S. 38 / Nr. 7 Obligationenrecht (d)

BGE 56 II 38

7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Januar 1930 i. S. S. A, des Anciens
Etablissements Guggenheim, Floersheim & Cie gegen Wormser & Bollag.


Seite: 38
Regeste:
Anwendbares Recht beim Kaufvertrag.
1. Auf die Frage, ob der Verkäufer für Mangel der Sache Gewähr zu leisten hat
und in welchem Umfange, ist das Recht des Erfüllungsortes anwendbar. Die
Vertragsbestimmung «Abnahme und Zahlung der Ware in Paris» macht Paris zum
vertraglichen Erfüllungsort.
2. Auf die Frage, wann und in welcher Form die Mängelrüge erhoben werden muss,
ist nach dem Satz: «Locus regit actum» das Recht des Wohnsitzes des Käufers
anzuwenden.
Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Mängelrüge nach OR Art. 201.

A. - Im Juni 1927 bot der Zürcher Agent der Klägerin, Jacques Gottlieb, der
Beklagten unter Vorlegung eines Musters einen Velours de laine, Qualität Nr.
605, zum Kaufe an. Nach einem zwischen der Klägerin und ihrem genannten
Agenten geführten Brief- und Telegrammwechsel über den zu gewährenden Preis
und über das Verhältnis der zu verkaufenden gefärbten Stücke zu den
ungefärbten bestellte die Beklagte am 28. Juni 1927 brieflich 43 Stück
gefärbten und 69 Stück rohen Velours de laine Nr. 605, 140 cm breit, zum
Preise von 30 fr. Fr. per Meter. Am 29. Juni 1927 bestätigte die Klägerin der
Beklagten die Bestellung von 96 Stück Velours de laine und sandte ihr darauf
90 Stück in folgenden Teillieferungen:
1. Am 1. Juli 1927 für 17933 fr. Fr., welche der Beklagte am 15. Juli 1927
bezahlte,
2. am 16. Juli 1927 für 17786 fr. Fr.,
3. am 29. Juli 1927 für 9706 fr. Fr.,
4. am 2. August 1927 für 34236 fr. Fr.,
5. am 4. August 1927 für 39567 fr. Fr. 50 Cts.,
6. am 8. August 1927 für 7074 fr. Fr. 50 Cts.

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Die Beklagte liess einen Teil des Stoffes dieser Sendungen bei S. Heckmann in
Zürich 1 dekatieren und verarbeitete nachher einen Teil des dekatierten Tuches
zu Damenmänteln. Am 10. August 1927 stellte die Beklagte der Klägerin sowohl
die hergestellten Mäntel, als den noch unverarbeiteten Stoff zum Verkaufspreis
zur Verfügung, weil sich nach der Dekatur Streifen im Tuch gezeigt hätten,
welche die Ware unverkäuflich machten; und sie erklärte die Klägerin für allen
Schaden verantwortlich. Ihrem Brief legte sie einen Bericht der Firma Schütze
& Cie in Zürich bei, der sie einen Mantel zur Untersuchung übergeben hatte und
welche die Mängel als Wasch- oder Walkbrüche bezeichnete. Am 11. August 1927
wies die Klägerin die Reklamation zurück und lehnte die Verantwortung für
Fehler ab, die sich beim Dekatieren ergeben hätten. Die Beklagte hielt in
ihrem Brief vom 13. August 1927 an ihrer Rüge fest, übergab jedoch mit
Rücksicht auf die Ablehnung der Klägerin zwei Stücke des noch nicht
dekatierten Stoffes der Firma Schütze & Cie zum Dekatieren und erhielt von ihr
am 31. August 1927 den Bericht, .dass nach der Dekatur genau dieselben
Walkschwielen zum Vorschein gekommen seien, wie nach dem Dekatieren durch
Heckmeier; die Dekatur könne nicht Ursache dieser kaum mehr zu beseitigenden
Mängel sein.
In der Folge beschafften sich die Parteien verschiedene Gutachten von Firmen
und Sachverständigen. Die Klägerin liess einen ihr von der Beklagten
zugesandten Mantel durch das «Laboratoire d'analyses industrielles» von
Roubaix untersuchen und erhielt von dort die Mitteilung, dass die Falten nicht
auf Fabrikationsfehlern beruhen, sondern auf einer unsachgemässen oder zu
heftigen Dekatur. Die Beklagte empfing Gutachten von der Tuchfabrik Wädenswil
A.-G. und von den Handelskammern von Paris und Müllhausen, die zum Schlusse
kamen, dass die Mängel nicht auf die Dekatur zurückzuführen seien. Endlich
ordnete der Einzelrichter im summarischen

