S. 359 / Nr. 70 Erbrecht (d)

BGE 63 II 359

70. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1937 S. Witwe Steinegger
gegen Steinegger und Konsorten.

Regeste:
Öffentliche letztwillige Verfügung. Art. 499 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 499 - Die öffentliche letztwillige Verfügung erfolgt unter Mitwirkung von zwei Zeugen vor dem Beamten, Notar oder einer anderen Urkundsperson, die nach kantonalem Recht mit diesen Geschäften betraut sind.
. ZGB.
Weder die Übernahme eines vom Erblasser selbst oder einem Vertrauensmann
desselben verfassten Textes noch die Unterlassung einer rechtlichen Prüfung
des Textinhaltes durch den Urkundsbeamten macht den Errichtungsakt formell
ungültig.
Die Willensmitteilung an den Beamten kann in beliebiger Weise, auch durch
Vermittlung Dritter, geschehen. Wesentlich ist aber die genaue Erwahrung des
Willens bei der Verurkundung.

A. - Am 30. Juni 1934 starb Ernst Alexander Steinegger, Eigentümer des Hotels
Bernerhof in Luzern. Er hinterliess die Ehefrau und sieben Kinder aus erster
Ehe. Einen Monat zuvor, am 30. Mai 1934, hatte er eine von Dr. Krell
öffentlich beurkundete letzwillige Verfügung errichtet. Der Urkundsbeamte war
durch den Geschäftsagenten Bannwart von der Absicht des Erblassers, eine
solche Verfügung zu treffen, benachrichtigt worden, hatte dessen Auftrag zur
Vornahme der Beurkundung angenommen und sich zur vereinbarten Zeit in die
Wohnung des Erblassers begeben. Dort wurde ihm ein von Bannwart abgefasstes
Testament in zwei Exemplaren

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vorgelegt. Bannwart hatte ihm bereits mitgeteilt, er habe die Angelegenheit
mit dem Erblasser eingehend besprochen, einen Entwurf ausgearbeitet, diesen
dem Erblasser unterbreitet und nach Anbringen der gewünschten Änderungen die
Testamentsurkunde verfasst. Mit Rücksicht hierauf hielt der Urkundsbeamte eine
Prüfung des Inhaltes für unnötig. Er übergab das eine Exemplar dem Erblasser
zum Durchlesen und das ihm das andere vor. Bei den einzelnen Bestimmungen
fragte er ihn, ob er damit einverstanden sei. Der Erblasser bejahte dies
jeweilen mit dem Bemerken, es sei alles so geschrieben, wie er es mit Bannwart
besprochen habe. Hierauf fand die Unterzeichnung und Datierung sowie die
Rekognition vor den zwei Zeugen statt, gemäss Art. 500 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
und 501
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 501 - 1 Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
1    Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
2    Die Zeugen haben auf der Urkunde mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass der Erblasser vor ihnen diese Erklärung abgegeben und dass er sich nach ihrer Wahrnehmung dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe.
3    Es ist nicht erforderlich, dass die Zeugen vom Inhalt der Urkunde Kenntnis erhalten.
ZGB. Der
Urkundsbeamte füllte die in der Schrift leer gelassenen Stellen
(Datumsangaben, Namen der Testamentszeugen) eigenhändig aus.
B. - Die Kinder aus erster Ehe des Erblassers fechten diese letztwillige
Verfügung, die eine Reihe von Anordnungen zu Gunsten der Witwe enthält, in
erster Linie als formungültig an, weil das geschilderte Vorverfahren der
Beurkundung gegen Art. 500 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
ZGB verstosse. Im Gegensatz zum Amtsgericht
Luzern-Stadt hat das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 13. Juli
1937 das Ungültigkeitsbegehren geschützt.
Die beklagte Witwe hält mit Berufung an das Bundesgericht an der Gültigkeit
des Testamentes fest und beantragt hinsichtlich der übrigen Klagebegehren
Bestätigung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Kläger beantragen Abweisung der
Berufung, und für den Fall der Anerkennung der Gültigkeit des Testamentes
Gutheissung der Eventualbegehren 5 und 6, die auf Aufhebung einzelner
Testamentsbestimmungen gerichtet sind.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der eigentlichen Beurkundung vorgängig hat der Erblasser nach Art. 500
Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
ZGB dem Urkundsbeamten

