BGE 56 I 136
Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Mai 1930 i. S. Milchgenossenschaft
Aarberg gegen Eidgenössisches Amt für das Handelsregister.
Regeste:
Zweck und Umfang der in Art. 44 der Handelsregisterverordnung dem Eidg.
Handelsregisteramt auferlegten Pflicht zur Prüfung der Handelsregisterauszüge
auf ihre Gesetzmässigkeit hin. Nur die Eintragung und Veröffentlichung
offensichtlich rechtswidriger Bestimmungen ist zu verweigern (Erw. 2 und 3).
Nicht jede von einem Genossenschafter bei seinem Austritt erhobene Gebühr
stellt eine Verletzung des in Art. 684 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 684 - 1 Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
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1 | Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
2 | Die Übertragung durch Rechtsgeschäft kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen. |
Austrittsrechtes dar (Erw. 3).
A. - In ihrer Generalversammlung vom 8. Januar 1930 beschloss die
Milchgenossenschaft Aarburg, ihre Statuten
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nach verschiedener Richtung abzuändern und insbesondere darin eine den
Austritt der Genossenschafter regelnde Bestimmung, die bis anhin gefehlt
hatte, aufzunehmen. Diese erhielt folgenden Wortlaut: «Der Austritt kann,
solange die Auflösung der Genossenschaft nicht beschlossen ist, gegen
Bezahlung eines Austrittsgeldes von 10 Fr. bis 600 Fr. erfolgen. Dieses
Austrittsgeld ist als Auslösungssumme gedacht, die jeweilen nach dem Stande
der Verhältnisse bemessen und durch die Generalversammlung bestimmt wird».
B. - Diese Aenderungen wurden vom kantonalen Handelsregisterführer
widerspruchslos zum Eintrag ins Handelsregister entgegengenommen. Als dieser
aber den bezüglichen Journalauszug zum Zwecke der Veröffentlichung im Schweiz.
Handelsamtsblatt dem Eidg. Handelsregisteramt übermittelte, erklärte dieses
mit Schreiben vom 28. Februar 1930, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtes die Erhebung eines Austrittsgeldes seitens einer
Genossenschaft als unzulässige Einschränkung des durch Art. 684 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 684 - 1 Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
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1 | Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
2 | Die Übertragung durch Rechtsgeschäft kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen. |
gewährleisteten Austrittsrechtes und daher als gesetzwidrig erklärt worden
sei. Die Interessenten seien infolgedessen zu einer entsprechenden Aenderung
der fraglichen Bestimmung zu veranlassen; solange eine solche nicht
vorgenommen werde, werde die Publikation sistiert. Der kantonale
Handelsregisterführer wies in der Folge das Eidg. Handelsregisteramt mit
Schreiben vom 5. März 1930 darauf hin, dass es noch im Jahre 1922 selber
derartige Austrittsgebühren nicht für unzulässig erachtet habe. Das Eidg.
Handelsregisteramt hielt jedoch mit Schreiben vom 7. März 1930 an seiner
Verfügung fest mit dem Bemerken, dass es zwar die Praxis des Bundesgerichtes
für zu weit gehend erachte, dass aber die Handelsregisterbehörden einer
konstanten Gerichtspraxis Rechnung zu tragen hätten.
C. - Von dieser Verfügung setzte der kantonale Handelsregisterführer die
Milchgenossenschaft Aarburg am
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11. März 1930 in Kenntnis. Daraufhin hat letztere am 4. April 1930 die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Begehren um
Aufhebung der streitigen Verfügung des Eidg. Handelsregisteramtes.
Das Eidg. Handelsregisteramt beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach Ziffer I Abs. 2 des Anhanges zum VDG unterliegen die Entscheide des
Eidg. Amtes für das Handelsregister der Anfechtung durch
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtes zur
Ueberprüfung der vorliegend angefochtenen Verfügung ist daher gegeben.
