S. 37 / Nr. 9 Obligationenrecht (d)

BGE 66 II 37

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Februar 1940 i. S.
Seligmann-Gans gegen Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt.

Regeste:
Kraftloserklärung von Wertpapieren.
1. Als verloren hat ein Wertpapier dann zu gelten, wenn es dem bisherigen
Inhaber gegen seinen Willen abhanden gekommen und der neue Inhaber unbekannt
ist; Art. 971
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 971 - 1 Wird ein Wertpapier vermisst, so kann es durch das Gericht806 kraftlos erklärt werden.
1    Wird ein Wertpapier vermisst, so kann es durch das Gericht806 kraftlos erklärt werden.
2    Die Kraftloserklärung kann verlangen, wer zur Zeit des Verlustes oder der Entdeckung des Verlustes an dem Papier berechtigt ist.
, 981
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
, 1074
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1074 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels unbekannt, so kann die Kraftloserklärung des Wechsels verlangt werden.
1    Ist der Inhaber des Wechsels unbekannt, so kann die Kraftloserklärung des Wechsels verlangt werden.
2    Wer die Kraftloserklärung begehrt, hat den Besitz und Verlust des Wechsels glaubhaft zu machen und entweder eine Abschrift des Wechsels oder Angaben über dessen wesentlichen Inhalt beizubringen.
OR, Erw. 3.
2. Glaubhaftmachung des Besitzes und Verlustes, verbindliche Feststellung des
kantonalen Gerichtes. Erw. 4.
3. Die deutsche Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens;
Verhältnis zum schweizerischen ordre public. Erw. 5.
Annulation de papiers-valeur.
1. Doit être considéré comme perdu le papier-valeur dont le titulaire est
dépossédé contre sa volonté et dont le nouveau titulaire est inconnu; art.
971, 981, 1074 CO. Consid. 3.

Seite: 38
2. Celui qui demande l'annulation doit rendre vraisemblable sa qualité de
titulaire et la perte du papier, constatation souveraine de cette
vraisemblance par le juge cantonal. Consid. 4.
3. Ordonnance allemande sur l'utilisation de la fortune juive; rapports avec
l'ordre public suisse. Consid. 5.
Ammortamento di cartevalori.
1. Deve essere considerata come smarrita la cartavalore, il titolare è stato
spossessato contro la sua volontà e il nuovo titolare è sconosciuto, art. 971,
981, 1074 CO. Consid. 3.
2. Chi chiede l'ammortamento deve rendere verosimili il possesso e lo
smarrimento del titolo, accertamento vincolante di questa verosimiglianza per
opera del giudice cantonale. Consid. 4.
3. Ordinanza germanica sull'utilizzazione dei beni appartenenti ad ebrei;
relazione coll'ordine pubblico svizzero. Consid. 5.

A. - Die früher in Frankfurt a/ Main, nunmehr in Villars s/ Ollon wohnhaften
Eheleute Seligmann-Gans reichten am 12. September 1939 beim Zivilgericht des
Kantons Basel-Stadt ein Gesuch ein um Kraftloserklärung von 712 näher
bezeichneten Inhaberaktien der Internationalen Gesellschaft für chemische
Unternehmungen A.-G., Basel.
Zur Begründung machten die Gesuchsteller geltend, sie hätten diese ihnen
gehörenden Titel seinerzeit bei der Mitteldeutschen Creditbank in Frankfurt a/
Main auf ihren Namen deponiert, dieselben aber dann bei ihrer Ausreise aus
Deutschland im Herbst 1938 zurücklassen müssen, da ihnen als Nichtariern die
Mitnahme von Vermögen verboten gewesen sei. Am 3. Dezember 1938 sei in
Deutschland die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens erlassen
worden, welche den Depotzwang für sämtliche im Eigentum von Nichtariern
befindliche Wertpapiere eingeführt habe. Damit sei den Gesuchstellern die
Verfügungsgewalt über die Aktien entzogen worden, was den Verlust ihres
Besitzes bedeute. Wo und in wessen Händen sich die Titel heute befänden, sei
den Gesuchstellern unbekannt. Verschiedene Anfragen an die Creditbank über den
Verbleib der Titel seien unbeantwortet geblieben. Aus dem einer Aufstellung
der Bank vom 12. Dezember 1938 beigesetzten Vermerk «Loco Berlin» ergebe sich
nur, dass sie sich in jenem Zeitpunkt

