S. 409 / Nr. 66 Patenttaxen (d)

BGE 56 I 409

66. Urteil des Kassationshofes vom 13. Oktober 1930 i. S. Hobi gegen
Bezirksamt Untertoggenburg.


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Regeste:
1. Art. 1, 2, 8 lit. c des Handelsreisendengesetzes: «Geschäftsleute, welche
den betreffenden Handelsartikel im Gewerbe verwenden.» (Erw. 1.)
2. Art. 161 Abs. 2 OG.
· von Bundesrechtswegen steht der adhäsionsweisen Beurteilung eines
öffentlichrechtlichen Anspruchs (hinterzogene Taxe) nichts entgegen. Erw. 2.
· in einem solchen Falle hat der Kassationshof auf Beschwerde hin auch über
Bestand und Umfang dieses Anspruchs zu erkennen. (Erw. 2.)

A. - Die Kassationsklägerin war als Inhaberin der sog. grünen Karte
berechtigt, gemäss Art. 1 des Handelsreisendengesetzes vom 24. Juni 1892 für
das von ihr vertriebene Ungeziefer-Vertilgungsmittel «bei Geschäftsleuten,
welche den betreffenden Handelsartikel wiederverkaufen oder in ihrem Gewerbe
verwenden», Bestellungen aufzunehmen. Sie sprach dann aber auch u. a. bei
einem Polizeiangestellten, der nebenbei für seinen Hausbedarf Geflügelzucht
betreibt, vor und wurde deswegen dem Strafrichter überwiesen.
Das Bezirksamt Untertoggenburg hat die Kassationsklägerin am 19. Februar 1930
der Übertretung der Art. 2, 4 und 8 lit. c des Handelsreisendengesetzes
schuldig

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erklärt und zu 30 Fr. Geldbusse (bei Unerhältlichkeit drei Tage Gefängnis)
sowie den Kosten und zur Nachbezahlung der 100 Fr. entgangene Taxe verurteilt.
Einen dagegen eingereichten Rekurs hat die Gerichtskommission Untertoggenburg
am 23. Mai abgewiesen, weil die Kassationsklägerin in der Tat unbefugt, d. h.
ohne im Besitz der roten Taxkarte zu sein, bei Privaten Bestellungen
aufgenommen habe.
B. - Gegen den am 4. Juni 1930 in schriftlicher Ausfertigung zugestellten
Gerichtskommissionsentscheid hat die Kassationsklägerin rechtzeitig und
formrichtig am 14. Juni 1930 Kassationsbeschwerde angemeldet und am 24. Juni
1930 eingereicht. Sie macht geltend, die Besteller des
Ungeziefervertilgungsmittels hätten dasselbe bestimmungsgemäss für ihr
Geflügel, d. h. also in ihrem Gewerbe verwendet. Dass die Geflügelhaltung von
einzelnen der von ihr aufgesuchten Personen nur als Nebengewerbe betrieben
werde, vermöge daran nichts zu ändern. Die Kassationsklägerin sei also schon
auf Grund ihrer grünen Karte berechtigt gewesen, bei solchen Geflügelhaltern
vorzusprechen.
Das Bezirksamt sei nicht kompetent gewesen, neben der Busse noch auf die
Pflicht zur Nachzahlung der Taxe zu erkennen. Über die Pflicht zur
Taxnachzahlung hätte vielmehr nur das Patentamt zu entscheiden gehabt, dessen
Entscheid dann an die höhern Verwaltungsinstanzen hätte weitergezogen werden
können.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Die Kassationsklägerin war berechtigt zur Aufnahme von Bestellungen nur
bei solchen Personen, die als Geschäftsleute den betreffenden Handelsartikel
weiterverkaufen oder in ihrem Gewerbe verwenden, nicht aber zur Aufnahme von
Bestellungen bei Privatpersonen. Es fragt sich also, ob Personen, die nur
nebenbei Geflügel halten, deswegen doch schon als Gewerbetreibende zu
betrachten seien und das von der Kassationsklägerin

