S. 160 / Nr. 25 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)

BGE 60 I 160

25. Urteil des Kassationshofs vom 25. Juni 1934 i. S. Zarbl gegen
Staatsanwaltschaft Bern und Hirt.

Regeste:
Art. 58 MFG: Führer im Sinn dieser Bestimmung ist jeder, der tatsächlich einen
Akt der Führung auf seine Verantwortung vornimmt (Erw. 1).
Art. 25 Abs. 1 MFG: ständiges Beherrschen des Fahrzeugs. Kein Verstoss gegen
diese Bestimmung, wenn der Führer aus Überraschung über einen unerwarteten
Eingriff des Mitfahrers nicht unmittelbar die erforderliche Korrektur vornimmt
und sich deshalb ein Unfall ereignet (Erw. 2).
Der Eingriff des Mitfahrers kann geboten sein. Ein zu starker, einen Unfall
verursachender Eingriff ist im konkreten Fall nicht zum Verschulden
anzurechnen j da das Verhalten des Mitfahrers angesichts der Umstände
verständlich erscheint. (Erw. 3.) Daher auch keine Ersatzpflicht des
Mitfahrers (Erw. 4).

A. - Zarbl fuhr am 20. Mai 1933 mit seinem Automobil durch die Stadt Biel.
Rechts neben ihm sass Hirt, der die Fahrt als Kaufsinteressent mitmachte. Als
sich in der Zentralstrasse das Automobil bei einer Schnelligkeit von 40-45 km
(nach eigenen Angaben des Zarbl) zwei vor ihm fahrenden Radfahrern bis auf 4-5
m genähert hatte, griff Hirt, weil er einen Zusammenstoss mit den Radfahrern
befürchtete, ins Steuer, um den Wagen links

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abzulenken und ihnen vorzufahren. Die Ablenkung fiel zu reichlich aus. Das
Automobil kollidierte mit einem aus entgegengesetzter Richtung herfahrenden
Lastwagen (linkes Vorderrad des Automobils mit dem linken Hinterrad des
Lastwagens) und erlitt erhebliche Beschädigungen. Zarbl wurde wegen
Widerhandlung gegen die Verkehrsvorschriften angezeigt, worauf er seinerseits
gegen Hirt Strafanzeige einreichte und als Privatkläger das Begehren auf
Ersatz des ihm entstandenen Schadens stellte. Die Strafkammer des
Obergerichtes des Kantons Bern hat in Bestätigung des Urteils des
Gerichtspräsidenten von Biel durch Urteil vom 24. Januar 1934 Hirt frei
gesprochen und das gegen ihn gerichtete Schadenersatzbegehren abgewiesen,
Zarbl dagegen der Widerhandlung gegen Art. 25 al. 1 MFG schuldig erklärt und
ihn zu einer Busse von 30 Fr. verurteilt. Die Freisprechung Hirts wird damit
begründet, dass er gar nicht als Führer des Autos in Betracht falle. Führer
sei derjenige, der unter eigener Verantwortung die Verrichtungen ausführe,
durch welche das Motorfahrzeug in Betrieb gesetzt (bezw. in Betrieb erhalten)
und in der Fortbewegung beherrscht werde. Beide Voraussetzungen treffen. auf
Hirt nicht zu. Dieser habe dem Wagen nur eine Abrenkung von seiner bisherigen
Fahrrichtung gegeben, wodurch er den Wagen nicht in seine Herrschaft bekommen
habe, indem er gar nicht in der Lage gewesen wäre, das Manöver ganz
durchzuführen. Zarbl einzig sei Führer gewesen und verantwortlich für die
Beachtung der Verkehrsvorschriften. Durch den Eingriff Hirts ins Steuer hätte
Zarbl die Herrschaft über den Wagen nicht verlieren und noch zwischen den
Radfahrern und dem entgegenkommenden Lastwagen durchkommen sollen. Wenn dies
nicht mehr möglich war, weil die Abrenkung zu stark gewesen - was aber darauf
schliessen lassen würde, dass Zarbl das Steuer nicht gehörig in der Hand hatte
-, so hätte er doch sofort abbremsen müssen, wodurch der Zusammenstoss hätte
vermieden werden können. Zarbl habe aber

