S. 195 / Nr. 34 Muster- und Modellschutz (d)

BGE 59 II 195

34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Mai 1933 i. S. Gebrüder Weil gegen
Jakob Rohner A.-G.

Regeste:
Musterschutz. Bei Mustern, die auch im Inland verkauft werden, kommt es
hinsichtlich der Frage der Neuheitszerstörung ausschliesslich auf die
Verhältnisse im Inland an. Widerspruch zu einem frühern bundesgerichtlichen
Urteil wegen abweichender tatsächlicher Feststellungen der kantonalen Instanz.
MMG Art. 12 Ziff. 1 (Erw. 2).
Schadenersatzpflicht des Verletzers. Verschuldensfrage: Dolus eventualis oder
Fahrlässigkeit? MMG Art. 24 ff. (Erw. 3).
Bemessung des Schadenersatzes, Grundsätze und Herabsetzungsgründe (Erw. 4).

A. - Die Klägerin, Jakob Rohner A.-G., Rebstein, welche der Fabrikation und
dem Vertrieb von Stickereien obliegt, glaubte festzustellen, dass die Firma
der Beklagten, Gebrüder Weil, verschiedene ihrer geschützten Muster nachahme,
nämlich
a) die Muster Nr. 52637, 56613 und 015155 (Bouquet de la Vierge) durch die
Herstellung der Muster 7515/ 105821;
b) die Muster Nr. 43885, 50120 und 50120/III (Dessin Hia) durch die
Herstellung der Muster 7511/105839;

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c) die Muster Nr. 2353 und 52402 (Dessin Rosana) durch die Herstellung der
Muster 7500/105820;
d) das Muster Nr. 48988 (Dessin Fritzi) durch die Herstellung der Muster
7704/105912.
B. - Am 13. April 1932 hat sie deshalb wegen Musterrechtsverletzung folgende
Klage beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen anhängig gemacht:
«Es sei gerichtlich zu erkennen:
1.- Die Beklagtschaft habe sich der widerrechtlichen Kopie resp. Nachahmung
der klägerischen Muster 52637,
56613, 015155, 43885, 50120, 50120/III, 2353, 52402, und 48988 schuldig
gemacht.
2.- Die Beklagte habe die fraglichen Muster aus der Kollektion zu entfernen
und die allfällig vorhandenen Warenbestände dem Gericht, resp. der
Klägerschaft zur Verfügung zu stellen.
3.- Die Beklagtschaft sei der Klägerin für diese Musterschutzverletzung
schadenersatzpflichtig und habe für direkten Schaden 70615 Fr. 85 Cts. nebst
5% Zinsen, jeweilen drei Monate seit den Verfalldaten der beklagtischen
Bestellungsaufnahmen, und weitere 70615 Fr. 85 Cts. für indirekten Schaden
nebst 5% Zinsen von den gleichen Daten an zu bezahlen.
4.- Es sei gemäss Art. 28 des Musterschutzgesetzes resp. Art. 17 des
Handelsgerichtsgesetzes durch das Gerichtspräsidium vorsorglich in der ihm
geeignet scheinenden Weise ein Untersuch bei der Beklagten vorzunehmen, und es
sei der Umfang der Verletzungen festzustellen.»
C. - Entsprechend dem Gesuch der Klägerin hat der Präsident des
Handelsgerichtes unter Zuziehung eines weitern Mitgliedes desselben am 21.
April 1932 im Geschäfte der Beklagten eine Tatbestandaufnahme durchgeführt und
dabei festgestellt, dass sich sämtliche von der als Nachahmungen namhaft
gemachten Dessins der Beklagten in dem Musterbuch vorfanden, und er hat die
darauf durch die Beklagte seit Anfang 1931

