S. 235 / Nr. 51 Erbrecht (d)

BGE 55 II 235

51. Urteil der II. Zivilabteilung von 13. September 1929 i. S. Adler und
Kanton Basel-Landschaft gegen Bauer.


Seite: 235
Regeste:
Öffentliches Testament, ZGB Art. 500/1: Datierung vor der Unterzeichnung durch
den Erblasser ist zulässig.

A. - Die am 8. August 1926 verstorbene Karoline Seiler in Frenkendorf hatte
zum Zwecke der Testamentserrichtung gegen Mitte Juni 1926 dem Urkundsbeamten
ihren letzten Willen mitgeteilt, wonach u. a. die Beklagten bedacht wurden. Am
16. Juni nachmittags setzte der Urkundsbeamte in seinem Bureau in Liestal die
Urkunde samt dem Datum mit Schreibmaschinenschrift auf und begab sich dann
damit zur Erblasserin nach Frenkendorf, wo die Testamentserrichtung ohne
nochmalige Datierung stattfand. Mit der vorliegenden Klage verlangt die
Schwester der Erblasserin Ungültigerklärung des Testamentes wegen Formmangel
und ausserdem wegen Urteilsunfähigkeit, eventuell Willensmangel der
Erblasserin. Die Beklagten verkündeten dem für seine Beamten haftpflichtigen
Kanton Basel-Landschaft den Streit, worauf er als Hauptintervenient in den
Streit eintrat.
B. - Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hat am 16. November 1928 die
Klage wegen Formmangel des Testamentes zugesprochen.
C. - Gegen dieses Urteil haben die Beklagten und der Kanton Basel-Landschaft
die Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit den Anträgen auf Abweisung der
Klage, eventuell Rückweisung zur Beurteilung des Klagegrundes der
Urteilsunfähigkeit der Erblasserin.
D. - ...

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. -
2.- Dass der Urkundsbeamte das öffentliche Testament mit
Schreibmaschinenschrift datieren darf, hat das Bundesgericht in BGE 53 II S.
442
bereits ausgesprochen.
3.- Die die Errichtung eines öffentlichen Testamentes ausmachenden Handlungen
sind in Art. 500
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
ZGB in der Reihenfolge aufgezählt, dass das Datieren durch
den Urkundsbeamten zwar seinem eigenen Unterzeichnen vorausgeht, jedoch dem
Unterzeichnen des Erblassers, sofern dieses überhaupt stattfindet, nachfolgt.
Allein es steht dahin, ob damit auch die Reihenfolge der Vornahme dieser
Handlungen zwingend vorgeschrieben werden wollte, zumal dies in einfacher
Weise hätte zum Ausdruck gebracht werden können. Die Fassung der angeführten
Vorschrift lässt sich nämlich ebensogut auch so erklären, dass in den beiden
letzten Absätzen auseinandergehalten wurde, was einerseits der Erblasser,
anderseits der Urkundsbeamte tun müssen, um die aufgesetzte Urkunde aus dem
Stadium des Entwurfes in den des gültigen Testamentes hinüberzuleiten. Wieso
das Datieren die ihm zugedachte Funktion etwa nicht erfüllen könnte, wenn es
dem Unterzeichnen durch den Erblasser vorausgeht, ist nicht erfindlich.
4.- Die Fassung des Art. BOO ZGB steht auch der Auslegung nicht entgegen, dass
der Beamte das Datum spätestens nach dem Unterzeichnen durch den Erblasser
anzubringen hat, sofern es bisher noch nicht geschehen ist, also einfach nicht
erst, nachdem er selbst bereits unterzeichnet hat. Freilich ist dann in Art.
501
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 501 - 1 Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
1    Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
2    Die Zeugen haben auf der Urkunde mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass der Erblasser vor ihnen diese Erklärung abgegeben und dass er sich nach ihrer Wahrnehmung dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe.
3    Es ist nicht erforderlich, dass die Zeugen vom Inhalt der Urkunde Kenntnis erhalten.
ZGB bestimmt, dass der Erblasser «unmittelbar nach der Datierung und
Unterzeichnung» gegenüber den Zeugen sich zu erklären hat, was vorauszusetzen
scheint, dass Datierung und Unterzeichnung unmittelbar aufeinanderfolgen
müssen (wobei nach dem in Erwägung 3 Ausgeführten gleichgültig ist, ob die
Unterzeichnung durch den Erblasser oder aber die Datierung zuerst stattfand).

