BGE 65 I 85
15. Urteil vom 2. Juni 1939 i. S. Burg gegen Obergericht Aargau.
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Regeste:
Gewerbepolizei, Zuständigkeitsbereich (BV Art. 31 lit. e).
Unzuständigkeit des aargauischen Richters eine nicht auf aargauischem Gebiet
oder von diesem aus ausgeübte Tätigkeit (Versendung von Verkaufsofferten für
aargauische Liegenschaften) wegen Übertretung gewerbepolizeilicher
Bestimmungen (Geschäftsagentenverordnung) zu bestrafen.
Police du commerce et de l'industrie, compétence ratione loci (art. 31 lit. e
CF).
Le juge argovien n'est pas compétent pour connaître d'une contravention aux
règles de la police du commerce et de l'industrie (dispositions relatives aux
agents d'affaires) lorsque l'activité visée n'a eu ni son point de départ ni
ses effets sur le territoire argovien (envoi d'offres de vente relatives à des
immeubles sis dans le canton d'Argovie).
Polizia del commercio e dell'industria; competenza ratione loci (art. 31 lett.
e CF).
Il giudice argoviese non è competente a punire una contravvenzione alle norme
di polizia del commercio e dell'industria (ordinanza concernente gli agenti
d'affari), qualora si tratti di un'attività che non ha inizio ne esplica i
suoi effetti in territorio argoviese (invio di offerto di vendita relative ad
immobili situati nel Cantone di Argovia).
A. - Der Rekurrent Friedrich Burg-Leu in Oberdorf (Baselland) hat als
Geschäftsführer und einziger Verwaltungsrat der Casa A.-G. Schaffhausen von
Zürich als dem Ort der Geschäftsleitung an Oskar Schlatter in Zürich einen
Brief gesandt, mit dem er diesem unter Bezugnahme auf ein Inserat eine Reihe
von Liegenschaften gemäss einem besondern Verzeichnis zum Kauf oder Tausch
anbot, mit dem Bemerken, dass er ihm auf Wunsch genaue Detailangaben zukommen
lassen werde. Darunter befanden sich zwei aargauische Grundstücke. Deswegen
wurde gegen den Rekurrenten durch die aargauischen Behörden ein
Polizeistrafverfahren eingeleitet. Er erklärte, die beiden aargauischen
Liegenschaften seien der Casa A.-G. durch ein Bureau Sonntag in Ravensburg
angeboten worden, von dem sie auch die näheren Angaben hätte einfordern
müssen; er selbst kenne weder die Eigentümer noch die Objekte. In den Kanton
Aargau habe er weder Zirkulare
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versandt noch als Geschäftsführer der Casa A.-G. dessen Gebiet betreten.
Mit Urteil vom 28. Januar 1939 erklärte das Bezirksgericht Zofingen den
Rekurrenten schuldig der Übertretung der §§ 1 lit. d und 2 der aargauischen
Geschäftsagenten-Verordnung und auferlegte ihm eine Geldbusse von Fr. 50.- und
die Kosten. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Obergericht des Kantons
Aargau am 21. April 1939 abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung:
Der Angeschuldigte habe gewerbsmässig die Vermittlung des Kaufes bezw.
Tausches der beiden im Kanton Aargau gelegenen Grundstücke angeboten und damit
hier den Beruf des Geschäftsagenten im Sinne von § 1 lit. d und 2 der
Verordnung ausgeübt. Von wo er die Offerten verschickt habe, sei für die
Entscheidung der Frage, ob er auf dem aargauischen Gebiete tätig geworden sei,
unerheblich; es genüge, dass er im Kanton Aargau befindliche Liegenschaften
zum Kauf oder Tausch angeboten habe.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt der Rekurrent die Entscheide
des Bezirks- und Obergerichtes mangels Zuständigkeit der aargauischen Gerichte
aufzuheben. Er sei weder im Kanton Aargau wohnhaft, noch dort tätig gewesen;
die blosse Versendung einer Liste von Zürich an eine ebendaselbst wohnhafte
Person sei keine den Kanton Aargau berührende Tätigkeit und unterliege daher
nicht der dortigen Gerichtsbarkeit.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen.
