S. 297 / Nr. 67 Familienrecht (d)

BGE 61 II 297

67. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1935 i. S. Bürgerliches
Fürsorgeamt von Basel-Stadt gegen Steiger und Genossen.

Regeste:
Verwandtenunterstützung. Art. 328
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 29 - 1 Wird jemandem die Führung seines Namens bestritten, so kann er auf Feststellung seines Rechtes klagen.
1    Wird jemandem die Führung seines Namens bestritten, so kann er auf Feststellung seines Rechtes klagen.
2    Wird jemand dadurch beeinträchtigt, dass ein anderer sich seinen Namen anmasst, so kann er auf Unterlassung dieser Anmassung sowie bei Verschulden auf Schadenersatz und, wo die Art der Beeinträchtigung es rechtfertigt, auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung klagen.
ZGB.
Der Anspruch steht nur den vom Gesetz als berechtigt bezeichneten Verwandten
zu, also nicht auch den Familienangehörigen eines Bruders oder einer
Schwester, und dem Bruder oder der Schwester selber nur im Rahmen ihrer
persönlichen Bedürfnisse.

Die Beklagten sind Brüder des mit seiner Familie von der Armenpflege
unterstützten Alfred Steiger-Entler. Das Bürgerliche Fürsorgeamt belangt sie
auf Erstattung der Unterstützungsleistungen, die es jener Familie ausgerichtet
hat, und auf Verpflichtung zur Erstattung der in Zukunft noch zu erfüllenden
Leistungen. Die Beklagten anerkennen, dass sie die nächsten leistungsfähigen
Verwandten des Steiger-Entler sind und sich in günstigen Verhältnissen
befinden. Sie lehnen es aber ab, über den persönlichen Bedarf ihres Bruders
hinaus, also für dessen Familie, Unterstützungen zu gewähren oder die
öffentliche Armenpflege davon zu entlasten.

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Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat die Klage geschützt, das
Appellationsgericht als Verwaltungsgericht dagegen hat mit Urteil vom 23. Juli
1935 den Beklagten Recht gegeben und sie nur zum Ersatz de' zur Befriedigung
der persönlichen Bedürfnisse ihres Bruders bestimmten Unterstützungsleistungen
pflichtig erklärt.
Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht hält das Fürsorgeamt am
Begehren der Klage fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Unterstützungspflicht von Verwandten ist in den Art. 328
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
und 329
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 329 - 1 Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1    Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1bis    Kein Anspruch auf Unterstützung kann geltend gemacht werden, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht.464
2    Erscheint die Heranziehung eines Pflichtigen wegen besonderer Umstände als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben.465
3    Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen finden entsprechende Anwendung.466
ZGB ohne
Vorbehalt kantonalen Rechts als zivilrechtliche geordnet. Auch dem
Gemeinwesen, das Unterstützungen gewährt hat und auf Verwandte der
unterstützten Personen zurückgreifen will (Art. 329 Abs. 3), stehen nur die
Ansprüche zu, die den unterstützten Personen selbst zugestanden hatten und in
die das Gemeinwesen von Gesetzes wegen eingetreten ist. Daraus, dass die
klagende Behörde nicht nur den Bruder der Beklagten, sondern auch dessen Frau
und Kinder unterstützt hat, kann somit nicht hergeleitet werden, es müsse ihr
auch in entsprechendem Umfang der Rückgriff auf die Beklagten zugebilligt
werden. Die öffentliche Armenunterstützung beruht auf öffentlichem Recht, sie
kann über die zivilrechtliche Unterstützungspflicht von Verwandten hinausgehen
oder auch dahinter zurückstehen. Die wirklich ausgerichteten
Unterstützungsleistungen bilden die obere Grenze eines allfälligen Rückgriffs
der Armenbehörde; im übrigen aber bestimmt sich Grundsatz und Mass des
Rückgriffs einzig und allein nach den erwähnten zivilrechtlichen Bestimmungen.
Nun ist der Entscheidung des Appellationsgerichts beizutreten, dass die
Unterstützungspflicht der Beklagten nur gegenüber ihrem Bruder selbst und
nicht auch gegenüber dessen Frau und Kindern besteht, sowenig wie diese
umgekehrt, wenn sie sich in günstigen Verhältnissen