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Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich auf Antrag der Beklagten eine
vorsorgliche Expertise an und beauftragte damit H. C. Schulthess in Zürich und
H. Pfenninger in Wädenswil. Diese Experten kamen zum Ergebnis, dass die
Walkbrüche zwar erst nach dem Dekatieren sichtbar werden, dass sie aber einen
Fabrikationsfehler zur Ursache hätten und dass der Minderwert des Tuches etwa
60% betrage.
B. - Am 3. November 1927 erhob die Klägerin gegen die Beklagte Klage auf
Bezahlung des Kaufpreises für die 2. bis 6. Lieferung im Betrage von 108370
fr. Fr. und auf Ersatz der Untersuchungskosten des «Laboratoire d'analyses
industrielles» in Roubaix in der Höhe von 100 fr. Fr. 50 Cts.
Die Beklagte erklärte, dass sie aus der Lieferung von nur 90 statt 96 Stück
Velours de laine nichts ableite, dass sie aber Wandelung des Kaufes verlange.
Durch Widerklage machte sie folgende Schadenersatzforderungen geltend:
1. Rückvergütung der Fracht- und Zollspesen Fr. 2879.25
2. Vergütung der Dekaturkosten Fr. 53.65
3. Vergütung des Verkaufspreises für die fertigen Mäntel Fr. 21331.75
4. Ersatz des entgangenen Gewinnes für die noch nicht Fr. 10000.-
angefertigten Mäntel
5. Vergütung der bisherigen Experten- und Anwaltskosten Fr. 643.85
Zusammen Fr. 34908.50
Diesen Betrag setzte die Widerklägerin auf 30742 Fr. 50 Rp. herab, indem sie
für die fertigen Mäntel (Post 3) statt 21331 Fr. 75 Rp. nur 17165 Fr. 75 Rp.
verlangte.
C. - Mit Urteil vom 11. Juli 1929 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich
die Hauptklage abgewiesen und die Widerklage im Betrage von 25348
Schweizerfranken 10 Rp. nebst 5% Zins seit 8. Februar 1928 geschützt.

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D. - Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht
erklärt und beantragt, es aufzuheben und die Hauptklage gutzuheissen, die
Widerklage abzuweisen.
E. - In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin ihren Antrag wiederholt, es
sei die Klage zu schützen und die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat beantragt, es sei die Berufung abzuweisen und das Urteil des
Handelsgerichts zu bestätigen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Klägerin beruft sich darauf, dass auf den vorliegenden Streitfall
französisches Recht anzuwenden sei, während der Beklagte ihn nach
schweizerischem Recht entschieden haben will. Die Frage, welches Recht
anwendbar sei, beurteilt sich nach schweizerischem Recht, so dass das
Bundesgericht zuständig ist, sie bei der Behandlung der Berufung zu
überprüfen.
Die Wirkungen eines obligatorischen Rechtsgeschäftes, namentlich eines
Kaufvertrages, werden durch das Recht beherrscht, das die Parteien selbst beim
Geschäftsabschluss als massgebend betrachtet haben. Wenn sie sich nicht von
Anfang an übereinstimmend und in schlüssiger Weise einem andern Recht
unterworfen haben, ist anzunehmen, sie haben das Recht des Erfüllungsortes als
auf ihr Rechtsgeschäft anwendbar gehalten (BGE 44 II S. 417, 47 II S. 550, 48
II S. 393, 49 II S. 75 und 235). Da sich im vorliegenden Falle eine vom
natürlichen Recht des Erfüllungsortes abweichende Auffassung der Parteien
nirgends geäussert hat, gilt dieses als das von den Parteien in Aussicht
genommene Recht, und es ist zu untersuchen, welches der Erfüllungsort sei.
Die Beklagte macht geltend, Erfüllungsort sei Zürich. Dort sei zwischen ihr
und dem Vertreter der Klägerin der mündliche Vertrag zustandegekommen. Alle
Klauseln, welche auf einen andern Erfüllungsort als Zürich schliessen lassen,
seien nachträglich und einseitig durch

