S. 14 / Nr. 5 Familienrecht (d)

BGE 62 II 14

5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. März 1936 i. S.
Krummenacher gegen Bürgerliches Fürsorgeamt Baselstadt.

Regeste:
Verwandtenunterstützungspflicht, Art. 328 f
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
ZGB. Kein Unterstützungsanspruch
desjenigen, der sich selbst zu erhalten in der Lage ist, dies aber böswillig
nicht tun will. Kein Rückgriffsrecht der Armenbehörde für missbräuchlich
geleistete Unterstützungen, d. h. solche, die die Behörde ausrichtet, ohne vom
unterstützungspflichtigen Verwandten beantragte Zwangsmassnahmen gegen den
Böswilligen angeordnet zu haben.

A. - Das bürgerliche Fürsorgeamt der Stadt Basel klagte gegen Dr. Krummenacher
auf Ersatz der von ihm vom 1. Januar bis 23. August 1935 an dessen Bruder als
Unterstützungen ausgerichteten Fr. 791.- und Verpflichtung des Beklagten zur
Leistung weiterer Unterstützungsbeiträge bis zu Fr. 185.- monatlich. Der in
günstigen Verhältnissen lebende Beklagte beantragte Abweisung der Klage,
event. Reduktion der verlangten Beträge, mit der Begründung, sein Bruder sei
arbeitsscheu, er könnte wohl für sich und seine Frau sorgen, wenn er den guten
Willen hätte;

Seite: 15
eine Unterstützungspflicht bestehe nur zugunsten des Bruders, nicht auch
seiner Ehefrau. Während der Regierungsrat die Klage im vollen Umfange
gutgeheissen hatte, stellte das Appellationsgericht die bisherigen
Aufwendungen auf Fr. 740.- fest und reduzierte im Hinblick auf den Entscheid
des Bundesgerichts i. S. der Klagepartei gegen Steiger (BGE 61 II S. 297),
wonach der Beklagte nur seinen Bruder, nicht auch dessen Ehefrau zu
unterstützen hat, die künftigen Leistungen auf Fr. 120.- pro Monat.
B. - Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung des
Beklagten mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, event. Rückweisung der Sache
an die Vorinstanz zur Abnahme weiterer Beweise dafür, dass sein Bruder seine
Arbeitslosigkeit jeweilen absichtlich herbeiführe, um sich vom Beklagten
erhalten zu lassen. Solches Verhalten sei rechtsmissbräuchlich; eine Notlage
sei nicht gegeben, wenn eine Person sich selbst erhalten könnte, es aber
böswillig nicht wolle. - In seiner Antwort führt das Fürsorgeamt aus, der
Unterstützte scheine sich allerdings nicht durch besonderen Arbeitseifer
auszuzeichnen. Dass er seine Stellen jeweilen böswillig aufgegeben habe,
treffe aber nicht zu. Im übrigen hange die Unterstützungspflicht nicht davon
ab, dass der Bedürftige seine Notlage nicht selbst verschuldet habe.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der in BGE 39 II 683 ausgesprochene Grundsatz, dass eigenes Verschulden des
Bedürftigen an seiner Bedürftigkeit den Unterstützungsanspruch nach Art. 328
f
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
. ZGB nicht ausschliesst, bedarf einer Präzisierung unter dem Gesichtspunkt
der Art dieses Verschuldens. Wer wirklich Not leidet und trotz gutem Willen
nicht in der Lage ist, sich selbst zu erhalten, muss unterstützt werden, auch
wenn er durch eigenes Verschulden in die Notlage geraten ist. Anders verhält
es sich dagegen, wenn einer, der bei gutem Willen sich selbst zu erhalten in
der Lage ist, dies

Seite: 16
böswillig nicht tun will, um auf Kosten seiner Verwandten zu leben. Eine
solche Person befindet sich nicht in einer wirklichen Notlage; ihr eine
Unterstützung für die Zukunft zuzusichern, liefe auf eine Prämierung ihres
bösen Willens hinaus. Es kann auch nicht die Armenbehörde sie einfach
unterstützen und sich an den Verwandten erholen. Wenn die Behörde trotzdem
unterstützt, kann der eventuell unterstützungspflichtige Verwandte in erster
Linie die Aufsichtsbehörde anrufen mit dem Verlangen, dass sie die
Armenbehörde anweise, den Arbeitsscheuen nicht aus öffentlichen Mitteln zu
unterstützen, allenfalls korrektionelle Massnahmen gegen ihn zu ergreifen.
Würde die Behörde trotz Reklamation des Verwandten ohne weitere Vorkehren mit
der Unterstützung fortfahren, so wäre sie mit einem Regressanspruch bezw.
einem Begehren um Unterstützungsleistungen für die Zukunft abzuweisen; denn
der Anspruch der Armenbehörde ist wie derjenige des Bedürftigen selber an die
Voraussetzung der objektiven Notlage geknüpft. Die Missbräuchlichkeit der
Unterstützung muss jedoch einwandfrei festgestellt sein.
Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 13. Dezember 1935 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 14
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 26. März 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 14
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Verwandtenunterstützungspflicht, Art. 328 f ZGB. Kein Unterstützungsanspruch desjenigen, der sich...


Gesetzesregister
ZGB: 328
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
BGE Register
39-II-679 • 61-II-297 • 62-II-14
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • wille • bundesgericht • basel-stadt • arbeitsscheu • monat • unterstützungspflicht • not • bosheit • entscheid • begründung des entscheids • sozialhilfeleistung • vorinstanz • stelle • erholung • verhalten • regierungsrat • leben • treffen