S. 30 / Nr. 9 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 30

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Februar 1936 i. S.
Motorwagenfabrik Berna A.-G. gegen Eschmann.

Regeste:
Abzahlungsgeschäfte mit Eigentumsvorbehalt oder Rücktrittsrecht des
Verkäufers, Art. 226 /27 OR, Art. 716 ZGB.

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Der Verkäufer muss sich den Wert der Sache im Zeitpunkt der Rücknahme
anrechnen lassen, soweit dieser Wert zusammen mit dem Mietzins und der
Abnützungsentschädigung den Kaufpreis übersteigt.

Macht bei Abzahlungsgeschäften mit Eigentumsvorbehalt der Verkäufer infolge
Zahlungsverzugs des Käufers gemäss Art. 226 OR sein Eigentum geltend, so ist
nach Art. 227 Abs. 1 OR in Verbindung mit Art. 716 ZGB jeder Teil
verpflichtet, die empfangenen Leistungen zurückzuerstatten, wobei der
Verkäufer Anspruch auf einen angemessenen Mietzins und auf eine Entschädigung
für Abnützung der Sache hat (die gleiche Wirkung tritt nach Art. 227 Abs. 2 OR
ein bei Abzahlungsgeschäften ohne Eigentumsvorbehalt, aber mit Rücktrittsrecht
des Verkäufers).
a) Die Klägerin hat somit, was der Beklagte anerkennt, in erster Linie
Anspruch auf Herausgabe des Wagens. Dieser Anspruch steht nicht mehr im
Streite.
Sodann kann die Klägerin einen angemessenen Mietzins und eine Entschädigung
für Abnützung des Wagens verlangen. Dabei liegt aber auf der Hand, dass der
Verkäufer an Miete und Abnützungsentschädigung zusammen mit dem Wert der
zurückgenommenen Sache nicht mehr erhalten soll, als er bei Erfüllung des
Kaufvertrages in Form des Kaufpreises erhalten hätte. Der Verzug des Käufers
hat seinen Grund regelmässig und auch im vorliegenden Falle darin, dass er die
vereinbarten Abschlagszahlungen nicht aufzubringen vermag. Es wäre daher in
hohem Masse unbillig, wenn der Verkäufer diese Notlage des Käufers ausnützen
könnte, um sich durch Aufhebung des Vertrages über den Kaufpreis hinaus
Vorteile zu verschaffen. Eine solche Bereicherung des Verkäufers auf Kosten
des ohnehin finanziell bedrängten Käufers soll durch die Vorschriften des Art.
227 OR und Art. 716 ZGB gerade verhindert werden. Sie wäre nichts anderes als
eine Umgehung des Verbotes der Verfallklausel; die vom Gesetze für Miete und
Abnützung gegebenen Ansprüche

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müssten in Wirklichkeit dafür herhalten, die Zurückbehaltung der
Abschlagszahlungen zu verschleiern.
Es ergibt sich also m.a.W., dass sich der Verkäufer den Wert der Sache im
Zeitpunkt der Rücknahme anrechnen lassen muss, soweit derselbe zusammen mit
dem Mietzins und der Abnützungsentschädigung den Kaufpreis übersteigt.
Die Vorinstanz hat die Ansprüche der Klägerin für Miete und Abnützung des
Wagens auf den Betrag des Kaufpreises, d. h. auf 43500 Fr. festgesetzt, was
seitens des Beklagten unangefochten geblieben ist. Darnach muss an diesem
Betrag der volle Rücknahmewert des Wagens in Abzug gebracht werden. Er beläuft
sich nach der auf die Expertise gestützten Schätzung der Vorinstanz auf 9000
Fr., sodass zu Gunsten der Klägerin eine Forderung von 34500 Fr. verbleibt.
Die Klägerin ficht die Bemessung der Miet- und Abnützungsentschädigung als zu
niedrig, die Schätzung des Wagenwertes als zu hoch an. Es versteht sich jedoch
nach dem oben Gesagten von selbst, dass der Anspruch für Miete und Abnützung
im Betrag des Kaufpreises seine obere Grenze findet, kann er ja doch selbst
zusammen mit dem Wert der Sache nicht über diesen Betrag hinausgehen. Es
erübrigt sich daher, auf die Einzelheiten der klägerischen Kritik einzutreten.
Die Schätzung des Wagens durch die Vorinstanz ist für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 81 OG).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 30
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 04. Februar 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 30
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Abzahlungsgeschäfte mit Eigentumsvorbehalt oder Rücktrittsrecht des Verkäufers, Art. 226/27 OR...


Gesetzesregister
OG: 81
OR: 27  226  227
ZGB: 716
BGE Register
62-II-30
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