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die Klägerin aufgestellt worden und könnten nicht Vertragsinhalt sein. Es
steht in der Tat nicht ausser Zweifel, ob die Beklagte der Klägerin mit ihrem
Bestellungsschreiben vom 28. Juni 1927 ein Angebot gemacht hat, das die
Klägerin mit ihren Bestätigungsschreiben vom 29. Juni 1927 angenommen hätte,
oder ob diese Urkunden sich auf dem Wege zwischen Paris und Zürich gekreuzt
haben und lediglich wiedergeben, was vorher bereits in mündlicher Form
rechtsgültig abgemacht worden war. Im ersten Fall wären diese Briete
Dispostitivurkunden, d. h. sie würden den Vertragsinhalt enthalten. Wenn
hingegen anzunehmen wäre, der Agent der Klägerin habe sich mit der Beklagten
mündlich über alle wesentlichen Punkte verständigt, und eine besondere Form
sei nicht vorbehalten worden, so würden die genannten Schreiben der Parteien
nur Beweisurkunden darstellen, und jeder Vertragsschliessende hätte den
Gegenbeweis antreten können, dass die Bestätigungsschreiben mit der mündlichen
Abmachung nicht übereinstimmen. Da die Beklagte im vorliegenden Falle einen
solchen Gegenbeweis weder geleistet, noch überhaupt angetreten hat, ist nicht
zu untersuchen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, sondern es wäre
anzunehmen, dass zwar die Klägerin nicht nachträglich und einseitig einen
allfälligen mündlichen Vertrag durch Aufstellung neuer Klauseln ändern konnte,
dass jedoch der Inhalt ihrer Bestätigungsschreiben einfach wiedergeben würde,
was ihr Vertreter mit der Beklagten vorher schon mündlich vereinbart hätte.
Bestätigungsschreiben von der Art, wie sie üblich sind, und wie sie im Falle
eines vorangegangenen mündlichen Vertrages auch hier aufzufassen wären, hätten
kaum einen praktischen Wert, wenn ihnen nicht die Natur als Beweisurkunden
zukäme. Den Gegenbeweis kann sich der Empfänger besonders dadurch sichern,
dass er das Bestätigungsschreiben auf seine Übereinstimmung mit dem mündlichen
Vertrag prüft und den Vertragsgegner auf allfällige Widersprüche aufmerksam
macht. Diese Prüfung der Bestätigungsschreiben

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und Verwahrung gegen unrichtige Wiedergaben der mündlichen Abmachung ist ihm
nach Treu und Glauben im Verkehr wohl zuzumuten (vgl. BGE 32 II S. 286; OSER,
Note 5 zu Art. 74; VON THUR, OR I S. 167 und II S. 442 Note 12 und dort zit.
Lit.).
Die Bestätigungsschreiben der Klägerin vom 29. Juni enthalten alle folgende
Bestimmung, die nach dem vorher Gesagten als Bestandteil des zwischen den
Parteien abgeschlossenen Kaufvertrages zu betrachten ist: «Nos marchandises
sont prises et payables à Paris, quel que soit le mode de payement adopté. Nos
traites ou le franco ne sont pas une dérogation à cette condition attributive
de juridiction». Da also nach Vertrag sowohl die Verpflichtung der Verkäuferin
zur Übertragung des Eigentums am Kaufgegenstand, als die Verpflichtung der
Käuferin zur Bezahlung des Preises, in Paris zu erfüllen war, ist Paris
vertraglicher Erfüllungsort.
Die Vorinstanz hat freilich die Frage aufgeworfen, ob die erwähnten Klauseln
nicht deshalb für die Beklagte unverbindlich seien, weil sie klein und
unscheinbar am Fusse des von der Klägerin verwendeten Bestätigungsformulares
vorgedruckt sind. Allein was das Bundesgericht über die Notwendigkeit der
deutlichen Hervorhebung von Gerichtsstandsklauseln erkannt hat (vgl. BGE 49 I
S. 48
und 52 I S. 268) kann nicht ohne weiteres auf die Verwendung
vorgedruckter Bestimmungen über den Erfüllungsort angewendet werden, da es im
Gegensatz zum Gerichtsstand keinen verfassungsmässigen Erfüllungsort gibt und
die strengen Anforderungen an den Verzicht auf ein verfassungsmässiges Recht
nicht ohne weiteres auf die vertragliche Abweichung vom gesetzlichen
Erfüllungsort übertragen werden können. Dazu kommt, dass im vorliegenden Fall
die Beklagte selbst den Standpunkt einnimmt, der Vertrag sei mündlich
geschlossen worden; wenn diese Behauptung zutrifft, wäre nach dem oben
Gesagten auch anzunehmen, dass die Klauseln über Paris als Lieferungs- und
Zahlungsort schon mündlich mit

