S. 255 / Nr. 58 Obligationenrecht (d)

BGE 61 II 255

58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Oktober 1935 i. S.
Tschumper, Zeidler & Cie . in Liq. gegen Moser.

Regeste:
Die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Rückgabe des Geleisteten, sowie für
den Schadenersatzanspruch beim Rücktritt vom zweiseitigen Vertrag beträgt 10
Jahre. Art. 109 OR.

1.- Die von der Beklagten gegenüber dem Rückgabeanspruch des Klägers gemäss
Art. 109 Abs. 1 OR erhobene Einrede der Verjährung wäre nur begründet, wenn
dieser

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Anspruch als Bereicherungsanspruch nach Art. 62 ff . OR anzusehen wäre, wie
dies die Beklagte behauptet, der nach Art. 67 OR innert Jahresfrist verjährte.
Nun hat das Bundesgericht in seinem Entscheid in Sachen Büttig gegen Schindler
& Cie (BGE 60 II S. 27 ff.) bereits entschieden, dass dieser Rückgabeanspruch
der zehnjährigen Verjährungsfrist unterstehe, da nicht einzusehen sei, weshalb
für ihn nicht dieselbe Verjährungsfrist gelten sollte, wie für den
Schadenersatzanspruch aus Absatz 2 desselben Artikels, der nach allgemein
anerkannter Auffassung der zehnjährigen Verjährung unterworfen sei.
2.- Die Beklagte bestreitet die Richtigkeit dieser Argumentation, da auch der
Schadenersatzanspruch nach Art. 109 Abs. 2 OR als Anspruch auf das negative
Interesse, wie derjenige der Gegenpartei eines fahrlässig Irrenden (Art. 26
OR) und eines vollmachtlosen Stellvertreters (Art. 39 OR), ausservertraglicher
Natur sei und somit gemäss Art. 60 OR in einem Jahre verjähre.
Diese Auffassung ist jedoch irrtümlich. Die Beklagte übersieht, dass mit der
Einräumung des Anspruches auf das negative Interesse - was nach allgemeiner
Auffassung der Sinn des Art. 109 Abs. 2 OR ist - über die Rechtsnatur dieses
Anspruches noch nichts ausgesagt ist, da der Begriff des negativen Interesses
lediglich eine bestimmte, von einer besonderen Kausalreihe ausgehende Art der
Schadensberechnung bedeutet, die auf die Herstellung derjenigen Vermögenslage
abzielt, in der sich der Geschädigte befände, wenn er sich überhaupt nicht auf
den in Frage stehenden Vertrag eingelassen hätte (GUHL, OR S. 46 litt. d;
vergl. auch SIMONIUS, Schadenersatz aus Dahinfallen des Vertrages, in
Zeitschrift für Schweiz. Recht NF 37 S. 253 f.). Die Rechtsnatur des
Anspruches auf das negative Interesse braucht nicht notwendigerweise in allen
Fällen, in denen er vom Gesetz verliehen ist, dieselbe zu sein. Ob die
Ansprüche aus Art. 26 und 39 OR, mit denen die Beklagte zur Begründung ihrer
Auffassung argumentiert,

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als vertragsähnliche (so BECKER, Anm. 1 zu Art. 26 und Anm. 4 zu Art. 39 OR,
sowie v. THUR OR I S. 263 und 322), oder als ausservertragliche (so SIMONIUS
1. C. S. 232) oder als der ausservertraglichen Haftung ähnliche Ansprüche ex
lege (so OSER-SCHÖNENBERGER Anm. 7 zu Art. 39 OR) anzusehen seien, braucht
daher in diesem Zusammenhang nicht näher geprüft zu werden. Für den Anspruch
aus Art. 109 Abs. 2 OR ist auf jeden Fall anzunehmen, dass er nach den
Grundsätzen über die Vertragsverletzung zu behandeln sei, weil er mittelbar
auf einem vertragswidrigen Benehmen des Schuldners beruht (v. TUHR OR II S.
552): Wenn auch die unmittelbare Ursache für das nachträgliche Dahinfallen des
ursprünglich gültigen Vertrages in der Rücktrittserklärung des Gläubigers
besteht, so ist dieses doch indirekt durch die vom Schuldner zu verantwortende
Nichterfüllung einer vertraglichen Pflicht veranlasst, die durch den Rücktritt
nicht ungeschehen gemacht wird (BECKER Anm. 3 zu Art. 109 OR; SIMONIUS 1. c.
S. 269). Es darf daher für diesen Fall sehr wohl gesagt werden, der
Schuldvertrag behalte «eine auf Rückgängigmachung seiner bisherigen Wirkungen
gerichtete Wirkungskraft» (GIERKE, Deutsches Privatrecht III S. 308), ohne
dass darin ein logischer Widersinn läge, wie die Beklagte meint. Denn das
wesentlichste Argument, das von den Verfechtern der ausserkontraktlichen Natur
des Anspruches auf das negative Interesse in den Fällen der Art. 26 und 39 OR
ins Feld geführt wird, nämlich das Argument, dass ein überhaupt nie gültig
zustandegekommener Vertrag nicht gewisse Wirkungen beibehalten könne (so OSER
SCHÖNENBERGER Anm. 7 zu Art. 39 OR) - dieses Argument versagt im Falle des
Art. 109 Abs. 2 OR völlig, weil hier eben einmal ein gültiger Vertrag vorlag,
der erst nachträglich, infolge eines vertragswidrigen Verhaltens des einen
Teils, dahinfällt.
3.- ...
4.- Ist aber der Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 109 Abs. 2 OR als ein
vertraglicher anzusehen, so

