S. 42 / Nr. 12 Prozessrecht (d)
BGE 63 II 42
12. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. März 1937 i. S. Hunziker gegen Haug.
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Regeste:
Grundsätze für die Bestimmung des anwendbaren Rechts. Voraussetzungen, unter
denen die Rückweisungen die Vorinstanz unterbleiben kann
A. - Der in Muttenz wohnhafte Kläger Hunziker hat vom Beklagten Haug, der in
Deutschland wohnhaft ist, gemäss Quittung vom 22. Dezember 1931 per 15.
Dezember 1931 RM 1000.- und gemäss Quittung vom 8. Januar 1932 per 1. Januar
1932 RM 5000.- erhalten. Diese Beträge verpflichtete sich der Kläger bis zur
Rückzahlung mit 8% jährlich zu verzinsen. Die Quittungen wurden in Basel
ausgestellt; dagegen steht fest, dass der Kläger das Geld in Deutschland in
Empfang nahm, und zwar bei einer Firma Dengler in Fellbach, an welche der
Beklagte den Betrag durch die Sparkasse Mettmann (Deutschland) über die
Städtische Girokasse in Stuttgart hatte überweisen lassen.
Diese Geldüberweisung des Beklagten an den Kläger hatte folgenden Grund: Der
Beklagte, der arbeitslos geworden war, hatte den gleich ihm in der
Teigwarenbranche tätigen Kläger gebeten, ihm eine Stelle zu verschaffen. Da er
auch bereit war, sich an einer Teigwarenfabrik zu beteiligen, hatten die
Parteien beschlossen, der Kläger solle mit dem Geld des Beklagten, sowie mit
eigenen Mitteln, zusammen mit seinem Schwager in Bergatreute (Deutschland)
eine Teigwarenfabrik einrichten, bei welcher der Beklagte dann als Werkmeister
angestellt werde. Dieser Plan wurde auch in die Tat umgesetzt. Die Fabrik
musste aber in der Folge wegen Mangel an Aufträgen den Betrieb einstellen.
B. - Der Beklagte betrieb den Kläger auf Rückzahlung des ihm gemachten
Darlehens von RM 6000.- = Fr. 7350.- nebst 6% Zins seit 1. Januar 1933 und
erhielt provisorische Rechtsöffnung.
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Der Kläger reichte innert nützlicher Frist Aberkennungsklage ein; zu deren
Begründung machte er geltend, er habe das Geld vom Beklagten nicht als
Darlehen erhalten, wie dieser behaupte, sondern mit dem Auftrag, es für den
Beklagten in einer Teigwarenfabrik anzulegen und ihm gleichzeitig eine Stelle
zu verschaffen; diesen Auftrag habe er erfüllt und schulde daher dem Beklagten
nichts mehr.
C. - Sowohl das Bezirksgericht Arlesheim, wie das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft wiesen die Aberkennungsklage ab mit der Begründung, es liege
nicht Auftrag, sondern Darlehen vor. Während aber die 1. Instanz ihren
Entscheid auf Grund deutschen Rechtes fällte, erklärte die obere Instanz
schweizerisches Recht als anwendbar. In der Begründung wird jedoch erklärt,
dass das Gericht auch auf Grund des deutschen Rechtes in der Sache selbst zum
gleichen Resultat gelangt wäre.
D. - Gegen den obergerichtlichen Entscheid vom 15. Dezember 1936 hat der
Kläger die Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit dem erneuten Antrag auf
Gutheissung der Aberkennungsklage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Da nach Art. 56 /57 OG das Bundesgericht zu der materiellen Überprüfung des
streitigen Rechtsverhältnisses nur befugt ist, wenn dieses dem schweizerischen
Recht untersteht, so ist in erster Linie die Frage des anwendbaren Rechtes zu
prüfen.
