S. 157 / Nr. 29 Familienrecht (d)

BGE 55 II 157

29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Juni 1929 i. S.
Berner gegen Schmidt.


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Regeste:
Ein von einem Handlungsunfähigen abgeschlossener Vertrag ist nichtig, auch
wenn die Handlungsunfähigkeit bei Vertragsabschluss für den Vertragsgegner
nicht erkennbar gewesen war. ZGB Art. 18.

... Der Kläger (Verkäufer) hat noch darauf hingewiesen, dass die
Urteilsunfähigkeit des Beklagten (Käufer) auf alle Fälle nicht erkennbar
gewesen sei. Darauf kommt jedoch nichts an, und insbesondere kann keine Rede
davon sein, dass eine bei einem Vertragskontrahenten bestehende
Urteilsunfähigkeit nur dann die Ungültigkeit des bezüglichen Vertrages zur
Folge habe, wenn diese schon durch verschiedene Unvernunftshandlungen
äusserlich in Erscheinung getreten ist. Das würde ja darauf hinauslaufen, dass
ein Vertragsgegner eines Urteilsunfähigen diesem die Einrede des guten
Glaubens in seine Urteilsfähigkeit mit Erfolg entgegenhalten könnte, was mit
dem zum Schutze der Urteilsunfähigen aufgestellten Grundsatz des Art. 18
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 18 - Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen.
ZGB
im offensichtlichen Widerspruche stände. Wenn das Bundesgericht in seinem
Entscheide i. S. Leutenegger gegen die Zürcher Kantonalbank vom 26. Oktober
1917 (vgl. BGE 43 II S. 744 Erw. 3) ausgeführt hat, dass auf
Urteilsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes regelmässig nur dann geschlossen
werden könne, wenn diese Unfähigkeit aus einem Komplex von unvernünftigen
Handlungen hervorgehe, so ist dies dahin zu verstehen, dass nicht lediglich
aus einer unvernünftigen Einzelhandlung der Rückschluss auf Urteilsunfähigkeit
gezogen

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werden dürfe. Das schliesst aber nicht aus, dass diese Unfähigkeit auch
anderweitig festgestellt werden kann, in welchem Falle nichts darauf ankommt,
ob sie seinerzeit vom Vertragsgegner erkannt wurde oder nicht. Richtig ist
allerdings, dass das Bundesgericht in dem besagten Entscheide erklärt hat das
Risiko einer einmaligen oder vereinzelten unvernünftigen Rechtshandlung solle
derjenige, der sie vornimmt, nicht der Gegenkontrahent tragen. Sollte hiemit
verstanden worden sein wollen, dass eine erstmalige unvernünftige Handlung nur
im Falle der Erkennbarkeit der Urteilsunfähigkeit des betr. Vertragsgegners
rechtsunwirksam sei, so könnte hieran aus den vorerwähnten Gründen nicht
festgehalten werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 II 157
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 21. Juni 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 II 157
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ein von einem Handlungsunfähigen abgeschlossener Vertrag ist nichtig, auch wenn die...


Gesetzesregister
ZGB: 18
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 18 - Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen.
BGE Register
43-II-739 • 55-II-157
Stichwortregister
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bundesgericht • nichtigkeit • entscheid • urteilsfähigkeit • richtigkeit • guter glaube • vertragsabschluss • kantonalbank • beklagter