S. 401 / Nr. 76 Obligationenrecht (d)

BGE 63 II 401

76. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1937 i. S.
Ackermann gegen Wiesmann.

Regeste:
I. Kauf, Mängel der Kaufsache.
II. Schadenersatzansprüche, die nicht in Verbindung mit Wandelung, sondern mit
blosser Minderung oder für sich allein geltend gemacht werden.
1. Art. 208 Abs. 2 OR ist nicht analog anwendbar. Erw. 2.
2. Zur Anwendung kommen Art. 97 ff, aber mit folgenden Einschränkungen:
a) Es gelten die Verjährungsfristen der Art. 210 u. 219 Abs. 3.
b) Es besteht die Prüfungs- u. Rügepflicht nach Art. 201. Erw. 3 a u. c.
III. Mängelrüge, Art. 201. Auch ein äusserlich sichtbarer Mangel kann ein
geheimer sein, nämlich dann, wenn er für den Käufer als Laien nicht erkennbar
ist. Erw. 3 d.

A. - Am 19. November 1930 verkaufte der Beklagte dem Kläger seine Arztpraxis
und sein Haus in Kleindietwil (Bern). Der Kläger wohnte seit Kaufsantritt in
diesem Haus.
Am frühen Morgen des 25. Juni 1935 explodierte der der elektrische Boiler im
Badezimmer. Die Explosion war

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von ausserordentlicher Heftigkeit; alle Wände des Badezimmers wurden zerstört,
das Mobiliar des Badezimmers gänzlich vernichtet, der Boiler und die Badewanne
usw. in Stücke zerschmettert usw.
B. - Der Kläger belangt den Beklagten für den aus der Explosion entstandenen
Schaden im Betrage von Fr. 10000.- zuzüglich 5% Zins seit 30. November 1936.
Der Beklagte bestreitet seine Haftbarkeit und macht eventuell Verjährung
geltend.
Die Klage ist vom Bezirksgericht Mittelland durch Urteil vom 1. Oktober 1936
und vom Obergericht des Kantons Appenzell A. Rh. durch Urteil vom 26. Juli
1937 abgewiesen worden. Das Obergericht stellt als wesentliche Ursache der
Explosionskatastrophe fest, dass an der Wasserzuleitung des im Jahre 1927
eingebauten Boilers das Überdruckventil und das Rückschlagventil in falscher
Reihenfolge angebracht gewesen seien. Vom Boiler aus gesehen sei das
Überdruckventil hinter statt vor dem Rückschlagventil einmontiert worden,
weshalb ein Überdruck im Boiler nicht durch das Sicherheitsventil, sondern nur
durch eine Explosion habe entweichen können. Das Obergericht verneint aber
eine Haftung des Beklagten mangels Verschuldens (Art. 97 OR).
C. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung ans Bundesgericht erklärt
mit den Anträgen, die Klage sei gutzuheissen, eventuell sei die eingeklagte
Forderung grundsätzlich zu schützen und der Prozess zur Beweisabnahme über das
Quantitativ an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hat das angefochtene Urteil bestätigt.
Aus den Erwägungen:
1....
2.- Als Rechtsgrundlage für den vorliegenden Schadenersatzanspruch sind Art.
208 Abs. 2 , Art. 97 ff . und Art. - 41 ff. OR in Erwägung zu ziehen.
Nach Art. 208 Abs. 2 OR hat der Verkäufer bei

