S. 256 / Nr. 52 Obligationenrecht (d)

BGE 66 II 256

52. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1940 in
Sachen X. c. Y.

Regeste:
1. Unsittlichkeit eines Vertrages über bezahlte Beihilfe zu Erbschleicherei,
Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR. Erw. 1.
2. Ausschluss der Rückforderung des Geleisteten nach Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR.
a) Es kann auch dann nicht zurückgefordert werden, wenn der erstrebte
rechtswidrige oder unsittliche Erfolg tatsächlich erreicht und daraufhin die
für diesen Fall versprochene Leistung vollzogen worden ist. Erw. 2.
b) Der Geber kann sich für die Nichtanwendbarkeit des Art. 66 nicht darauf
berufen dass seine tiefstehende Betrachtungsweise ihn nicht befähigt habe, die
Unsittlichkeit des Geschäftes einzusehen. Erw. 3.
1. Immoralité d'un contrat par lequel les parties conviennent d'un paiement
pour l'aide que l'une d'elles fournit dans la captation d'un héritage; art. 20
CO. Consid. 1.
2. Ce qui a été payé ne peut être répété en vertu de l'art. 66 CO.
a) La répétition est exclue, même lorsque le but illicite ou immoral que les
parties visaient a effectivement été atteint et que la prestation promise sous
cette condition a eu lieu. Consid. 2.
b) Celui qui a payé ne peut, pour exclure l'application de l'art. 66 CO,
alléguer que la faiblesse de son sens moral l'a empêché de reconnaître
l'immoralité du contrat. Consid. 3.
1. Immoralità d'un contratto col quale le parti stipulano il pagamento di una
somma a compenso dell'aiuto di una di esse nella cattazione di un'eredità,
art. 20 CO. Consid. 1.
2. Quanto è stato pagato non può essere ripetuto in virtù dell'art. 66 CO.
a) La ripetizione è esclusa anche se lo scopo illecito o immorale che si
proponevano le parti è stato effettivamente raggiunto e la prestazione
promessa sotto questa condizione è stata effettuata. Consid 2.
b) Chi ha pagato non può invocare, per escludere l'applicazione dell'art. 66
CO, il fatto che la debilità del suo senso morale gli ha impedito di
comprendere l'immoralità del contratto. Consid. 3.

A. - Bei den klägerischen Eheleuten X. hatte sich seit 1928 ein gewisser E. F.
aufgehalten. Die Kläger suchten für den Fall des Todes des F. sich sein
Vermögen zu sichern und wandten sich zu diesem Zwecke an Rechtsanwalt

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Y. Letzterer übernahm es, F. zum Verbleiben bei den Klägern und zu deren
Einsetzung als Testamentserben zu veranlassen; dafür sollte ihm die Hälfte der
Erbschaft überlassen werden.
F. starb am 10. September 1935 und hinterliess ein Testament, in dem die
Kläger als Erben eingesetzt waren.
Y. erhielt aus der Fr. 53136.95 betragenden reinen Hinterlassenschaft des F.
einen Betrag von Fr. 19000.- ausbezahlt.
B. - Am 20. April 1938 reichten die Eheleute X. gegen Y. vorliegende Klage
ein, mit der sie u. a. Rückerstattung des erwähnten Betrages von Fr. 19000.-,
nebst 5% Zins seit 23. November 1935 verlangten.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Er starb im Verlaufe des
Prozesses, worauf dieser von seinen Erben weitergeführt wurde.
C. - Die kantonalen Gerichte wiesen die Klage ab.
D. - Gegen das Urteil der zweiten Instanz vom 29. Juli 1940 erklärten die
Kläger die Berufung an das Bundesgericht.
Die Berufung wird abgewiesen, auf Grund folgender
Erwägungen:
Die Kläger fordern den Betrag von Fr. 19000.- zurück, den sie Y. dafür bezahlt
haben, dass er F. veranlasste, sie als Testamentserben einzusetzen. Zur
Begründung des Begehrens wird Unsittlichkeit der der Zahlung zugrunde
liegenden Vereinbarung geltend gemacht. Von der Unsittlichkeit der
Vereinbarung hätten die Kläger keine Kenntnis gehabt, und deshalb seien sie
berechtigt, ihre Leistung gemäss Art. 63 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.
1    Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.
2    Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde.
3    Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht.
OR zurückzufordern.
1.- Die Vereinbarung, durch die Y. es gegen Überlassung der halben Erbschaft
übernahm, den F. zu bewegen, dass er sein Vermögen testamentarisch den Klägern
zuwende, ist in der Tat, weil gegen die guten Sitten verstossend, nichtig
(Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR). Sie ist es indessen nicht

