S. 428 / Nr. 67 Obligationenrecht (d)

BGE 59 II 428

67. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1933 i. S.
Achermann gegen Einwohnergemeinde Luzern.

Regeste:
Haftung der Gemeinde für ihre Organe bei Tötung eines obligatorisch
versicherten Arbeiters. KUVG Art. 129, ZGB Art. 55.
Grobe Fahrlässigkeit der Aufsichtspersonen bei Versetzung eines
Freileitungsmastes des Elektrizitätswerkes.

A. - Am 27. Mai 1929 erlitt der Ehemann der Klägerin, Xaver Achermann,
Hilfsarbeiter in Luzern, den tötlichen Unfall, der zum vorliegenden Prozesse
führte. Die Einstellung eines Neubaues nordöstlich des Hofraumes des
SUVAL-Verwaltungsgebäudes in Luzern erforderte die Beseitigung einiger
Kastanienbäume und die Versetzung eines sich in der Nähe befindlichen
hölzernen Freileitungsmastes des Elektrizitätswerkes der Stadt Luzern. Dieser
Mast war unten teilweise angefault. Bevor er entfernt wurde, machte die auf
dem Platz tätige Baufirma das Elektrizitätswerk auf den schlechten Zustand
aufmerksam. Am Unfalltag begab sich der Bauführer Renggli mit dem Chefmonteur
des Elektrizitätswerkes, Staffelbach, auf die Baustelle, um den Standort des
neu zu errichtenden Mastes zu bestimmen. Nachdem diese Stange errichtet worden
war, erhielt der Leitungsziehergehilfe Wüest den Auftrag, zusammen mit
Achermann die Drähte vom alten Mast wegzunehmen und am neuen zu befestigen.
Dabei wurde Wüest von Renggli über die Fäulnis der alten Stange unterrichtet.
Diese war etwa 10 m hoch. Bei Durchführung

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der Arbeit wurde sie durch drei Stützen, sogenannte «Sticher», gesichert. Zwei
«Sticher» wurden auf der Seite der ungefähr zwei Meter hohen Böschung
angelegt, der dritte auf der entgegengesetzten Seite. Nun bestieg Achermann
die Stange, um die Drähte zu lösen. Er operierte dabei mit der Zange. Bei dem
Rucke, den die Lösung der im stumpfen Winkel zu- und weglaufenden Drähte
verursachte, hielt die Stange nicht stand, und mit ihr fiel Achermann zu
Boden. Er starb unmittelbar nach der Ankunft im Kantonsspital an den
erlittenen Verletzungen.
Der Verstorbene war bei der SUVAL obligatorisch versichert. Die Anstalt
leistet der Ehefrau, Louise Achermann-Hespelt, eine Rente von 30% des auf 3106
Fr. berechneten Jahresverdienstes des Verunfallten, also jährlich 931 Fr. 80
Cts.
B. - Am 23. August 1929 hat Frau Louise Achermann gegen die Einwohnergemeinde
Luzern als Inhaberin des Elektrizitätswerkes Klage auf Bezahlung einer
Schadenersatz- und Genugtuungssumme von 20000 Fr. nebst 5% Zins seit 3. August
1929, eventuell auf Entrichtung einer Zusatzrente von 75 Fr. im Monat zu
derjenigen der SUVAL und einer Genugtuungssumme von 5000 Fr. nebst 5% Zins
seit 3. August 1929 erhoben.
C. - Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt.
D...
E. - Das Obergericht des Kantons Luzern hat die Klage am 19. Mai 1931 gänzlich
abgewiesen.
F. - Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen und Gutheissung der Klage beantragt.
G. - Nachdem ihr Gesuch um Bewilligung des Armenrechtes abgewiesen worden war,
hat die Klägerin ihre Berufung unter Hinweis auf ein beim kantonalen Richter
eingereichtes Revisionsbegehren zurückgezogen.
H. - Gegen die im Zivilprozess einvernommenen Zeugen Staffelbach, Wyss und
Wüest hatte die Klägerin Strafklage wessen falschen Zeugnisses erhoben und
gestützt