Seite: 39
irgendwo in Berlin befunden haben müssen. Diese Dislozierung sei
selbstverständlich ohne Wissen und Willen der Gesuchsteller erfolgt. Seither
fehle überhaupt jede Spur von den Aktien. Besitz und Verlust seien somit
gemäss Art. 981 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
OR glaubhaft gemacht. Dabei falle in Betracht, dass die
deutsche Verordnung vom 3. Dezember 1938 durch die Sonderbehandlung einer
rassenmässig bestimmten Personengruppe der schweizerischen öffentlichen
Ordnung widerspreche und deshalb unbeachtlich sei.
B. - Das Zivilgericht wies das Gesuch durch Urteil vom 20. Oktober ab, mit der
Begründung, dass der Verlust der Titel nicht glaubhaft gemacht sei.
C. - Gegen dieses Urteil haben die Gesuchsteller die zivilrechtliche
Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag, es sei dem Begehren
um Kraftloserklärung der Aktien zu entsprechen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3.- Um die Kraftloserklärung zu erwirken, hat der Gesuchsteller gemäss Art.
981 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
OR den Besitz und den Verlust des Wertpapieres glaubhaft zu machen.
Was unter Verlust zu verstehen ist, wird weder in Art. 981
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
OR noch in andern
Bestimmungen über die Kraftloserklärung von Wertpapieren ausgeführt. In der
allgemeinen Bestimmung des Art. 971 ist von vermissten Wertpapieren die Rede,
Art. 987
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
spricht von abhanden gekommenen Coupons. Nähere Anhaltspunkte ergeben
sich analogieweise aus der Vorschrift des Art. 934
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 934 - 1 Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird oder verloren geht oder sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern. Vorbehalten bleibt Artikel 722.675
1    Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird oder verloren geht oder sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern. Vorbehalten bleibt Artikel 722.675
1bis    Das Rückforderungsrecht für Kulturgüter im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 des Kulturgütertransfergesetzes vom 20. Juni 2003676, die gegen den Willen des Eigentümers abhanden gekommen sind, verjährt ein Jahr, nachdem der Eigentümer Kenntnis erlangt hat, wo und bei wem sich das Kulturgut befindet, spätestens jedoch 30 Jahre nach dem Abhandenkommen.677
2    Ist die Sache öffentlich versteigert oder auf dem Markt oder durch einen Kaufmann, der mit Waren der gleichen Art handelt, übertragen worden, so kann sie dem ersten und jedem spätern gutgläubigen Empfänger nur gegen Vergütung des von ihm bezahlten Preises abgefordert werden.
3    Die Rückleistung erfolgt im Übrigen nach den Vorschriften über die Ansprüche des gutgläubigen Besitzers.
ZGB, wo die Rückforderung
abhanden gekommener Sachen (vgl. das Marginale) geregelt ist; die
Rückforderung wird gewährt für Sachen, die dem Besitzer gestohlen werden,
verloren gehen oder sonstwie gegen seinen Willen abhanden kommen. Im gleichen
Sinne ist offensichtlich auch der Begriff des Verlustes in Art. 981
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
OR zu
verstehen.
Allein die Tatsache, dass dem Besitzer die Wertpapiere gegen seinen Willen
abhanden gekommen sind, genügt