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in dem von den Klägern behaupteten Sinne, d. h. nicht deswegen, weil sich Y.
«zu einer Leistung verpflichtete, die nach der landesüblichen Auffassung und
insbesondere nach der Auffassung über das einem Anwalt geziemende Verhalten,
frei sein sollte, und weil er sich für ein solches Verhalten die Hälfte der
Erbschaft versprechen liess». Die Vereinbarung ist vielmehr darum nichtig,
weil nach der herrschenden Auffassung Abmachungen über bezahlte Beihilfe zu
Erbschleicherei, die an und für sich schon anstössig ist, sittenwidrig und
damit rechtlichen Schutzes nicht würdig erscheinen.
2.- Nach Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR kann nicht zurückgefordert werden, was in der Absicht,
einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden
ist.
Die Kläger halten dafür, diese Gesetzesbestimmung sei hier nicht anwendbar.
Sie betreffe nämlich nur den Fall, wo mit einer Leistung die Herbeiführung
eines künftigen widerrechtlichen oder unsittlichen Erfolges beabsichtigt
werde. In casu sei aber im Moment der Bezahlung der Erfolg schon eingetreten
gewesen. Zur Begründung ihrer Auffassung berufen sich die Kläger vorab auf von
TUHR (Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts I 381 f), sowie
auf WEISS (Sammlung eidgenössischer und kantonaler Entscheidungen zum ZGB und
OR, Nr. 4526). Von TUHR befasst sich indessen a.a.O. mit einer andern Seite
der Frage, und die bei WEISS wiedergegebenen Entscheide (auf BGE 37 II 65 ff.
wird noch zurückzukommen sein) beziehen sich überhaupt auf Fälle ganz anderer
Art. Im übrigen ist die von den Klägern vertretene Auffassung aus den
folgenden Gründen unhaltbar.
Freilich mag der Wortlaut des Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR insofern missverständlich erscheinen,
als daselbst von der Absicht die Rede ist, einen gewissen Erfolg
herbeizuführen, also etwas Zukünftiges zu erwirken. Allein diese
Ausdrucksweise erklärt sich zwangslos durch die Stellung des Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR im
Gesetz, wo er in den Zusammenhang der