Erwägungen:
1.- Es ist unbestritten, dass Art. 31 lit. e
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
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1 | Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
2 | Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. |
3 | Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist. |
4 | Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs. |
Beruf des Geschäftsagenten, wie der Kanton Aargau dies getan hat, unter die
Patentpflicht zu stellen, dass ferner als Geschäftsagenten auch die
Liegenschaftsmäkler angesehen werden dürfen und sie deswegen für Vermittlungen
im Kanton Aargau des Patentes bedürfen, selbst wenn sie ihren ständigen Wohn-
und
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Geschäftsort ausserhalb des Kantons haben; der Rekurrent stellt auch nicht in
Abrede, dass seine Tätigkeit als gewerbsmässig angesprochen werden könne,
bestreitet dagegen die Zuständigkeit des aargauischen Richters zur Beurteilung
des ihm zur Last gelegten Verhaltens, weil sich diese Tätigkeit nicht auf dem
Gebiet des Kantons Aargau abgespielt habe.
2.- Bei der bundesrechtlich an sich zulässigen Regelung eines gewerblichen
Betriebes sind die Kantone, wie das Bundesgericht schon wiederholt
ausgesprochen hat, befugt, jede Ausübung desselben zu erfassen, die ihr Gebiet
irgendwie erheblich berührt, sei es, dass die Tätigkeit hier vor sich geht,
sei es, dass sie mit Handlungen in das Kantonsgebiet übergreift, im Hinblick
auf welche das Gewerbe der polizeilichen Regelung unterstellt werden kann(BGE
39 I 566; 42 I 16; 50 I 193; 53 I 210; 54 I 29; 59 I 1). Da die Unterwerfung
der Liegenschaftsvermittler unter den Patentzwang den Zweck verfolgt, das
aargauische Publikum vor dem Missbrauch und der Ausbeutung des
Vertrauensverhältnisses zu schützen, das bei der Vermittlung von
Liegenschaften zwischen dem Mäkler und den Parteien entsteht, durfte der
Rekurrent der Patentpflicht im Aargau dann unterstellt werden, wenn er hier
Handlungen vorgenommen hat, die diesen Schutz vor Ausbeutung im öffentlichen
Interesse erfordern. Das trifft dann zu, wenn der Vermittler mit Kaufs- oder
Verkaufsinteressenten auf aargauischem Boden Über den Abschluss des
Vermittlungsvertrages, die Art und Weise des Kaufs- oder Tauschabschlusses
usw. unterhandelt (BGE 42 I 12), oder wenn er auf aargauischem Boden die
Vermittlertätigkeit durch .Acquisition von Inseraten auch nur einleitet (nicht
publizierter Entscheid des Bundesgerichtes vom 29. Sept. 1922 i. S. Senz). Die
Praxis hat sogar eine patentpflichtige Tätigkeit schon dann angenommen, wenn
der ausserkantonale Vermittler einen aargauischen Liegenschaftseigentümer, der
ihm die Absicht der Veräusserung seiner Liegenschaft kundgetan hat,
schriftlich auffordert,
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zur Besprechung einer Vermittlung auf sein Bureau zu kommen; denn auch hier
werde der Mäkler auf aargauischem Gebiet tätig, weil nach der Praxis des
Bundesgerichtes der Absender eines Briefes vom Gesichtspunkt des
Gewerbepolizeirechtes aus auch da handle, wo der Brief dem Empfänger übergeben
werde; mit der Absendung des Briefes habe daher der Mäkler sich im Kanton
stillschweigend dem aargauischen Liegenschaftsbesitzer gegenüber zur
Vermittlung des Verkaufes bereit erklärt (nicht publizierter Entscheid des
Bundesgerichtes vom 22. Dez. 1932 i. S. Iff).
