S. 355 / Nr. 63 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)

BGE 64 I 355

63. Urteil des Kassationshofs vom 14. November 1938 i. S. Reichstein gegen
Polizeirichteramt Zürich.

Regeste:
Garageausfahrt bildet für Strassenverkehr keinen Anlass zu besonderen
Vorsichtsmassnahmen. - Eine an sich zulässige Geschwindigkeit kann mit
Rücksicht auf die mangelhaften Bremsen übersetzt sein. (Art. 25, 27 MFG; 12,
37 MFV).

A. - Am 23. April 1937 gegen 13.30 Uhr fuhr Dr. Reichstein mit seinem
Personenauto in Zürich durch die Talstrasse Richtung See. Der Gebäudefront
Börse-Schanzenhof entlang stand am Trottoirrande eine lange Reihe Autos
parkiert. Plötzlich sah Reichstein auf kurze Distanz das aus der Garage
«Schanzenhof» ausfahrende und hinter den parkierten Wagen hervorkommende Auto
des E. Wüthrich vor sich im Bogen Richtung Bleicherweg die Strasse überqueren.
Reichstein bremste und versuchte gleichzeitig durch Linksausbiegen dem andern
Wagen auszuweichen, fuhr ihn jedoch am Vorderteil an, wobei beiderseits
Sachschaden entstand.
Die vom Polizeirichter über Reichstein wegen Widerhandlung gegen Art. 25 MFG
verhängte Busse von Fr. 20.- ist vom Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich
mit

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Urteil vom 31. März 1938 bestätigt worden. In der Begründung wird ausgeführt,
die vom Beschwerdeführer zugestandene, von ihm nach Traversierung der Kreuzung
Talstrasse-Bleicherweg eingehaltene Geschwindigkeit von 35-40 km sei erheblich
übersetzt gewesen, insbesondere mit Rücksicht auf die dichte Reihe der
parkierten Autos, welche die Sicht auf das rechtsseitige Trottoir und die
dortige Garageausfahrt beeinträchtigten. Reichstein hätte sich somit sagen
müssen, dass sein Fahrzeug andern in die Fahrbahn tretenden Strassenbenützern
resp. die Schanzenhofgarage verlassenden Autos nicht genügend sichtbar sei.
Erschwerend falle in Betracht, dass laut polizeilicher Feststellung eine nach
dem Unfall mit dem Auto Reichstein vorgenommene Bremsprobe eine ungenügende
Bremswirkung ergeben habe; eine Stoppspur habe nicht bewirkt werden können.
Aber auch eine Geschwindigkeit von bloss 25 km wäre übersetzt gewesen. Als das
«normal» aus der Garage ausfahrende Auto des Wüthrich bereits mit seinem
Vorderteil weitgehend und gut sichtbar in die Talstrasse hineingeragt habe,
sei dasjenige des Reichstein noch ca. 15 m entfernt gewesen. Wenn letzterer
auf diese Distanz nicht mehr rechtzeitig habe anhalten können, so sei er nicht
aufmerksam genug gewesen und habe das Fahrzeug nicht vorschriftsgemäss in der
Gewalt gehabt.
B. - In der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung führt Reichstein aus, ihm habe gegenüber dem aus der Garage
ausfahrenden Wagen ein qualifiziertes Vortrittsrecht zugestanden, er habe
daher wegen der Garageausfahrt nicht zu verlangsamen brauchen, die übrigens
keineswegs deutlich als solche gekennzeichnet sei. Den Gegebenheiten der
Strasse an sich (6,5 m breit, wenig Verkehr) sei seine Geschwindigkeit von 35
km angepasst gewesen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Die einen Spezialfall des Art. 25 MFG bildende, auch den Vortrittsberechtigten
treffende Vorschrift des Verlangsamens nach Art. 27 kommt nicht in Frage, weil
es sich