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auf das Untersuchungsergebnis beim Obergericht des Kantons Luzern ein Begehren
um Revision des Urteils vom 19. Mai 1931 eingereicht.
J. - Das Obergericht des Kantons Luzern hat die Revision bewilligt, das Urteil
vom 19. Mai 1931 aufgehoben und am 12. Juli 1933 erkannt:
«Die Beklagte hat der Klägerin eine lebenslängliche Rente von monatlich 40 Fr.
jeweils vorauszahlbar, erstmals verfallen am 1. Juni 1929 und seit Verfall zu
5% verzinslich zu bezahlen.»
K. - Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die Berufung an das
Bundesgericht erklärt.
Die Klägerin hat Gutheissung der Klage in vollem Umfang, die Beklagte
gänzliche Abweisung der Klage beantragt.
L. - An der heutigen Verhandlung haben beide Parteien ihre Anträge wiederholt
und je um Abweisung der Berufung der Gegenpartei ersucht.
Aus den Erwägungen:
1.- ... Ob die Haftung des Geschäftsherrn auf Grund von Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
OR auch in den
Fällen anwendbar ist, wo, wie hier, nach der Behauptung des Klägers die
Angestellten oder Arbeiter in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen
Verrichtungen einen Schaden nicht irgend einem Dritten, sondern einem andern
Angestellten oder Arbeiter desselben Geschäftsherrn verursacht haben und wie
sich die strenge Haftung nach Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
allenfalls zu Art. 129
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
KUVG verhalten
würde, kann offen gelassen werden, da hier die Beklagte für ihre Organe
haftet, welche die durch Art. 339
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 339 - 1 Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden alle Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis fällig.
1    Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden alle Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis fällig.
2    Für Provisionsforderungen auf Geschäften, die ganz oder teilweise nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt werden, kann durch schriftliche Abrede die Fälligkeit hinausgeschoben werden, jedoch in der Regel nicht mehr als sechs Monate, bei Geschäften mit gestaffelter Erfüllung nicht mehr als ein Jahr und bei Versicherungsverträgen sowie Geschäften, deren Durchführung mehr als ein halbes Jahr erfordert, nicht mehr als zwei Jahre.
3    Die Forderung auf einen Anteil am Geschäftsergebnis wird fällig nach Massgabe von Artikel 323 Absatz 3.
OR geforderten Schutzmassnahmen gegen die
Betriebsgefahren nicht getroffen haben. Aus diesem Grunde braucht auch nicht
weiter untersucht zu werden, ob sich die Klägerin noch auf eine unerlaubte
Handlung der Beklagten berufen könnte.
Nach Art. 129
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
KUVG haftet jedoch für einen Unfall, der einen Versicherten der
SUVAL getroffen hat, sein