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ergibt sich hieraus die Anwendbarkeit der zehnjährigen Verjährungsfrist des
Art. 127 OR, da das Gesetz, die Spezialverhältnisse des Art. 128 OR
ausgenommen, eine andere Verjährungsfrist nicht kennt. Diese Lösung erscheint
auch deshalb als geboten, weil es nicht recht verständlich wäre, weshalb der
Gläubiger beim Rücktritt vom Vertrag in der Frage der Verjährung so viel
schlechter gestellt sein sollte, als er es beim Anspruch auf Schadenersatz
unter Verzicht auf die nachträgliche Erfüllung wäre.
5.- Da nun die Voraussetzung hinsichtlich des Anspruchs aus Art. 109 Abs. 2
OR, von der der Entscheid in BGE 60 S. 27 ausgeht, durchaus zutrifft, so ist
auch gegen die dortigen weiteren Ausführungen, mit denen die Gleichbehandlung
des Rückgabeanspruchs nach Abs. 1 begründet wird, nichts einzuwenden.
Insbesondere entspricht die Ansicht, dass Absatz 1 nicht als Verweisung auf
das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, Art. 62 ff . OR, aufgefasst
werden müsse, sondern ein Selbständiger gesetzlicher Anspruch sei, den vom
Bundesgericht in BGE 53 II S. 119 f. entwickelten Grundsätzen; hier wurde
nämlich entschieden, dass der wechselrechtliche Bereicherungsanspruch nach
Art. 813 OR zwar materiell eine condictio sine causa sei, aber als actio ex
lege nicht der Verjährungsfrist des Art. 67 OR unterliege.
Der Einwand der Beklagten, dass mangels einer dem Art. 109 Abs. 1 OR
entsprechenden Bestimmung beim einseitig-onerosen Vertrag (contractus
bilateralis inaequalis) und beim einseitigen Vertrag (contractus unilateralis)
durch diese Auslegung des Gesetzes eine tiefgreifende Ungleichheit bewirkt
werde, geht fehl. Denn bei den von der Beklagten herangezogenen Vertragstypen
besteht ja kein gesetzliches Rücktrittsrecht aus dem Verzug des Schuldners,
sondern nur ein Erfüllungsanspruch des Gläubigers, der sich unter Umständen in
einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung auflösen kann
(OSER-SCHÖNENBERGER Anm. 6 zu Art. 107 OR). Dass ein vertraglich vereinbartes
Rücktrittsrecht auch in diesen Fällen

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vertragliche Ansprüche zur Entstehung brächte, versteht sich von selbst. Eine
ganz andere Frage ist dagegen, welche Ansprüche sich aus dem Dahinfallen eines
Vertrages zufolge Bedingung oder Befristung ergäben, die die Beklagte offenbar
im Auge hat; diese wären dieselben für den einseitigen und den
einseitig-onerosen Vertrag, wie für den zweiseitigen, da es sich ja nicht um
Ansprüche aus dem gesetzlichen Rücktrittsrecht nach Art. 107 und 109 OR
handeln würde.
Nicht stichhaltig ist auch der Einwand der Beklagten, wenn der
Rückgabeanspruch nach Abs. 1 nicht als Bereicherungsanspruch betrachtet werde,
so käme dies der vollständigen Ausschaltung des Hauptfalls der Bereicherung,
nämlich der condictio ob causam finitam, gleich; denn in allen Fällen des
nachträglichen Dahinfallens eines Vertrages, eben mit Ausnahme des
Sonderfalles des Rücktritts vom zweiseitigen Vertrag nach Art. 107 OR, kämen
die Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung zur Anwendung.
Da schliesslich auch von einer illoyalen Hinauszögerung der Geltendmachung des
Rückforderungsanspruchs nicht die Rede sein kann, so ist die Einrede der
Verjährung abzuweisen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 II 255
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 15. Oktober 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 II 255
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Rückgabe des Geleisteten, sowie für den...


Gesetzesregister
OR: 26  39  60  62  67  107  109  127  128  813
BGE Register
53-II-111 • 60-II-27 • 61-II-255
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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