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noch nicht, um einen Anspruch auf Durchführung des Amortisationsverfahrens zu
begründen. Als weitere Voraussetzung muss hinzukommen, dass der gegenwärtige
Inhaber des Wertpapiers unbekannt ist. Das ergibt sich, wie schon das
Zivilgericht ausgeführt hat, aus dem Zweck des Verfahrens, den bisherigen
Inhaber, dem das Wertpapier gegen seinen Willen abhanden gekommen ist, gegen
den jetzigen, unbekannten Inhaber zu schützen. Demgemäss bestimmt Art. 983
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 983 - Erachtet der Richter die Darstellung des Gesuchstellers über seinen frühern Besitz und über den Verlust der Urkunde für glaubhaft, so fordert er durch öffentliche Bekanntmachung den unbekannten Inhaber auf, das Wertpapier innerhalb bestimmter Frist vorzulegen, widrigenfalls die Kraftloserklärung ausgesprochen werde. Die Frist ist auf mindestens sechs Monate festzusetzen; sie läuft vom Tage der ersten Bekanntmachung an.
OR
ausdrücklich, dass der Richter durch öffentliche Bekanntmachung «den
unbekannten Inhaber» zur Vorlegung des Wertpapieres aufzufordern habe, und in
gleicher Weise setzt Art. 1074 für die Kraftloserklärung von Wechseln voraus,
dass der Inhaber der Urkunde unbekannt sei. Ist er bekannt, so kann nicht das
Amortisationsverfahren Platz greifen, sondern der frühere Inhaber hat in
diesem Falle gegen den neuen auf Herausgabe des Papiers nach den
Besitzesregeln zu klagen (so für den Wechsel ausdrücklich Art. 1073
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1073 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
1    Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
2    Klagt der Gesuchsteller nicht binnen dieser Frist, so hebt das Gericht das dem Bezogenen auferlegte Zahlungsverbot auf.
OR; im
übrigen vergl. STAUDINGER, Kommentar z. BGB, § 799, ZIMMERLI, Die gerichtliche
Kraftloserklärung von Wertpapieren, Diss., S. 46).
Die Beschwerdeführer wenden demgegenüber ein, es sei überhaupt nicht
erforderlich, dass sich das Wertpapier im Besitze eines neuen Inhabers
befinde, vielmehr könne die Durchführung des Amortisationsverfahrens auch
verlangt werden, wenn z.B. das Papier verbrannt oder sonstwie vernichtet sei.
Das trifft gewiss zu, bedeutet aber entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführer keineswegs, dass bei Verlust des Wertpapiers ein Anspruch auf
Durchführung des Verfahrens auch dann besteht, wenn der neue Inhaber bekannt
ist. Denn mit der hier vertretenen, dem Wortlaut entsprechenden Auslegung des
Gesetzes will selbstverständlich nicht gesagt sein, dass sich das Papier auf
jeden Fall in den Händen eines, zwar unbekannten, neuen Besitzers befinden
müsse; es wird damit nur negativ vorausgesetzt, dass es sich nicht in den
Händen eines bekannten neuen Inhabers befinden

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dürfe. Das ist aber auch dann der Fall, wenn überhaupt niemand das Papier
besitzt, so wenn es z.B. gänzlich verloren oder vernichtet ist.
4.- Die Annahme des Zivilgerichtes, der frühere Besitz der Beschwerdeführer an
den Aktien sei glaubhaft gemacht, bedarf keiner weitern Erörterung.
Zur Glaubhaftmachung des Verlustes verweisen die Beschwerdeführer auf ihre
unbeantwortet gebliebenen Anfragen an die Mitteldeutsche Creditbank, auf den
Vermerk «Loco Berlin» in den Depotaufstellungen der Bank und auf die deutsche
Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938.
Das Zivilgericht erklärt hiezu, die Beschwerdeführer seien für die
Verweigerung der Antwort jeden Beweis schuldig geblieben. Sie hätten es
unterlassen, die Kopien ihrer angeblichen Anfragen an die Bank ins Recht zu
legen oder sonstige Beweismittel anzurufen. Der Vermerk «Loco Berlin» sodann
in der Depotaufstellung vom 31. Dezember 1938 genüge für den Nachweis des
Verlustes nicht. Die Aktien seien in dieser Aufstellung nach wie vor als
Eigentum der Beschwerdeführer bezeichnet. Was den Hinweis auf die deutsche
Verordnung vom 3. Dezember 1938 betreffe, so hätten sich die Beschwerdeführer
auch hier mit allgemeinen Behauptungen begnügt, ohne bestimmte Tatsachen
bezüglich der streitigen Wertpapiere nachzuweisen.
Das Zivilgericht kommt also zum Schlusse, es sei nicht dargetan, dass die
Aktien sich nicht mehr in der Verfügungsgewalt und damit im Besitze der
Beschwerdeführer befinden. Diese Feststellung beruht auf den zutreffenden
rechtlichen Voraussetzungen, wie sie vorstehend auseinandergesetzt worden
sind. Im übrigen beschlägt sie tatsächliche Verhältnisse und stellt das
Ergebnis der Beweiswürdigung dar. Sie ist infolgedessen für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 94
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1073 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
1    Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
2    Klagt der Gesuchsteller nicht binnen dieser Frist, so hebt das Gericht das dem Bezogenen auferlegte Zahlungsverbot auf.
in Verbindung mit Art. 81
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1073 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
1    Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
2    Klagt der Gesuchsteller nicht binnen dieser Frist, so hebt das Gericht das dem Bezogenen auferlegte Zahlungsverbot auf.
OG; vgl. auch BGE 61 II 21 ff).
Die Beschwerdeführer rügen allerdings, das Zivilgericht

