S. 249 / Nr. 40 Beamtenrecht (d)

BGE 57 I 249

40. Urteil vom 1. Oktober 1931 i. S. Bichsel gegen SBB (Pensionskasse).

Regeste:
1. Feststellungsklagen sind im verwaltungsrechtlichen Verfahren vor
Bundesgericht zulässig, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung
eines Anspruches besteht.
2. Bezieht ein pensionierter Bediensteter der SBB Renten von der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt in Luzern, so hat er nur Anspruch
auf die um die Leistungen der Suval gekürzte Pension. Das Gleiche gilt für den
Zuschuss der SBB zu den Renten der Suval.

A. - Der Kläger war Streckenarbeiter bei den SBB. Am 30. Mai 1928 erlitt er an
der rechten Hand einen Unfall, der nach Eintritt von Rückfällen dazu führte,
dass er wegen Teilinvalidität von der SUVAL eine Unfallrente von monatlich 24
Fr. 70 Cts. und von den SBB eine Zuschussrente von 10 Fr. 60 Cts. erhielt. Auf
den 1. Januar 1929 wurde er von den SBB trotz dem Unfall, der zu geringer
Versteifung der rechten Hand geführt hatte, definitiv angestellt. Unabhängig
vom Unfall, wie unbestritten ist, erkrankte der Kläger an der sog.
Morvan'schen

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Krankheit, die sich in einer Ernährungsstörung und Knochenbrüchigkeit der
rechten Hand äusserte und die Heilung der Unfallsfolgen nachteilig
beeinflusste, so dass die SUVAL das Krankengeld und die Invalidenrente kürzte.
Möglicherweise, sagt die Beklagte, habe die Krankheit auch die Entstehung
eines Unfalles begünstigen können. Diese Krankheit führte zu einer zunehmenden
Verkrüppelung der rechten Hand und zur gänzlichen Dienstuntauglichkeit, so
dass der Kläger auf den 1. Juli 1930 pensioniert wurde.
Die Pension beträgt 1598 Fr. 10 Cts.; davon zieht die Beklagte jedoch die
beiden Unfallrenten ab. Sie entrichtet dem Kläger daher nur 1174 Fr. 50 Cts.
Gegen diese Anrechnung der Unfallrenten auf die Pension richtet sich die Klage
mit dem Antrag: es sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen festzustellen,
dass dem Kläger von der Beklagten eine ungekürzte Pension von 1598 Fr. 10 Cts.
zu entrichten und die seit dem 1. Juli 1930 abgezogenen Beträge von monatlich
35 Fr. 30 Cts. nebst 5% Zins seit dem Verfall der einzelnen Raten nachzuzahlen
seien.
Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Voraussetzungen des Art. 12 Abs.
1 der Kassenstatuten nicht vorhanden seien.
a) Art. 12 sei nur anwendbar, wenn aus dem gleichen objektiven Ereignis, dem
«Versicherungsfall», Folgen entstehen, für die die SUVAL und die Beklagte
einzustehen haben. Das sei hier nicht der Fall.
b) Die Leistungen der SUVAL und der Beklagten seien auch nicht gleichartig,
denn die SUVAL bezahle eine Unfallrente, die Beklagte eine Pension infolge von
Krankheit.
In Sachen Amstad (BGE 54 I 131 ff.) habe das Bundesgericht Leistungen als
gleichartig bezeichnet, die rechtlich gleichartig und den wirtschaftlichen
Folgen des gleichen Erwerbsunfähigkeitsgrundes zu begegnen bestimmt seien, was
hier nicht zutreffe, weil die SUVAL für die Folgen des

