BGE 55 I 53
9. Urteil des Kassationshofes vom 11. Februar 1929 i. S. Bundesanwaltschaft
gegen Obrecht.
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Regeste:
Art. 1 Abs. 2 eidg. Lotteriegesetz: Unter den «ähnlichen auf Zufall gestellten
Mitteln» sind nur solche zu verstehen, bei denen wie bei Los- oder
Nummernziehung der Zufall allein massgebend ist.
A. - In ihrem Urteil vom 18. Mai 1928 hat die Erste Strafkammer des bernischen
Obergerichts erkannt: ... III. Robert Obrecht, vorgenannt wird freigesprochen,
ohne Entschädigung, von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen das
Lotteriegesetz, angeblich begangen dadurch dass er
a) im August 1925 eine Lotterie veranstaltet und als Inserat mit der
Ideal-Preisaufgabe: «Dem Mutigen gehört die Welt» im Emmenthaler-Blatt in
Langnau i. E. in den Nummern vom 11. und 13. August 1925, im Landfreund in
Bern in den Nummern vom 31. Juli, 7. und 21. August 1925, in den Zeitschriften
«Blatt für Alle» vom 5. September 1925, «Der Sonntag» vom 9. August 1925 und
in den «Emmenthaler Nachrichten» vom 24. Juli 1925 ausgekündigt hat;
b) im Sommer 1925 eine Lotterie veranstaltet und im «Landfreund» in Bern vom
12., 19. und 26. Juni 1925 ein Inserat betitelt «Sommerpreisaufgabe»; Frisch
gewagt ist halb gewonnen» hat erscheinen lassen;
c) im Frühjahr 1926 eine Lotterie veranstaltet und im «Badener Tagblatt» vom
13. April 1926 durch ein Inserat
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«Wer macht es ausfindig» (Sich regen bringt Segen) hat;
d) im Frühjahr 1926 eine Lotterie veranstaltet und diese im ff Generalanzeiger
von Aarau und Umgebung» vom 19. März 1926 durch ein Inserat mit der
Überschrift «Glück nur Glück» ausgekündet hat;
e) im Herbst 1926 eine Lotterie veranstaltet und durch ein Inserat mit der
Überschrift «Grosse Ereignisse» (Probieren geht über Studieren) im
«Tagesanzeiger für Stadt und Kanton Zürich» vom 28. Oktober 1926, in der
Basler «Nationalzeitung» vom 10. Dezember 1926 öffentlich ausgekündet hat;
f) im Herbst 1927 eine Lotterie veranstaltet und durch ein Inserat mit der
Überschrift «5000 Fr. für eine Ansichtskarte» im «Volksrecht» vom 14. Dezember
1927 öffentlich ausgekündet hat;
g) im Herbst 1927 eine Lotterie veranstaltet und durch Versendung der
Preisaufgabe mit der Lösung «Wer will kann viel» bekanntgegeben hat;
h) im Sommer 1927 eine Lotterie veranstaltet und durch Versendung von
Prospekten für einen Postkartenwettbewerb mit der Aufschrift «10000 Mark für
eine Ansichtskarte» bekanntgegeben hat;
i) im Sommer 1927 eine Lotterie veranstaltet und durch Versendung eines
internationalen Preisausschreibens für Ölgemälde-Imitationen bekanntgegeben
hat;
k) im Herbst 1927 eine Lotterie veranstaltet und durch Inserate mit der
Überschrift «Preisaufgabe» (Emsiges Ringen führt zum Gelingen) im «Tagblatt
der Stadt Zürich» vom 7. September 1927 öffentlich ausgekündet hat.
IV. Dagegen wird Robert Obrecht, vorgenannt schuldig erklärt der Widerhandlung
gegen das Bundesgesetz betreffend die Lotterien und gewerbsmässigen Wetten vom
8. Juni 1923, begangen dadurch, dass er im Sommer 1925 eine Lotterie, betitelt
«Internationales Brief-Fest» («Volksbrieffest») veranstaltet und im «Bund» vom
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17. August 1925 und im «Emmenthalerblatt» vom 25. August 1925 ausgekündet hat,
und er wird in Anwendung von Art. 1, 4, 38, 46, 47, 48 ff. des Bundesgesetzes
betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten vom 6. Juni 1923, Art.
31, 33 und 8 des BG über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853, BG betr.
Umwandlung der Geldbussen in Gefängnis vom 1. Juli 1922 in Verbindung mit Art.
