S. 313 / Nr. 52 Staatsverträge (d)
BGE 58 I 313
52. Urteil vom 9. Dezember 1932 in Sachen Cohen gegen Justizkommission Schwyz.
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Regeste:
Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich (Universalität des Konkurses).
Art. 6 Abs. 1: Die Vollstreckbarkeit im andern Staat ist für alle Erkenntnisse
des einen Staats betreffend die Eröffnung eines Konkurses (oder einer
liquidation judiciaire des französischen Rechts) zugesichert, sofern keine
Einwendungen gemäss Art. 17 erhoben werden können. Art. 6 Abs. 1 enthält nur
eine Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit zum Erlass solcher
Erkenntnisse (Art. 17 Ziff. 1). Erw. 2 a.
Zuständigkeit der französischen Behörden zur Eröffnung des Konkurses (der
liquidation judiciaire) über einen Nichtfranzosen mit Wohnsitz und
Geschäftsdomizil in Frankreich. Erw. 2a.
Art. 8: Akkommodement (Concordat): liquidation judiciaire des französischen
Rechts; Erw. 2 b.
Art. 15: Erkenntnis eines französischen Gerichts, durch welches einem
Schuldner die Rechtswohltat der liquidation judiciaire bewilligt wird, als
«jugement ou arrêt définitif en matière oivile ou commerciale»; Erw. 2.
A. - Dem Marcus Aron Cohen in Mülhausen, der daselbst ein industrielles
Unternehmen betrieben hat, ist durch Beschluss des Tribunal de I re Instance,
Chambre commerciale, von Mülhausen am 11. Dezember 1931 die Rechtswohltat der
liquidation judiciaire bewilligt worden. Der gegenwärtige Liquidator, Alfred
Cognier, hat auf diplomatischem Wege diesen Beschluss und weitere zu dienliche
Aktenstücke an den Président du Tribunal de Schwyz gesandt, um zu erwirken,
dass gestützt auf Art. 6 und 16 des französisch-schweizerischen
Gerichtsstandsvertrages vom 15. Juni 1869 auch das in Lachen, Kanton Schwyz,
liegende Vermögen Cohens in das Verfahren in Mülhausen einbezogen werde. Diese
Akten gelangten auf Umwegen am 28. August 1932 in den Besitz der
Justizkommission des Kantons Schwyz. Cohen hatte früher in Lachen ein
industrielles Geschäft
Cohen hatte früher in Lachen ein industrielles Geschäft betrieben und es
befindet sich dort noch die dazu dienende
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Liegenschaft nebst Inventar. Von dortigen Gläubigern sind in Lachen
Betreibungen eingeleitet worden, die bis zur zweiten Versteigerung
fortgeschritten waren. Die Zwangsvollstreckung in die Immobilien fiel dahin,
weil sich Cohen mit den betreibenden Hypothekargläubigern abgefunden hatte.
Die zweite Steigerung der Mobilien wurde durch den Gerichtspräsidenten der
March vorläufig eingestellt, nachdem A. Cohen durch seinen Vertreter in der
Schweiz am 6. August ein bezügliches Gesuch an die Justizkommission des
Kantons Schwyz gerichtet und der Gerichtspräsident der March davon Kenntnis
erhalten hatte. Nachdem die Justizkommission über die Staatsangehörigkeit
Cohens Erhebungen gemacht hatte und ihr ein Pass desselben vorgelegt worden
war, hat sie mit Entscheid vom 18. Oktober 1932 das Gesuch um Sistierung der
gegen Cohen in Lachen angehobenen Zwangsvollstreckungen abgewiesen und die
provisorische Sistierungsverfügung aufgehoben mit der Begründung, dass nach
dem französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrag Voraussetzung für die
Vollziehung der in Frankreich eröffneten liquidation judiciaire und der
Einstellung der hiesigen Zwangsvollstreckungen die schweizerische
Staatsangehörigkeit des Schuldners wäre, die Cohen zugestandener massen nicht
besitze; er sei auch nicht Franzose, sondern nach dem vorliegenden Pass erst
im Begriff, die französische Staatsangehörigkeit zu erwerben.
