S. 537 / Nr. 84 Obligationenrecht (d)

BGE 57 II 537

84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. November 1931 i. S.
Konkursmasse Preisig & Co. gegen Fred'k Ludewig & Co.

Regeste:
Abtretbarkeit von Forderungen, die erst in Zukunft entstehen werden;
Voraussetzungen hiefür. - Art. 164
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
OR.

Aus dem Tatbestand:
Die Kridarin, Firma Preisig & Co. in Wald, bezog von der Beklagten
Baumwollstoffe, die sie zu Stickereien verarbeiten liess und an Gebrüder V. in
Winterthur verkaufte; in der Regel kaufte und arbeitete sie nur auf

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Bestellung der Gebrüder V. hin. Zur Sicherung ihrer Ansprüche liess sich die
Beklagte jeweilen bei Vertragsabschluss die künftigen Forderungen der Kridarin
gegenüber Gebrüder V. in folgender Weise abtreten: «Mit Bezug auf Ihren...
Lieferungskontrakt... erklären wir (Firma Preisig & Co.) hiemit, dass wir
Ihnen Ihr Betreffnis jeder einzelnen Lieferungsfaktura bei Fälligkeit von
unserem Guthaben bei unserem Auftraggeber, der Firma Gebrüder V.,...
unwiderruflich abtreten. Wir verpflichten uns, die Firma Gebrüder V. hiervon
gebührend in Kenntnis zu setzen».
Im Konkurs über die Firma Preisig & Co. wurde eine von Gebrüder V. an die
Beklagte in Ausführung dieser Abtretungen geleistete Zahlung von 40500 Fr. von
der Masse angefochten, wobei die Masse u. a. den Standpunkt einnahm, eine
Abtretung noch nicht bestehender Forderungen sei rechtlich unmöglich.
Handelsgericht des Kantons Zürich und Bundesgericht haben die Frage, ob
künftige Forderungen gültig abgetreten werden können, bejaht, das
Bundesgericht aus folgenden
Erwägungen:
Gegenstand der Abtretungserklärungen waren nicht nur die Guthaben, welche die
Kridarin bei Ausführung bereits vorhandener Bestellungen der Gebrüder V.
erwerben würde, sondern auch solche, die sich bei Vollziehung erst noch
kommender Bestellungen ergeben sollten.
Die Frage, ob und eventuell unter welchen Voraussetzungen auch erst in Zukunft
entstehende Forderungen abgetreten werden können, ist in Literatur und
Rechtsprechung umstritten (vgl. für das deutsche Recht die Zusammenstellung
der verschiedenen Ansichten bei OERTMANN, Recht der Schuldverhältnisse, 5.
Aufl., Anm. 1 g zu § 399 BGB; für das schweizerische Recht: BECKER No. 8-11 zu
Art. 164
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
OR; OSER-SCHÖNENBERGER No. 4 zu Art. 164; v. TUHR II Seite 732 f.).
Das Bundesgericht

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hat in BGE 17 S. 483 die Abtretung des Provisionsanspruches «aus einem noch
abzuschliessenden Geschäft» mit der Begründung, «bekanntlich können auch
künftige Forderungen abgetreten werden», geschützt, während es später die
Abtretung zukünftiger Forderungen «insbesondere dann» als zulässig erklärte,
«wenn ein Rechtsverhältnis, aus dem eine bestimmte Forderung entstehen kann,
besteht» (BGE 25 II 323), bezw. dann, wenn es sich um eine Forderung handle
«dont les éléments sont déjà déterminés ou sont tout au moins susceptibles de
l'être d'une manière suffisamment précise, et qui, par conséquent, a pour
effet de lier les parties entre elles...» (BGE 41 II 135). Mit v. TUHR
(a.a.O.) ist indessen eine Abtretung künftiger Forderungen auch dann als
zulässig zu betrachten, wenn im Moment der Abtretung noch keine
Rechtsbeziehungen zwischen dem Zedenten und dem debitor cessus bestehen,
insbesondere die Abtretung der Forderung aus künftigem Warenverkauf. Es ist
nicht erfindlich, warum jemand, der eine Ware verkauft, von der er weiss, dass
der Käufer sie einem Dritten weiterverkaufen will, sich die Forderung seines
Abnehmers gegenüber dem Dritten dann soll gültig abtreten lassen können, wenn
sein Abnehmer den Vertrag mit dem Dritten bereits - bedingt - abgeschlossen
hat, dagegen nicht, wenn ein solcher Weiterverkauf noch nicht abgeschlossen
ist. Die Bedürfnisse des Verkehrs erheischen zweifellos die Gleichstellung
dieser beiden Fälle, während anderseits weder Wortlaut noch Sinn des Gesetzes
ihr entgegenstehen. Verlangt werden muss lediglich, dass die abzutretende
Forderung hinsichtlich der Person des debitor cessus, Rechtsgrund und Höhe
hinreichend bestimmt wird oder wenigstens bestimmbar ist. Diese Erfordernisse
sind im vorliegenden Fall erfüllt; es wurden abgetreten die Forderungen, die
der Kridarin künftig gegen die Gebrüder V. aus Stickereilieferungen entstehen
sollten, für welche Stoffe der Beklagten zur Verwendung gelangt waren, und
zwar sollte die Forderung

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der Kridarin abgetreten sein in der Höhe, welche dem Preis der von der
Beklagten gelieferten Stoffe entsprach. Wirksam wurden diese Abtretungen erst
im Moment der Entstehung der abgetretenen Forderung und zwar so, dass die
letztere im gleichen Moment, in welchem sie ohne die Zession in der Person des
Zedenten entstanden wäre, nun in der Person des Zessionars zur Entstehung
gelangt. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Zedent in jenem Zeitpunkt noch
berechtigt ist, über die Forderung zu verfügen (vgl. VON TUHR II S. 734 Anm.
73).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 537
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 12. November 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 537
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Abtretbarkeit von Forderungen, die erst in Zukunft entstehen werden; Voraussetzungen hiefür. – Art...


Gesetzesregister
OR: 164
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
BGE Register
25-II-318 • 41-II-132 • 57-II-537
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • künftige forderung • zedent • bundesgericht • besteller • frage • mass • bestimmbarkeit • entscheid • unternehmung • begründung des entscheids • ware • abtretung einer forderung • forderungsüberweisung • wald • vertragsabschluss • wille • zessionar • rechtsgrund • konkursmasse
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