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Unfalles, die Beklagte für die Folgen der Krankheit einzutreten hätten. Was
für die Rente der SUVAL gelte, müsse auch für die Zuschussunfallrente der SBB
Rechtens sein.
B. - Die Beklagte beantragt Abweisung der Klage unter Kostenfolge. Gemäss Art.
12 der Statuten sei ganz allgemein bei Invalidität infolge Unfalles eine
Pension nur insoweit zu bezahlen, als die Leistungen der SUVAL hinter der
Pension zurückbleiben. Der gleiche Grundsatz gelte bei der Versicherungskasse
für die Bundesverwaltung gemäss Art. 13 der Kassenstatuten, zu dessen
Begründung im Ständerate gesagt worden sei: «Der Gedanke ist der: Man will
nicht, dass ein Versicherter aus der Konkurrenz zweier eidgenössischen
Versicherungen Gewinn ziehen kann». Das träfe aber bei einer Gutheissung der
Klage zu, die auch zu einer Überversicherung führe und gegen die gleichmässige
Behandlung aller Versicherten verstosse. Für diese Auslegung spreche auch die
Botschaft des Bundesrates zu den Statuten der Versicherungskasse der
Bundesverwaltung, Art. 13 (BBl 1920 III S. 77 /78). Voraussetzung zur
Anrechnung der obligatorischen Versicherungsleistungen an die Leistungen der
Beklagten sei ein Versicherungsfall, wobei es sich nicht um das gleiche
objektive Ereignis handeln müsse, auf Grund dessen die Unfallrente und die
Invalidenpension gewährt worden sei. Auch das Erfordernis gleichartiger
Leistungen sei erfüllt, wie sich aus dem Urteil in Sachen Amstad und aus zwei
Urteilen des eidgenössischen Versicherungsgerichtes ergebe.
C. - In seiner Replik hat der Kläger substanziiert die Behauptung der Antwort
bestritten, dass die Morvan'sche Krankheit möglicherweise die Entstehung des
Unfalles begünstigt habe. Er bestreitet ferner, dass er aus der Konkurrenz
zweier Versicherungen einen Gewinn ziehe, wovon höchstens die Rede sein
könnte, wenn er mehr Rente bezöge, als seine Besoldung ausgemacht habe. Er
erhalte aber nicht einmal den Betrag, der sein Existenzminimum ausmache. Eine
Überversicherung läge erst vor,

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wenn die Versicherungsleistungen den Schaden übersteigen würden, was auch
nicht der Fall sei. Die doppelten Versicherungsleistungen entsprächen der
doppelten Benachteiligung: einerseits durch die Unfallfolgen und anderseits
durch die Krankheit.
D. - In der Duplik wird nichts erwidert darauf, dass die Krankheit die
Entstehung des Unfalles nicht begünstigt habe.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Die Klage charakterisiert sich prozessrechtlich als Leistungsklage,
soweit die Nachbezahlung der abgezogenen Beträge für die vergangene Zeit
verlangt wird, und als Feststellungsklage, soweit für die Zukunft die
ungekürzte Pension eingeklagt wird. Eine solche Klage ist im freien
verwaltungsrechtlichen Verfahren wie im Zivilprozess jedenfalls dann zulässig,
wenn ein rechtliches
Interesse an der Feststellung besteht (vgl. BGE 50 II S. 56 f; Fleiner,
Institutionen 8. Auflage S. 267). Und hier besteht offenbar ein Interesse
daran, die Unsicherheit über den Umfang der zukünftigen periodischen
Leistungen zu beheben, so dass auch auf die Feststellungsklage einzutreten
ist.
2. - Der Kläger beansprucht, dass ihm, neben der Unfallrente der SUVAL von 296
Fr. 40 Cts. und der Zuschussrente der SBB von 127 Fr. 20 Cts., die
Invalidenpension der Pensions- und Hilfskasse der SBB von 1598 Fr. 10 Cts.
ungekürzt ausbezahlt werde. Die Kasse dagegen will nur die um die beiden
Leistungen verminderte Pension anerkennen. Die Kürzung der Rente hat nach Art.
12, Abs. 1 der Kassenstatuten einzutreten, wenn es sich handelt «um einen
Versicherungsfall, für den ... die SUVAL auf Grund der von ihr gewährten
obligatorischen Versicherung einzutreten hat».
Die Ausdrucksweise der Statuten ist missverständlich. Sie scheint für die
Auffassung zu sprechen, die in der Klage vertreten wird, nämlich Voraussetzung
für die