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weder das eine noch das andere vorgekehrt, er habe also sein Fahrzeug nicht
ständig beherrscht. In zivilrechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass
der Eingriff eines Dritten ins Steuer unerlaubt und höchstens im Notfall
gestattet sei. Um einen solchen Notfall habe es sich hier gehandelt. Bei der
Geschwindigkeit Zarbls hätte sich im nächsten Augenblick ein Zusammenstoss mit
den Radfahrern ereignen müssen, wenn nichts vorgekehrt worden wäre. Zarbl aber
habe weder ein Signal gegeben noch abgebremst noch nach links zum Überholen
ausgebogen. Da sei es geradezu Pflicht Hirts gewesen, einzugreifen. Ein
blosser Zuruf hätte wegen der Reaktionszeit nichts mehr genützt und auch zum
Ziehen der Handbremse wäre es zu spät gewesen. Wenn er zu stark abgerenkt, so
hätte Zarbl das korrigieren müssen. Hirt könne sich zum mindesten auf Notstand
im Sinne des Art. 52 al. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
OR berufen und schulde nicht Schadenersatz, weil
Zarbl den gefahrdrohenden Zustand selbst herbeigeführt habe.
B. - Gegen dieses Urteil hat Zarbl Kassationsbeschwerde eingereicht mit den
Anträgen, das Urteil sei aufzuheben, er selbst freizusprechen, dagegen Hirt zu
verurteilen und ihm eine angemessene Schadenersatzleistung aufzuerlegen.
Es wird geltend gemacht, dass bis zum Eingreifen Hirts ins Steuer Zarbl nicht
gefährdevoll gefahren sei. Er sei eben im Begriff gewesen, den Radfahrern
vorzufahren, wozu es nur ganz geringer Ablenkung bedurft hätte, als Hirt ins
Steuer eingriff. Mit Recht habe deshalb der kantonale Richter Zarbl nicht für
das zur Verantwortung gezogen, was bis zum Eingreifen Hirts geschehen sei,
sondern für das, was sich nachher abspielte. Dafür treffe ihn aber keine
Verantwortung, weil er durch diesen überraschenden Eingriff die Herrschaft
über den Wagen verlieren musste. Vielmehr liege sie bei Hirt, der tatsächlich
das Fahrzeug nach links hinaus gesteuert habe und daher auch als Führer im
Sinne des Gesetzes zu

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betrachten sei. Art. 52 al. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
OR sei nicht anwendbar, weil nicht dargetan sei,
dass ein gefahrdrohender Zustand von Zarbl geschaffen worden wäre, sondern
höchstens Hirt subjektiv in dieser Annahme handelte.
C. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern hat, unter Hinweis auf die Motive
des angefochtenen Urteils, auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Führer des Motorfahrzeuges ist normalerweise derjenige, der am Steuerrad
sitzt und die für die Fortbewegung des Fahrzeuges erforderlichen Mechanismen
auslöst. Er trägt notwendig auch die Verantwortung für die Führung (eine
Ausnahme macht das MFG in Art. 14 für Fahrten zu Lernzwecken, wo es die
Verantwortung dem Begleiter des Fahrschülers auferlegt). Dieser Normalbegriff
des Führers ist aber nicht derjenige des Art. 58 MFG, der den wider die
Verkehrsvorschriften handelnden Führer eines Motorfahrzeuges mit Strafe
bedroht. Er wäre zu eng. Als Führer im Sinne dieser Bestimmung ist jeder zu
betrachten, der tatsächlich einen Akt der Führung auf seine Verantwortung
vornimmt. Teilt sich der am Steuerrad Sitzende mit dem Nebenmann in die
Führung, z. B. indem er ihn hupen oder bremsen oder gar lenken lässt -
letzteres lässt sich gelegentlich beobachten, während sich der am Steuer
Sitzende eine Cigarre anzündet, die Handschuhe anzieht, die Karte konsultiert
u. a. -, so bleibt die Verantwortung dafür beim erstern, der Nebenmann ist
lediglich sein ausführender Gehilfe. Greift aber der Nebenmann von sich aus in
die Führung ein, so tut er es natürlich auf seine Verantwortung, und es ist
undenkbar, dass er nicht sollte zur Verantwortung gezogen werden können (bezw.
nur nach dem gemeinen Strafrecht der Kantone, das einen solchen
Straftatbestand wohl kaum vorsieht), wenn er dabei eine Verkehrsvorschrift
verletzt. Der am Steuer Sitzende könnte es auch nicht, denn er hat nicht
gehandelt