B. - Gegen diesen Entscheid hat A. Cohen staatsrechtliche Beschwerde erhoben,
in der er beantragt: «Es sei in Abänderung des Entscheides der
Justizkommission dem Urteil der Handelskammer von Mülhausen betr. die
Liquidationsbewilligung gegenüber M. A. Cohen, Industrieller in Mülhausen,
datiert vom 11. Dezember 1931, gestützt auf die Art. 1 ff., spez. Art. 6 A1. 2
und Art. 15 und 16 des Gerichtsstandsvertrages zwischen der Schweiz und
Frankreich vom 15. Juni 1869 des Exequatur zu erteilen». Er macht geltend,
dass die Vollziehung des Beschlusses über die Eröffnung der liquidation
judiciaire
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in Mülhausen nach den Art. 15 und 16 des französisch-schweizerischen
Gerichtsstandsvertrages in der Schweiz bewilligt werden müsse, ohne Rücksicht
auf die Staatsangehörigkeit des Schuldners; die formellen Voraussetzungen für
die Erteilung des Exequaturs seien gegeben.
C. - In der Vernehmlassung der Justizkommission wird daran festgehalten, dass
Voraussetzung für die Vollstreckbarkeit der liquidation judiciaire in der
Schweiz die schweizerische Staatsangehörigkeit des Cohen wäre; ferner könne
sich der Beschwerdeführer auf Art. 6 Abs. 2 des Staatsvertrages auch deshalb
nicht berufen, weil sich die Bestimmung nur auf den Konkurs, nicht auf die
liquidation judiciaire beziehe. «Diese Erwägungen führten die Justizkommission
zur Verneinung der Exequierbarkeit des in Frage stehenden Urteils der
Handelskammer von Mülhausen vom 11. Dezember 1931 und damit zur Abweisung des
wiederholt gestellten Begehrens, vorsorglich die in Lachen gegen Cohen
angehobenen Betreibungen zu sistieren».
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach dem Dispositiv des angefochtenen Entscheides ist damit lediglich das
Gesuch des Beschwerdeführers um Sistierung der gegen ihn in Lachen angehobenen
Zwangsvollstreckungen abgewiesen worden. Die Begründung geht jedoch dahin,
dass die in Mülhausen über den Beschwerdeführer eröffnete liquidation
judiciaire in der Schweiz nicht vollstreckbar sei. Dies ist denn auch der
Kernpunkt des Streites, über den zu entscheiden war, nachdem der bestellte
Liquidator das Erkenntnis betreffend die Bewilligung der liquidation
judiciaire mit den zudienenden Akten den schwyzerischen Behörden hatte zugehen
lassen, um, wie die Justizkommission selber anführt, die Einbeziehung des in
Lachen liegenden Vermögens des Beschwerdeführers gemäss Art. 6 und 16 des
französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrages zu erwirken. Mit dem
angefochtenen Entscheid ist somit auch dieses Exequatur-Gesuch abgewiesen
worden.
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2.- Die Abweisung ist zu Unrecht erfolgt: Das Erkenntnis des Tribunal de I re
Instance Chambre commerciale, in Mülhausen gehört zu den jugements ou arrêts
définitifs en matière civile et commerciale, für die nach Art. 15 des
französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrages die Vertragsstaaten sich
nach Massgabe von Art. 16 die Vollstreckbarkeit gegenseitig zugesichert haben
(siehe Botschaft des Bundesrates zum Gerichtsstandsvertrag BBl. 69 II S. 496).
a) Die Justizkommission nimmt nach ihrem Entscheid an, bei Erkenntnissen
betreffend die Eröffnung eines Konkurses (oder einer liquidation judiciaire)
sei die Vollstreckbarkeit nur dann zugesichert, wenn ein Angehöriger eines
Vertragsstaates im andern Staate in Konkurs erklärt worden sei. Sie schliesst
dies wohl aus der Fassung von Art. 6 Abs. 1 des Gerichtsstandsvertrages,
lautend: «La faillite d'un Français ayant un établissement de commerce en
Suisse pourra être prononcée par le tribunal de sa résidence en Suisse, et,
réciproquement, celle d'un Suisse ayant un établissement de commerce en France
pourra être prononcée par le tribunal de sa résidence en France». Allein dem
Art. 6 des Gerichtsstandsvertrages liegt der all gemeine Satz zu Grunde, dass
Konkurserkenntnisse, die in einem der Vertragsstaaten ergangen sind, nach
Massgabe der besondern vertraglichen Bestimmungen im andern Vertragsstaate zu
vollziehen sind. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist dies von jeher
angenommen, und es ist ausgesprochen worden, dass einem Gesuch um
Vollstreckung eines Konkurserkenntnisses, das in einem der Vertragsstaaten
ergangen ist, im andern Staate nur die in Art. 17 vorgesehenen Einwendung
entgegengehalten werden können (BGE 15, 577; 30 I 87; 35 I 592; 46 I 164; 49 I
460; 54 I 46; Botschaft des Bundesrates zum Gerichtsstandsvertrag a.a.O. S.
496 f und 499 unter Urteilsvollziehung Absatz 2; ferner CURTI, Der
Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend den Gerichtsstand
und die Urteilsvollziehung S. 132 und 127).