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angebotene Ungeziefer-Vertilgungsmittel «in ihrem Gewerbe verwenden».
Nun ist unzweifelhaft der Landwirt ein Gewerbetreibender in diesem Sinne
(SALIS II S. 742 Nr. 913; BGE 36 I S. 285; dagegen Zitate bei RAHM,
Vorschriften für Handelsreisende S. 6 Ziff. 4); und zwar muss auch die von ihm
bloss nebenbei betriebene Geflügelhaltung als Bestandteil seines
Gewerbebetriebes behandelt werden. Die Kassationsklägerin durfte also auf
Grund ihrer grünen Karte das Ungeziefer-Vertilgungsmittel auch Landwirten zur
Verwendung in ihrem Geflügelhof anbieten.
Anders verhält es sich mit Personen, die neben der Ausübung eines andern -
selbständigen oder unselbständigen - Berufes für den Hausbedarf Geflügel
halten. Die von solchen gemachten Aufwendungen für ihren Geflügelhof sind
nicht Aufwendungen zur Erzielung eines gewerblichen Einkommens, was doch die
wesentliche Voraussetzung einer «Verwendung im Gewerbe» ist, sondern sie
bedeuten die Verwendung von anderswo gezogenem Einkommen für den Hausbedarf.
Der Handelsreisende, der für solchen Zwecken dienende Handelsartikel
Bestellungen aufsucht, ist ein Detailreisender im Sinne von Art. 2 des
Handelsreisendengesetzes, der mit dem ortsansässigen Kleinhandels- und
Kleingewerbestand in Konkurrenz tritt; und gerade darauf hat der
Bundesgesetzgeber bei Einführung der Handelsreisendentaxe abstellen wollen
(vgl. Beilage zur Botschaft vom 29. Mai ]891, BBl 1891 III spez. S. 45 und 78;
vgl. auch Botschaft vom 11. Januar 1929 betreffend das Bundesgesetz über die
Handelsreisenden, BBl 1929 I S. 61 i. f. und SALIS II S. 742 Ziff. 5).
Die Kassationsklägerin hat nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz
solche Privatpersonen aufgesucht. Sie ist damit, da sie das Recht dazu (rote
Karte) nicht besass, im Sinne von Art. 8 lit. c BG vom 24. Juni 1892
bussfällig geworden. Die ausgesprochene Busse hält sich im gesetzlichen
Rahmen. Vorhandene Milderungsgründe sind berücksichtigt.

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2.- Die Kassationsklägerin bestreitet dem Strafrichter (hier erstinstanzlich
dem Bezirksamt) die Kompetenz, um ausser über die Busspflicht auch über die
Pflicht zur Nachbezahlung der Taxe zu erkennen. Allein einer adhäsionsweisen
Beurteilung des Taxanspruches durch den kantonalen Strafrichter steht von
Bundesrechtswegen nichts entgegen; und wenn das nach kantonalem Recht
unzulässig sein sollte, so hätte das mit staatsrechtlicher und nicht mit
Kassationsbeschwerde geltend gemacht werden sollen. Die Tatsache, dass die
Vorinstanzen über die Pflicht zur Nachbezahlung der Taxe erkannt haben, bildet
also keinen Kassationsgrund.
Dagegen hat nun der Kassationshof gemäss Art. 161 Abs. 2 OG den
vorinstanzlichen Entscheid über die Pflicht der Rekurrentin zur Nachbezahlung
der Taxe materiell auf seine Bundesrechtsmässigkeit zu prüfen. (Dass der
adhäsionsweise beurteilte Anspruch nicht zivil- sondern öffentlichrechtlicher
Natur ist, vermag daran nichts zu ändern.) - Doch besteht diese Pflicht zur
Nachbezahlung der Taxe - was eigentlich auch nicht bestritten wird, - zu
Recht. Es sei in dieser Beziehung bloss auf das bundesrätliche Kreisschreiben
vom 2. April 1897, abgedruckt bei SALIS II S. 739 Nr. 911, verwiesen.
Demnach erkennt der Kassationshof.
Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 I 409
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 13. Oktober 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 I 409
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : 1. Art. 1, 2, 8 lit. c des Handelsreisendengesetzes: «Geschäftsleute, welche den betreffenden...


Gesetzesregister
OG: 161
BGE Register
36-I-281 • 56-I-409
Stichwortregister
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BBl
1929/I/61