S. 156 / Nr. 25 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 67 I 156

25. Entscheid der Anklagekammer vom 21. Mai 1941 i. S. Jegge gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.

Regeste:
Entschädigungsansprüche für unverschuldete Haft gemäss Art. 122 BStrP.
1. Bestätigung der Praxis, wonach in Bundestrafsachen, die an kantonale
Behörden delegiert werden können, Art. 122 Abs. 4 auch dann Anwendung findet,
wenn die kantonale Behörde das Ermittlungsverfahren von sich aus durchgeführt
hat. Erw. 1.
2. Für Haft, die vollständig in das (bundesrechtliche) Ermittlungsverfahren
fällt, richtet sich der Entschädigungsanspruch auch dann nach Art. 122, wenn
noch ein delegiertes Untersuchungsverfahren nach kantonalem Recht gefolgt ist.
Erw. 2u. 3.
Demande en dommages-intérêts prévue par l'art. 122 PPF pour le cas où un
inculpé a été arrêté sans qu'il y ait eu faute de sa part.
1. Confirmation de la jurisprudence selon laquelle, dans les affaires pénales
fédérales qui peuvent être déléguées aux autorités cantonales, l'art. 122 al.
4 s'applique alors même que l'autorité cantonale a procédé aux recherches de
son propre chef. Consid. 1.
2. La demande en dommages-intérêts pour une détention préventive subie
exclusivement pendant la procédure (fédérale) de recherches tombe aussi sous
le coup de l'art. 122 lorsqu'une procédure d'enquête par délégation a en outre
eu lieu conformément au droit cantonal. Consid. 2 et 3.
Domanda d'indennità per arresto senza colpa (art. 122 PPF).
1. Conferma della giurisprudenza, secondo cui, nelle cause penali che possono
essere delegate alle autorità cantonali, l'art. 122 cp. 4 s'applica anche se
l'autorità cantonale ha proceduto di propria iniziativa alle indagini. Consid.
1.
2. Alla domanda d'indennità per pregiudizio risultante dal carcere preventivo
subito esclusivamente durante la procedura (federale) d'indagini è applicabile
l'art. 122 qualora un'istruttoria per delegazione abbia inoltre avuto luogo
conformemente al diritto cantonale. Consid. 2 e 3.

A. - Die Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt hob am 11. März 1940 gegen
Fridolin Kohlbrenner, Säckingen,

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und Mitbeteiligte ein Ermittlungsverfahren an wegen Zuwiderhandlung gegen den
Bundesbeschluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom
21. Juni 1935 (BSE) sowie Art. 68 MStrG. In dieses Verfahren wurde u. a. auch
Oskar Jegge, damals Kaufmann in Stein, jetzt in Aarau, einbezogen. Jegge war
vom 21. März bis 3. April 1940 in Haft.
Am 5. Juni 1940 beschloss der Bundesrat, es sei gegen die Beschuldigten das
gerichtliche Verfahren durchzuführen (Art. 105 BStrP) und es sei die
Untersuchung und Beurteilung sowohl der nach BSE wie der nach MStrG strafbaren
Handlungen den Behörden des Kantons Basel-Stadt zu übertragen (Art. 18 BStrP
und Art. 221 MStrG). Der Beschluss wurde der Basler Staatsanwaltschaft am 14.
Juni 1940 mitgeteilt.
Die Staatsanwaltschaft führte die Untersuchung durch, stellte aber das
Verfahren gegen Jegge durch Verfügung vom 29. Juli 1940 mangels Schuldbeweises
ein. Die Mitteilung an Jegge erfolgte am 21. August 1940. Die
Bundesanwaltschaft scheint von der Einstellung nicht in Kenntnis gesetzt
worden zu sein.
B. - Jegge machte am 12. September 1940 bei der Überweisungsbehörde des
Kantons Basel-Stadt gestützt auf §§ 84 ff der kantonalen Strafprozessordnung
eine Entschädigungsforderung von Fr. 500.- für unverschuldete Haft geltend.
Die Überweisungsbehörde beschloss am 9. April 1941, wegen Unzuständigkeit auf
das Gesuch nicht einzutreten. Sie ging davon aus, dass das der Haft Jegges zu
Grunde liegende Verfahren nicht als kantonalrechtliches, sondern als
bundesrechtliches im Sinne von Art. 100 ff BStrP geführt worden sei, weshalb
Entschädigungsansprüche für unverschuldete Haft gemäss Art. 122 BStrP bei der
Anklagekammer des Bundesgerichtes gestellt werden müssen.
Die Nichteintretensbeschluss wurde dem Gesuchsteller am 15. April mitgeteilt.