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habe für den Verlust der Titel den vollen Beweis verlangt, statt sich gemäss
Art. 981
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
und 983
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 983 - Erachtet der Richter die Darstellung des Gesuchstellers über seinen frühern Besitz und über den Verlust der Urkunde für glaubhaft, so fordert er durch öffentliche Bekanntmachung den unbekannten Inhaber auf, das Wertpapier innerhalb bestimmter Frist vorzulegen, widrigenfalls die Kraftloserklärung ausgesprochen werde. Die Frist ist auf mindestens sechs Monate festzusetzen; sie läuft vom Tage der ersten Bekanntmachung an.
OR mit der Glaubhaftmachung zu begnügen. In der Tat spricht
das Gericht bei Prüfung der Unterlagen von fehlendem Beweis und Nachweis. Im
Eingang seiner Entscheidungsgründe hält es jedoch ausdrücklich fest, dass die
Gesuchsteller Besitz und Verlust der Titel glaubhaft zu machen haben. Es kann
deshalb keinem Zweifel unterliegen, dass die Würdigung der Belege unter diesem
Gesichtspunkt erfolgt ist und dass die Ausdrücke Beweis und Nachweis im Sinne
der Glaubhaftmachung zu verstehen sind.
Ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass die Aktien der Verfügungsgewalt und
damit dem Besitze der Beschwerdeführer entzogen sind, so muss die Beschwerde
als unbegründet abgewiesen werden.
5.- Das Ergebnis wäre übrigens kein anderes, wenn man annehmen wollte, es sei
durch den Vermerk «Loco Berlin» in der Depotaufstellung der Bank und durch die
deutsche Verordnung vom 3. Dezember 1938 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
dargetan, dass der deutsche Staat die Aktien unter Depotzwang gestellt und
eingezogen habe.
Besitzer der Titel wäre bei dieser Annahme heute der deutsche Staat, sei es
direkt oder über eine der Devisenbanken, bei denen die Wertpapiere jüdischer
Eigentümer gemäss § 11 der genannten Verordnung zu deponieren sind. Der neue
Inhaber der Titel könnte daher nicht als unbekannt gelten, und eine
Kraftloserklärung wäre auf jeden Fall aus diesem Grunde ausgeschlossen. Die
Beschwerdeführer müssten ihre Ansprüche auf die Titel gegen den deutschen
Staat geltend machen. Welches Verfahren sie dabei einzuschlagen hätten und
welche Erfolgsaussichten für sie bestünden, hat hier dahingestellt zu bleiben;
diese Fragen haben mit der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der
Kraftloserklärung nichts zu tun.
Auch die Berufung auf die schweizerische öffentliche Ordnung, mit der die
deutsche judenfeindliche

Seite: 43
Gesetzgebung im Widerspruch stehe, vermag den Beschwerdeführern nicht zu
helfen. Ein solcher Widerspruch zwischen den schweizerischen
Rechtsanschauungen und der genannten deutschen Verordnung als gegeben
vorausgesetzt, würde dadurch nichts geändert an der Tatsache, dass sich die
Aktien heute in den Händen des deutschen Staates befinden; der gegenwärtige
Inhaber wäre also, auch wenn die dem Depotzwang zu Grunde liegende Verordnung
für den schweizerischen Richter unbeachtlich bliebe, nichtsdestoweniger nicht
unbekannt im Sinne von Art. 981 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
OR. Das verhielte sich selbst dann so, wenn
der Depotzwang gemäss der Auffassung der Beschwerdeführer praktisch auf eine
Enteignung hinauslaufen sollte.
Demnach erkennt das Bundesgericht.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 II 37
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 20. Februar 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 II 37
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Kraftloserklärung von Wertpapieren.1. Als verloren hat ein Wertpapier dann zu gelten, wenn es dem...