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hinreichender Deutlichkeit vereinbart worden seien. Wie jedoch die Vorinstanz
selbst ausgeführt hat, stimmt im vorliegenden Fall der vertragliche
Erfüllungsort mit dem gesetzlichen überein, so dass nicht zu untersuchen ist,
ob die vorgedruckte Bestimmung des Erfüllungsortes gültig ist oder nicht. Bei
Ungültigkeit der Klausel käme nur der gesetzliche Erfüllungsort in Betracht;
die in den Bestätigungsschreiben der Beklagten weiter enthaltenen Bestimmungen
«Franco Paris», «Franco Roubaix» und «Expédition en grande vitesse directement
à votre adresse» betreffen, wie das Handelsgericht richtig ausführt, nicht den
Erfüllungsort, sondern Modalitäten der Versendung (OSER, Kommentar, 2. Aufl.
Note 20 zu Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR, VON TUHR OR II S. 446). Welches der gesetzliche
Erfüllungsort ist, muss nach der Lex fori, also nach schweizerischem Recht,
entschieden werden. Da. das streitige Rechtsgeschäft ein Gattungskauf ist,
hatte der Verkäufer seine Verpflichtung nach Art. 74 Ziffer 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
an seinem
Wohnsitz zu erfüllen, während die Käuferin nach Art. 74 Ziff. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR ihre
Geldschuld ebenfalls in Paris, am Wohnsitz des Gläubigers, zu erfüllen hatte.
Zum gleichen Ergebnis kommt man nach den zutreffenden Ausführungen der
Vorinstanz, wenn man Art. 1609 des Code civil- français statt des
schweizerischen Rechtes anwendet. Ob man also von der Gültigkeit des
vertraglichen Erfüllungsortes ausgeht oder auf die subsidiär geltenden
Gesetzesbestimmungen abstellt, ergibt sich Paris als Erfüllungsort. Daraus
folgt, dass auf die in diesem Prozesse streitigen Fragen, ob die Klägerin den
Kaufvertrag richtig erfüllt habe, oder ob sie für Sachmängel Gewähr zu leisten
habe und in welchem Masse, grundsätzlich das französische Recht anzuwenden
ist.
2.- Die Klägerin wendet gegenüber dem Wandelungsanspruch ein, dass die
Beklagte die behaupteten Mängel nicht in der durch das französische Recht
geforderten Form gerügt habe, so dass die Ware als genehmigt zu gelten habe.
Art. 1184 und 1648 CC schreiben vor, das

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ein Wandelungsanspruch bei Gefahr des Verlustes durch gerichtliche Klage
erhoben werden müsse. éber diese Klage bestimmt Art. 1648 CC: «L'action
résultant des vices rédhibitoires doit être intentée par l'acquéreur dans un
bref délai, suivant la nature des vices rédhibitoires et l'usage du lieu, où
la vente a été faite». Das Mängelrügeverfahren des schweizerischen Rechtes ist
dem Code civil nicht bekannt, und ein Käufer darf nach französischem Recht mit
der gerichtlichen Geltendmachung der Mängel nicht zuwarten, bis der Verkäufer
den Kaufpreis einklagt.
Es ist zweifelhaft, ob die von der Beklagten eingeleitete Widerklage noch als
rechtzeitige Klage im Sinne des Art. 1648 CC betrachtet werden kann. Die Frage
ist durch die Vorinstanz verneint worden, obschon Art. 1648 CC für die
Bemessung der Frist auf die Art der Mängel und den Ortsgebrauch verweist, also
auf Umstände, die im vorliegenden Fall für eine nicht zu kurze Frist sprechen.
Das Bundesgericht ist nicht zuständig, diese Frage nachzuprüfen, da sie von
der Vorinstanz unter Anwendung ausländischen Rechtes beantwortet worden ist.
Mit Recht hat jedoch das Handelsgericht weiter ausgeführt, dass überhaupt die
Anwendbarkeit des französischen Rechtes auf die Frage der Formrichtigkeit und
Rechtzeitigkeit der Mängelrüge zweifelhaft und daher zunächst zu untersuchen
sei. Obschon grundsätzlich der zwischen den Parteien abgeschlossene
Kaufvertrag unter dem französischen Rechte steht, kann in einer einzelnen
Beziehung, nämlich bezüglich der Form der Mängelrüge der in der Schweiz
wohnenden Beklagten, doch schweizerisches Recht anwendbar sein.
Das Recht des Erfüllungsortes gilt beim Fehlen abweichender Vereinbarungen als
das vermutlich von den Parteien gewollte Recht, weil sie seine Anwendung am
ehesten erwarten konnten (vgl. das Urteil des Bundesgerichtes vom 3. Oktober
1922 i. S. Lindenmaier & Cie ca. Brause & Cie, BGE 48 II S. 390 ff.). Es kann
nun