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befänden, von bedürftigen Geschwistern ihres Gatten und Vaters um
Unterstützung angegangen werden könnten. Das ergibt sich aus Art. 328
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
ZGB, der
eben die gegenseitige Unterstützungspflicht auf Blutsverwandte in auf und
absteigender Linie und Geschwister begrenzt, so dass Seitenverwandte
entfernteren Grades wie auch bloss Verschwägerte ausserhalb des Kreises der
Unterstützungsberechtigten bezw. -pflichtigen stehen. Das entspricht auch dem
eindeutigen Gang der Gesetzesberatung (Sten. Bull. der Bundesversammlung 1905,
1220; 1907, Nationalrat, 271). Wenn dabei als Verschwägerte Stieleltern und
Stiefkinder, Schwiegereltern und Schwiegerkinder erwähnt wurden - also
Ehegatten von Eltern oder Kindern, sowie Eltern oder Kinder des Ehegatten,- so
sind um so mehr Ehegatten der Geschwister und Geschwister des Ehegatten von
der Unterstützungsberechtigung bezw. -pflicht ausgeschlossen.
Demnach besteht gegenüber den Beklagten weder ein Unterstützungsanspruch von
Frau und Kindern ihres Bruders noch ein über seinen eigenen Notbedarf gehender
Anspruch dieses Bruders selbst. Es kann also für die Bemessung der
Unterstützungspflicht Verwandter (entgegen Bl. f. zürch. Rechtsprechung 1918,
1) nicht anerkannt werden, dass die Not der Familie eines Bruders oder einer
Schwester zugleich seine bezw. ihre eigene Not sei, womit bei Mittellosigkeit
dieser ganzen Familie Ansprüche begründet werden könnten, die in das Vielfache
des Notbedarfs des Bruders oder der Schwester der angesprochenen Verwandten
gingen. Es fragt sich nur, ob Familienlasten von Geschwistern (gleich wie von
Blutsverwandten in auf- oder absteigender Linie) allenfalls insoweit in
Betracht fallen können, als diese selbst dadurch der zu ihrem Lebensunterhalt
unentbehrlichen Mittel entblösst werden (indem die Familienunterhaltspflicht
auch vor dem sogenannten Existenzminimum nicht Halt macht), was jedoch im
vorliegenden Berufungsverfahren nicht streitig ist.

Seite: 300
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) vom 23. Juli 1935 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 II 297
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 31. Oktober 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 II 297
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Verwandtenunterstützung. Art. 328/29 ZGB.Der Anspruch steht nur den vom Gesetz als berechtigt...


Gesetzesregister
ZGB: 29 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 29 - 1 Wird jemandem die Führung seines Namens bestritten, so kann er auf Feststellung seines Rechtes klagen.
1    Wird jemandem die Führung seines Namens bestritten, so kann er auf Feststellung seines Rechtes klagen.
2    Wird jemand dadurch beeinträchtigt, dass ein anderer sich seinen Namen anmasst, so kann er auf Unterlassung dieser Anmassung sowie bei Verschulden auf Schadenersatz und, wo die Art der Beeinträchtigung es rechtfertigt, auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung klagen.
328 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
329
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 329 - 1 Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1    Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1bis    Kein Anspruch auf Unterstützung kann geltend gemacht werden, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht.464
2    Erscheint die Heranziehung eines Pflichtigen wegen besonderer Umstände als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben.465
3    Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen finden entsprechende Anwendung.466
BGE Register
61-II-297
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • geschwister • familie • ehegatte • bundesgericht • basel-stadt • unterstützungspflicht • not • sozialhilfe • existenzminimum • sozialhilfeleistung • verwandtschaft • entscheid • finanzielle verhältnisse • vater • mass • bundesversammlung • stiefkind • regierungsrat • kreis
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