BGE 64 I 97
15. Urteil vom 13. Mai 1938 i. S. Kempter gegen Blum.
Regeste:
Gegen blosse Zwischenentscheide in Zivil- und Strafprozessachen ist die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Rechtsverweigerung nur dann zulässig, wenn
der Entscheid für den Betroffenen bereits einen auf jeden Fall bleibenden
rechtlichen Nachteil nach sich zieht. Die Verlängerung des Verfahrens gilt
aber im allgemeinen nicht als solcher Nachteil.
Diese Einschränkung der Zulässigkeit von Beschwerden bezieht sich auch auf
Urteile, wodurch Nichtigkeitsbeschwerden gegen blosse Zwischenentscheide
abgewiesen werden.
A. - Die Rekursbeklagte, Witwe Blum, erhob gegen den Rekurrenten Kempter eine
Klage auf Schadenersatz und Genugtuung im Betrag von höchstens Fr. 1856.-
nebst Zins wegen falscher zahnärztlicher Behandlung. Der Rekurrent beantragte
die Abweisung der Klage und verlangte seinerseits durch Widerklage
Schadenersatz im Betrage von Fr. 1000.- und Zins wegen Kreditschädigung. Das
Kantonsgericht von Schaffhausen wies Klage und Widerklage ab, die Hauptklage
mit der Begründung, dass eine rechtzeitige Mängelrüge nicht vorliege. Hiegegen
erklärte die Rekursbeklagte die Berufung an das Obergericht. Dieses entschied,
dass die Mängelrüge nicht
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verspätet sei, hob das Urteil des Kantonsgerichtes in Bezug auf die Hauptklage
auf und wies die Sache an dieses zurück zu neuem Entscheid. Eine
Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil wies das Obergericht am 6. Juli 1937
ab.
B. - Gegen diesen Kassationsentscheid hat Kempter die staatsrechtliche
Beschwerde ergriffen mit dem Antrag, er sei aufzuheben, eventuell sei das
Obergericht als Kassationsinstanz anzuweisen, einen neuen Entscheid zu fällen.
Der Rekurrent macht geltend, dass die Verteilung der Beweislast und die
Beweiswürdigung im Berufungs- und im Kassationsentscheid auf Willkür beruhe.
C. - Das Obergericht hat die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Rekursbeklagte hat ebenfalls den Antrag gestellt, die Beschwerde sei
abzuweisen, unter Kostenfolge.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Das Urteil, das das Obergericht als Berufungsinstanz gefällt hat, ist kein
Endurteil, sondern ein Teilurteil oder Zwischenentscheid, weil es die Frage,
ob der Klageanspruch begründet sei, nicht löst, sondern nur eine materielle
Vorfrage beantwortet und die Beurteilung des Klageanspruchs im übrigen einem
weitern Verfahren überlässt. Gegen solche Zwischenentscheide in Zivil- und
Strafprozessachen ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Rechtsverweigerung
grundsätzlich nicht zulässig. Eine Ausnahme wird nur für den Fall gemacht,
dass der angefochtene Zwischenentscheid für den Betroffenen bereits einen
bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der sogar durch ein ihm
günstiges Endurteil in der Sache selbst nicht mehr oder doch nicht vollständig
gehoben werden könnte. In solchen Fällen hat die Partei ein dringendes
schutzwürdiges Interesse daran, dass über die dem Entscheid vorgeworfenen
rechtlichen Mängel, dessen Verfassungsmässigkeit vom Gesichtspunkt des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BV aus sofort erkannt werde, nicht erst in Verbindung mit der
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Überprüfung des Endurteils (BGE 60 I S. 279; 63 I S. 76 ff., 313 ff.). Im
vorliegenden Fall hat der Rekurrent kein solches Interesse gegenüber dem
Zwischenentscheid des Obergerichtes. Ein auf jeden Fall bleibender Nachteil
ist damit für den Rekurrenten nur insofern verbunden, als das Verfahren
verlängert wird. Diesen Nachteil hat aber ein Zwischenentscheid stets, wenn er
auf der Beantwortung einer Frage beruht, die, anders gelöst, den Prozess
beendigen würde. Das Interesse an der sofortigen Erledigung des Verfahrens
genügt im allgemeinen nicht zur Zulassung einer staatsrechtlichen Beschwerde
wegen Rechtsverweigerung gegen einen Zwischenentscheid. Nach der neuesten
Praxis tritt z. B. das Bundesgericht in der Regel auf solche Beschwerden gegen
Überweisungsverfügungen in Strafsachen nicht mehr ein, obwohl die sofortige
Aufhebung der Verfügung den Angeklagten der Notwendigkeit entheben würde, sich
auf ein Verfahren vor dem Strafrichter einzulassen (BGE 63 I S. 313 ff.). So
hat das Bundesgericht es im Entscheid in Sachen Rohrbach gegen Zürich vom 6.
Mai 1938 auch abgelehnt, auf eine Beschwerde wegen Willkür gegen einen
Zwischenentscheid in einer Steuerveranlagung einzutreten, obgleich die
unmittelbare Aufhebung dieses Entscheides die Rückweisung der Sache an eine
untere Steuerbehörde zur Fortsetzung des Verfahrens überflüssig gemacht hätte.
Im vorliegenden Fall kommt dazu, dass bereits eine Expertise zum ewigen
Gedächtnis über die Frage, ob die zahnärztliche Behandlung durch den
Rekurrenten mangelhaft gewesen sei und welche Ausgaben die Hebung der Mängel
erfordere, stattgefunden hat und daher das weitere Verfahren über die Klage
voraussichtlich nicht sehr kompliziert und kostspielig sein wird.
Wenn aber auf eine staatsrechtliche Beschwerde aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Zwischenentscheid des Obergerichtes im Berufungsverfahren nicht einzutreten
ist, so gilt das gleiche auch in Bezug auf das Urteil, wodurch die
Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Zwischenentscheid abgewiesen worden ist.
Dafür bleibt dem Rekurrenten das Recht
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vorbehalten, dieses Kassationsurteil noch im Zusammenhang mit dem Endurteil in
der Sache selbst durch staatsrechtliche Beschwerde anzufechten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.