BGE 65 I 223
39. Urteil vom 1. Dezember 1939 i. S. Zwinggi gegen Luzern.
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Regeste:
Wenn ein unselbständig erwerbendes Familienhaupt zusammen mit den übrigen -
Gliedern der Familie den Wohnsitz in der Weise wechselt, dass zuerst das Haupt
der Familie und nachher die Übrigen umziehen oder umgekehrt, so ist das
Steuerdomizil für den Erwerb, das bewegliche Vermögen und dessen Ertrag in der
Übergangszeit zwischen den beiden Umzügen in der Regel da, wo oder von wo aus
das Familienhaupt während dieser Zeit seine ganze wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt, und zwar auch dann, wenn aus Gründen der Kostenersparnis das
Familienhaupt an den freien Tagen die Familie und nicht diese jenes besucht.
Lorsqu'un employé, qui transporte son domicile d'un canton dans un autre,
transfère tout d'abord sa propre résidence et seulement plus tard celle des
autres membres de sa famille ou inversement, son domicile fiscal, en ¢e qui
concerne le produit de son travail, ses meubles et leur revenu, est, pour la
période qui sépare les deux transferts, au lieu où (d'où) il exerce toute son
activité économique pendant ce temps il en est ainsi alors même que, pour des
raisons d'économie c'est le chef de la famille qui se déplace pour aller
passer ses jours de congé auprès des siens et non Das l'inverse.
Se un impiegato, che cambia domicilio da un cantone in un altro trasferisce
dapprima la sua residenza e soltanto più tardi quella dei membri della sua
famiglia o inversamente, il suo domicilio fiscale, in quanto concerne il
prodotto del suo lavoro, la sua sostanza mobiliare e il relativo reddito, si
trova, pel periodo compreso tra i due trasferimenti, nel luogo ove o donde
egli esercita tutta la sua attività economia durante questo tempo, lo stesso
vale anche se, per ragioni di economia, è il capo di famiglia che si reca a
trascorrere i giorni di congedo presso la sua famiglia e non è questa che si
reca da lui.
A. - Der Rekurrent ist als Zugführer bei den SBB angestellt. Als solcher hatte
er bis zum 1. Oktober 1938 sein Dienstdomizil in Erstfeld. Bis Ende März 1938
hielt sich auch seine Familie, bestehend aus der Ehefrau und einem Knaben, bei
ihm in Erstfeld auf. Da ihm auf den 1. April 1938 die Wohnung in Erstfeld
gekündigt wurde und er eine baldige Versetzung nach Luzern erhoffte,
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mietete er die neue Wohnung nicht in Erstfeld, sondern in Luzern. Seine
Familie siedelte Ende März 1938 in diese Wohnung über. Er selbst verblieb in
Erstfeld, wo er ein möbliertes Zimmer mietete. Die Freitage verbrachte er,
soweit es die Dienstverhältnisse gestatteten, bei seiner Familie in Luzern. Im
«Bulletin für offene Stellen» vom 15. September 1938 wurde die Stelle eines
Zugführers in Luzern ausgeschrieben. Der Rekurrent bewarb sich am 17.
September 1938 um diese Stelle. In Berücksichtigung dieses Gesuchs teilte ihm
die Betriebsleitung der SBB am 24. September 1938 mit, dass er auf den 1.
Oktober 1938 nach Luzern versetzt werde. Am 30. September 1938 zog der
Rekurrent seine Ausweisschriften in Erstfeld zurück und bezahlte daselbst die
Staats- und Gemeindesteuern für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1938.
Am 3. Oktober 1938 hinterlegte er seine Ausweisschriften in Luzern. Die
Gemeindesteuerkommission, bezw. das Steueramt Luzern, setzte das
steuerpflichtige Erwerbseinkommen des Rekurrenten für 1938 auf Fr. 5000.- fest
und verfügte, dass dasselbe für 9 Monate, d. h. ab 1. April 1938, in Luzern zu
versteuern sei. Der Rekurrent erhob hiegegen Einsprache und verlangte, dass er
pro 1938 nur für 3 Monate, d. h. ab 1. Oktober, in Luzern steuerpflichtig
erklärt werde. Die Gemeindesteuerkommission Luzern wies die Einsprache ab.
Dieser Entscheid wurde von der Steuerrekurskommission des Kanton Luzern am 29.
Juni 1939 bestätigt.
B. - Mit staatsrechtlichem Rekurs vom 12. September 1939 beantragt der
Rekurrent: Der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 29. Juni 1939,
zugestellt den 14. August 1939, sei aufzuheben und es sei festzustellens dass
die Steuerpflicht des Rekurrenten in Luzern erst am 1. Oktober 1938 begonnen
habe.