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C. - Jegge hat darauf seinen Entschädigungsanspruch durch Eingabe vom 21.
April gestützt auf Art. 122 BStrP bei der Anklagekammer des Bundesgerichtes
geltend gemacht.
Die Bundesanwaltschaft stellt sich in ihrer Vernehmlassung vom 3. Mai auf den
Standpunkt, die Anklagekammer sei nicht zuständig zur Behandlung des Gesuches.
Die gerichtspolizeilichen Ermittlungen der basel-städtischen
Staatsanwaltschaft seien ohne Zutun der Bundesanwaltschaft durchgeführt
worden. In der Folge habe dann der Bundesrat die Angelegenheit zur
gerichtlichen Verfolgung den kantonalen Strafbehörden überwiesen. Es handle
sich also um eine an den Kanton delegierte Bundesstrafsache. Bei solchen
richte sich nach Art. 214 Abs. 2 und Art. 254 ff BStrP das Verfahren gänzlich
nach kantonalem Recht, soweit das Bundesrecht nichts anderes bestimme. Das
Bundesstrafrechtspflegegesetz regle in Art. 257 einzig die Vergütung
ausserordentlicher Kosten. Daher unterstehe der vorliegende
Entschädigungsanspruch materiell und formell dem kantonalen Recht, und die
Überweisungsbehörde von Basel-Stadt habe ihre Zuständigkeit zu Unrecht
verneint. Durch BGE 64 I 74 ff und 138 ff sei die vorliegende Angelegenheit
deswegen nicht präjudiziert, weil in jenen Fällen die Bundesanwaltschaft das
Ermittlungsverfahren eingestellt habe, sodass es gar nicht zu einer Delegation
an den Kanton gekommen sei.
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.- Der materiellen Behandlung des Gesuches vorgängig muss die
Zuständigkeitsfrage entschieden werden.
Hier ist davon auszugehen, dass es sich bei den Vergehen gegen den
Bundesbeschluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft und
gegen Art. 86 des Militärstrafgesetzes um Bundesstrafsachen handelt, die an
sich teils der bürgerlichen, teils der militärischen Strafgerichtsbarkeit des
Bundes unterstehen, vom Bundesrat, bezw. vom eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement

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aber den kantonalen Behörden zur Untersuchung und Beurteilung überwiesen
werden können (Art. 7 BSE, Art. 10 Ziff. 1, Art. 18 und 254 ff BStrP und Art.
221 MStrG). Darnach erscheint das von der Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Stadt durchgeführte gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren als
bundesrechtliches gemäss Art. 100 ff BStrP. Dass die Staatsanwaltschaft das
Verfahren von sich aus aufnahm, ohne von der Bundesanwaltschaft dazu
beauftragt zu sein oder ihr Einverständnis nachgesucht zu haben, spielt dabei
keine Rolle; massgebende Grundlage des Verfahrens bildeten nichtsdestoweniger
die Vorschriften des Bundesstrafrechtspflegegesetzes. Das führt aber dazu,
dass auch in einem Falle, wo die kantonale Gerichtspolizei selbständig
gehandelt hat, auf Entschädigungsansprüche wegen unverschuldeter Haft Art. 122
Abs. 4 Anwendung findet, dass also die Ansprüche bei der Anklagekammer des
Bundesgerichtes geltend zu machen und nach Bundesrecht zu beurteilen sind. In
diesem Sinne hat die Anklagekammer mit eingehender Begründung schon in BGE 64
I 74
ff und 138 ff entschieden. Davon abzugehen, besteht jedenfalls in
grundsätzlicher Hinsicht keine Veranlassung.
2.- Es bleibt daher nur zu prüfen, ob die Zuständigkeit der Anklagekammer auch
dann gegeben sei, wenn zwar die Haftmassnahme im Ermittlungsverfahren
erfolgte, das Ermittlungsverfahren aber in ein vom Bundesrat gemäss Art. 18
BStrP der kantonalen Behörde delegiertes Untersuchungsverfahren überging, das
in der Folge durch diese Behörde eingestellt wurde. In den beiden obgenannten
Fällen, BGE 64 I 74 ff und 138 ff, hatte die Bundesanwaltschaft das
Ermittlungsverfahren eingestellt. Der vorliegende Sachverhalt erscheint daher
durch jene Entscheidungen in der Tat nicht ohne weiteres präjudiziert.
Das Untersuchungsverfahren, welches der Staatsanwaltschaft vom Bundesrat
übertragen worden war, spielte sich gemäss Art. 247 Abs. 3 BStrP auf dem Boden
des