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Von diesem Standpunkt aus kann der Bestimmung in Art. 6 Abs. 1 keineswegs eine
jenen allgemeinen Satz in weitgehendstem Masse beschränkende Bedeutung
beigelegt werden, sondern sie enthält nur, wie sich übrigens schon aus dem
Wortlaut ergibt, eine Bestimmung über die Zuständigkeit zur Eröffnung des
Konkurses. Diese muss nun allerdings nach Art. 17 Ziff. 1 gegeben sein, wenn
die Vollstreckbarkeit bewilligt werden soll. Hierüber kann aber im
vorliegenden Fall ein Zweifel nicht bestehen: Der Schuldner hat seinen
Wohnsitz in Frankreich und besass dort eine Geschäftsniederlassung. In Lachen
befindet sich nach der Angabe in der Beschwerde eine blosse
Zweigniederlassung, was übrigens auch noch fraglich ist, da in dem Gesuch des
Vertreters des Beschwerdeführers an die Justizkommission vom 6. August gesagt
ist, dass dieser «früher» in Lachen ein Etablissement besessen habe und da es
in einem Berichte des Gerichtspräsidenten der March an die Justizkommission
vom 28. August 1932 heisst: «Der Ihnen von früheren Prozessen bekannte Aron
Cohn hat vor einigen Jahren seine Werkstätte in Lachen geschlossen und seinen
Wirkungskreis nach Mülhausen verlegt. Seit jener Zeit existieren in Lachen
immer noch eine Anzahl Gläubiger, welche Cohn mit viel Geschick mit
Abmachungen veranlassen konnte, ihre Guthaben ständig zu stunden und auf
spätere Zahlung zu vertrösten». Auch wenn in Lachen eine eigentliche
Zweigniederlassung noch bestünde, könnte doch den Behörden von Mülhausen die
Zuständigkeit zur Eröffnung des Konkurses nicht abgesprochen werden und zwar
derart, dass daneben ein Konkurs in Lachen nicht auch noch eröffnet werden
könnte, da die Bedeutung der Niederlassung in Lachen derjenigen von Mülhausen
zweifellos nachsteht und der Schuldner zudem in Mülhausen wohnt (siehe dazu
den angeführten Entscheid 56 I 46).
b) Die Justizkommission wendet in der Vernehmlassung weiter ein, der
Beschwerdeführer könne sich auf den Grundsatz der Universalität des Konkurses
auch deshalb nicht
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berufen, weil sich die bezüglichen Vertragsbestimmungen auf die liquidation
judiciaire nicht bezögen. Dieser Einwand stösst sich schon an Art; 8 des
Gerichtsstandsvertrages, der dem Akkommodement die gleichen Wirkungen beilegt
wie dem Konkurs, und ferner an der Rechtsprechung des Bundesgerichtes über
diese Frage (BGE 21 I 54; siehe auch die Fälle BGE 35 I 582 ff. und 46 I 165).
c) Übrigens ist nicht bestritten, dass die Gläubiger des M. A. Cohen im
Anzeiger der March aufgefordert worden sind, ihre Forderungen gegenüber den
Filialen in Lachen und Mülhausen anzumelden, dass die meisten Korrentgläubiger
dieser Aufforderung nachkamen und dass auch die Hypothekargläubiger für den
voraussichtlich ungedeckten Betrag ihre Hypothekarforderungen eingegeben
haben. Es liegt ferner eine amtliche Bescheinigung darüber vor, dass die in
der Schweiz wohnenden Gläubiger soweit sie sich aus der Bilanz des M. A. Cohen
ergeben, zu jeder Gläubigerversammlung eingeladen worden sind, wobei sie ihre
Forderungen bei der Liquidationskommission angemeldet hatten, und auf der
Tabelle der geprüften Forderungen aufgeführt sind.
3.- Die formellen Voraussetzungen zur Erteilung des Exequaturs nach Art. 16
des Vertrages sind erfüllt; dieses ist daher zu erteilen. Das hat zur Folge,
dass die Verwertung der Aktiven des Beschwerdeführers in Lachen nicht zuhanden
der dortigen Gläubiger, sondern nur zuhanden der Masse erfolgen kann, und zwar
erst, wenn der Liquidator sie verlangt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und, in Aufhebung des Entscheides der
Justizkommission des Kantons Schwyz, das Erkenntnis des Tribunal de I re
Instance, Chambre commercial von Mülhausen als vollstreckbar erklärt und die
Verwertung der hier liegenden Aktiven des A. Cohen sistiert, bis sie vom
Liquidator verlangt wird.