Gesetzesregister
OG: 81  94
OR: 971 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 971 - 1 Wird ein Wertpapier vermisst, so kann es durch das Gericht806 kraftlos erklärt werden.
1    Wird ein Wertpapier vermisst, so kann es durch das Gericht806 kraftlos erklärt werden.
2    Die Kraftloserklärung kann verlangen, wer zur Zeit des Verlustes oder der Entdeckung des Verlustes an dem Papier berechtigt ist.
981 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 981 - 1 Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
1    Inhaberpapiere, wie Aktien, Obligationen, Genussscheine, Couponsbogen, Bezugsscheine für Couponsbogen, jedoch mit Ausschluss einzelner Coupons, werden auf Begehren des Berechtigten durch das Gericht kraftlos erklärt.
2    ...821
3    Der Gesuchsteller hat den Besitz und Verlust der Urkunde glaubhaft zu machen.
4    Ist dem Inhaber eines mit Couponsbogen oder Bezugsschein versehenen Papiers bloss der Couponsbogen oder Bezugsschein abhanden gekommen, so genügt zur Begründung des Begehrens die Vorzeigung des Haupttitels.
983 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 983 - Erachtet der Richter die Darstellung des Gesuchstellers über seinen frühern Besitz und über den Verlust der Urkunde für glaubhaft, so fordert er durch öffentliche Bekanntmachung den unbekannten Inhaber auf, das Wertpapier innerhalb bestimmter Frist vorzulegen, widrigenfalls die Kraftloserklärung ausgesprochen werde. Die Frist ist auf mindestens sechs Monate festzusetzen; sie läuft vom Tage der ersten Bekanntmachung an.
1073 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1073 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
1    Ist der Inhaber des Wechsels bekannt, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine angemessene Frist zur Anhebung der Klage auf Herausgabe des Wechsels.
2    Klagt der Gesuchsteller nicht binnen dieser Frist, so hebt das Gericht das dem Bezogenen auferlegte Zahlungsverbot auf.
1074
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1074 - 1 Ist der Inhaber des Wechsels unbekannt, so kann die Kraftloserklärung des Wechsels verlangt werden.
1    Ist der Inhaber des Wechsels unbekannt, so kann die Kraftloserklärung des Wechsels verlangt werden.
2    Wer die Kraftloserklärung begehrt, hat den Besitz und Verlust des Wechsels glaubhaft zu machen und entweder eine Abschrift des Wechsels oder Angaben über dessen wesentlichen Inhalt beizubringen.
ZGB: 934 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 934 - 1 Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird oder verloren geht oder sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern. Vorbehalten bleibt Artikel 722.675
1    Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird oder verloren geht oder sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern. Vorbehalten bleibt Artikel 722.675
1bis    Das Rückforderungsrecht für Kulturgüter im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 des Kulturgütertransfergesetzes vom 20. Juni 2003676, die gegen den Willen des Eigentümers abhanden gekommen sind, verjährt ein Jahr, nachdem der Eigentümer Kenntnis erlangt hat, wo und bei wem sich das Kulturgut befindet, spätestens jedoch 30 Jahre nach dem Abhandenkommen.677
2    Ist die Sache öffentlich versteigert oder auf dem Markt oder durch einen Kaufmann, der mit Waren der gleichen Art handelt, übertragen worden, so kann sie dem ersten und jedem spätern gutgläubigen Empfänger nur gegen Vergütung des von ihm bezahlten Preises abgefordert werden.
3    Die Rückleistung erfolgt im Übrigen nach den Vorschriften über die Ansprüche des gutgläubigen Besitzers.
987
BGE Register
61-II-21 • 66-II-37
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
wertpapier • zivilgericht • gesuchsteller • wille • bundesgericht • basel-stadt • eigentum • deutschland • kopie • bewilligung oder genehmigung • erleichterter beweis • richterliche behörde • begründung des entscheids • annahme des antrags • bescheinigung • kantonales rechtsmittel • gesuch an eine behörde • öffentliche ordnung • coupon • ausreise
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