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Arbeitgeber nur bei absichtlicher oder grobfahrlässiger Herbeiführung. Die
Beklagte nimmt nun den Standpunkt ein, die Absicht oder grobe Fahrlässigkeit
müsse nach Art. 129
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
KUVG dem Arbeitgeber selbst zur Last fallen, sonst hafte
er nicht,; ein grobes Verschulden der Arbeitskollegen des Geschädigten genüge
also nicht. Zur Unterstützung dieses Standpunktes hat sich die Beklagte auf
das nicht publizierte Urteil des Bundesgerichtes vom 15. Januar 1929 i. S.
Fuchs gegen Schwendimann berufen Die Frage, ob und wie der Arbeitgeber für ein
grobes Verschulden der Angestellten und Arbeiter nach Art. 129
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
KUVG
einzustehen hat, kann aber überhaupt offen gelassen werden, da wie gesagt die
Beklagte nach ZGB Art. 55 für den Schaden aufzukommen hat. Nach den
Grundsätzen, die das Bundesgericht am 25. Januar 1922 in seinem Urteil i. S.
der Kantonalbank von Bern gegen den Heizer- und Maschinistenverband (BGE 48 II
S. 6
ff.) über die Unterscheidung der Organe von blossen Hilfspersonen bei
Anwendung der deliktischen Haftung der juristischen Person aufgestellt hat,
muss wenn nicht der Arbeiter Wüest, so doch der Chefmonteur Staffelbach als
Organ des Werkes und damit auch der Beklagten angesehen werden (vgl. auch
EGGER, Kommentar zum ZGB, N. 6 ff. zu Art. 55). Darnach ist sein Verschulden
als dasjenige der Beklagten selbst anzusehen.
2 - Im heute angefochtenen Urteil stellt das Obergericht fest, dass die
Annahme, Chefmonteur Staffelbach habe in dem Zeitpunkt, in dem er die
Versetzung des Mastes anordnete, dessen Zustand nicht gekannt, nach
Durchführung der Strafuntersuchung nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte.
Staffelbach sei durch den Architekten Möri telephonisch von der Fäulnis der
Stange benachrichtigt worden. Baumeister Ammann und Bauführer Renggli hätten
nach dem Rapporte des Polizeikorporals Fischer vom 16. August 1929 dem
Chefmonteur Staffelbach den zu versetzenden Leitungsmast gezeigt und ihn dabei
ebenfalls auf den faulen Zustand desselben

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aufmerksam gemacht. Diese Feststellung wird nun freilich durch die Beklagte
als aktenwidrig angefochten. Ein summarischer Polizeirapport vermöge gegen die
massgebenden Zeugenverhöre nicht aufzukommen. Die Aktenwidrigkeitsrüge
entbehrt jedoch der genügenden Substantiierung. Der Hinweis auf «die
massgebenden Zeugenverhöre» genügt nicht, sondern es hätte das Aktenstück
genau bezeichnet werden müssen, mit dem die vorinstanzliche Feststellung im
Widerspruch stehen soll. Überdies richtet sich die Rüge der Beklagten in
Wirklichkeit gegen die Beweiswürdigung durch das Obergericht, mit der sich das
Bundesgericht nicht zu befassen hat. Ob einem Polizeirapport mehr Glauben
beigelegt werden kann, als bestimmten Zeugenaussagen. kann das Bundesgericht
nicht überprüfen.
Auch die weitere Annahme im Urteile des Obergerichtes vom 19. Mai 1931, dass
der fragliche Mast die Jahreszahl 1924 getragen habe und man daher in guten
Treuen habe voraussetzen dürfen, er sei noch gesund, wird im angefochtenen
Entscheid nicht mehr aufrecht erhalten.«Durch eine von der Kriminal- und
Anklagekommission angeordnete Expertise wurde festgestellt,. dass sich auf dem
Leitungsmast die Zahl 1924 nicht vorfand, wohl aber die Zahl 23, ohne dass
sich feststellen liesse, ob damit die Jahreszahl 1923 gemeint sein sollte.»
Die Beklagte hat allerdings auch diese Annahme als aktenwidrig angefochten.
Allein auch hier genügt der allgemeine Hinweis auf die Zeugenaussagen nicht,
und wenn die Vorinstanz dem Expertengutachten Bannert und Grau mehr Gewicht
beigemessen hat, als den Aussagen von Staffelbach und Wyss, ist dagegen vom
Standpunkt des Bundesrechtes aus nichts einzuwenden. Die Aussagen Staffelbachs
und Wyss stehen übrigens im Widerspruch mit weitern Depositionen.
In ihrem ersten Urteil hatte die Vorinstanz als Fehler festgehalten, dass die
Stange nur durch drei «Sticher» gesichert worden war, die allerdings je 5 m
gemessen