2.- Das Eidg. Handelsregisteramt hat die streitige Verfügung auf Grund von
Art. 44
SR 221.411 Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007 (HRegV) HRegV Art. 44 Errichtungsakt - Die öffentliche Urkunde über den Errichtungsakt muss enthalten: |
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a | die Personenangaben zu den Gründerinnen und Gründern sowie gegebenenfalls zu deren Vertreterinnen und Vertreter; |
b | die Erklärung der Gründerinnen und Gründer, eine Aktiengesellschaft zu gründen; |
c | die Bestätigung der Gründerinnen und Gründer, dass die Statuten festgelegt sind; |
d | die Erklärung jeder Gründerin und jedes Gründers über die Zeichnung der Aktien unter Angabe von Anzahl, Nennwert, Art, Kategorie und Ausgabebetrag sowie die bedingungslose Verpflichtung, eine dem Ausgabebetrag entsprechende Einlage zu leisten; |
e | die Tatsache, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates gewählt wurden und die entsprechenden Personenangaben; |
f | die Tatsache, dass die Revisionsstelle gewählt wurde, beziehungsweise den Verzicht auf eine Revision; |
g | die Feststellung der Gründerinnen und Gründer nach Artikel 629 Absatz 2 OR; |
h | die Nennung aller Belege sowie die Bestätigung der Urkundsperson, dass die Belege ihr und den Gründerinnen und Gründern vorgelegen haben; |
i | die Unterschriften der Gründerinnen und Gründer; |
j | falls das Aktienkapital in ausländischer Währung festgelegt wird oder Einlagen in einer anderen Währung geleistet werden als derjenigen des Aktienkapitals: die angewandten Umrechnungskurse. |
Veröffentlichung im Schweiz. Handelsamtsblatt übersandten Auszüge, bevor es
die Publikation bewirkt, auf seine Gesetzmässigkeit hin zu überprüfen hat.
Dass sich diese Ueberprüfungsbefugnis jedenfalls auf alle Bestimmungen
erstreckt, deren Eintrag ins Handelsregister und Publikation im Schweiz.
Handelsamtsblatt obligatorisch ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Hierzu
gehören aber gemäss Art. 680 Ziff. 4
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 680 - 1 Der Aktionär kann auch durch die Statuten nicht verpflichtet werden, mehr zu leisten als den für den Bezug einer Aktie bei ihrer Ausgabe festgesetzten Betrag. |
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1 | Der Aktionär kann auch durch die Statuten nicht verpflichtet werden, mehr zu leisten als den für den Bezug einer Aktie bei ihrer Ausgabe festgesetzten Betrag. |
2 | Ein Recht, den eingezahlten Betrag zurückzufordern, steht dem Aktionär nicht zu. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 681 - 1 Ein Aktionär, der den Ausgabebetrag seiner Aktie nicht zur rechten Zeit einbezahlt, ist zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet. |
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1 | Ein Aktionär, der den Ausgabebetrag seiner Aktie nicht zur rechten Zeit einbezahlt, ist zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet. |
2 | Der Verwaltungsrat466 ist überdies befugt, den säumigen Aktionär seiner Rechte aus der Zeichnung der Aktien und seiner geleisteten Teilzahlungen verlustig zu erklären und an Stelle der ausgefallenen neue Aktien auszugeben. Wenn die ausgefallenen Titel bereits ausgegeben sind und nicht beigebracht werden können, so ist die Verlustigerklärung im Schweizerischen Handelsamtsblatt sowie in der von den Statuten vorgesehenen Form zu veröffentlichen. |
3 | Die Statuten können einen Aktionär für den Fall der Säumnis auch zur Entrichtung einer Konventionalstrafe verpflichten. |
Bedingungen des Ein- und Austrittes der Genossenschafter. Es braucht daher
hier nicht untersucht zu werden, ob und in welchem Masse allenfalls auch
solche statutarische Normen, deren Eintrag ins Handelsregister und
Veröffentlichung vom Gesetze nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind, einer
derartigen Ueberprüfung unterzogen werden können.
3.- Diese Ueberprüfung hat indessen, wie vom Eidg. Handelsregisteramt- in
seiner Vernehmlassung mit Recht hervorgehoben worden ist, nur den Zweck zu
verhindern, dass Bestimmungen, die offensichtlich und unzweideutig mit
gesetzlichen Vorschriften im Widerspruch
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stehen, ins Handelsregister aufgenommen und veröffentlicht werden. Da, wo eine
mehrfache Auslegung möglich ist, sollen der Eintrag und die Veröffentlichung
zugelassen werden, um den Parteien zu ermöglichen, die Frage im Streitfalle
durch die ordentlichen Gerichte entscheiden zu lassen.