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Indessen lässt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes kein anderer
Zweck dieses erst von der Nationalrats-Kommission eingeführten Zusatzes
nachweisen, als auszuschliessen, dass die Erklärung an die Zeugen erst
vielleicht tagelang nach der Unterzeichnung durch den Erblasser und die
Urkundsperson stattfinde (vgl. den von Gottofrey in der Expertenkommission
gestellten Antrag, dem nun Rechnung getragen worden zu sein scheint, im
Protokoll der Expertenkommission 2 S. 148). Hievon abgesehen lassen sich die
Datierung und die Unterzeichnung durch die Urkundsperson schlechterdings nicht
zeitlich voneinander trennen, indem die auf der Urkunde angebrachte Zeitangabe
überhaupt erst durch die Unterzeichnung zur massgebenden Datierung wird,
gleichwie die darin niedergeschriebenen Willensäusserungen des Erblassers ohne
Unterzeichnung seitens der Urkundsperson nicht zu rechtswirksamen
letztwilligen Verfügungen des Erblassers werden, sondern bedeutungsloser
Entwurf bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt ist das in Rede stehende
Formerfordernis erfüllt, wenn die Erklärung an die Zeugen unmittelbar auf die
Unterzeichnung durch den Erblasser und die Urkundsperson erfolgt, gleichgültig
ob das Datum schon erheblich früher als die Unterzeichnung durch den Erblasser
geschrieben worden ist, sei es gleichen Tages, sei es schon vorher im Hinblick
auf den für die Errichtung des Testamentes bereits in Aussicht genommenen
späteren Tag. Gerade wenn die Urkundsperson für das Aufsetzen der
Testamentsurkunde die Schreibmaschine gebraucht, so wird sie sich leicht dazu
verleiten lassen, gleich auch das Datum mit Maschinenschrift anzubringen,
bevor sie die Urkunde dem Erblasser zu lesen gibt oder in Gegenwart der Zeugen
vorliest. Wie sie sich in dieser Beziehung verhalten habe, würde zudem
nachträglich überhaupt kaum je noch festgestellt werden können, ausser in den
Fällen, wo sich die Urkundsperson für die Testamentserrichtung vom Standort
der verwendeten Schreibmaschine entfernt hat oder die Urkunde mit

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der Zeitangabe eingeleitet ist. (Namentlich wäre mit dem Festhalten an der
Reihenfolge: Unterzeichnung des Erblassers, Datierung und Unterzeichnung der
Urkundsperson, nichts gewonnen, da das Datum von vorneherein unter den für die
Unterzeichnung des Erblassers bestimmten Platz gesetzt werden kann). Die
Gefahr, dass die zum voraus angebrachte Zeitangabe einmal unverändert stehen
bleibe, wenn die Testamentserrichtung nicht an dem vorausgesetzten Tage
stattfinden kann, ist nicht so hoch einzuschätzen, um an diese Art und Weise
der Datierung die Ungültigkeit des Testamentes auch da zu knüpfen, wo nichts
dafür vorgebracht werden kann, dass der Tag der Errichtung nicht richtig
angegeben sei.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufungen werden begründet erklärt, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Basel-Landschaft vom 16. November 1928 aufgehoben und die Sache
zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 II 235
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 13. September 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 II 235
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Öffentliches Testament, ZGB Art. 500/1: Datierung vor der Unterzeichnung durch den Erblasser ist...


Gesetzesregister
ZGB: 500 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 500 - 1 Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
1    Der Erblasser hat dem Beamten seinen Willen mitzuteilen, worauf dieser die Urkunde aufsetzt oder aufsetzen lässt und dem Erblasser zu lesen gibt.
2    Die Urkunde ist vom Erblasser zu unterschreiben.
3    Der Beamte hat die Urkunde zu datieren und ebenfalls zu unterschreiben.
501
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 501 - 1 Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
1    Der Erblasser hat unmittelbar nach der Datierung und Unterzeichnung den zwei Zeugen in Gegenwart des Beamten zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und dass sie seine letztwillige Verfügung enthalte.
2    Die Zeugen haben auf der Urkunde mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass der Erblasser vor ihnen diese Erklärung abgegeben und dass er sich nach ihrer Wahrnehmung dabei im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe.
3    Es ist nicht erforderlich, dass die Zeugen vom Inhalt der Urkunde Kenntnis erhalten.
BGE Register
53-II-442 • 55-II-235
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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