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aufgenommenen Bestellungen unter Angabe der Ordrenummer, des Datums der
Bestellung, der Anzahl der verkauften Stücke und deren Länge, des
Verkaufspreises und des Dessins in das Protokoll aufgenommen. Aus diesem geht
ferner hervor, dass die Verkäufe regelmässig cif. Casablanca oder einen andern
Hafen Marocco's erfolgt waren und dass der Kaufpreis mit 5% Skonto innert 60
Tagen oder netto innert 120 Tagen zu entrichten war. Die Beklagten haben
anlässlich der Verhandlung zugegeben, dass ihnen bestickte Muster zugestellt
worden seien und dass ihre Zeichner diese als Vorlage benützt, aber abgeändert
hätten.
D. - Die beklagte Firma hat Abweisung der Klage beantragt und folgende
Widerklage erhoben:
«1. - Es sei gerichtlich zu erkennen:
a) dass die Widerbeklagte sich der widerrechtlichen Nachahmung des
widerklägerischen Dessins Nr. 104912 schuldig gemacht habe, eventuell, dass
das klägerische Dessin Nr. 2353 im Zeitpunkt seiner Hinterlegung
internationalen Amt für gewerbliches Eigentum am 28. Februar 1931 laut
Hinterlegungsschein 911 nicht mehr neu gewesen und dass daher diese Eintragung
ungültig und gerichtlich zu annullieren ist,
b) dass die Klägerin das Muster 2353 aus ihren Kollektionen zu entfernen und
allfällig vorhandene Warenbestände dem Gerichte resp. der Widerklägerin zur
Verfügung zu stellen habe,
c) dass die Klägerin der Widerklägerin für diese Musterschutzverletzung
schadenersatzpflichtig ist.
2.- Es sei die Eintragung der klägerischen Dessins Nr. 50120, in Bern
hinterlegt am 21. Juli 1928 gemäss Hinterlegungsschein Nr. 42875, und
50120/III, in Bern hinterlegt am 9. März 1931 gemäss internationalem
Hinterlegungsschein Nr. 938 als ungültig zu erklären und beim Eidg. Amt für
geistiges Eigentum, resp. beim Internationalen Amt für gewerbliches Eigentum
zu annullieren.
3.- Es sei die Eintragung des klägerischen Dessins Nr. 43.885 beim Eidg. Amt
für geistiges Eigentum in

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Bern laut Hinterlegungsschein Nr. 40176 vom 92. Januar 1927 gerichtlich zu
löschen.
4.- Es sei durch eine gerichtliche Expertise festzustellen, unter welchen
Umständen das klägerische Muster Nr. 2353 entstanden ist und welche
Quantitäten dieses Dessins nach französisch und spanisch Marocco durch die
Widerbeklagte geliefert worden sind.»
E. - Die Klägerin und Widerbeklagte hat Abweisung der Widerbeklagte beantragt.
F. - Am 2. März 1933 hat das Handelsgericht des Kantons St. Gallen erkannt:
1.- Die Beklagte wird der widerrechtlichen Nachahmung der klägerischen Muster
5661315155 und 50120 schuldig erklärt und verpflichtet, ihre Muster
7515/105821 und 7511/105839 aus ihrer Musterkollektion zu entfernen.
2.- Die Beklagte hat der Klägerin eine Entschädigung von 39374 Fr. 70 Cts.
nebst 5% Zins seit 1. April 1932 zu bezahlen; im Mehrbetrage wird die
Schadenersatzforderung abgewiesen.
3.- Die Widerklage wird abgewiesen.
G. - Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig und in der
vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen und folgende
Anträge eingereicht:
«1. - Es sei in Abänderung von Ziff. 2 des Urteilsdispositives vom 28.
Dezember 1932/3. März 1933 die klägerische Schadenersatzforderung gänzlich
abzuweisen.
Eventuell: Es sei die von den Beklagten an die Klägerin für die Nachahmung der
Dessins Nr. 56613, 15155 und 50120 zu bezahlende Entschädigung nach Ermessen
des Bundesgerichtes herabzusetzen,
subeventuell: Es sei das bei der Berechnung der Entschädigung für die
Nachahmung der Dessins 56613 und 15155 dem Handelsgericht unterlaufene
Verschen durch Reduktion der Schadenersatzsumme um ca. 1200 Fr. zu
korrigieren.
2.- Es sei in teilweiser Abänderung von Ziff. 3 des Urteilsdispositives das
widerklägerische Rechtsbegehren 3