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vorkommen, dass sich die Parteien beim Vertragsschluss über die Anwendung
eines bestimmten Rechtes auf die Wirkungen des Vertrages verständigt haben,
oder dass anzunehmen ist, sie hätten das Recht des Erfüllungsortes gewählt,
wenn sie überhaupt über das anzuwendende Recht gesprochen hätten, dass sie
aber gleichzeitig darüber einig waren oder bei Bewusstsein der Frage einig
gewesen wären, einzelne aus dem Vertrage sich ergebende Pflichten seien nach
einem andern Recht zu entscheiden, als das Rechtsverhältnis als Ganzes.
Im vorliegenden Prozess steht fest, dass nach den vorgedruckten Klauseln der
Bestätigungsformulare der Klägerin alle Waren in Paris abgenommen und bezahlt
werden sollten. Im Widerspruch damit wurde bestimmt, dass die Versendung des
verkauften Velours de laine «franco Roubaix» und «franco Reims», sowie «en
grande vitesse directement à votre adresse» zu geschehen hatte. Diese Art der
Versendung schloss eine nach französischem Recht in Paris vorzunehmende
Untersuchung der Ware aus. Die Bestätigungsschreiben der Klägerin enthalten
allerdings die weitere Vorschrift, dass die Frankolieferung keine Abweichung
von der Jurisdiktionsklausel sei. Allein diese Vorschrift ändert nichts daran,
dass der Beklagten eine Prüfung der Ware in Paris nicht zugemutet werden
konnte, nachdem die Klägerin damit einverstanden war, dass die Abnahme nicht
in Paris zu erfolgen hatte. Es kann also nicht gesagt werden, dass sich die
Beklagte bezüglich der Frage, wie die Ware zu prüfen und ein Mangel zu rügen
sei, ausdrücklich dem französischen Recht unterworfen habe.
Wenn man darauf abstellen und weiter prüfen wollte, welches Recht die Parteien
mutmasslich für die Form der Mängelrüge gewollt hätten, könnte es nur das
Recht des Ortes sein, wo der Kaufgegenstand zu prüfen und allfällige Mängel zu
beanstanden waren, also das schweizerische, nicht das französische Recht. Die
Vermutung, sie hätten das französische Recht gewählt, nur weil es das

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Recht des Erfüllungsortes ist, wäre eine Fiktion und würde nicht den
vernünftigen und daher zu vermutenden Parteiabsichten entsprechen. Dies darf
umsoeher angenommen werden, als die Notwendigkeit der Klageerhebung eine
Eigentümlichkeit des französischen Rechtes ist, während das
Mängelrügeverfahren des schweizerischen Rechtes den meisten Staaten gemeinsam
ist. Es würde den Erfordernissen des Handels auf rasche Geschäftsabwicklung
zuwider laufen und eine unbillige Zumutung an den schweizerischen Kaufmann
sein, der hier die Mängelrüge zu erheben hat, wenn man von ihm verlangen
würde, dass er solche Besonderheiten des ausländischen Rechtes kennen und
beobachten solle. Internationale Geschäfte verpflichten ihn zwar zu grösserer
Umsicht, als Verträge, die er im Inland mit Inländern schliesst; doch ginge es
zu weit, zu dieser Umsicht auch die Kenntnis und Innehaltung der
verschiedensten ausländischen Rechte zu zählen.
Es rechtfertigt sich, inbezug auf die Frage des anwendbaren Rechtes auf die
Form der Mängelrüge überhaupt nicht auf den mutmasslichen Parteiwillen
abzustellen, sondern auf das Prinzip «Locus regit actum». Da Sachmängel beim
Kauf etwas Ausserordentliches sind, mit dem die Parteien meistens gar nicht
gerechnet haben, läuft hier im Grunde jede Vermutung auf eine Fiktion hinaus.
Dazu kommt, dass das Mängelrügeverfahren der Verfügung der Parteien entzogen
ist und in einem engen Zusammenhang mit dem öffentlichen Recht, namentlich mit
dem Prozessrecht, steht. Welches Recht auf die Formrichtigkeit der Rüge
anwendbar ist, soll der Richter daher ohne Ansehung einer allfälligen
Verfügung der Parteien entscheiden, und zwar im Sinne der Anwendung des
Wohnsitzrechtes des Käufers. Es ist nicht undenkbar, dass einzelne Staaten
eine Mitwirkung von Behörden schon bei der Prüfung der Sache vorsehen. Wollte
man in solchen Fällen nicht auf das inländische Recht schlechthin abstellen,
so käme man dazu, inländische Instanzen