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Wandelung des Kaufes nicht bloss den bezahlten Kaufpreis samt Zins
zurückzuerstatten, sondern überdies, entsprechend den Vorschriften über die
vollständige Entwehrung, die Prozesskosten, die Verwendungen und den Schaden
zu ersetzen, der dem Käufer durch die Lieferung fehlerhafter Ware unmittelbar
verursacht worden ist. Die Pflicht zum Ersatz der Kosten, der Verwendungen und
des unmittelbaren Schadens setzt den Nachweis eines Verschuldens beim
Verkäufer nicht voraus und wird auch durch Exkulpation des Verkäufers nicht
beseitigt. Diese Sondervorschrift ist dem Käufer besonders günstig, weshalb
sich denn auch der heutige Kläger darauf beruft, indem er den eingeklagten
Schaden als unmittelbaren bezeichnet.
Es ist deshalb zunächst zu entscheiden, ob die für die Wandelung aufgestellte
Vorschrift des Art. 208 Abs. 2 OR auf die Minderung und allenfalls auch auf
einen blossen Schadenersatzanspruch, ohne Verbindung mit einer
Minderungsklage, analoge Anwendung finden kann.
Die Haftung für unmittelbaren Schaden ohne Rücksicht auf Verschulden gemäss
Art. 208 Abs. 2 OR stellt eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz dar, dass
nur für schuldhaftes rechtswidriges Verhalten gehaftet wird. Der Grund dieser
Ausnahmevorschrift ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Nach BECKER, Komm.
Art. 205 N. 1, bezweckt die Wandelungsklage nicht bloss gegenseitige Rückgabe
der empfangenen Leistungen; der Verkäufer habe, da er für die Beschaffenheit
der Sache Gewähr leisten müsse, auch ohne Verschulden für den dem Käufer durch
die Wandelung erwachsenden Schaden einzustehen. Wenn der Verkäufer unabhängig
von seinem Verschulden verpflichtet ist, den aus der Wandelung erwachsenden
Schaden zu ersetzen, so folgt daraus aber noch keineswegs, dass auch eine vom
Verschulden unabhängige Ersatzpflicht für Schaden bestehen müsse, der auf den
Mangel (und nicht auf die Wandelung) zurückgeht. Eher kann man diese
aussergewöhnliche Bestimmung des Art. 208

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Abs. 2 OR auf die Erwägung zurückführen, dass die Wandelung gerade die
krassesten Fälle mangelhafter Lieferung betreffe, weshalb es billig sei, dem
Verkäufer ohne Rücksicht auf sein Verschulden und ohne Exkulpationsmöglichkeit
die Haftung für Schaden, allerdings nur für unmittelbaren Schaden, zu
überbürden.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Minderung. Hier behält der Käufer
die Sache, bleibt in ihrem Genuss und erhält durch die Minderung das ersetzt,
was er an sich zu viel bezahlt hat. Damit ist der Käufer in der Regel
hinreichend geschützt. Es fehlt daher hier an einem inneren Grund, den Käufer
durch Gewährung eines vom Verschulden des Verkäufers unabhängigen
Schadenersatzanspruches weiter zu begünstigen; es ist nicht einzusehen, warum
der Schuldner in diesem Falle, anders als bei allen andern Verträgen, für die
Folgen mangelhafter Vertragserfüllung ohne Exkulpationsmöglichkeit haften
sollte.
Aus diesen Erwägungen ist die analoge Anwendung der für die Wandelung
aufgestellten singulären Vorschrift des Art. 208 Abs. 2 OR auf die im
Zusammenhang mit blosser Minderung oder für sich allein geltend gemachten
Schadenersatzansprüche abzulehnen.
Auf dieser Auffassung beruht auch schon das bundesgerichtliche Urteil vom 1.
Juni 1932 i. S. Strohschneider gegen «Autag», BGE 58 II 210 ff. Es wurde dort
bei Beurteilung der Schadenersatzklage einzig auf Art. 97 ff . OR abgestellt
und damit stillschweigend vorausgesetzt, dass eine analoge Anwendung von Art.
208 Abs. 2 OR nicht in Frage komme.
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der vom Kläger geltend
gemachte Schaden als unmittelbarer im Sinne von Art. 208 Abs. 2 anzusehen
wäre.
3.- Scheidet eine analoge Anwendung von Art. 208 Abs. 2 aus, so ist aber damit
dem Schadenersatzanspruch, sei es allein oder in Verbindung mit der
Minderungsklage, noch nicht jede vertragsrechtliche Grundlage entzogen.

