S. 245 / Nr. 40 Erbrecht (d)

BGE 56 II 245

40. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juli 1930 i. S. Lenzin. gegen
Guthauser.

Regeste:
Eigenhändiges Testament (ZGB Art. 505). Hiefür kann eine briefliche
Mitteilung, z. B. an eine Behörde, genügen (Erw. 1).
Das Datum kann an den Anfang gesetzt werden (Erw. 2). Die Frage nach dessen
Richtigkeit ist Tatfrage (Erw. 4).
Erfordernisse der Unterschrift bezüglich des hiebei gebrauchten Namens (Erw.
6).
Aktenwidrigkeitsrüge beim Indizienbeweis (Erw. 4).

A. - Friedrich Lenzin, der sich am 2. Juli 1928 in Buchberg erschoss, hatte
folgende Postkarte «an das Gemeindepräsidium Rüdlingen, Schaffhausen»
geschrieben:
«Rüdlingen, den 2. Juni 1928.
Geehrter Herr Präsident!
Inbezug meines bevorstehenden Hinschiedes teile Ihnen mit, dass ich in meiner
Rocktasche 520 Franken in Noten auf meinem Leibe trage. Ferner bezeichne ich
als Erben meiner gesamten Hinterlassenschaft die Kinder des Bruders meiner
Mutter, Wilhelm und Marie Guthauser (des Eduard und der Ida
Guthauser-Steinhauser) wohnhaft und Bürger von Zeiningen (Aargau).
Ich ersuche Sie höfl. meinem Wunsche gerecht zu werden.
Mit Hochachtung
Fritz Lenzin Grenzwächter Rüdlingen.»

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Die Karte wurde mit dem Aufgabestempel der Bahnpost vom 2. Juli 1928 versehen
und am folgenden Tage beim Adressaten abgegeben.
Mit der vorliegenden Klage verlangen die nächsten gesetzlichen Erben des
Lenzin, «es sei das von Friedrich Lenzin mit «2. Juni 1928» datierte und
zugunsten der beiden Beklagten errichtete Testament ungültig zu erklären».
B. - Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat am 24. Januar 1930 die Klage
abgewiesen.
C. - Gegen dieses Urteil haben die Kläger die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Lenzin hat auf die streitige Postkarte geschrieben, er setze für seine
Erbschaft die Beklagten als Erben ein. Damit hat er über das Schicksal seines
Vermögens nach seinem Tode bestimmt und zwar dessen Verbleib materiell
geregelt. Wieso bei einer Anordnung dieser Art in Zweifel gezogen werden kann,
es handle sich um eine letztwillige Verfügung, ist unerfindlich (vgl. Art. 483
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 483 - 1 Der Erblasser kann für die ganze Erbschaft oder für einen Bruchteil einen oder mehrere Erben einsetzen.
1    Der Erblasser kann für die ganze Erbschaft oder für einen Bruchteil einen oder mehrere Erben einsetzen.
2    Als Erbeinsetzung ist jede Verfügung zu betrachten, nach der ein Bedachter die Erbschaft insgesamt oder zu einem Bruchteil erhalten soll.

ZGB). Den daherigen Entscheidungsgründen der Vorinstanz ist ohne weiteres
beizustimmen. Will man nicht gelten lassen, dass Lenzin durch die streitige
Karte seine Angelegenheiten für den Fall des Todes ordnen wollte, so liesse
sich das Schreiben desselben überhaupt nicht erklären oder doch höchstens
dahin, dass er entweder mit den bezeichneten Erben oder aber mit dem
Gemeindepräsidenten habe Scherz treiben wollen. Allein hiefür liegt nicht der
mindeste Anhaltspunkt vor. - Eine Frage für sich ist es dann, ob es Lenzin
gelungen sei, seinen letzten Willen in der gesetzlich einzig wirksamen Form zu
erklären. Hierüber mochte er vielleicht selbst im Zweifel sein, wie sich aus
seiner Mitteilung laut Postkarte vom 2. Juli an die Familie
Guthauser-Steinhauser in Zeiningen schliessen lässt: «Meine gesamte
Hinterlassenschaft - sie ist nicht