Das Eidg. Handelsregisteramt nimmt nun zwar mit Bezug auf die hier streitige
Statutenbestimmung eine solche offenkundige, in die Augen springende
Gesetzwidrigkeit nicht an, sondern hält, wie aus seinem Schreiben an das
kantonale Handelsregisteramt hervorgeht, gegenteils dafür, dass die Erhebung
von Austrittsgeldern grundsätzlich nicht gegen das in. Art. 684 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 684 - 1 Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
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1 | Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
2 | Die Übertragung durch Rechtsgeschäft kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen. |
Genossenschaftern gewährleistete Austrittsrecht verstosse; es ist jedoch der
Auffassung, dass im Hinblick auf die ständige gegenteilige Praxis des
Bundesgerichtes der Eintrag und die Veröffentlichung dennoch verweigert werden
müssen. Es könnte sich fragen, ob eine derartige Gebundenheit für die
Handelsregisterbehörden tatsächlich besteht; das hätte ja zur Folge, dass eine
einmal eingeführte Praxis auf alle Zeiten hinaus festgelegt wäre, ohne dass
das betreffende Gericht je wieder in die Lage käme, allenfalls auf seine
Auffassung zurückzukommen. Das kann indessen hier dahingestellt bleiben, da,
entgegen der Auffassung des Eidg. Handelsregisteramtes, die Frage nach der
Zulässigkeit der Erhebung von Gebühren bei Austritt von Genossenschaftern nach
der neuern Praxis des Bundesgerichtes keineswegs endgültig beantwortet ist.
Allerdings hat das Bundesgericht in einem frühern Entscheide (BGE 37 II S. 420
f.) die Erhebung solcher Gebühren allgemein als gesetzwidrig erklärt, weil
darin eine Einschränkung des den Genossenschaftern durch Art. 684 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 684 - 1 Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
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1 | Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
2 | Die Übertragung durch Rechtsgeschäft kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen. |
gewährleisteten freien Austrittsrechtes zu erblicken sei. Nach der neuern
Praxis aber setzt das Bundesgericht dem durch Art. 684 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 684 - 1 Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
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1 | Die Namenaktien sind, wenn nicht Gesetz oder Statuten es anders bestimmen, ohne Beschränkung übertragbar. |
2 | Die Übertragung durch Rechtsgeschäft kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen. |
Erlass eines Austrittsverbotes nur «jede erhebliche Erschwerung des
Austrittes, sofern sie nicht durch den
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Genossenschaftszweck geradezu vorausgesetzt wird» gleich (BGE 45 II S. 658; 55
II S. 128). Bei dieser Auslegung der streitigen Bestimmung des
Obligationenrechtes kann aber nicht mehr jede Austrittsgebühr von vorneherein
grundsätzlich als rechtswidrig erachtet werden, sondern es wird in jedem
einzelnen Falle, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, zu prüfen
sein, ob und bis zu welchem Betrag ein Austrittsgeld ohne Verletzung des
gesetzlich gewährleisteten Austrittsrechtes verlangt werden kann. Darüber
vermag aber, im Hinblick auf die eingangs umschriebene, beschränkte
Ueberprüfungsbefugnis der Handelsregisterbehörden (die nur die Eintragung und
Veröffentlichung offensichtlich rechtswidriger Bestimmungen zu verweigern
haben), in der Regel nur der Zivilrichter zu entscheiden, und es sind daher
derartige Statutenbestimmungen von den Handelsregisterbehörden normalerweise
zuzulassen, es wäre denn, dass der darin aufgeführte Gebührenansatz derart
übersetzt erschiene, dass dessen Gesetzwidrigkeit auch ohne nähere Prüfung der
konkreten Tatumstände ohne weiteres in die Augen spränge. Das trifft jedoch
hier nicht zu. Das Eidg. Handelsregisteramt hat daher zu Unrecht die
Veröffentlichung des streitigen Art. 10 der Statuten der Beschwerdeführerin
verweigert.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und demgemäss die angefochtene Verfügung des
Eidg. Handelsregisteramtes vom 28. Februar/7. März 1930 aufgehoben.