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nicht um eine Strassengabelung oder -Kreuzung handelt. Die allgemeine
Anforderung der Beherrschung des Fahrzeugs und der Anpassung der
Geschwindigkeit an die gegebenen Verhältnisse verlangt vom Fahrer keineswegs,
dass er jederzeit auf der Stelle anhalten könne; wohl aber dass er nicht
schneller fahre, als dass er jederzeit auf diejenige Strecke anhalten kann,
innerhalb welcher er nicht mit einem plötzlich auftauchenden Hindernis rechnen
muss.
Dass nun für den die Talstrasse durchfahrenden Beschwerdeführer die
Schanzenhofgarage ein Umstand gewesen wäre, den er bei der Bemessung der dabei
zulässigen Geschwindigkeit in Rechnung zu stellen hatte, kann der Vorinstanz
nicht zugegeben werden. Es handelt sich bei dieser Ausfahrt um eine mitten in
der langen, geschlossenen Gebäudefront befindliche, in der architektonischen
Gliederung derselben in keiner Weise hervortretende, unauffällige Öffnung, zu
und von welcher der Verkehr über das durchgehende Trottoir führt. Dass darüber
als Geschäftsschild rechtwinklig zur Mauer ein grosser Leuchtbuchstabe G und
unter diesem in kleiner Schrift das Wort Benzin angebracht ist, ändert an der
Situation nichts. Nicht nur ist das Zeichen G kein allgemein verständlicher
Hinweis auf eine Garage; es kann von einem Fahrzeugführer keinesfalls verlangt
werden, dass er beim Entlangfahren an einer städtischen Häuserfront die
Geschäftsaufschriften und sonstigen Merkmale der Betriebe daraufhin ansehe, ob
sie auf die Möglichkeit des Auftauchens eines Fahrzeuges aus dem betreffenden
Gebäude schliessen lassen. Ebensowenig bildete die lange Reihe der parallel
zum Trottoir parkierenden Autos für den Beschwerdeführer einen Anlass, auf der
daneben noch verbleibenden ca. 5 m breiten, geraden und im fraglichen
Zeitpunkt tatsächlich freien Fahrbahn besonders zu verlangsamen. Eine
gesteigerte Vorsichtspflicht begründeten alle diese Umstände nur für
denjenigen Fahrer, der aus der Garageausfahrt quer über das Fussgängertrottoir
und zwischen den parkierenden Autos hindurch rechtwinklig

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in die Talstrasse ausfahren wollte. Dieser durfte sein Manöver, das für einige
Sekunden den Längsverkehr - und das ist der normale - auf der Talstrasse
vollständig sperrte, nur ausführen, nachdem er sich überzeugt hatte, dass kein
anderes Fahrzeug in dieser oder jener Richtung herannahte, und musste dabei so
langsam fahren, dass er jeden Moment auf der Stelle stoppen konnte. Falls ihm
die parkierten Autos die Sicht auf die Strasse versperrten, musste er
eventuell die Hilfe einer Drittperson in Anspruch nehmen, die die Ausfahrt von
der Strasse aus dirigierte, wie man dies bei Garagen häufig sieht. Nicht
Reichstein musste, wie die Vorinstanz ausführt, sich sagen, dass sein Fahrzeug
andern in die Fahrbahn tretenden Strassenbenützern bezw. die Garage
verlassenden Autos nicht genügend sichtbar sei. Es ist nicht am
Fahrzeugführer, sein Kommen auf der Strasse anzukündigen, sondern an
demjenigen, der aus verdeckter Stellung die Strasse betreten will, sich
umzuschauen (BGE 61 I 438 f.). Dass in casu der ausfahrende Wüthrich diese
seine Vorsichtspflicht gröblich missachtet hat, geht aus seiner eigenen
Aussage laut Polizeirapport hervor, wonach er, als er mit seinem Wagen auf dem
Trottoir stand, das Auto des Beschwerdeführers in 25 m Entfernung ziemlich
rasch herankommen sah und trotzdem noch über die Strasse fuhr. Mit der
Vorinstanz dem Beschwerdeführer zumuten, an dieser Stelle darauf gefasst zu
sein, dass 15 m vor ihm hinter den parkierenden Autos hervor ein Wagen sich
quer in die Strasse schiebe, und mit Rücksicht auf diese Möglichkeit mit
weniger als 25 km Geschwindigkeit zu fahren, hiesse den Gedanken des Art. 25
überspannen.
Die Beanstandung der festgestellten Geschwindigkeit von 35-40 km lässt sich
nur mit dem Hinweis auf den - für das Bundesgericht verbindlich festgestellten
- mangelhaften Wirkungsgrad der Bremsen am Wagen des Beschwerdeführers
rechtfertigen. Wegen Fahrens mit ungenügenden Bremsen, als Tatbestand für
sich, kann nur bestraft werden, wenn die Bremsen den Anforderungen gemäss Art.
12 lit. b
SR 512.271 Verordnung vom 18. März 2022 über den militärischen Flugdienst (Militärflugdienstverordnung, MFV) - Militärflugdienstverordnung
MFV Art. 12 Ausscheiden der Bordoperateure und Bordoperateurinnen
1    Berufsbordoperateure und Bordoperateurinnen bleiben im Flugdienst bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
2    Milizbordoperateure und Milizbordoperateurinnen scheiden mit der Entlassung aus der Militärdienstpflicht aus dem Flugdienst aus.
MFV nicht genügen. Einer weniger