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kantonalen Strafprozessrechtes ab. Allein das änderte nichts am
bundesrechtlichen Charakter des Ermittlungsverfahrens. War dieses einmal auf
Grundlage der Art. 100 ff BStrP durchgeführt worden, so blieb es als
bundesrechtliches bestehen, unabhängig davon, ob die Bundesanwaltschaft seine
Einstellung verfügte oder ob die Strafsache durch ein der kantonalen Behörde
übertragenes Untersuchungsverfahren weiterverfolgt wurde. Es konnte nicht
durch diese oder jene Art seines Ausganges rückwirkend in ein Verfahren des
kantonalen Rechtes umgewandelt werden. Die Auffassung der Bundesanwaltschaft,
in delegierten Bundesstrafsachen richte sich das Verfahren gänzlich nach
kantonalem Recht, trifft demnach wohl zu auf das delegationsweise
durchgeführte Untersuchungs-, dagegen nicht auf das vorausgegangene
Ermittlungsverfahren. Ist aber das Ermittlungsverfahren ein bundesrechtliches
geblieben, so bleibt dafür auch Art. 122 BStrP massgebend. Denn dort werden in
Abs. 4 die Bestimmungen von Abs. 1-3 auf das - nach Bundesstrafprozessrecht
durchgeführte - Ermittlungsverfahren ohne irgendwelche Einschränkung anwendbar
erklärt, sodass sie jedenfalls für Haftmassnahmen, die in diesem Verfahren
angeordnet worden und mit ihm zu Ende gegangen sind, auch dann gelten, wenn
noch ein delegiertes Untersuchungsverfahren nach kantonalem Recht gefolgt ist.
3.- Beim vorliegenden Gesuchstatbestand fällt die Verhaftung und die ganze
Dauer der Haft in die Zeit des Ermittlungsverfahrens. Damit ist die
Zuständigkeit der Anklagekammer für die Beurteilung des
Entschädigungsanspruches gegeben. Sie rechtfertigt sich im übrigen umsomehr,
als im Untersuchungsverfahren gegen Jegge lediglich noch letzte
Kontrollabhörungen stattfanden. Hätte die Staatsanwaltschaft bei Überweisung
der Ermittlungsakten an die Bundesanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens
beantragt, so wäre dieser Antrag sicherlich gutgeheissen und Jegge nicht in
das Untersuchungsverfahren einbezogen worden.

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Wie zu entscheiden wäre, wenn die Haft Jegges über das Ermittlungsverfahren
hinaus weitergedauert hätte und damit ein grösserer oder kleinerer Teil der
dem Entschädigungsanspruch zu Grunde liegenden Massnahmen in das kantonale
Untersuchungsverfahren gefallen wäre, kann dahingestellt bleiben. Ebensowenig
ist auf die in BGE 64 I 141 Erw. 4 aufgeworfene Frage einzutreten, ob Art. 122
BStrP nur für gesetzliche und nicht auch für ungesetzliche Haftmassnahmen
gelte. Ungesetzliche Massnahmen werden vom Gesuchsteller nicht behauptet.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Auf das Gesuch wird eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 67 I 156
Datum : 31. Dezember 1941
Publiziert : 21. Mai 1941
Quelle : Bundesgericht
Status : 67 I 156
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Entschädigungsansprüche für unverschuldete Haft gemäss Art. 122 BStrP.1. Bestätigung der Praxis...
Einordnung : Bestätigung der Rechtsprechung


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