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Kürzung der Pension sei die Identität des Ereignisses, durch das die Ansprüche
an die SUVAL und an die Pensionskasse entstanden sind. Die Kürzung der Pension
soll, praktisch gesprochen, auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen der
Unfall, der einen Anspruch auf Leistungen der SUVAL auslöst, auch der Grund
der Dienstuntauglichkeit ist, die zu der Entlassung des Beamten aus dem
Dienstverhältnis und zu der Überweisung an die Pensionskasse führt. In allen
übrigen Fällen wären die Pensionen der Pensionskasse ungekürzt und ohne
Rücksicht auf die Leistungen der SUVAL auszurichten. Der Eisenbahner, der
infolge eines schweren Unfalles dienstuntauglich geworden ist, hat gemäss Art.
12, Abs. 1 der Kassenstatuten nur Anspruch auf die um die Leistungen der SUVAL
und die Zuschussrente der SBB gekürzte Pension. Sein Kollege, der infolge
eines Umfalles eine Rente von der SUVAL bezieht, aber durch den Unfall nicht
dienstunfähig geworden ist, hätte bei seiner späteren Pensionierung wegen
Alters oder Invalidität Anspruch auf die ungekürzte Pension neben der Unfall-
und Zuschussrente. Eine derartige, jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrende
Ungleichheit zwischen zwei pensionierten Funktionären kann nicht der Sinn der
statutarischen Regelung sein.
Offenbar hat denn auch Art. 12, Abs. 1 der Kassenstatuten nicht diese
Bedeutung. Bedenken erheben sich zunächst gegen den Ausgangspunkt der
Klagebegründung. Denn eine Identität des Versicherungsfalles, als des
schadenbringenden Ereignisses, kann im Verhältnis des Beamten zur SUVAL
einerseits und zur Pensionskasse anderseits kaum angenommen werden. Im
Verhältnis zur Pensionskasse ist der Versicherungsfall nicht ein die Person
des Beamten betreffendes äusseres Ereignis - etwa ein Unfall, eine Krankheit,
der Verlust der Arbeitsfähigkeit und dergleichen - sondern das Ausscheiden aus
dem Dienst, das in der Regel - den Todesfall ausgenommen - durch einen
Beschluss der Wahlbehörde herbeigeführt wird.

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Allerdings kann die Entlassung des Beamten durch einen Zustand veranlasst
worden sein, der sich letzten Endes auf eines der genannten Ereignisse
zurückführen lässt, wie es in dem vom eidgenössischen Versicherungsgericht am
10. November 1925 beurteilten Falle Hügle zutraf, auf den in den
Rechtsschriften Bezug genommen wird. Doch wäre es kaum zulässig, jenes
Ereignis als einen Versicherungsfall der Pensionskasse zu bezeichnen. Es fehlt
ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Leistungspflicht der Pensionskasse
und dem Ereignis. Anders verhält es sich mit Ansprüchen an die SUVAL, die
grundsätzlich durch Unfälle bedingt sind. Die Voraussetzungen für die
Leistungspflicht der SUVAL und der Pensionskasse sind demnach nicht identisch,
weshalb auch ein Zusammentreffen des Leistungsgrundes nicht geeignet wäre, den
Ausgangspunkt für eine Regelung zu bilden, wie sie in Art. 12, Abs. 1 der
Kassenstatuten aufgestellt wird.
Wenn demnach die Kassenstatuten in Art. 12, Abs. 1 von einem
«Versicherungsfall» reden, für den die SUVAL einzutreten hat, so ist dieser
Ausdruck nur auf eine der beiden Versicherungseinrichtungen zu beziehen, und
zwar, im Rahmen der Statuten der Pensionskasse, auf diese. Der
Versicherungsfall für die Pensionskasse ist die Auflösung des
Dienstverhältnisses unter den Voraussetzungen, die Ansprüche auf Leistungen
der Kasse begründen.
Der Versicherungsfall für die Pensionskasse kann sodann nach dem Gesagten
nicht ein Versicherungsfall sein, für den die SUVAL «einzutreten» hat. Der
Wortlaut der Statuten ist demnach in dieser Beziehung ungenau. Die Bedeutung
der unklaren Vorschrift ergibt sich indessen mit genügender Sicherheit aus der
bundesrätlichen Botschaft zu Art. 13 der Statuten der Versicherungskasse für
die Bundesverwaltung (Bundesblatt 1920 III S. 77 f); darnach war die Absicht,
dafür zu sorgen, «dass nicht etwa eine Kumulierung von Versicherungsleistungen
in dem Sinne eintritt, dass ein Mitglied der Kasse oder seine Hinterbliebenen
gleichzeitig Renten von dieser und von der SUVAL oder