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nach ausländischem Prozessrecht Amtshandlungen vornehmen zu lassen, die dem
Recht am Wohnsitz des Käufers, d. h. in diesem Fall dem schweizerischen Recht,
gar nicht bekannt sind.
Es ist freilich zu beachten, dass durch die Frankoklauseln nur die
Untersuchung der Ware in Paris, nicht aber die Reklamation nach französischem
Recht verunmöglicht wurde. Es könnte sich daher fragen, ob nicht
schweizerisches Recht anwendbar sei auf die Frage, wann und wie die Beklagte
die Ware zu prüfen hatte, und französisches auf die Frage, in welcher Form sie
die Mängel zu beanstanden hatte. Prüfung und Rüge stehen jedoch in einem engen
Zusammenhang zu einander und bilden ein einheitliches Verfahren des Käufers,
das man nicht auseinanderreissen kann.
Es besteht im internationalen Privatrecht überhaupt ein logisches Postulat,
dass alle aus einem Vertrag sich ergebenden rechtlichen Beziehungen unter ein
einziges Recht gestellt werden, und dieses Postulat wird in der neuern Doktrin
wieder häufiger vertreten (vgl. darüber OSER, Kommentar, 2. Aufl. Allgemeine
Einleitung über Internationales Privatrecht, Note 49 ff.). Allein die meisten
der für die Wahl des anwendbaren Rechtes vorgeschlagenen Prinzipien verbürgen,
für sich allein angewendet, nicht nur keine innerlich gerechtfertigten
Lösungen, sondern sie widersprechen oft sogar auch dem erwähnten Postulat der
Logik. Auch die Anwendung des Rechtes des Erfüllungsortes allein kann z. B.
bei zweiseitigen Verträgen zur Anwendung zweier Rechte auf einen einzigen
Vertrag führen (OSER, a.a.O. Note 49). Im vorliegenden Streitfall wäre
jedenfalls die ausschliessliche Anwendung des französischen Rechtes für den
Käufer ungerecht. Dazu kommt, dass das Mängelrügeverfahren sehr wohl ohne
logische Widersprüche und ohne praktische Schwierigkeiten von andern
Streitfragen getrennt und nach dem Grundsatz «Locus regit actum» beurteilt
werden kann; denn es steht nicht in einem unmittelbaren