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Allerdings würde sich nach dem blossen Wortlaut von Art. 205 OR der Anspruch
des Käufers bei Minderung auf den Ersatz des Minderwertes beschränken. Es
fehlt hier eine dem Art. 208 Abs. 3 entsprechende Bestimmung, welche das
allgemeine kontraktliche Schadenersatzrecht vorbehalten würde. Allein sowohl
Lehre wie Rechtsprechung nehmen an, dass auch im Falle blosser Minderung die
Rechte des Käufers sich nicht in der Preisminderung erschöpfen können, sondern
dass daneben die allgemeine Schadenersatzklage nach Art. 97 ff . OR gegeben
sein muss (BGE 58 II 210 ff.; BECKER, Komm. Art. 205 N. 2; OSER/SCHÖNENBERGER,
Art. 197 N. 6, Art. 205 N. 16).
Der im Streite liegende Anspruch lässt sich somit als Schadenersatzanspruch
wegen unrichtiger Vertragserfüllung nach Art. 97 ff . OR begründen. Auf dieser
Grundlage kann er aber selbstverständlich nicht bloss in Verbindung mit einer
Minderungsklage, sondern auch als alleiniger Anspruch erhoben werden. Es steht
nichts entgegen, dass der Schadenersatzanspruch, der eine natürliche Ergänzung
des Gewährleistungsrechts bildet, allein, unter Verzicht auf Wandelung oder
Minderung, geltend gemacht werde.
Immerhin können auf derartige, aus Mängeln der Kaufsache abgeleitete
Schadenersatzansprüche nicht in jeder Hinsicht die Bestimmungen von Art. 97
ff . OR angewendet werden. Es ergeben sich hinsichtlich der Verjährung und der
Mängelrüge Besonderheiten, die nachstehend zusammen mit den übrigen, nach Art.
97 ff. für den Klageanspruch geltenden Voraussetzungen (Kausalzusammenhang,
Verschulden) zu behandeln sein werden.
a) Was vorab die Verjährungseinrede des Beklagten betrifft, so gilt nicht die
allgemein zehnjährige Verjährungsfrist des Art. 127 OR. Wie in BGE 58 II 212
/13 mit einlässlicher Begründung und unter Hinweis auf Lehre und
Rechtsprechung dargetan worden ist, kommt

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hier zur Geltung, dass die Schadenersatzklage aus Mängeln der Kaufsache eine
Klage auf Gewährleistung ist, weshalb bei Fahrniskauf die einjährige
Verjährungsfrist des Art. 210 , bei Grundstückkauf die fünfjährige Frist des
Art. 219 Abs. 3 OR Platz greift...
b) (Kausalzusammenhang).
c) Zu Unrecht hat die Vorinstanz die Notwendigkeit einer Sachprüfung und
Mängelrüge gemäss Art. 201 OR für den Schadenersatzanspruch grundsätzlich
verneint.
Die besondere Natur der Schadenersatzansprüche, die aus Mängeln der Kaufsache
hergeleitet werden, kommt auch hier zum Ausdruck. Die Prüfungs- und
Rügepflicht nach Art. 201 bezweckt den Schutz des Verkäufers. Er soll vom
Mangel innert tunlicher Frist in Kenntnis gesetzt werden, damit er sich selber
rechtzeitig darüber Rechenschaft geben und die ihm dienenden Verfügungen
treffen kann; ausserdem soll verhindert werden, dass der Käufer durch
willkürliches Zuwarten die Veränderung der wirtschaftlichen Konjunktur zu
Ungunsten des Verkäufers ausnütze. Das Bedürfnis, den Verkäufer auf diese
Weise vor Nachteil zu bewahren, besteht aber nicht bloss im Hinblick auf die
Gewährleistung im engern Sinne, die Wandelung und Minderung, sondern auch im
Hinblick auf allfällige Schadenersatzansprüche. Das Bedürfnis ist hier sogar
noch grösser, weil der Verkäufer nicht nur ein Interesse daran hat, den Mangel
als solchen, sondern auch die Schadensmöglichkeit, bezw. den
Kausalzusammenhang mit dem bereits eingetretenen Schaden rechtzeitig abklären
zu können, sei es persönlich oder mit Hilfe von Sachverständigen oder durch
eine vorsorgliche gerichtliche Beweisaufnahme. Es besteht in solchen Fällen
regelmässig die Gefahr einer raschen Verdunkelung des Tatbestandes, weshalb
unverzügliche Feststellung für die Haftung oder Nichthaftung des Verkäufers
von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Aus diesen Gründen müssen
Sachprüfung und Mängelrüge, die Voraussetzung für die Gewährleistungsansprüche
im engern Sinne sind,