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von der Militärversicherung beziehen». Auch diese Ausdrucksweise ist nicht
genau, weil Art. 13, in gleicher Weise wie Art. 12 der Pensionskassenstatuten
der SBB, nebeneinander Renten der SUVAL und der Pensionskasse vorsieht, wie
der Fall des Klägers beweist, der ja zu der Unfallsrente noch eine Pension
bezieht. Aber die Stelle der Botschaft lässt doch deutlich genug erkennen,
dass die Versicherungskasse nicht mehr als den Ausfall der Unfallsrente
gegenüber der Pension solle zu leisten haben. Es lag der Fassung der
streitigen Bestimmung - Art. 13 der Statuten der Versicherungskasse der
Bundesverwaltung deckt sich im wesentlichen mit dem hier anwendbaren Art. 12 -
der Gedanke zu Grunde, dass der Versicherte wohl Anspruch auf die grössere der
beiden Leistungen hat, aber nicht auf mehr (BGE 54 I S. 135). Daraus folgt,
dass die Kürzung der Pension stets eintritt, wenn ein pensionierter
Bediensteter der SBB Renten von der SUVAL bezieht, was sachlich die richtige
Lösung ist, da sie die oben erwähnten, sachlich nicht gerechtfertigten
Ungleichheiten verhindert.
3. - Auch die zweite Voraussetzung des Art. 12 für die Anrechnung der
Unfallrenten auf die Pension, die Gleichartigkeit der Leistungen, ist gegeben.
Beide Leistungen sind dazu bestimmt, den wirtschaftlichen Folgen der
Erwerbsunfähigkeit zu begegnen, gehören also zur Invalidenpension und nicht zu
einer der drei anderen in Art. 12 aufgeführten Leistungen. Der Umstand allein,
dass vor der dauernden gänzlichen Dienstunfähigkeit eine Teilinvalidität
bestand, die durch Unfall entstanden war, macht die Leistungen nicht
ungleichartig. Weder das Urteil in Sachen Amstad, noch die Urteile des
eidgenössischen Versicherungsgerichtes in Sachen Keller und Hügle
rechtfertigen eine andere Entscheidung.
4. - Ist nach diesen Feststellungen die Klage abzuweisen, so kommt der Kläger
allerdings mit seiner grossen Familie, die er mit der Pension von rund 1600
Fr. nicht erhalten kann, in Not. Um seine Armengenössigkeit zu

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verhindern, kann er jedoch an die Beklagte gelangen mit dem Gesuche um
Unterstützungen gemäss Art. 43 f der Statuten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.
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Dokument : 57 I 249
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 01. Oktober 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 I 249
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : 1. Feststellungsklagen sind im verwaltungsrechtlichen Verfahren vor Bundesgericht zulässig, wenn...


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1920/III/77