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so bedeutend - soll auf meinen Wunsch Marie und Willi zukommen. Für ein
Testament, welches amtlichen Charakter hat, habe ich (k)eine Zeit mehr.»
Schritt er nichtsdestoweniger zu privatschriftlicher Beurkundung der Erklärung
seines Erbeinsetzungswillens in der vorliegend streitigen und in der eben
erwähnten, hier aber nicht streitigen Postkarte, so kann er es unmöglich in
einer anderen Absicht getan haben, als um seinen letzten Willen zum Ausdruck
zu bringen, ansonst es ja sinnlos gewesen wäre, dies überhaupt noch zu
schreiben, abgesehen von der bereits abgelehnten Annahme der Erklärung zum
Scherz. Wird die Erklärung des letzten Willens an eine bestimmte Person (oder
Behörde) gerichtet, so ist einfach zu prüfen, ob die für die Errichtung eines
eigenhändigen Testamentes vorgeschriebene Gültigkeitsform mit dieser
Mitteilung erfüllt, d. h. in ihr enthalten ist. M. a. W.: es schadet der ihrem
Begriffe nach nicht empfangsbedürftigen Erklärung des letzten Willens nicht,
wenn sie «einem andern gegenüber» abgegeben wird. Was sodann die Endgültigkeit
der Entschliessung anbelangt, so ist ja schliesslich wegen der
Widerruflichkeit überhaupt keine letztwillige Verfügung endgültig, bis sich
herausgestellt hat, dass sie nicht im Sinne der Art. 509
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 509 - 1 Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind.
1    Der Erblasser kann seine letztwillige Verfügung jederzeit in einer der Formen widerrufen, die für die Errichtung vorgeschrieben sind.
2    Der Widerruf kann die Verfügung ganz oder zum Teil beschlagen.
/11
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 11 - 1 Rechtsfähig ist jedermann.
1    Rechtsfähig ist jedermann.
2    Für alle Menschen besteht demgemäss in den Schranken der Rechtsordnung die gleiche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben.
ZGB formgültig
widerrufen worden ist, und sie es nicht mehr werden kann.
2.- Von der Datierung des eigenhändigen Testamentes verlangt Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB
nichts anderes, als dass das Testament «von Anfang bis zu Ende mit Einschluss
der Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag der Errichtung» von Hand
niederzuschreiben sei. Aus der Erwähnung der Datierung im Anhang zum übrigen
Inhalt des Testamentes darf nicht geschlossen werden, dass die Datierung erst
am Schlusse, nach der Niederschrift der «Verfügungen» (hier im Sinne von
Verfügungsarten gebraucht) stattfinden dürfe und dementsprechend das Datum
unter bezw. allfällig hinter die «Verfügungen» gesetzt werden müsse: denn es
ist nicht ersichtlich. welcher anderen nicht schwerfälligen

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Ausdrucksweise man sich hätte bedienen können, wenn auch nur hätte angedeutet
werden wollen, dass es gleichgültig sei, ob das Datum an den Anfang oder an
das Ende gesetzt werde (vgl. hiezu BGE 55 II S. 235 über das Datieren beim
öffentlichen Testament). Nur insofern ist der Datierung am Ende der
«Verfügungen» der Vorzug zu geben, als sie mehr Gewähr dafür bietet, dass sie
den Zeitpunkt angibt, an welchem die Testamentserrichtung zum Abschluss
gelangt ist, worauf es in der Tat ankommt. Allein deswegen die Datierung am
Anfang allgemein nicht als genügend gelten zu lassen, lässt sich nicht
rechtfertigen, zumal da, wo kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der
Erblasser die Niederschrift erheblich unterbrochen, geschweige denn deren
Vollendung auf einen späteren Tag verschoben habe.
3. -
4.- Die Bestreitung der Richtigkeit der Angabe des Tages bezw. Monates der
Testamentserrichtung fällt für das Bundesgericht nicht mehr in Betracht,
nachdem die Vorinstanz angenommen hat, die Niederschrift habe am 2. Juni 1928
stattgefunden, einen Monat vor der bahnpostamtlich beurkundeten Aufgabe der
Postkarte. Hiebei handelt es sich um eine tatsächliche Feststellung der
Vorinstanz, die für das Bundesgericht verbindlich ist, da sich die gegen sie
gerichtete Aktenwidrigkeitsrüge als unbegründet erweist. Denn die Akten
enthalten nichts, was den direkten Beweis für spätere Niederschrift, nach dem
2. Juni, liefern würde, sondern nur gewichtige Indizien dafür, welche aber den
Vorwurf der Aktenwidrigkeit niemals zu rechtfertigen vermögen. Neue
Behauptungen (wie diejenige wegen der Zahlungsweise der Besoldung) können
ohnehin nicht zur Begründung der Aktenwidrigkeitsrüge verwendet werden.
Abgesehen von der Verletzung bundesrechtlicher Beweisnormen, die vorliegend
nicht behauptet werden kann, ist die Beweiswürdigung den kantonalen Gerichten
nicht nur dann vorbehalten, wenn die Überzeugungskraft widersprechender
direkter Beweismittel zu

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beurteilen ist, sondern auch, wenn unter widersprechenden Indizien zu wählen
ist, welche schlüssiger erscheinen.
5.- Ist dem Testator auch laut dem Zivilstandsregister der Vorname Friedrich
gegeben worden, so ist der für die Unterschrift des Testamentes gebrauchte
doch nicht ein von jenem verschiedener, sondern nur eine Abkürzung desselben,
die er und seine Familie zur Bezeichnung seiner Person zu gebrauchen pflegten
und die auch sonst gebräuchlich ist. Hiegegen lässt sich nichts einwenden,
sodass nicht geprüft zu werden braucht, ob auch die Unterschrift mit einem
eigentlichen Pseudonym genügen würde und, bei einer gegenüber
Familienangehörigen abgegebenen Erklärung des letzten Willens, die
Unterschrift bloss mit dem in der Familie gebräuchlichen Vornamen, auf welche
sich der Testator auf der hier nicht streitigen Postkarte an die Familie
Guthauser beschränkt hat, die ebenfalls eine Erbeinsetzung enthält.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Schaffhausen vom 24. Januar 1930 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 56 II 245
Date : 01. Januar 1930
Published : 03. Juli 1930
Source : Bundesgericht
Status : 56 II 245
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Eigenhändiges Testament (ZGB Art. 505). Hiefür kann eine briefliche Mitteilung, z. B. an eine...


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