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auch für den die Gewährleistung ergänzenden Schadenersatzanspruch gefordert
werden. Für die den unmittelbaren Schaden betreffenden Ersatzansprüche nach
Art. 208 Abs. 2 OR, die einen Bestandteil der Gewährleistung im engern Sinne
bilden, gilt die Voraussetzung ohnehin; zwischen dem unmittelbaren und
mittelbaren Schaden in dieser Hinsicht einen Unterschied zu machen, wäre aber
nicht gerechtfertigt.
Die wesentlich gleichen Erwägungen, welche das Bundesgericht in BGE 58 II 212
/13 veranlasst haben, die aus Mängeln der Kaufsache abgeleiteten
Schadenersatzansprüche von den längern Verjährungsfristen der allgemeinen
vertragsrechtlichen Schadenersatzansprüche auszunehmen und den kürzern
Verjährungsfristen des Kaufgewährleistungsrechts zu unterwerfen, führen also
dazu, für diese Schadenersatzansprüche auch die Prüfung und Mängelrüge nach
Art. 201 OR zu verlangen. Der äussere Zusammenhang zwischen den Schadenersatz-
und den reinen Gewährleistungsansprüchen ist ein so enger, dass sich eine
einheitliche Behandlung hier wie dort aufdrängt. Vgl. Th. JÄGER, Die Haftung
des Verkäufers für die Mängel der Fahrniskaufsache nach dem schweiz.
Obligationenrecht, ZÜrch. Diss. 1911, S. 119 N. 5; für das deutsche Recht
STAUB, Handelsgesetzbuch, § 377 Anm. 103, DÜRINGER-HACHENBURG V 1 S. 213, Anm.
241 lit. d.
d) Es ist daher zu prüfen, ob der Kläger die ihm nach Art. 201 OR obliegenden
Verpflichtungen erfüllt hat. Auch die Vorinstanz setzt sich mit dieser Frage
auseinander, obwohl sie die Bestimmung grundsätzlich nicht für anwendbar hält.
Dabei bezeichnet sie die falsche Ventilanordnung als einen sichtbaren und
darum nicht geheimen Mangel. Trotzdem sei selbstverständlich, dass der Mangel
dem Kläger habe entgehen können. Der Kläger hätte aber vorsichtigerweise die
Anlage durch einen Fachmann Überprüfen lassen sollen, wobei dann der Fehler
wohl entdeckt worden wäre. Infolge Unterlassung dieser Prüfung habe der Kläger
die Mängelrüge verpasst.

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Diese Ansicht ist unzutreffend. Gewiss war die Anordnung der Ventile
äusserlich sichtbar. Da es sich aber um eine technische Installation handelte,
musste der Kläger als Laie auch bei ordnungsgemässer Prüfung nicht notwendig
auf die falsche Anordnung aufmerksam werden. Der Beklagte selber hat trotz
jahrelangen Gebrauchs des Boilers den Mangel auch nicht erkannt, und nicht
einmal die Handwerker, durch die er seinerzeit eine Revision vornehmen liess,
sind darauf gestossen. Der Mangel war also trotz der äussern Sichtbarkeit für
den Kläger nicht erkennbar und demgemäss im Sinne von Art. 201 OR ein
geheimer.
Der Kläger war auch nicht verpflichtet, einen Fachmann zur Prüfung der
Boileranlage heranzuziehen. Von einer allgemeinen Verpflichtung des Käufers,
technische Einrichtungen dieser Art fachmännisch prüfen zu lassen, kann keine
Rede sein, und ein besonderer Anlass, eine solche Prüfung anzuordnen, bestand
für den Kläger nicht. Der Boiler hat tatsächlich auch nach Kaufsübergang noch
während Jahren funktioniert. Abgesehen hievon erscheint durchaus ungewiss, ob
die Prüfung der Anlage durch einen Fachmann wirklich zur Entdeckung des
Mangels geführt hätte, ist derselbe ja auch bei der vom Beklagten veranlassten
Revision nicht entdeckt worden.
e) (Der Beklagte hat den Nachweis erbracht, dass ihm kein Verschulden zur Last
fällt; eine Haftung nach Art. 97 ff. ist daher zu verneinen.)
4.- (Mangels Verschuldens fällt auch eine Haftung nach Art. 41 ff. ausser
Betracht.)
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 63 II 401
Date : 01 janvier 1936
Publié : 14 décembre 1937
Source : Tribunal fédéral
Statut : 63 II 401
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : I. Kauf, Mängel der Kaufsache.II. Schadenersatzansprüche, die nicht in Verbindung mit Wandelung...


Répertoire des lois
CO: 97  127  201  205  208  210  219
Répertoire ATF
58-II-207 • 63-II-401
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
dommage • défendeur • action en réduction du prix • explosion • spécialiste • lien de causalité • autorité inférieure • tribunal fédéral • connaissance • remplacement • délai • livraison • question • adulte • droit des contrats • intérêt • décision • défaut de la chose • action rédhibitoire • nombre • administration des preuves • dommages-intérêts • utilisation • motivation de la décision • construction et installation • examen • garantie en cas d'éviction • vice de forme • directive • directive • dépense • risque de collusion • vente mobilière • hameau • rencontre • réception • comportement • recours en réforme au tribunal fédéral • laïc • partie intégrante • poussière • incombance • prix d'achat • remboursement de frais • cabinet médical • défaut caché • débiteur • conjoncture • mesure de protection
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