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und des andern Handeln nicht einmal hindern können, die Verletzung der
Verkehrsvorschrift bliebe also ungeahndet. Dieses für die Verkehrssicherheit
unannehmbare Resultat wäre nur hinzunehmen, wenn der Gesetzestext dazu zwänge.
Das ist aber durchaus nicht der Fall. Im Zusammenhang des Art. 58 ist im
Gegenteil diejenige Auslegung des «Führer» die natürlich gegebene, ja sich
aufdrängende, die jeden tatsächlich Führenden einschliesst. Es ist kein
vernünftiger Grand denkbar, warum der Nebenmann, der sich in die Führung
einmischt und dabei die Verkehrssicherheit gefährdet, straflos bleiben sollte,
nur weil er nicht den normalen Platz des Führers einnimmt.
2.- Die abweichende Auffassung der Vorinstanz hat bei ihrem richtigen
Bestreben, die Verletzung der Verkehrsvorschriften im vorliegenden Fall nicht
ungeahndet sein zu lassen, zu einer Beurteilung geführt, die auf einer
unzulässigen Überspannung der Verantwortung Zarbls und der Forderung ständiger
Beherrschung des Fahrzeuges beruht. Die Vorinstanz hat ihn schuldig befunden,
weil er die von Hirt zu reichlich bemessene seitliche Ablenkung nicht am
Steuerrad korrigiert oder doch durch Abbremsen des Wagens unschädlich gemacht
hat. Es ist jedoch klar, dass der unerwartete Eingriff ins Steuerrad Zarbl
eine solche Überraschung bereitet haben muss, dass ihm die Unterlassung des
bei normaler Überlegung angezeigt scheinenden Manövers nicht zum Verschulden
angerechnet werden kann. Es geht aus dem amtlichen Croquis (act. 3) hervor und
wird vom erstinstanzlichen Richter festgestellt - die obere Instanz hat sich
darüber nicht ausgesprochen -, dass im Moment, wo Hirt das Steuer herumriss,
der entgegenfahrende Lastwagen bereits ganz nahe war, sodass wahrhaftig zum
Erholen von der Überraschung keine Zeit blieb. Der Führer eines
Motorfahrzeuges hat für Raschheit der Entschliessung und des Manövers
einzustehen, aber gegen Überraschungen, wie der plötzliche Eingriff des
Nebenmannes ins Lenkrad sie