Der Rekurrent macht geltend, dass eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung
vorliege, und führt zur Begründung im wesentlichen folgendes aus:
Unzutreffend, sei die Auffassung der Steuerrekurskommission, der Rekurrent
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habe schon mit dem Umzug seiner Familie im März 1938 das Schwergewicht seiner
Lebensverhältnisse und damit auch seinen zivilrechtlichen Wohnsitz nach Luzern
verlegt. Er habe damals noch gar nicht bestimmt gewusst, dass er nach Luzern
versetzt werde. Erst auf seine Bewerbung vom 17. September 1938 hin sei ihm am
24. September die Versetzung mitgeteilt worden. Er habe freilich schon vorher
mit einer solchen Versetzung gerechnet und im Hinblick hierauf vollständig auf
eigenes Risiko die Übersiedelung seiner Familie nach Luzern, als
Vorbereitungsmassnahme, durchgeführt. Wäre es zu keiner Versetzung gekommen,
so hätte er selbstverständlich den doppelten Haushalt in Luzern und Erstfeld
nicht aufrecht erhalten können und seine Familie wieder nach Erstfeld
zurücknehmen müssen. Die Übersiedelung der Familie habe also nur
provisorischen Charakter gehabt. Erstfeld sei der Mittelpunkt der
Lebensverhältnisse des Rekurrenten geblieben. Hier habe er nicht nur eine
Aufenthalts- sondern eine Niederlassungsbewilligung gehabt, alle bürgerlichen
Rechte genossen und seine beruflichen Pflichten erfüllt.
C. - Der Regierungsrat und die Steuerrekurskommission des Kantons Luzern
beantragen die Abweisung des Rekurses. Ersterer führt u. a. folgendes aus:
Dass die Familie des Rekurrenten im März 1938 in Luzern Aufenthalt genommen
habe in der Absicht, hier dauernd zu verbleiben, könne nicht zweifelhaft sein.
Aber auch der Rekurrent selbst habe seither die dienstfreien Tage regelmässig
in Luzern bei seiner Familie zugebracht. Die Bindung an den Ort der
Familienniederlassung sei ungleich stärker als die Bindung an den Ort einer
unselbständigen Anstellung, zumal wenn diese zeitlich zum voraus begrenzt sei.
D. - In der Replik führt der Rekurrent im wesentlichen noch folgendes aus: Als
ihm in Erstfeld der Mietvertrag auf den 1. April 1938 gekündigt worden sei,
habe er sich gesagt, dass es im Interesse der Kostenersparnis und der
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grossen Unannehmlichkeiten sollte vermieden werden können, im Frühjahr 1938
innerhalb der Gemeinde Erstfeld und dann im Herbst 1938 im Falle einer
Versetzung wiederum nach Luzern umzuziehen. Er habe sich deshalb entschlossen,
schon auf das Frühjahr 1938 provisorisch in Luzern eine Wohnung zu suchen und
seine Familie dort vorläufig einziehen zu lassen. Das sei jedoch
selbstverständlich unter dem Vorbehalt erfolgt, dass im Herbst die Versetzung
erfolge. Die Absicht, dauernd in Luzern zu bleiben, sei erst vorhanden
gewesen, als der Rekurrent, nachdem ihm die Versetzung mitgeteilt worden sei,
selbst nach Luzern gezogen sei. Wäre ihm die Wohnung in Erstfeld nicht
gekündigt worden, so wäre es ihm überhaupt nie eingefallen, seine Familie
vorzeitig nach Luzern zu verbringen. Richtig sei, dass der Rekurrent in der
Zeit vom April bis Oktober 1938 hin und wieder seine Familie an dienstfreien
Tagen besucht habe; doch immer sei dies nicht geschehen.