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haben sollen. Auch diese letztere Annahme wird durch das zweite Urteil fallen
gelassen. Sie widerspreche dem Polizeirapport Fischer's vom 28. Mai 1929,
wonach die Länge nur 3,8 m betragen habe, während der Mast 8,95 m lang gewesen
sei. Da der Polizeirapport kurze Zeit nach dem Unfall aufgenommen worden sei,
der rapportierende Polizeikorporal den Mast selber gemessen habe und sich nach
der Länge der «Sticher» bei den Zeugen Elmiger, Müller und Weibel erkundigt
habe, müsse darauf abgestellt werden...
Das Verhalten des Chefmonteurs Staffelbach muss nach den nunmehr vorliegenden
und für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des
Obergerichtes als grob fahrlässig eingeschätzt werden. Ohne hinreichende
Sicherungsvorkehren hätte er Achermann die Stange nicht besteigen lassen
dürfen. Dass die Drähte erst nach der Niederlegung der Stange hätten gelöst
werden müssen, um den Ruck zu vermeiden, kann freilich nicht angenommen
werden, denn die Lösung der Drähte war ja gerade die Voraussetzung der
Niederlegung. Allein die Lösung der Drähte hätte ja auch von einer nicht an
den Mast angelehnten Leiter aus geschehen können. Jedenfalls war Staffelbach
auf den Fäulniszustand der Stange aufmerksam gemacht worden, und es lag an ihm
als Chefmonteur, den Mast noch eingehender zu untersuchen und alle technischen
Anordnungen zu treffen. um den Unfall zu verhüten. Dieser war für ihn leicht
voraussehbar. Statt aber Sicherungsmassnahmen zu treffen, überliess er die
Arbeit dem Wüest, der übrigens den Zustand der Stange ebenfalls kannte und dem
ebenfalls ein schweres Verschulden zur Last fällt.
Gestützt auf die Ausführungen des Oberexperten über die Unfallursachen muss
aber auch ein Mitverschulden des Getöteten angenommen werden. Er ist bei der
Lösung der Drähte von den Isolatoren nicht mit der nötigen Sorgfalt zu Werk
gegangen, und er hat so das plötzliche Schwanken des angefaulten Mastes
verursacht. Obwohl

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er nur Hilfsarbeiter war, hätte er auch die Stange vor dem Besteigen selbst
wenigstens summarisch prüfen können. Seine Schuld an seinem Unfall ist
allerdings gering zu veranschlagen, zumal er keine Kenntnis davon hatte, dass
die Drähte durchbrannt waren. Immerhin hätte er schon daraus, dass der Mast
gestützt wurde, ersehen können, dass etwas nicht in Ordnung war und eben
deshalb besonders vorsichtig die Drähte lösen sollen. Unter Würdigung aller
Umstände ist die Bemessung seines Mitverschuldens mit einem Fünftel als
gerecht und billig zu bezeichnen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 II 428
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 29. November 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 II 428
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Haftung der Gemeinde für ihre Organe bei Tötung eines obligatorisch versicherten Arbeiters. KUVG...


Gesetzesregister
KUVG: 55  129
OR: 55 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
339
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 339 - 1 Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden alle Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis fällig.
1    Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden alle Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis fällig.
2    Für Provisionsforderungen auf Geschäften, die ganz oder teilweise nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt werden, kann durch schriftliche Abrede die Fälligkeit hinausgeschoben werden, jedoch in der Regel nicht mehr als sechs Monate, bei Geschäften mit gestaffelter Erfüllung nicht mehr als ein Jahr und bei Versicherungsverträgen sowie Geschäften, deren Durchführung mehr als ein halbes Jahr erfordert, nicht mehr als zwei Jahre.
3    Die Forderung auf einen Anteil am Geschäftsergebnis wird fällig nach Massgabe von Artikel 323 Absatz 3.
BGE Register
48-II-1 • 59-II-428
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • mast • bundesgericht • grobe fahrlässigkeit • vorinstanz • arbeitgeber • zins • zeuge • schaden • treffen • verhalten • monat • zahl • hilfsarbeit • schutzmassnahme • schweres verschulden • gewicht • sorgfalt • entscheid • ehegatte
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