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auslösen muss, braucht er nicht gefeit zu sein. Wer, wie der Experte und die
Vorinstanz, dem Lenker in solcher Lage blitzschnelles korrigierendes Handeln
zumutet, der übersieht die Unvollkommenheit, die dem Menschen naturgemäss
anhaftet. Die Vorinstanz hat noch gefunden, dass Zarbl möglicherweise das
Steuerrad zu wenig fest in Händen hatte, so dass der Eingriff den zu starken
Ausschlag bewirken konnte. Die Festigkeit des Griffes am Steuerrad ist bei den
Lenkern individuell verschieden. Was von jedem Lenker erwartet werden muss,
ist solche Griffestigkeit, die die Lenkung den aus dem Wagen oder der Strasse
hervorgehenden Einwirkungen gewachsen sein lässt. Gegen den Eingriff eines
andern ins Lenkrad muss sie nicht Widerstand bieten, denn damit braucht nicht
gerechnet zu werden. Die Vorinstanz und ihr Experte übersehen dies und
beurteilen damit das Mass der vom Lenker zu prästierenden Sorgfalt unrichtig,
wenn sie - nebenbei gesagt, ohne auch nur die Gewalt des Eingriffes kennen zu
können - aus der zu starken Ablenkung ohne weiteres auf ungenügend starkes
Halten des Steuerrades schliessen.
Die Verurteilung Zarbls gestützt auf Art. 25 al. 1 und 58 MFG, weil er sein
Fahrzeug nicht ständig beherrscht habe, ist daher nicht begründet und
aufzuheben.
Eine andere Frage wäre, ob Zarbl nicht bereits vor dem Eingriff Hirts ins
Steuer vorschriftswidrig gefahren sei. Allein deswegen ist er von der obern
kantonalen Instanz nicht verurteilt worden. Der I. Richter hatte ihn der
Widerhandlung gegen Art. 46 Vo MFG schuldig erklärt, weil er unter den
gegebenen Verhältnissen nicht habe vorfahren dürfen, also wegen der Radfahrer
vor ihm habe verlangsamen müssen. Allein die Vorinstanz hat diese
Widerhandlung nicht festgehalten, offenbar auf Grund der Darlegungen des
Experten, dass zum Vorfahren genügend Raum war - was in der Tat aus dem
Croquis hervorgeht -, dass die Annäherung an die Radfahrer bis auf 4-5 m in
der Stadt nicht anormal war und dass auch

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die innegehabte Schnelligkeit für einen guten Fahrer - dass Zarbl ein
schlechter sei, hat Hirt wohl behauptet, ist aber nicht festgestellt worden -
noch an der äussersten Grenze lag. Angesichts dieser Annahmen blieb gegenüber
Zarbl nur der Vorwurf möglich, dass er nicht selbst zur Überholung ablenkte.
Er behauptet, dass er eben im Begriffe war, es zu tun, als Hirt eingriff. Das
Gegenteil liess sich natürlich nicht feststellen, was wohl der Grund ist,
warum die Vorinstanz eine Widerhandlung gegen die Verkehrsvorschriften durch
Unterlassung rechtzeitigen Vorfahrens nicht angenommen hat. Sie hat dann
allerdings bei Behandlung der Zivilforderung Zarbls gegen Hirt festgestellt,
dass so nahe bei den Radfahrern der letzte Moment da war, um etwas
vorzukehren, dass Zarbl aber nicht nach links abbog, um die Radfahrer zu
überholen. Allein diese Feststellung liegt ausserhalb des Straferkenntnisses
und kann daher von der Kassationsinstanz bei Überprüfung des Strafpunktes
nicht berücksichtigt werden. Eine strafrechtlich zu ahndende Widerhandlung ist
dieserhalb gegen ihn nicht aufgegriffen worden und eine Kassationsbeschwerde
der Staatsanwaltschaft ist unterblieben. Übrigens ist denkbar und sogar
wahrscheinlich, dass die Vorinstanz mit dieser Erwägung zur Zivilklage nicht
eine eigene Feststellung vornehmen, sondern lediglich die Wahrnehmungen Hirts
wiedergeben wollte: Soviel er sah, kehrte Zarbl nichts vor, also war für ihn
höchste Zeit, einzugreifen. So verstanden, wäre ein Widerspruch zwischen der
Behandlung des Strafpunktes und diesen Ausführungen im Zivilpunkt nicht
vorhanden.
3.- Zur Kassationsbeschwerde im Straf- und Zivilpunkt gegenüber Hirt ist Zarbl
legitimiert, nachdem ihm das kantonale Verfahren als Privatstraf- und
Zivilkläger Parteirechte zugestanden, die er durch Weiterziehung des
erstinstanzlichen Entscheides an die obere kantonale Instanz auch ausgeübt hat
(vgl. BGE 42 I 400).
Die Strafklage gegenüber Hirt ist ebenfalls abzuweisen;

