S. 240 / Nr. 46 Familienrecht (d)

BGE 54 II 240

46. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Juli 1928 i.S.
Geissberger gegen Vormundschaftsbehörde Riniken.

Regeste:
Bevormundung auf eigenes Begehren, Art. 372
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 372 - 1 Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
1    Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
2    Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.
3    Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird.
ZGB:
Zulässigkeit wegen Alkoholismus ohne Prüfung, ob dieser die zwangsweise
Entmündigung zu rechtfertigen vermöchte.
Unanwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des Art. 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB und des
Kreisschreibens des Bundesgerichtes vom 18. Mai 1914.
Widerruflichkeit des Begehrens?

Objektives Erfordernis der Bevormundung auf eigenes Begehren ist, dass der
Antragsteller infolge von Altersschwäche oder andern Gebrechen oder von
Unerfahrenheit seine Angelegenheiten nicht gehörig zu besorgen vermag. Hier
fällt als Gebrechen der Alkoholismus in

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Betracht, zufolge welchem Geissberger arbeitsscheu geworden ist und seinen
Landwirtschaftsbetrieb vernachlässigt. Ob die Trunksucht - oder allfällig die
Misswirtschaft - Geissbergers auch zu zwangsweiser Bevormundung in Anwendung
des Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB ausgereicht haben würde, steht dahin, zumal ein darauf
abzielendes Verfahren, dessen Durchführung nicht in die Zuständigkeit der
Vormundschaftsbehörde fällt, gar nicht eröffnet worden ist. Es kommt darauf
aber auch nichts an, da so oder anders kein zureichender Grund ersichtlich
ist, um die Anwendbarkeit der Art. 372
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 372 - 1 Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
1    Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
2    Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.
3    Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird.
ZGB auszuschliessen. Namentlich ist
nicht einzusehen, warum das einen grösseren Aufwand an Arbeit und Kosten
erheischende, mehr Zeit beanspruchende und für den Interdizenden oft peinliche
Verfahren auf zwangsweise Entmündigung sollte eingeschlagen werden müssen,
sofern der Interdizend selbst seine Bevormundung verlangt, zumal wenn dies
noch vor der Eröffnung des Verfahrens auf zwangsweise Entmündigung geschieht.
In ihrer Wirkung unterscheiden sich die zwangsweise Entmündigung wegen
Trunksucht oder Misswirtschaft und die Bevormundung auf eigenes Begehren
freilich darin, dass die Aufhebung der letzteren nicht an eine zeitliche
Beschränkung geknüpft ist wie die Aufhebung der ersteren (vgl. 437 und 438
ZGB). Allein deswegen werden doch kaum erhebliche Misshelligkeiten entstehen,
wenn die Aufhebung einer auf eigenes Begehren des Bevormundeten angeordneten
Vormundschaft beantragt wird, welche gegebenenfalls auch zwangsweise hätte
angeordnet werden können; denn die Aufhebung darf ja ohnehin nur erfolgen,
wenn der Grund des Begehrens dahingefallen ist. Damit dem Begehren
Geissbergers um Bevormundung Folge gegeben werden durfte, musste er dartun,
dass er zufolge des erwähnten Gebrechens seine Angelegenheiten nicht gehörig
zu besorgen vermöge. Die Beweislast für die objektive Voraussetzung der
Bevormundung traf also ihn und nicht die Vormundschaftsbehörde.

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Daher brauchte diese weder den Art. 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB, noch das darauf gestützte
Kreisschreiben des Bundesgerichts vom 18. Mai 1914 zu beobachten. Vielmehr
genügte es, dass sie sich von der Richtigkeit der von Geissberger im
Bevormundungsbegehren gemachten Angaben überzeugte, die ohne weiteres als für
die Bevormundung schlüssig erschienen. Es kann nun nicht ernstlich in Zweifel
gezogen werden, dass die Verhandlungen vom 15. Dezember und 13. Januar, zumal
im Zusammenhang mit den vorangegangenen Eingaben der Ehefrau des
Interdizenden, geeignet waren, der Behörde die erforderliche Überzeugung zu
verschaffen.
Aus dem nachträglichen Rückzug des Begehrens um Bevormundung vermögen die
Beschwerdeführer nichts herzuleiten. Da ein solches Begehren nicht für sich
allein den Bevormundungsgrund abgibt, sondern nur den Anlass zur Prüfung nach
dem Vorhandensein eines Bevormundungsgrundes bietet - der freilich angesichts
des eigenen Begehrens um Bevormundung weniger gravierend zu sein und auch
nicht in einem eigentlichen Entmündigungsverfahren festgestellt zu werden
braucht -, so kann die freie Widerruflichkeit des eigenen Begehrens um
Bevormundung nicht zugestanden werden, sondern muss es der Behörde vorbehalten
bleiben, das durch die Stellung des Begehrens einmal in Gang gesetzte
Verfahren zu Ende zu führen, ohne Rücksicht darauf, ob der Antragsteller
inzwischen seinen Entschluss bereut habe und rückgängig machen möchte. Darf
die Aufhebung einer auf eigenes Begehren angeordneten Vormundschaft nur
erfolgen, wenn der Grund des Begehrens dahingefallen ist (Art. 438
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 438 - Auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen in der Einrichtung einschränken, sind die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen sinngemäss anwendbar. Vorbehalten bleibt die Anrufung des Gerichts.
ZGB), so
wäre es nicht folgerichtig, vor der Anordnung der Vormundschaft dem Rückzug
eines Begehrens, von dem bereits feststeht, dass es begründet ist, die
Bedeutung beizumessen, dass es als nicht gestellt anzusehen sei.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 240
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 13. Juli 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 240
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Bevormundung auf eigenes Begehren, Art. 372 ZGB:Zulässigkeit wegen Alkoholismus ohne Prüfung, ob...


Gesetzesregister
ZGB: 370 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
372 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 372 - 1 Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
1    Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle.
2    Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.
3    Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird.
374 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
438
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 438 - Auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen in der Einrichtung einschränken, sind die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen sinngemäss anwendbar. Vorbehalten bleibt die Anrufung des Gerichts.
BGE Register
54-II-240
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alkoholismus • bundesgericht • misswirtschaft • voraussetzung • zweifel • eröffnung des verfahrens • landwirtschaftsbetrieb • richtigkeit • beweislast • arbeitsscheu