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weitgehenden Mangelhaftigkeit derselben kann jedoch bei der Beurteilung der
jeweils zulässigen Geschwindigkeit Rechnung getragen werden. Jeder Führer
eines Motorfahrzeugs muss bei der Bemessung der ihm - im Hinblick auf die
geforderte Beherrschung - erlaubten Geschwindigkeit und bei der Anpassung
derselben an die gegebenen Strassen- und Verkehrsverhältnisse (Art. 25) von
den technischen Gegebenheiten seines Fahrzeuges ausgehen, also z. B. zum
voraus dem Umstand Rechnung tragen, dass er mit ungenügenden Bremsen bei
gegebener Geschwindigkeit eine längere Anhaltestrecke braucht. Wenn daher im
vorliegenden Falle die Vorinstanz, ohne zugleich eine Übertretung des Art. 37
SR 512.271 Verordnung vom 18. März 2022 über den militärischen Flugdienst (Militärflugdienstverordnung, MFV) - Militärflugdienstverordnung
MFV Art. 12 Ausscheiden der Bordoperateure und Bordoperateurinnen
1    Berufsbordoperateure und Bordoperateurinnen bleiben im Flugdienst bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
2    Milizbordoperateure und Milizbordoperateurinnen scheiden mit der Entlassung aus der Militärdienstpflicht aus dem Flugdienst aus.

in Verbindung mit Art. 12
SR 512.271 Verordnung vom 18. März 2022 über den militärischen Flugdienst (Militärflugdienstverordnung, MFV) - Militärflugdienstverordnung
MFV Art. 12 Ausscheiden der Bordoperateure und Bordoperateurinnen
1    Berufsbordoperateure und Bordoperateurinnen bleiben im Flugdienst bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
2    Milizbordoperateure und Milizbordoperateurinnen scheiden mit der Entlassung aus der Militärdienstpflicht aus dem Flugdienst aus.
MFV geltend zu machen, die Geschwindigkeit von 35-40
km als in Ansehung des Zustandes der Bremsen für den fraglichen Abschnitt der
Talstrasse übersetzt bezeichnet, so kann im angefochtenen Urteil eine
Verletzung des Art. 25 MFG nicht erblickt werden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 355
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 14. November 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 355
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Garageausfahrt bildet für Strassenverkehr keinen Anlass zu besonderen Vorsichtsmassnahmen. - Eine...


Gesetzesregister
MFV: 12 
SR 512.271 Verordnung vom 18. März 2022 über den militärischen Flugdienst (Militärflugdienstverordnung, MFV) - Militärflugdienstverordnung
MFV Art. 12 Ausscheiden der Bordoperateure und Bordoperateurinnen
1    Berufsbordoperateure und Bordoperateurinnen bleiben im Flugdienst bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
2    Milizbordoperateure und Milizbordoperateurinnen scheiden mit der Entlassung aus der Militärdienstpflicht aus dem Flugdienst aus.
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BGE Register
61-I-437 • 64-I-355
Stichwortregister
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bremse • stelle • trottoir • vorinstanz • kassationshof • distanz • hindernis • sorgfalt • vortritt • automobil • begründung des entscheids • strasse • einzelrichter • busse • wille • sachschaden • beherrschen des fahrzeugs • weiler • frage • bundesgericht
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