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Zusammenhang mit dem materiellen Kaufsrecht (vgl. den Entscheid des Deutschen
Reichsgerichtes in RGE i. Civ, S. Bd. 73 Nr. 95 S. 390). Das Bundesgericht hat
sich schon in seinem (unveröffentlichten) Urteil i. S. Buser gegen Kurz vom 2.
Oktober 1923 auf den Standpunkt gestellt, dass eine Mängelrüge nach dem Rechte
des Käufers zu beurteilen sei. Dem widerspricht nicht der von der Klägerin
angerufene Entscheid i. S. Jucker-Petitpierre gegen Schmid & Cie vom 5. März
1923 (BGE 49 II S. 70 ff.); denn dort wurde das Recht des Erfüllungsortes auf
die Folgen der Mängelrüge und den Umfang der Gewährleistungspflicht, nicht auf
die Form der Reklamation anwendbar erklärt.
3.- Die Mängelrüge der Beklagten vom 10 August. entspricht nach Zeit und Form
den Erfordernissen des schweizerischen Rechtes.
Die Klägerin hat mit Recht die Behauptung fallen lassen, dass die Beklagte
schon zur Dekatur des ihr vor dem Kaufabschluss unterbreiteten Stoffmusters
verpflichtet gewesen wäre.
Die Ausführung der Klägerin, dass der Mangel während der Dekatur erkennbar
geworden sei, dass der Unternehmer (Dekateur) gemäss Werkvertrag zur
Mitteilung der Sachfehler an den Besteller gehalten gewesen wäre und dass die
Beklagte für seine Unterlassung der sofortigen Meldung einzustehen habe,
beruht auf einer aktenwidrigen Annahme. Nach der auf Grund der Expertise
erfolgten, für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung des
Handelsgerichtes sind die geheimen Fabrikationsfehler des Velours de laine
zwar durch die Dekatur und nach der Dekatur, aber erst nach Vollendung der
Mäntel endgültig erkennbar geworden. Die Frist zur Mängelrüge lief daher erst
von dieser Entdeckung an. Ein Einstehen des Beklagten für ein Verhalten des
Dekateurs fällt schon aus diesem Grund nicht in Betracht, abgesehen davon,
dass eine Haftung des Unternehmers gegenüber dem Besteller aus Unterlassung
der Mitteilung

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nicht ohne weiteres auch die Haftung des Bestellers als Käufer gegenüber dem
Verkäufer des Stoffes im Sinne der Verspätung der Mängelrüge begründen kann.
Es geht ferner nicht an, die Frist für die Mängelrüge so zu berechnen, dass
man prüft, wie viel Zeit die Beklagte für die Dekatur und für die Herstellung
der Mäntel verwenden durfte. Die Beklagte war nicht verpflichtet, das Tuch
sofort zu verarbeiten. Die Frist zur Beanstandung lief erst von der
Fertigstellung der Mäntel und Entdeckung der Falten an; vorher stand es der
Beklagten ohne Verlust ihrer Rechte frei, mit der Verarbeitung des Stoffes
zuzuwarten. Das Handelsgericht hat denn auch die Feststellungen über die
mutmassliche Dauer der Verarbeitung nicht gemacht, um die Rügefrist daraus
abzuleiten, sondern um den Beginn der Rügefrist zu ermitteln. Diese
Schlussfolgerung ist für das Bundesgericht verbindlich. Eine Verletzung des
Bundesrechtes liegt auch nicht darin, dass die Vorinstanz der Beklagten nach
der Vollendung der ersten Mäntel noch eine kurze Zeit einräumte, um das Urteil
eines Fachmannes einzuholen, damit sie ihre Mängelrüge durch nähere Erklärung
der Mängel substantieren konnte. Diese fachmännische Auskunft der Firma
Schütze & Cie wurde am 8. August 1927 erteilt, so dass die Mängelrüge am 10.
August rechtzeitig erfolgt ist.
4. -
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons
Zürich vom 11. Juli 1929 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 II 38
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 16. Januar 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 II 38
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Anwendbares Recht beim Kaufvertrag.1. Auf die Frage, ob der Verkäufer für Mangel der Sache Gewähr...


Gesetzesregister
OR: 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
BGE Register
32-II-281 • 44-II-416 • 48-II-390 • 49-I-48 • 49-II-70 • 56-II-38
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
adresse • analyse • angabe • antrag zu vertragsabschluss • ausländisches recht • ausmass der baute • beginn • begründung des entscheids • beklagter • bestandteil • besteller • beurteilung • bewilligung oder genehmigung • brief • bundesgericht • bus • dauer • doktrin • eigentum • einzelrichter • entscheid • examinator • fachmann • fiktion • form und inhalt • frage • frist • geldschuld • handelsgericht • handelskammer • internationales privatrecht • kauf • kaufmann • kaufpreis • kaufsrecht • kenntnis • klage • kommunikation • lex fori • lieferung • lohn • mass • mitwirkungspflicht • mündliche form • nichtigkeit • not • ortsgebrauch • postulat • richterliche behörde • richtigkeit • sachmangel • sachverständiger • schaden • schutzmassnahme • schweizerisches recht • treu und glauben • umfang • unternehmung • verfahren • verhalten • verkäufer • verkäufer • vermutung • vertragsinhalt • vorinstanz • vorlegung • ware • weiler • werkvertrag • wert • wesentlicher punkt • widerklage • wiese • wille • zins • zweifel