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zu schützen und entsprechend das klägerische Dessin Nr. 43885 gerichtlich zu-
löschen.
3.- Es sei in Abänderung von Ziff. 6 des Urteilsdispositives die von der
Beklagten der Klägerin zu bezahlende ausserrechtliche Entschädigung auf 500
Fr. eventuell auf einen Betrag nach richterlichem Ermessen zu reduzieren.
4.- Eventuell seien die Akten zur Vervollständigung an das Handelsgericht
zurückzuweisen.»
H. - ...
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Da die Klägerin das Rechtsmittel der Berufung nicht ergriffen hat, muss es
bei der Abweisung der Klagebegehren Nr. 1-3 hinsichtlich der klägerischen
Muster Nr. 51637, 43885, 50120/III, 2353, 52402 und 48988 sein Bewenden haben.
Ferner kann unter diesen Umständen die von der Vorinstanz festgesetzte
Schadenersatzpflicht wegen Verletzung der Muster Nr. 56613, 15155 und 50120
der Klägerin nicht erhöht werden. Da auf der andern Seite die Beklagte nicht
mehr auf Gutheissung der Widerklage in vollem Umfange beharrt, sondern nur
noch deren Ziff. 3, die Löschung des Musters Nr. 43885 der Klägerin
betreffend, aufrecht hält, sind im Berufungsverfahren lediglich noch die
Schadenersatzpflicht wegen Nachahmung der Muster Nr. 56613, 15155 und 50120
durch die Beklagte und die Frage der Neuheit des Musters Nr. 43885 zur Zeit
der Hinterlegung streitig. Es empfiehlt sich, die letztere Frage vorweg zu
behandeln.
2.- Das Bundesgericht hat schon wiederholt erkannt, dass bei Beurteilung der
Neuheit eines Musters zur Zeit der Hinterlegung grundsätzlich nur die
Verhältnisse im Inlande in Betracht fallen (BGE 54 II S. 58 ff., 56 II S. 71
ff. 56 II S. 235 ff.). In seinem Urteil vom 6. Mai 1930 i. S. Jakob Rohner
A.-G. gegen F. Bühler & Cie (BGE 56 II S. 235 ff.) hat es jedoch für
sogenannte reine Exportmuster eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen;
es hat entscheiden, dass eine Ausnahme vom

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Territorialitätsprinzip zu machen und auch auf die Verhältnisse im Auslande
abzustellen sei, wenn es sich um ein Muster einer schweizerischen
Exportindustrie handle, das überhaupt nur im Auslande abgesetzt werde. Die
Klägerin und Berufungsbeklagte hat Zweifel über die Richtigkeit dieser
Rechtsprechung verlauten lassen; der Begriff des reinen Exportmusters sei
verschwommen und überdies sei ungewiss, ob es überhaupt Muster gebe, die nie
in der Schweiz gehandelt und abgesetzt werden. Das Handelsgericht des Kantons
St. Gallen scheint diese Zweifel zu teilen. Das Bundesgericht hat jedoch
keinen Grund, bei Entscheidung des vorliegenden Falles auf seine Praxis
zurückzukommen, denn einerseits werden diese Zweifel doch nur mit den
Verhältnissen in der Stickereiindustrie begründet, während der Musterschutz
auch andern Industrien zu gute kommt, und anderseits erweist sich hier die
Widerklage auf Löschung schon deshalb als aussichtslos, weil das fragliche
Muster kein reines Exportmuster ist, also nur die Verhältnisse im Inland zur
Zeit der Hinterlegung in Betracht fallen und eine Neuheitszerstörung im Inland
auch durch die Widerklägerin nicht behauptet wird. Die Vorinstanz hat nämlich
in Erwägung 2 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass Ware von den
streitigen Mustern auch in der Schweiz gehandelt werde, indem
Kommissionshäuser, welche ihren Sitz in Winterthur und Zürich und teilweise
auch in St. Gallen haben, an diesem Ort solche Waren für Marokko kaufen. Dazu
komme, dass marokkanische Einkäufer, wenn auch nicht häufig, nach St. Gallen
reisen, wie aus dem Prozess Bodenmann gegen die Klägerin, der auf dem Weg der
Berufung auch vor das Bundesgericht gelangt ist, und anderweitig bekannt sei.
(Vgl. das nicht gedruckte Urteil vom 16. Februar 1932 i. S. Bodenmann gegen
Jakob Rohner A.-G.) Darin liegen tatsächliche Feststellungen des
Handelsgerichtes, die für das Bundesgericht gemäss Art. 81 OG verbindlich
sind, da sie nicht als aktenwidrig angefochten worden sind. Offenkundigkeit
des Musters Nr. 43885 im Ausland zur