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gemäss den oben stehenden Ausführungen nicht mit der Begründung der
Vorinstanz, sondern wegen mangelnden Verschuldens. Es ginge zu weit, dem
Nebenmann des Führers den Eingriff in die Führung aus eigenem Antrieb unter
allen Umständen zu verbieten. Sieht er sich oder andere in Gefahr, so besteht
für ihn eine moralische Pflicht, sie nach Möglichkeit abzuwenden. Wenn er, wie
Hirt, selber Automobilführer ist, so wird er also versuchen, das der Situation
angepasste, vom Führer unterlassene Manöver, hier die Ablenkung des Automobils
nach links, auszuführen. Für die Radfahrer bestand Gefahr, wenn Zarbl nicht
augenblicklich ablenkte. Man begreift Hirt, wenn er befürchtete, das geschehe
nicht. Also war sein Eingriff ins Steuer verständlich. Der Eingriff war zu
stark, er führte den Wagen in die Fahrbahn des kreuzenden Lastwagens. Darin
liegt eine Widerhandlung gegen die Verkehrsvorschriften. Allein, ist die
exakte Führung vom Nebensitz aus an sich schon schwierig, so ist Hirt
ausserdem die begreifliche Aufregung zugute zu halten, so dass ihm ein
Verschulden nicht zur Last gelegt werden kann.
4.- Damit ist zugleich die Zivilklage erledigt, da Verschulden Voraussetzung
der Schadenersatzpflicht gemäss Art. 41 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
. OR wäre. Verstärkend ist noch
beizufügen, dass es der Schadenersatzkläger selber war, der durch seine zum
mindesten ungehörige Untätigkeit bis zum Moment des Eingriffes diesen geradezu
provoziert hat, sodass sogar bei Annahme etwelchen Verschuldens Hirts in
Anwendung von Art. 44
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
OR die Schadenersatzklage abzuweisen wäre. Fehl geht
hingegen die Begründung der Vorinstanz mit Notstand gemäss Art. 52 al. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
OR.
Denn der Eingriff Hirts in die Lenkung war kein Eingriff in das Vermögen
Zarbls und er war nicht schädigend. Schädigend war die Ablenkung bis in die
Fahrbahn des Lastwagens, die zur Abwendung der Gefahr keineswegs nötig und
zweifellos auch nicht beabsichtigt war.
5.- Der Kassationskläger dringt somit nur mit seiner

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Beschwerde gegen seine eigene Verurteilung durch; mit den weiteren Begehren um
Verurteilung Hirts und um Schutz seiner Schadenersatzklage gegen diesen wird
er dagegen abgewiesen. Es rechtfertigt sich daher, ihm eine reduzierte
Gerichtsgebühr nebst Kanzleikosten aufzuerlegen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das Urteil der
Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern vom 24. Januar 1934, soweit es
die Verurteilung des Kassationsklägers wegen Widerhandlung gegen Art. 25
Absatz 1 MFG ausspricht, aufgehoben und der Kassationskläger von dieser
Anklage freigesprochen wird. Im übrigen wird die Kassationsbeschwerde
abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 I 160
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 25. Juni 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 I 160
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 58 MFG: Führer im Sinn dieser Bestimmung ist jeder, der tatsächlich einen Akt der Führung auf...


Gesetzesregister
OR: 41 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
44 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
52
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
BGE Register
42-I-399 • 60-I-160
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
hirt • vorinstanz • weiler • lastwagen • automobil • verurteilung • kassationshof • vorfahre • verurteilter • fortbewegung • treffen • beherrschen des fahrzeugs • minderheit • notstand • verkehrssicherheit • biel • richtigkeit • schaden • bremse • entscheid
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