E. - Im Auffrage des Regierungsrates bemerkt die Steuerverwaltung des Kantons
Luzern zur Replik:
Wenn der Rekurrent im Frühjahr 1938 in Luzern eine Wohnung gemietet habe, um
im Falle einer Versetzung nach Luzern nicht aus einer in Erstfeld neu
gemieteten Wohnung ein zweites Mal umziehen zu müssen, so spreche dies für die
Annahme, dass die Niederlassung in Luzern im Frühjahr 1938 in der Absicht
dauernden Verbleibens erfolgt sei. Der Umzug der Familie innerhalb der
Gemeinde Erstfeld hätte viel geringere Kosten verursacht als der
Wohnungswechsel von Erstfeld nach Luzern und gegebenenfalls wieder nach
Erstfeld zurück. Die Familie des Rekurrenten habe im Frühjahr 1938 in Luzern
Aufenthalt genommen in der bestimmten Erwartung, derselbe werde nach Luzern
versetzt, also in der Absicht hier zu bleiben. Das Bundesgericht zieht in
Erwägung:
3.- Nach der bundesgerichtlichen Doppelbesteuerungspraxis hat der
unselbständig Erwerbende sein Steuerdomizil sowohl für den Erwerb wie auch für
das bewegliche
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Vermögen und dessen Ertrag am Wohnsitze im Sinne von Art. 23 Abs. 1
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 23 - 1 Le domicile de toute personne est au lieu où elle réside avec l'intention de s'y établir; le séjour dans une institution de formation ou le placement dans un établissement d'éducation, un home, un hôpital ou une maison de détention ne constitue en soi pas le domicile.17 |
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1 | Le domicile de toute personne est au lieu où elle réside avec l'intention de s'y établir; le séjour dans une institution de formation ou le placement dans un établissement d'éducation, un home, un hôpital ou une maison de détention ne constitue en soi pas le domicile.17 |
2 | Nul ne peut avoir en même temps plusieurs domiciles. |
3 | Cette dernière disposition ne s'applique pas à l'établissement industriel ou commercial. |
am Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse (BGE 52 I S. 23 /24 und dort
zitierte frühere Entscheide). Der Rekurrent ist somit vom 1. April bis 1.
Oktober 1938 in Luzern für sein Erwerbseinkommen steuerpflichtig, wenn sich
der Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse während dieser Zeit in Luzern
befand.
Kein Streit besteht darüber, dass der Rekurrent den Mittelpunkt seiner
persönlichen Verhältnisse bis zum 1. April 1938 in Erstfeld und seit dem 1.
Oktober 1938 in Luzern hatte. Streitig ist ausschliesslich, ob der Rekurrent
den Schwerpunkt seiner Beziehungen schon am 1. April oder erst am 1. Oktober
1938 von Erstfeld nach Luzern verlegte.
Das Bundesgericht hatte schon oft die Frage zu entscheiden, wo ein
Familienvorstand, der vorerst allein umzieht und seine Familienangehörigen
erst später nachkommen lässt, in der Übergangszeit sein Steuerdomizil habe.
Übt in einem solchen Falle der Steuerpflichtige am neuen Orte oder doch von
hier aus seine ganze wirtschaftliche Tätigkeit aus, so hat nach der Praxis
wenigstens in der Regel dieser Ort schon für die Übergangszeit als
Steuerdomizil zu gelten (BGE 57 I S. 415 ff.; nicht publizierte Entscheide i.
S. Riedlin vom 21. November 1919; i. S. Lohrmann vom 15. Mai 1920; i. S.
Fischer vom 15. Juli 1932; i. S. Michon vom 28. Juni 1935; i. S. Schellenbaum
vom 3. April 1936; i. S. Bernasconi vom 22. Januar 1937). Ein Abgehen von
dieser Regel vermag die Tatsache, dass der Familienvorstand an den Freitagen
seine Familie und nicht diese ihn besucht, nur dann zu rechtfertigen, wenn
hierin zum Ausdruck kommt, dass der Lebensmittelpunkt des Familienvorstandes
sich immer noch am Aufenthaltsort der Familie befindet. Dies ist aber dann
nicht der Fall, wenn für die Wahl des Besuchsortes kein anderer Grund
ersichtlich ist als die Überlegung, dass bei einem Besuch des
Familienvorstandes bei der Familie die Reise- und Unterhaltskosten geringer
sind,
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als bei einem Besuche der Familie am Arbeitsort des Familienvorstandes. (Vgl.
speziell den Entscheid i. S. Bernasconi vom 22. Januar 1937; ferner auch den
Entscheid i. S. Lohrmann vom 15. Mai 1920). Der vom Regierungsrat in der
Vernehmlassung angerufene Grundsatz, dass unselbständig Erwerbende, die im
einen Kanton arbeiten und sich an den Freitagen mit einer gewissen Häufigkeit
und Regelmässigkeit zu ihrer in einem andern Kanton aufhaltenden Familie
begeben, den Wohnsitz, sofern sie nicht in leitender Stellung tätig sind, am
Ort der familiären Beziehungen haben (BGE 40 I S. 228/9; 46 I S. 37 /8; 47 I
S. 166/7; nicht publizierter Entscheid i. S. Ruf vom 18. Juli 1934 und die
weitern dort zitierten nicht publizierten Entscheide), wird von der Praxis nur
angewendet, wenn Arbeitsort und Familienniederlassung dauernd auseinander
fallen, nicht aber wenn es sich hiebei um einen bloss vorübergehenden Zustand
handelt. (Vgl. die Entscheide i. S. Michon vom 28. Juni 1935 und i. S.
