S. 204 / Nr. 36 Erbrecht (d)

BGE 58 II 204

36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Juli 1932 i. S.
Müller und Nold gegen Evangelische Kirchgemeinde Weinfelden und Stutz.

Regeste:
Öffentliches Testament, Form. ZGB Art. 500/1: Es genügt, dass der Beamte erst
nach der Bestätigung der Zeugen unterschreibt.

A. - Leonhardt Müller errichtete ein öffentliches Testament, das wie folgt
beurkundet wurde:
«Öffentlich letztwillige Verfügung:
Leonhardt Müller von Weinfelden, zur Zeit Pensionär im Bürgerheim Weinfelden,
hat den unterzeichneten Notar

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des Kreises Weinfelden rufen lassen, um ihm seine letzte Willensverordnung zu
diktieren wie folgt:
Im Falle meines Ablebens soll von meinem Nachlasse die evangelische
Burgergemeinde, respektive Armenpflegeschaft von Weinfelden 5000 Fr.
fünftausend Franken erhalten. Sodann testiere ich für Frau Leonie Stutz-Müller
im Bürgerheim 500 Fr. fünfhundert Franken. Ferner bestimme ich, dass weitere
2000 Fr. zweitausend- ausschlieselich für eine Zentralheizung im Bürgerheim
Weinfelden aus meinem Nachlasse verwendet werden. Der Rest meines Vermögens
soll meinen gesetzlichen Erben zufallen. Im Falle ich keine
pflichtteilsberechtigte Erben hinterlasse, soll mein ganzer Nachlass an die
evangelische Armengemeinde Weinfelden fallen.
Weinfelden, den 29. Januar 1931.
(sig.) Leonhardt Müller.
Erklärung der Zeugen.
Wir die unterzeichneten Zeugen als: Albert Bornhauser, Zimmermeister, und
Johann Bommer, Landwirt, beide wohnhaft in Weinfelden, erklären hiemit, dass
Leonhardt Müller im Bürgerheim Weinfelden vor uns und dem Notar J. Forster in
Weinfelden erklärt hat, er habe das umstehende Testament gelesen und enthalte
dasselbe seine letzte Willensverordnung. Sodann bestätigen -wir, dass der
Testator diese Urkunde vor uns und dem Urkundsbeamten eigenhändig
unterzeichnet und sich dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden hat.
Weinfelden, den 29. Januar 1931. (sig.) A. Bornhauser. (sig.) Joh. Bommer.
Öffentliche Beurkundung.
Der unterzeichnete Notar des Kreises Weinfelden beurkundet hiemit, dass die
vorstehende öffentliche letztwillige Verfügung von mir dem Testator vorgelesen
wurde und dass diese Akte den mir mitgeteilten Willen enthält.

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In meiner Gegenwart und derjenigen zweier Zeugen hat der Testator die Urkunde
eigenhändig unterzeichnet. Im übrigen sind die gesetzlichen Formvorschriften
eingehalten worden.
Weinfelden, den 29. Januar 1931.
(Stempel) Der Notar des Kreises Weinfelden: (sig.) J. Forster.»
B. - Mit der vorliegenden Klage verlangen der Bruder und die Söhne einer
vorverstorbenen Schwester des Erblassers Ungültigerklärung des Testaments u.
a. wegen Formmangel.
C. - Alle Instanzen haben die Klage abgewiesen, das Bundesgericht
an den Gründen:
Es scheint dem Wortlaute der Formvorschriften der Art. 500
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
und 501
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 501 - 1 Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
1    Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
2    Die Zeugen haben auf der Urkunde mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass der Erblasser vor ihnen diese Erklärung abgegeben und dass er sich nach ihrer Wahrnehmung dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe.
3    Es ist nicht erforderlich, dass die Zeugen vom Inhalt der Urkunde Kenntnis erhalten.
ZGB nicht
zu entsprechen, dass die Urkundsperson nicht gleich nach der Datierung und der
Unterzeichnung durch den Erblasser, also vor der Verurkundung der
Zeugenbescheinigung, sondern erst nach dieser die Urkunde unterschrieben hat
(im Anschluss an eine vom Bundesrecht nicht geforderte, aber deswegen nicht
etwa verpönte Beurkundungsformel). Allein es lässt sich kein zureichender
Grund dafür ersehen, dass das Gesetz diese Reihenfolge der
Beurkundungshandlungen hätte ausschliessen, m. a. W. nur die im Gesetze selbst
angedeutete genügen lassen wollen, weil ja die Erklärungen des Erblassers so
oder anders von der Unterschrift der Urkundsperson in gleich zuverlässiger
Weise gedeckt werden. Dass die «Mitwirkung der Zeugen» im Gesetze der
«Mitwirkung des Beamten» nachfolgt, lässt sich zwangslos dadurch erklären,
dass die bezüglichen Vorschriften je in einem Artikel zusammengefasst wurden.
Wenn im Eingang des zweiten-Artikels gesagt wird, die Mitwirkung der Zeugen
habe «unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung» stattzufinden, so
wollte

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damit nur das Erfordernis der unitas actus aufgestellt, m. a. W. abgelehnt
werden, dass eine Mitwirkung von Zeugen erst geraume Zeit nach der Beurkundung
noch genügen würde, was seinen guten Grund hat. Dagegen ist, wie gesagt, kein
zureichender Grund ersichtlich, weswegen die Mitwirkung der Zeugen nicht schon
vor der Unterzeichnung durch die Urkundsperson stattfinden und auch beurkundet
werden durfte, bezw. weswegen solche Antezipation der Mitwirkung der Zeugen
und ihrer Beurkundung einen die Ungültigkeit des Testaments rechtfertigenden
Formmangel ausmachen würde. In dem von den Klägern angezogenen Präjudiz BGE 55
II 236
ff. ist nichts gegenteiliges ausgesprochen worden, da damals eine ganz
andere als die hier streitige Frage zur Entscheidung stand und daher die
Rechtserörterungen auch nur auf jene Frage zugeschnitten wurden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 II 204
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 19. Juli 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 II 204
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Öffentliches Testament, Form. ZGB Art. 500/1: Es genügt, dass der Beamte erst nach der Bestätigung...


Gesetzesregister
ZGB: 500 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
501
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 501 - 1 Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
1    Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
2    Die Zeugen haben auf der Urkunde mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass der Erblasser vor ihnen diese Erklärung abgegeben und dass er sich nach ihrer Wahrnehmung dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe.
3    Es ist nicht erforderlich, dass die Zeugen vom Inhalt der Urkunde Kenntnis erhalten.
BGE Register
55-II-235 • 58-II-204
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
zeuge • testament • notar • erblasser • kreis • frage • formmangel • unterschrift • geschwister • entscheid • form und inhalt • nichtigkeit • erbe • zufall • wille • gesetzliche formvorschrift • erbrecht • hinterlassener • landwirt • gesetzlicher erbe
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