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Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung gestellt worden ist. Nach
den diese normalerweise beherrschenden Grundsätzen muss zurückgegeben werden,
was jemand aus einem nicht verwirklichten Grunde erhalten hat (condictio ob
causam futuram, condictio ob causam non secutam). Ist m. a. W. etwas gegeben
worden, um einen künftigen erlaubten Erfolg zu bewirken, und wird dieser nicht
erreicht, so kann zurückgefordert werden Demgegenüber soll Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR zum
Ausdruck bringen, dass bei Widerrechtlichkeit oder Unsittlichkeit des
erstrebten Erfolges eine solche Rückleistungspflicht selbst dann entfällt,
wenn der Zweck der Leistung nicht erreicht worden ist. Darin liegt insofern
ein gewisses pönales Element, als der Zuwendende für seine böse Absicht durch
Entzug des Rechtsschutzes bestraft werden soll (vgl. darüber von TUHR a.a.O.).
Es wäre nun geradezu widersinnig anzunehmen, dass diese Strafe den bösen Geber
dann nicht treffen solle, wenn sein Versprechen einer Leistung zum
angestrebten widerrechtlichen oder unsittlichen Erfolg geführt und er dann in
der Freude darüber das Versprechen auch wirklich eingelöst hat (vgl. für das
deutsche Recht STAUDINGER, Komm. zum BGB II/3 S. 1711). Es muss hier gelten,
was schon im römischen und im gemeinen Recht gegolten hat: In pari turpitudine
melior est causa possidentis. Die Justiz hat sich nicht mit dem Streit um ein
Vermögen zu befassen, welches zwischen zwei Parteien unter Verletzung von
Recht oder Sittlichkeit verschoben worden ist. Der Gesetzgeber will, wie sich
KOHLER ausgedrückt hat (Das Ideale im Recht, in Arch. f. bürgerl. Recht, 5 S.
241), trübes Wasser nicht in Sonnenbeleuchtung stellen.
Von dieser Einstellung hat sich auch das Bundesgericht in dem von den Klägern
für ihre gegenteilige Auffassung herangezogenen Entscheid BGE 37 II 68 leiten
lassen, wenn es dort allgemein ausführte:
«Das Gesetz stellt sich eben auf den Standpunkt, dass, wenn das
Rechtsgeschäft, auf Grund dessen

Seite: 260
geleistet wurde, des Schutzes der Rechtsordnung unwürdig ist, dann auch
hinsichtlich der Vermögensänderung, die durch die Vollziehung des Geschäfts
zwischen den Parteien eingetreten ist, der sonst zur Korrektur grundloser
Bereicherung gegebene Rechtsanspruch versagt werden müsse.»
3.- So bleibt schliesslich nur noch die in der schweizerischen Doktrin bisher
kaum erörterte Frage, ob Art. 66 voraussetze, dass sich der Rückforderer der
Rechts- oder Sittenwidrigkeit seiner Handlungsweise bewusst gewesen sei. Die
überwiegende Mehrheit in der deutschen Doktrin nimmt an, der objektive
Verstoss gegen ein Verbot oder gegen die guten Sitten genüge zum Ausschluss
einer Rückforderung; das Bewusstsein, beim Versprechen der Leistung gegen ein
Verbot zu verstossen oder gegen die guten Sitten zu handeln, sei nicht
erforderlich. Das deutsche Reichsgericht teilte anfänglich diese Meinung,
später gab sie dieselbe wieder auf (vgl. hierüber Komm. der Reichsgerichtsräte
zum BGB, 8. Aufl., § 817 Ziff. 3 in Verbindung mit Ziff. 1, sowie STAUDINGER,
a.a.O. S 1711). Für die vorliegende Entscheidung braucht die Frage indessen
nicht in allgemeiner und grundsätzlicher Weise beantwortet zu werden.
Jedenfalls vermag sich eine Partei für die Nichtanwendbarkeit des Art. 66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
OR
nicht auf ihre eigene tiefstehende Betrachtungsweise zu berufen, die sie nicht
zur Einsicht befähigt habe, dass das Geschäft gegen allgemein geläufige
sittliche Auffassungen verstosse. Darauf läuft aber die Argumentation der
Kläger hinaus.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 II 256
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 16. Dezember 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 II 256
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 1. Unsittlichkeit eines Vertrages über bezahlte Beihilfe zu Erbschleicherei, Art. 20 OR. Erw. 1.2...


Gesetzesregister
OR: 20 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
63 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.
1    Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.
2    Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde.
3    Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht.
66
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 66 - Was in der Absicht, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.
BGE Register
37-II-65 • 66-II-256
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
weiler • sitte • frage • ungerechtfertigte bereicherung • nichtigkeit • verhalten • doktrin • erbe • bundesgericht • rechtsanwalt • kenntnis • begünstigung • verfahren • entscheid • begründung des entscheids • treffen • stelle • tod • leiter • gemeines recht
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