Schellenbaum vom 3. April 1936; ferner: HOLLIGER, Das Steuerdomizil nach
interkantonalem Recht, Zürich. Diss. 1922, S. 108.)
Nach diesen Grundsätzen ist auch zu entscheiden im umgekehrten Falle, d. h.
dann, wenn vorerst nur die Familie umzieht, der Familienvorstand aber am
bisherigen Wohnsitze zurückbleibt. Übt er an diesem Orte oder von hier aus
immer noch seine ganze wirtschaftliche Tätigkeit aus, so tritt die
Wohnsitzverlegung erst mit seinem Umzuge und nicht schon mit dem der Familie
ein und zwar auch dann, wenn in der Übergangszeit aus Gründen der
Kostenersparnis das Zusammentreffen zwischen Familienvorstand und Familie am
Aufenthaltsort der letztern erfolgt. Durch den Umzug der Familie wird in einem
solchen Fall der Wohnsitzwechsel lediglich vorbereitet, aber noch nicht
vollzogen. (Vgl. BGE 8 S. 720, ergangen auf Grund von Art. 59
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 59 Service militaire et service de remplacement - 1 Tout homme de nationalité suisse est astreint au service militaire. La loi prévoit un service civil de remplacement. |
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1 | Tout homme de nationalité suisse est astreint au service militaire. La loi prévoit un service civil de remplacement. |
2 | Les Suissesses peuvent servir dans l'armée à titre volontaire. |
3 | Tout homme de nationalité suisse qui n'accomplit pas son service militaire ou son service de remplacement s'acquitte d'une taxe. Celle-ci est perçue par la Confédération et fixée et levée par les cantons. |
4 | La Confédération légifère sur l'octroi d'une juste compensation pour la perte de revenu. |
5 | Les personnes qui sont atteintes dans leur santé dans l'accomplissement de leur service militaire ou de leur service de remplacement ont droit, pour elles-mêmes ou pour leurs proches, à une aide appropriée de la Confédération; si elles perdent la vie, leurs proches ont droit à une aide analogue. |
C. S. 107 ff.)
4.- Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, so ergibt
sich, dass der Rekurrent seinen
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Wohnsitz erst mit dem 1. Oktober 1938 nach Luzern verlegt hat. Bis zu diesem
Zeitpunkt hatte er sein Dienstdomizil (vgl. Art. 8 des Beamtengesetzes vom 30.
Juni 1927, A. S. 43 S. 441) in Erstfeld, entfaltete also von hier aus seine
ganze wirtschaftliche Tätigkeit. Es liegen auch keine Indizien dafür vor, dass
die Wahl des Besuchsortes in der Übergangszeit auf etwas anderes
zurückzuführen war, als auf die Überlegung, dass ein Besuch des Rekurrenten
bei seiner einen eigenen Haushalt führenden Familie billiger zu stehen komme,
als ein Besuch der Familie beim Rekurrenten, der in Erstfeld nur noch ein
möbliertes Zimmer hatte.
Die Wohnsitzverlegung wäre daher selbst dann als erst am 1. Oktober 1938
vollzogen zu betrachten, wenn der Rekurrent schon im Frühjahr 1938 von den
Bundesbahnbehörden die Zusicherung erhalten hätte, dass er auf den 1. Oktober
1938 nach Luzern versetzt werde. Er besass aber im Frühjahr diese Zusicherung
nicht. Es muss zwar angenommen werden, dass er damals nach den Verhältnissen
mit einer baldigen Versetzung nach Luzern rechnen durfte; denn nur in diesem
Falle konnte er der Auffassung sein, dass es für ihn höchst wahrscheinlich
eine Kostenersparnis sei, wenn seine Familie im Frühjahr 1938, statt in
Erstfeld umzuziehen, gleich nach Luzern übersiedle. Die Versetzungsverfügung
erfolgte jedoch erst am 24. September 1938. Wäre sie noch einige Zeit nicht
erfolgt, so hätte der Rekurrent - wie er in glaubhafter Weise behauptet -
seine Familie wieder nach Erstfeld zurückgerufen. Diese bis gegen Ende
September 1938 andauernde Unsicherheit spricht ebenfalls dafür, dass der
Rekurrent bis 1. Oktober 1938 den Mittelpunkt seiner Beziehungen immer noch in
Erstfeld hatte.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Steuerrekurskommission
des Kantons Luzern vom 29. Juni 1939 aufgehoben.