S. 1 / Nr. 1 Familienrecht (d)

BGE 61 II 1

1. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Januar 1935 i. S. Püntener gegen
Gemeinderat Schattdorf.


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Regeste:
Unterzieht sich nach Einleitung des Entmündigungsverfahrens (gemäss Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
1    Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
2    Werden dadurch die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet, so ist die beauftragte Person verpflichtet, so lange für die Fortführung der ihr übertragenen Aufgaben zu sorgen, bis die auftraggebende Person ihre Interessen selber wahren kann.
3    Aus Geschäften, welche die beauftragte Person vornimmt, bevor sie vom Erlöschen ihres Auftrags erfährt, wird die auftraggebende Person verpflichtet, wie wenn der Auftrag noch bestehen würde.

ZGB) der Interdicendus, der zunächst einen Beirat verlangt hatte, der
Bevormundung, so darf sie beim Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 372
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 372 - 1 Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
1    Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
2    Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.
3    Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird.
ZGB
ohne weiteres angeordnet, aber auch nur als Bevormundung auf eigenes Begehren
bekannt gemacht werden.

Der unter Altersvormundschaft stehende Beschwerdeführer stellte in der
Voraussicht der am 2. August 1934 eintretenden Mündigkeit das Gesuch um
Beistandsbestellung zur Vermögensverwaltung. Vom zuständigen Gemeinderat
Schattdorf auf den 3. August zur Gemeinderatssitzung eingeladen «behufs
Besprechung der Vormundschaft», «erklärte er auf daherige Anfrage
ausdrücklich, dass er mit der Bevormundung einverstanden sei». Die daraufhin
beschlossene Entmündigung wurde ihm nach der Feststellung der Vorinstanz
anschliessend mündlich eröffnet.
Als der Beschwerdeführer auf die am 6. September erfolgte Veröffentlichung der
Bevormundung hin am 15. September Beschwerde führte, ist der Regierungsrat des
Kantons Uri am 27. Oktober 1934 wegen Versäumung der zehntägigen
Beschwerdefrist auf die Beschwerde nicht eingetreten.
Hiegegen richtet sich die vorliegende zivilrechtliche Beschwerde mit den
Anträgen auf Aufhebung der Entmündigung; eventuell Rückweisung.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Da die durch Ziffer 5 des Kreisschreibens vom 18. Mai 1914 betreffend das
Entmündigungsverfahren vorgeschriebene schriftliche Mitteilung des
Entmündigungsbeschlusses seinerzeit nicht stattgefunden hatte, durfte und darf
die freilich später als zehn Tage nach der bloss mündlichen Eröffnung geführte
Beschwerde nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden.
2.- Der Beschwerdeführer gibt zu, dass «er sich unabhängig von der
Vormundschaftsbehörde selbst schon mit seinem Onkel in dem Sinne besprochen
hatte, es wäre zweckmässig, wenn sein Vermögen in Zukunft durch seinen Onkel
verwaltet würde», und dass «er sich mit dem Vorschlag des Gemeinderates,
welcher offensichtlich das nämliche bezweckte, daher ruhig einverstanden
erklären konnte». Damit ist das vom Gemeinderat angenommene eigene Begehren um
Beistandsbestellung zur Vermögensverwaltung als zugestanden zu erachten.
Sobald ihm aber der Gemeinderat eröffnete, dass eine blosse Beistandschaft
nicht genügend, sondern eine Vormundschaft angezeigt sei, erklärte sich der
Beschwerdeführer laut dem als genügend beweiskräftig anzusehenden Protokoll
des Gemeinderates mit der Bevormundung einverstanden. In diesem Verhalten kann
nichts anderes als eine Änderung des eigenen Begehrens in der Richtung der
Bevormundung gesehen werden. Diesem Begehren durfte ohne weiteres entsprochen
werden, wenn der Gesuchsteller auch dartat, dass er infolge von Unerfahrenheit
seine Angelegenheiten, namentlich die Verwaltung seines Vermögens von über
30000 Fr., nicht gehörig zu besorgen vermöchte. Sobald sich der Gemeinderat
hievon überzeugen konnte, durfte er von irgendwelchen Beweiserhebungen absehen
(BGE 54 II 240). Insbesondere kam die von Art. 374 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB vorgeschriebene
Begutachtung durch Sachverständige über das Vorhandensein von Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche hier von vorneherein nicht in Frage.

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wo die Bevormundung nicht zwangsweise, sondern auf eigenes Begehren hin, und
nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, sondern wegen
Unerfahrenheit nicht auferlegt, sondern zugestanden wurde. Die Überzeugung des
Gemeinderates von der geschäftlichen Unerfahrenheit des Beschwerdeführers
konnte sich vor allem auf die aus der Führung bezw. Beaufsichtigung der
Altersvormundschaft gewonnene persönliche Kenntnis stützen. In der Tat erklärt
der Gemeinderat gestützt auf seine eigenen «Wahrnehmungen» den
Beschwerdeführer als «nicht befähigt, seine Interessen wie nötig wahrzunehmen
und zu vertreten», was für die Anordnung der erbetenen Vormundschaft genügte.
Mit alledem lässt es sich freilich nicht vereinbaren, dass in der
Bekanntmachung der Bevormundung Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
1    Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
2    Werden dadurch die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet, so ist die beauftragte Person verpflichtet, so lange für die Fortführung der ihr übertragenen Aufgaben zu sorgen, bis die auftraggebende Person ihre Interessen selber wahren kann.
3    Aus Geschäften, welche die beauftragte Person vornimmt, bevor sie vom Erlöschen ihres Auftrags erfährt, wird die auftraggebende Person verpflichtet, wie wenn der Auftrag noch bestehen würde.
ZGB angeführt ist. Allein dies muss
einem Versehen zugeschrieben werden, das um so eher unterlaufen konnte, als
die Bekanntmachung von der kantonalen Vormundschaftsdirektion ausging, die
sich damals noch nicht materiell mit der Sache befasst hatte. Wieso der
Gemeinderat hätte glauben können, trotz Ausserachtlassung des Art. 374 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.

ZGB eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
ausgesprochen zu haben, ist nicht einzusehen, und er hat sich denn auch im
Beschwerdeverfahren von Anfang an ausschliesslich und mit Fug auf das eigene
Begehren des Beschwerdeführers berufen. Dies hat zur Folge, dass die
vorzeitig, vor der Rechtskraft erfolgte Bekanntmachung nunmehr durch eine
richtigstellende, den Art. 372
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 372 - 1 Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
1    Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
2    Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.
3    Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird.
ZGB anrufende Bekanntmachung zu ersetzen sein
wird.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 61 II 1
Date : 01. Januar 1935
Published : 18. Januar 1935
Source : Bundesgericht
Status : 61 II 1
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Unterzieht sich nach Einleitung des Entmündigungsverfahrens (gemäss Art. 369 ZGB) der...


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ZGB: 369  372  374
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