Der Streit zwischen den Parteien bezieht sich auf die Wirkungen des zwischen
ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäftes; nach der Praxis des Bundesgerichtes
hat deshalb dasjenige Recht zur Anwendung zu gelangen, welches die Parteien
beim Vertragsschluss in Aussicht genommen hatten. Fehlt eine ausdrückliche
Rechtskürzung, wie es gerade hier der Fall ist, so ist auf dasjenige Recht
abzustellen, welches die Parteien vernünftigerweise als anwendbar erklärt
haben würden, wenn sie an die Regelung dieser Frage überhaupt gedacht hätten
(BGE 62 II 142 und dort
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erwähnte frühere Entscheide). Dass sich beide Parteien im Prozess
übereinstimmend auf schweizerisches Recht berufen haben, kann daher höchstens
als Indiz bei der Erforschung des Parteiwillens in Betracht fallen, nicht aber
für sich allein schon zur Anwendbarkeit des schweizerischen Rechtes führen,
wie die Vorinstanz annimmt. Die letztere Auffassung hat das Bundesgericht erst
kürzlich wieder mit eingehender Begründung, auf die hier verwiesen werden
kann, als unhaltbar abgelehnt (BGE 62 II 125 f.).
Als Recht des mutmasslichen Parteiwillens ist nun nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes das Recht desjenigen Landes anzusehen, mit welchem das
streitige Rechtsverhältnis den engsten räumlichen Zusammenhang aufweist; denn
dieses ist sachlich das nächstliegende (BGE 60 II 300 f.). Da unter den
räumlichen Beziehungen eines Rechtsverhältnisses dem Erfüllungsort grosse
Bedeutung zukommt, betrachtet das Bundesgericht in der Regel das Recht des
Erfüllungsortes (der seinerseits, da es sich um die Qualifikation eines
Anknüpfungsbegriffes handelt, nach der lex fori zu bestimmen ist, vgl.
SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechtes, 1937, S. 55 f.), als
das Recht des mutmasslichen Parteiwillens, jedoch nur, sofern nicht auf Grund
der gesamten Umstände das Rechtsgeschäft mit einem andern Land noch enger
verbunden erscheint.
Welches im vorliegenden Fall der Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung
des Klägers sei, kann dahingestellt bleiben; denn wie auch der Entscheid über
diesen Punkt ausfallen mag, so liegt nach den gesamten Umständen das
Schwergewicht des Rechtsverhältnisses der Parteien unzweifelhaft in
Deutschland, wie die I. Instanz in zutreffender Weise entschieden hat, so dass
deutsches Recht als das Recht des mutmasslichen Parteiwillens zu gelten hat.
Sollte doch in Deutschland eine Anlagemöglichkeit für die Mittel des dort
ansässigen Beklagten gesucht werden, um ihm dort eine Existenz zu schaffen,
und ebenso wurde das
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Geld in Deutschland dem Kläger ausgehändigt und dort von ihm verwendet.
Angesichts dieser entscheidenden Umstände ist es daher unerheblich, dass der
I. Instanz nicht beigepflichtet werden kann, wenn sie als weiteres Argument
für die Anwendbarkeit des deutschen Rechtes darauf hinweist, dass ganz
abgesehen vom Parteiwillen auch auf Grund der deutschen Devisengesetzgebung
Deutschland zwangsläufig den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen der
Parteien habe bilden müssen. Denn wie das Bundesgericht schon wiederholt mit
allem Nachdruck erklärt hat, ist die deutsche Devisengesetzgebung mit der
schweizerischen öffentlichen Ordnung unvereinbar und daher vom schweizerischen
Richter überhaupt nicht in Betracht zu ziehen (BGE 60 II 310, 61 II 246).
Hat somit die Vorinstanz zu Unrecht schweizerisches Recht angewendet, so
müsste das Bundesgericht streng genommen den angefochtenen Entscheid aufheben
und die Sache zu neuer Entscheidung nach deutschem Recht an die Vorinstanz
zurückweisen. Da diese jedoch im angefochtenen Entscheide ausdrücklich erklärt
hat, sie käme auch auf Grund des deutschen Rechtes zu keinem andern Resultat,
so ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes aus praktischen Erwägungen
zu verfahren, wie wenn die Vorinstanz schon im vorliegenden Urteil ihren
Entscheid auf Grund deutschen Rechtes getroffen hätte, dessen Handhabung das
Bundesgericht gemäss Art. 57 OG nicht zu überprüfen hat. Dies bedeutet, dass
auf die Berufung nicht eingetreten werden kann (BGE 60 II 324).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.