen.
Der BRB vom 29. März 1940 erklärt Art. 27 MO «entsprechend» anwendbar für die
während der Dauer des gegenwärtigen Aktivdienstes entstandenen
Schadenersatzansprüche aus Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen. Die
Haftung des Art. 27 wird damit ausgedehnt auf Unfälle infolge von Vorgängen
des Aktivdienstes überhaupt, auch wenn sie nicht als militärische Übung sich
darstellen. Die Natur einer Gefährdungshaftung ist aber geblieben. Es muss ein
Umstand beim Unfall mitwirken, in dem die militärische Seite des Verhältnisses
als gefährdend irgendwie sich äussert.
4.- Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Kanonier Stauffer befand sich im
Aktivdienst, und es geschah anlässlich einer Verrichtung des innern Dienstes,
dass er in der Küche des «Hirschen» beim Zurücktreten mit der Klägerin
zusammenstiess. Nach der Darstellung der Klage wollte er den Offizieren der
Einheit das Essen bringen als er, um der Wirtin auszuweichen, einen oder
einige Schritte nach rückwärts tat. Nach dem militärischen Protokoll hätte er
seine Arbeit bereits beendigt gehabt, als er der Wirtin Platz machen wollte
und deshalb zurücktrat. Wie dem auch sei, so hat man es nicht mit einem
Verhalten zu tun, das gegenüber den Vorgängen des

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gewöhnlichen Lebens zufolge des militärischen Zusammenhangs etwas Besonderes
aufweisen würde. Es ist nicht ersichtlich und wird nicht behauptet, dass beim
Unfall irgend eine militärische Beziehung von Bedeutung gewesen wäre im Sinne
der Schaffung einer erhöhten Gefahr. Speziell wird nicht behauptet, dass
zufolge des militärischen Betriebs oder auch nur der Anwesenheit des Stauffer
in der Küche ein ungewohntes Gedränge geherrscht habe, das zum Unfall
beigetragen hätte. Nach der Klage beträgt der Raum zwischen Herd und
Küchenschrank, in welchem Raum der Zusammenstoss stattfand, 2 1/2 - 3 m. Dass
zwei Personen zufolge eines Versehens, einer momentanen Unachtsamkeit,
zusammenstossen, ist ein Ereignis ohne irgendwelche militärische Eigenart, das
zudem in der Regel ohne ernstlichen Schaden verläuft und hier nur zufolge
ausserordentlicher Umstände so schwere Folgen gehabt hat.
5.- ......
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 68 I 37
Datum : 31. Dezember 1942
Publiziert : 05. Februar 1942
Quelle : Bundesgericht
Status : 68 I 37
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Schaden aus militärischen Unfällen.1. Art. 27 MO ist nicht direkt anwendbar auf Vorgänge des...


Gesetzesregister
EHG: 1
MO: 27  29
BGE Register
47-II-522 • 68-I-37
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
militärische übung • leben • dauer • schaden • eidgenossenschaft • bundesgericht • restaurant • charakter • gefahr • ernährung • privatrechtliche haftung • begründung des entscheids • mais • ehg • hilfsarbeit • verurteilung • kausalhaftung • haushalt • verhalten • kausalzusammenhang
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