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Zeit der Hinterlegung kann seiner Neuheit also nicht schaden, und die
Widerklage muss, soweit sie noch im Streite liegt, abgewiesen werden.
Auf diese Weise entsteht allerdings ein Widerspruch mit dem erwähnten Urteil
des Bundesgerichtes vom 6. Mai 1930 i. S. Jakob Rohner A.-G. gegen E. Bühler &
Co., indem dort dasselbe Muster Nr. 43885 der Klägerin als zur Zeit der
Hinterlegung nicht neu bezeichnet wurde, im Gegensatz wiederum zu einem noch
frühern bundesgerichtlichen Erkenntnis, vom 29. Januar 1930 i. S. Textor A.-G.
gegen Jakob Rohner A.-G. (BGE 56 II S. 78), in dem das gleiche Muster als neu
behandelt worden war. Die Widersprüche erklären sich jedoch zwanglos daraus,
dass das Bundesgericht in allen drei Fällen an tatsächliche Feststellungen
verschiedener kantonaler Gerichte gemäss Art. 81 OG gebunden war und ist und
dass diese Feststellungen ihrerseits einander widersprechen. Im Falle der
Textor A.-G. gegen die Klägerin hatte das Handelsgericht des Kantons St.
Gallen konstatiert, dass das Muster vor der Hinterlegung ein einziges Mal und
dazu von einem Agenten der Klägerin im Auslande bestellt worden sei, und das
Bundesgericht hatte es gestützt darauf abgelehnt, ein Bekanntsein des Musters
unter den beteiligten Verkehrskreisen anzunehmen. Im Falle Jakob Rohner A.-G.
gegen E. Bühler & Co. dagegen hatte das Obergericht des Kantons Appenzell A.
Rh. festgestellt, dass die drei streitigen Muster, worunter Nr. 43885, vor der
Hinterlegung in Nordafrika allgemein zur Auslieferung gelangt seien, und das
Bundesgericht hatte hierüber ausgeführt: «Es frägt sich nur noch, ob die drei
typischen Exportmuster der Klägerin zur Zeit der Hinterlegung unter den
beteiligten Verkehrskreisen des afrikanischen Absatzgebietes bereits bekannt
gewesen seien. Auch daran kann kein Zweifel mehr bestehen, nachdem im
vorliegenden Fall im Gegensatz zur Sache Textor A.-G. gegen die Klägerin
feststeht, dass nicht nur ein einmaliger Verkauf durch einen Vertrauensmann
der Klägerin erfolgt ist, sondern

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dass die Muster verschiedenen, den beteiligten Verkehrskreisen angehörenden
Kunden an verschiedenen Orten eröffnet worden sind.» Das Bundesgericht hat
dann in seinem Urteil über das Revisionsgesuch der Firma Textor A.-G. vom 19.
November 1930 (BGE 56 II S. 394 ff.) noch näher ausgeführt, wir der
Widerspruch zwischen den beiden Urteilen zu deuten ist und dass ein
Revisionsgrund nicht vorliegt, wiewohl das erste Urteil das gleiche Muster als
neu, das zweite als nicht neu bezeichnet hatte. Ein ähnlicher Widerspruch
entsteht nun neuerdings zwischen dem Urteil i. S. Bühler & Co. und dem
vorliegenden. Dort hatte die Klägerin nämlich ausdrücklich zugegeben, dass das
Muster ausschliesslich für den Verkauf im nördlichen Teil von Afrika bestimmt
sei (BGE 56 II S. 236), während hier im Gegensatz zu jener Anerkennung die
Vorinstanz festgestellt hat, dass diese Ware auch in der Schweiz gehandelt
werde. Es mag richtig sein, dass derartige gegensätzliche Entscheidungen in
Bezug auf das gleiche Muster eine gewisse Unsicherheit bewirken (vgl. die
Kritik von GUHL in der Zeitschrift des bern. Jur. Vereins, 67. Jahrgang, S.
441); allein diese Unsicherheit ist unlösbar mit dem Art. 81 OG verbunden,
wonach das Bundesgericht an tatsächliche Feststellungen, wenn sie den Akten
nicht zuwiderlaufen, in allen Fällen gebunden ist. Eine andere Lösung wäre im
vorliegenden Fall nur möglich gewesen, wenn das Muster Nr. 43885 der Klägerin
im Prozesse gegen E. Bühler & Co. wegen Neuheitszerstörung der Löschung
unterworfen worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen; E. Bühler & Co.
hatten in ihrem Prozesse gegen die Klägerin den behaupteten Mangel der Neuheit
lediglich einredeweise geltend gemacht, nicht aber eine Löschungsklage
erhoben, so dass das Bundesgericht nicht auf Löschung erkennen konnte. Die
blosse einredeweise Geltendmachung der Neuheitszerstörung hatte der damaligen
Beklagten durchaus freigestanden, denn was für die Marken und
Erfindungspatente gilt, muss auch für die gewerblichen Muster gelten (BGE 30
II S. 585
, 35 II S. 338,