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seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen
lässt. Die Kläger halten dafür, es bedürfe einer mündlichen, jedenfalls
persönlichen Willensmitteilung durch den Erblasser, ohne Vermittlung durch
dritte Personen, und die Abfassung der Urkunde sei Sache des Beamten oder
eines von ihm Beauftragten, was die Übernahme einer von einem Andern
verfassten Urkunde ausschliesse. Das Obergericht hat jenen ersten Standpunkt
abgelehnt, dem zweiten dagegen zugestimmt. Das Bundesgericht erachtet den
einen wie den andern Standpunkt für unbegründet.
Eine letztwillige Verfügung soll aus freiem und ernstlichem Willen des
Erblassers hervorgehen, als Ganzes sowohl wie in allen ihren Teilen. Hiefür
wollen die gesetzlichen Verfügungsformen Gewähr bieten: die Form der
eigenhändigen Verfügung dadurch, dass der Erblasser alles von Hand
niederzuschreiben hat (Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB); die hier in Frage stehende Form der
öffentlichen Beurkundung dadurch, dass vor dem Urkundsbeamten eine
Willenserwahrung und unter Beizug zweier Zeugen eine feierliche
Willensbekräftigung stattzufinden hat (Art. 500
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
/1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
ZGB; BGE 60 II 269).
Demgegenüber ist das Vorverfahren frei gestaltet. Die unerlässlichen
Formerfordernisse werden abschliessend durch das Bundesrecht geordnet. Darnach
ist insbesondere für die Willensmitteilung an den Urkundsbeamten keine
bestimmte Form vorgesehen. Diese Mitteilung kann auch auf schriftlichem Wege
geschehen. Auch steht dem Erblasser frei, einen Vertrauensmann beizuziehen und
ihm die Formulierung des Mitteilungstextes zu übertragen. Diese Freiheit des
Vorgehens erweckt keine Bedenken, da eben vorausgesetzt werden muss, dass der
Urkundsbeamte den Willen des Erblassers alsdann mit der ihm obliegenden
Sorgfalt erwahre. Die von der Willensmitteilung begrifflich scharf zu
scheidende Abfassung des Urkundstextes ist Aufgabe des Beamten. Doch ist auch
sie vom Gesetz nicht zu einem Formalakt ausgestaltet worden. Abweichend von
Art. 521

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des Vorentwurfes ist dem Beamten gestattet, die Urkunde durch eine andere
Person aufsetzen zu lassen, die nicht einmal sein Angestellter zu sein
braucht. Als Aufsetzen bezeichnet der Sprachgebrauch nicht bloss das
Niederschreiben nach Diktat, oder Vorlage, sondern zudem die eigentliche
Schaffung des Textes, also die Redaktion, was der italienische
Gesetzeswortlaut besonders deutlich zum Ausdruck bringt: «Il testatore
comunica la sua volontà al funzionario, il quale ne redige o ne fa redigere la
scrittura». Demgemäss muss nun auch die Verwendung eines dem Beamten
vorgelegten Textes, den der Erblasser selbst oder ein Vertrauensmann erstellt
hat und woran der Beamte keine Änderung vorzunehmen wünscht, als formgültig
anerkannt werden; denn dies kommt auf dasselbe heraus wie wenn der Beamte
Auftrag gäbe, genau entsprechend einem solchen vorhandenen Text eine neue
Urkunde zu erstellen. Dem Aufsetzen oder Aufsetzenlassen ist es deshalb
gleichzuachten, wenn der Beamte einen ihm ohne Geheiss unterbreiteten Text
übernimmt und der Beurkundung zugrunde legt, gleichgültig ob er ihn zu diesem
Zwecke noch abschreiben lässt oder das Schriftstück, in dem er sich vorfindet,
mitübernimmt.
An einer gehörigen Willenserwahrung hat es hier nicht gefehlt, und die übrigen
Formvorschriften der Art. 500/1 sind augenscheinlich gleichfalls eingehalten
worden. Indem der Beamte dem Erblasser ein Exemplar der Urkunde zum Lesen gab,
ihm den Text vorlas und sich Punkt für Punkt durch ihn bestätigen liess,
worauf die Unterzeichnung stattfand, hat er zugleich der Unterschiebung einer
andern Urkunde vorgebeugt.
2.- Das Obergericht erachtet auch die Prüfung der Rechtmässigkeit der
Testamentsbestimmungen durch den Urkundsbeamten als Formerfordernis. Mit
Unrecht. Solche Prüfung mag nach kantonalem Recht Pflicht des Beamten sein,
und ihre Bedeutung wie auch die Bedeutung einer allenfalls darauf gegründeten
Verantwortlichkeit soll nicht

Seite: 363
verkannt werden. Für die Formgültigkeit des Testamentes aber spielt sie keine
Rolle. Es wäre auch nicht verständlich, wieso solche Prüfung beim öffentlichen
Testament als formwesentlich, ihr Unterbleiben also als Formmangel zu gelten
haben sollte, wenn sie anderseits beim eigenhändigen Testament nicht verlangt
wird. Beide Errichtungsarten (und ebenso die ausserordentliche der Art. 506
ff.) verlangen die Beobachtung bestimmter Formen um die Willensgemässheit zu
garantieren. Der Inhalt des Testamentes dagegen kann nur Gegenstand
materieller Anfechtung sein, und deren Ergebnis hängt einzig von der
materiellen Rechtslage ab, nicht auch davon, ob mit der Testamentserrichtung
eine Rechtsberatung verbunden war und ob der Erblasser allfällige Ratschläge
der Urkundsperson befolgt hatte.
3.- Erweist sich demnach die formelle Anfechtung des Testamentes als
unbegründet, so bleiben die Eventualbegehren 5 und 6 der Klage zu beurteilen,
soweit der darüber ergangene Entscheid des Amtsgerichts Luzern-Stadt nicht
rechtskräftig geworden ist. Die Sache ist hiezu an das Obergericht
zurückzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass, unter Aufhebung der Ziffern 1 und
5 des Urteils des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 13. Juli 1937, das
Klagebegehren 1 um Ungültigerklärung des ganzen Testamentes abgewiesen wird.
Im übrigen wird die Sache im Sinne der Erwägungen zur ergänzenden Beurteilung
an das Obergericht zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 63 II 359
Date : 01. Januar 1936
Published : 03. Dezember 1937
Source : Bundesgericht
Status : 63 II 359
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Öffentliche letztwillige Verfügung. Art. 499 ff. ZGB.Weder die Übernahme eines vom Erblasser selbst...


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