3.- Es braucht nicht untersucht zu werden, ob an der im letzteren Entscheid
vertretenen Auffassung festzuhalten sei. Denn der Rekurrent hat zwar zwei
aargauische Liegenschaften zum Kauf oder Tausch angeboten; doch genügt dieser
Umstand allein für die Unterstellung unter die Patentpflicht ebensowenig, als
die Tatsache, dass ein ausserkantonaler Vermittler in einer aargauischen
Zeitung ein nicht in diesem Kanton gelegenes Grundstück zum Verkauf anbietet,
obwohl er damit die Möglichkeit schafft, dass sich daraufhin ein aargauischer
Kaufsliebhaber meldet (BGE 59 I 1). Auch im bereits erwähnten Falle Iff wurde
es nicht als genügend angesehen, dass eine aargauische Liegenschaft in Frage
stand, sondern entscheidend auf den an den aargauischen Verkaufsinteressenten
gerichteten Brief sowie darauf abgestellt, dass der Verkäufer im Kanton Aargau
wohne und der Vermittler dort auch die Provision einziehen werde. Daneben,
aber nur im Zusammenhang mit den übrigen Begleitumständen, ist allerdings
davon die Rede, dass der Kaufsliebhaber die Liegenschaft daselbst besichtigt
haben würde, und im Entscheid 59 I 2 hat sich das Bundesgericht die Frage zwar
gestellt, ob es als hinreichend anzusehen wäre, dass ein Inserat im
Erfolgsfall für den Vermittler notwendig (d. h. bei aargauischen
Liegenschaften) die Ausdehnung seiner Tätigkeit auf aargauisches Gebiet zur
Folge haben würde. Doch brauchte sie nicht beantwortet zu werden.
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Ist aber nach dem Ausgeführten für die Zulässigkeit der polizeilichen
Beschränkung der Gewerbeausübung der Schutz des im Aargau wohnenden Publikums
vor den mit einer Vermittlung verbundenen Gefahren massgebend, so kann der
blosse Umstand, dass die Vermittlung eine aargauische Liegenschaft betrifft,
jedenfalls solange nicht als ausreichend betrachtet werden, als nicht eine auf
aargauisches Gebiet hinübergreifende Handlung hinzugetreten ist. Das war weder
damals der Fall, noch trifft es für den Rekurrenten zu. Ein
Vertrauensverhältnis wäre auf aargauischem Boden aus seiner Tätigkeit nur
entstanden und abzuwickeln gewesen, wenn er entweder mit einem im Aargau
wohnhaften Verkäufer über die Vermittlung bereits in Vertragsunterhandlungen
getreten wäre bezw. einen Vermittlungsvertrag abgeschlossen hätte, oder aber
wenn sich Kaufs- oder Tauschliebhaber gemeldet hätten, denen gegenüber der
Rekurrent wenigstens teilweise auf aargauischem Boden tätig geworden wäre. Von
den beiden Liegenschaftseigentümern wohnt der eine in Deutschland; der
Wohnsitz des andern konnte nicht festgestellt werden. Doch ergibt sich aus den
Akten nicht, dass der Rekurrent mit ihnen überhaupt je verhandelt hätte. Da
sodann der Brief der Casa A.-G. an einen bestimmten, in Zürich wohnenden
Adressaten gerichtet war, und der Nachweis fehlt, dass der Rekurrent dieselben
Angebote auch in den Kanton Aargau versandt habe, konnte sich darauf auch kein
aargauischer Interessent melden. Gegenüber dieser ganz ausserhalb des Kantons
sich abspielenden Tätigkeit entfällt aber das Bedürfnis des Schutzes der
aargauischen Bevölkerung und damit die Anwendbarkeit der Verordnung.
4.- Für eine Verurteilung des Rekurrenten fehlte dem aargauischen Richter
somit die Urteilskompetenz; er hat mit den angefochtenen Entscheiden seinen
territorialen Zuständigkeitsbereich überschritten. Indem er der
gewerbepolizeilichen Regelung eine nicht auf aargauischem Gebiet oder von
diesem aus ausgeübte gewerbliche Tätigkeit
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unterstellte, hat er zugleich die Gewerbefreiheit verletzt (BGE 53 I 210). Das
führt zur Aufhebung des obergerichtlichen, und, soweit daneben das
erstinstanzliche Urteil noch Bestand hätte, auch des bezirksgerichtlichen
Entscheides.