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56 II S. 146, 58 II S. 60). Daher rührt es, dass sich die heutige Beklagte und
Widerklägerin nicht auf Rechtskraft des Urteiles im Falle E. Bühler & Co.
berufen kann, denn die Löschung ist damals, wie gesagt, unterblieben, und wenn
dem Muster lediglich in den Motiven die Neuheit zur Zeit der Hinterlegung
aberkannt wurde, so ist das Bundesgericht an diese Entscheidung nicht
gebunden, zumal auch die Parteien nicht auf beiden Seiten dieselben sind, wie
damals. Die Beklagte selbst gibt das eigentlich zu, denn sie hat eine
Widerklage auf Löschung des klägerischen Musters Nr. 43885 erhoben, was
offenbar nicht notwendig gewesen wäre, wenn schon das Urteil im Falle E.
Bühler & Co. eine absolute Wirkung entfaltet hätte.
3.- Die widerrechtliche Nachahmung der klägerischen Stickereimuster Nr. 56613,
15155 und 50120 durch die Beklagte ist nicht mehr streitig, nachdem die
Beklagte ihre Berufung nicht gegen das Dispositiv Nr. 1 des
handelsgerichtlichen Urteils gerichtet hat. Es muss daher auch bei der
Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung ihrer Muster 7515/105821 und
7511/105839 aus ihrer Kollektion sein Bewenden haben.
Bestritten hat die Beklagte dagegen, dass sie eine Schuld an der Verletzung
der Musterrechte der Klägerin treffe, und sie hat demgemäss, da ein
Verschulden laut Art. 25 und 26 MMG die unerlässliche Voraussetzung der
Schadenersatzpflicht bildet, diese gänzlich abgelehnt. Ihr Standpunkt ist
jedoch nicht haltbar. Sie hatte schon anlässlich der Tatbestandaufnahme durch
das Handelsgerichtspräsidium ausdrücklich zugegeben, dass ihre Muster keine
originellen Schöpfungen darstellen und denen der Klägerin nicht nur zufällig
ähnlich sind, sondern dass diese als Vorlagen gedient haben; es seien ihr
nämlich durch ihre Kunden oder Agenten bestickte Muster zugestellt worden, die
sie dann ihrem Zeichner zur Vornahme von Abänderungen unterbreitet habe. Sie
hätte jedoch die Pflicht gehabt, erst Nachforschungen anzustellen, ob ihr die
eingesandten Muster geschützt seien. Wenn der Verletzer wie

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hier kraft seiner Kenntnis der Branche und der besondern Verhältnisse damit
rechnen musste, dass es sich bei dem Vorbild um ein geschütztes Muster
handelte, kann er diese Pflicht nicht in Abrede stellen (vgl. PINZGER, Das
deutsche Geschmackmusterrecht S. 118). Liess die Beklagte es trotzdem einfach
darauf ankommen, so muss man unbedenklich annehmen, dass sie tatsächlich mit
der Möglichkeit der Verletzung eines Musterrechtes gerechnet und die
Nachahmung dennoch vorgenommen hat, also, wie auch die Vorinstanz erwogen hat,
einen dolus eventualis beging (ALLFELD, Kommentar zu den Gesetzen über das
gewerbliche Urheberrecht S. 352). Die Beklagte hat freilich geltend gemacht,
ihre Agentin, die Firma Coriat & Cie in Casablanca, habe sie in einem
Schreiben vom 7. Mai 1931, mit dem sie ihr die Muster unterbreitet habe,
ausdrücklich mit folgenden Worten auf die Möglichkeit eines Musterschutzes
aufmerksam gemacht: «Les dispositions des dessins des articles que nous vous
soumettons, sont en général déposés par nos concurrents; vous ne devez donc
pas les copier, mais simplement établir des contretypes en vous en inspirant,
sans que cela puisse constituer une contre-façon», und sie sei also nicht
leichtfertig vorgegangen, da sie über die Möglichkeit des Schutzes der Muster
unterrichtet gewesen sei. Allein der Brief vom 7. Mai 1931 vermag sie nicht zu
entlasten; er beweist nur einmal mehr, dass die Fachkreise des Bestimmtesten
damit rechnen mussten, die Muster der Klägerin seien geschützt. Wenn nicht ein
Vorsatz, würde also auf alle Fälle Fahrlässigkeit der Beklagten vorliegen,
Fahrlässigkeit genügt aber nach Art. 26 MMG zur Gutheissung eines
Schadenersatzanspruches. Der Einwand der Beklagten geht denn auch in
Wirklichkeit eigentlich nicht dahin, sie habe von der Hinterlegung der Muster
der Klägerin keine Kenntnis und sie habe keine Nachforschungspflicht gehabt,
sondern sie behauptet, sie habe annehmen dürfen, ihre Muster seien von
denjenigen der Klägerin hinlänglich verschieden, so dass der Richter die Frage
der

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widerrechtlichen Nachahmung verneinen werde. Allein auch dieser Auffassung
kann nicht beigepflichtet werden. Wenn auch beim Vergleich des Gesamtbildes
der zwei Muster und der Beurteilung der Frage der Nachahmung die Grenze nicht
immer leicht zu ziehen ist, so trägt doch derjenige die Gefahr, der sich von
einem geschützten Muster inspirieren lassen will und es als Vorlage benützt.
Bei der gegenteiligen Lösung würde die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des
Verletzers, soweit sie auf Schadenersatz geht, überhaupt grösstenteils
illusorisch gemacht. In casu hat die Beklagte selbst darauf hingewiesen, dass
der handelsgerichtliche Fachrichter die Frage der Nachahmung bei einzelnen
Mustern verneint hat, also mit der grössten Sorgfalt vorgegangen ist; und da
die Beklagte auf der andern Seite die Annahme der Nachahmung bei den Mustern
Nr. 56613, 15155 und 50120 der Klägerin nicht angefochten hat, steht es ihr
schlecht an, das handelsgerichtliche Urteil nun so auszulegen, als ob man
ebensogut auch anders hätte entscheiden können.
4.- Bei der Berechnung des Schadens hat das Handelsgericht zuerst die
Selbstkosten der Klägerin (Stoffverbrauch, Bleichen, Stickmaterial, Sticken,
Nachsticken und Fädeln, Ausrüsten und Verpacken) für die beiden Dessins
Bouquet de la Vierge (Muster 56613 und 15155) und Hia (Muster 50120) bemessen
und sodann an Hand der Verkaufspreise, der Sconti und Kommissionen, der
Fracht-, Versicherungs- und Inkassospesen den Gewinn angesetzt, der sich pro
Meter auf 0,616 Fr. bei der Ware Bouquet de la Vierge und auf 0,6052 Fr. bei
der Ware Hia beläuft. Auf diese Weise ergibt sich über den Schaden folgendes
Bild, nachdem noch 12,5% wegen nachträglichen Gewinnrückganges zugunsten der
Beklagten abgezogen worden sind:
Dessin Bouquet de la Vierge 55641,6 Meter: 29786 Fr. 25 Cts.; Dessin Hia
3974,4 Meter, 2016 Fr. 45 Cts.
Ausserdem hat die Vorinstanz einen Anspruch auf Ersatz des indirekten Schadens
nach freiem Ermessen

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in der Höhe von 7500 Fr. (25% des direkten Schadens) geschützt.
Die Beklagte hat an dieser Schadensberechnung zunächst beanstandet, dass die
Vorinstanz von der Vermutung ausgegangen sei, die Klägerin hätte die gleichen
Verkäufe zu ihren eigenen Preisen gemacht, wenn die Nachahmungen nicht erfolgt
wären. Es besteht jedoch kein Grund, dieses Prinzip, wie die Beklagte es haben
will, nur dann anzuwenden, wenn nur geringe Mengen der Nachahmung verkauft
worden sind. Ebenso ist abzulehnen, den Schaden nach den Grundsätzen über die
ungerechtfertigte Bereicherung zu berechnen.
Eine Erhöhung des Abzuges wegen Gewinnrückganges fällt ebenfalls nicht in
Betracht. Unter Berücksichtigung der grossen Konkurrenz und der Krisis auf dem
marokkanischen Markt, der Herabsetzung der Kaufkraft der dortigen Bevölkerung,
der Einbusse der Zugkraft der Dessins usw. hat die Vorinstanz den Abzug auf
12,5% und damit reichlich bemessen; ihr Entscheid ist ein ausgesprochener
Ermessensentscheid, von dem abzuweichen das Bundesgericht umso weniger Grund
hat, als ein Handelsgericht, das teilweise mit Fachrichtern der
Stickereiindustrie besetzt ist, bessern Einblick in die massgebenden
Verhältnisse besitzt, als das Bundesgericht. Dasselbe gilt von der Ansetzung
der Ersatzpflicht für indirekten Schaden (wegen Disqualifizierung der
verletzten Muster) auf 7500 Fr.
Einen andern Herabsetzungsgrund erblickt die Beklagte darin, dass sie
jedenfalls nur ein leichtes Verschulden treffe. Allein abgesehen davon, dass
ihre Schuld nicht ohne Weiteres als leicht qualifiziert werden kann, indem
sogar ein dolus eventualis vorliegt, ist zu wiederholen, dass das Risiko in
vollem Umfang denjenigen trifft, der ein geschütztes Muster als Vorlage
benützt hat und dass es nicht teilweise auf den Inhaber des geschützten
Musters abgewälzt werden darf.
Die Beklagte hat weiter darauf hingewiesen, dass die Parteien im Juni 1931
über die Gestaltung der Preise

Seite: 207
miteinander verhandelt hätten und dass die Klägerin damals mit keinem Wort
geltend gemacht habe, die Beklagte habe ihre Muster nachgeahmt. Die Klägerin
habe bis zur Einreichung der Klage trotz Kenntnis der Verletzungen noch fast
ein Jahr lang zugewartet, und es treffe sie somit ein Mitverschulden daran,
dass der Schaden so gross geworden sei. Sie, die Beklagte, habe annehmen
dürfen, dass die Klägerin eine Verletzung der Musterrechte nicht behaupte, und
es sei deshalb zu Lasten der Klägerin gestützt auf Art. 44
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
OR ein erheblicher
Abzug zu machen. Allein die Beklagte beruft sich zu Unrecht darauf, dass dem
Verletzten eine Rechtspflicht zu sofortiger, energischer Verteidigung obliege;
jedenfalls hat die Klägerin glaubhaft gemacht, dass es für eine erfolgreiche
Prozessführung unerlässlich war, zuerst die Beweise zu sammeln und
sicherzustellen, wofür erfahrungsgemäss geraume Zeit notwendig ist, zumal wenn
die Verletzungen in's Ausand hinüberreichen .
5.- ...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons
St. Gallen vom 2. März 1933 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 II 195
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 09. Mai 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 II 195
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Musterschutz. Bei Mustern, die auch im Inland verkauft werden, kommt es hinsichtlich der Frage der...


Gesetzesregister
MMG: 25  26
OG: 81
OR: 44
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
BGE Register
30-II-581 • 54-II-56 • 56-II-235 • 56-II-388 • 56-II-66 • 59-II-195
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • handelsgericht • vorinstanz • widerklage • frage • schaden • kenntnis • zweifel • stelle • weiler • ermessen • treffen • indirekter schaden • schadenersatz • zeichner • tag • wille • fachrichter • direkter schaden
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