151 Org. der Bundesrechtspflege, Art. 368 und 468 StV verurteilt:
1. zu einer Busse von 500 Fr. im Falle der Nichterhältlichkeit binnen drei
Monaten umzuwandeln in 50 Tage Gefängnis;
2. zu 100 Fr. erstinstanzlichen Staatskosten;
3. zu 20 Fr., gleich einem Vierteil der auf 80 Fr. bestimmten Rekurskosten.
V. Die verbleibenden erst- und oberinstanzlichen Staatskosten wurden dem Staat
auferlegt.
VI. Verteidigungskosten werden keine gesprochen.
B. - Dieses - in teilweiser Abänderung eines erstinstanzlichen Urteils
erlassene - Obergerichtsurteil stützt sich auf folgenden
Tatbestand:
1. Der Kassationsbeklagte Obrecht, welcher Inhaber eines Versandgeschäftes in
Wiedlisbach (Kt. Bern) ist, hat durch Auskündigungen in Zeitungen und
Zeitschriften, sowie durch Versenden von Prospekten, Wettbewerbe und
Preisausschreiben veranstaltet, die nach seinen eigenen Aussagen alle auf
gleichen Grundlagen beruhen: Wer an einer solchen Veranstaltung teilnehmen
wollte, hatte dem Veranstalter Obrecht eine Geldbetrag einzusenden oder die
von Obrecht vertriebene Zeitschrift «Vaterhaus» zu abonnieren; neben dieser
ersten Voraussetzung zur Teilnahme am Wettbewerb war von jedem Teilnehmer noch
eine kleine andere Leistung zu erfüllen, wie die Lösung eines in den Inseraten
des Kassationsbeklagten verkehrt gedruckten, einfachen Sprichworts, die
Einsendung
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einer schönen Postkarte, das Schreiben eines kleinen Briefes; bei Verteilung
der ausgesetzten Preise wurde in den unter III des angefochtenen Urteils
aufgeführten Fällen so vorgegangen, dass der Kassationsbeklagte oder das von
ihm präsidierte, aus seinen Angestellten gebildete «Preisgericht» die am
saubersten ausgeführten Lösungen aussuchte und unter deren Einsender in der
Reihenfolge des Einganges und unter Berücksichtigung der bisherigen
Kundenqualität die Preise verteilte; für unrichtige Lösungen will - was von
der Vorinstanz nicht bestritten wird - der Kassationsbeklagte die eingesandten
Geldbeträge wieder zurückvergütet haben; bei dem unter IV des
Obergerichtsurteiles erwähnten «Internationalen Brief-Fest» sah der
Kassationsbeklagte nach dem bei den Akten befindlichen Prospekt, den
erlassenen Inseraten und seinen Aussagen eine von den übrigen Veranstaltungen
abweichende Verteilung der Preise vor. Jeder Teilnehmer an dieser
Veranstaltung hatte ein Teilnehmerformular auszufüllen, einen Brief an den
Kassationsbeklagten zu schreiben und einen Betrag von 2 Fr. 50 Cts.
einzusenden; die Briefe sollten gemischt und unter den Teilnehmern in Umlauf
gesetzt werden; die Teilnehmerformulare dagegen sollten gemischt in eine mit
Tuch verdeckte Schachtel gelegt und dann gezogen werden; die ausgesetzten
Preise sollten auf die zuerst gezogenen Teilnehmerformulare fallen.
2. Zur Begründung dieses Urteils wird ausgeführt:
Die Lotterie im Sinne von Art. 1 des Lotteriegesetzes setze zunächst die
Leistung eines Einsatzes voraus, sofern die übrigen Voraussetzungen nicht etwa
bei Abschluss eines den Einsatz in sich enthaltenden Rechtsgeschäftes
geschaffen werden. Der Kassationsbeklagte habe aber bei allen den in Frage
stehenden Veranstaltungen nicht nur die Lösung eines Preisrätsels, sondern
auch die Einzahlung eines Betrages verlangt.
Auch die zweite Voraussetzung einer Lotterie im Sinne
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von Art. 1 - die Inaussichtstellung eines vermögensrechtlichen Vorteils - sei
hier erfüllt. Es könne demgegenüber nicht etwa eingewendet werden, jeder
Teilnehmer habe einen seinem Einsatz entsprechenden Gegenwert erhalten. Der
Marktwert dieser Gegenwerte hätte den Einsatz nicht erreicht; denn die
eigentlichen Gewinne seien naturgemäss aus der Differenz zwischen Einsatz und
Marktwert der übrigen Zuwendungen bezahlt worden. Diese Differenz stelle den
eigentlichen Einsatz dar.
Dagegen frage es sich, ob auch die dritte Voraussetzung einer Lotterie im
Sinne von Art. 1 - wonach über Erwerbung, Grösse und Beschaffenheit des
Gewinnes durch Ziehung von Losen oder Nummern oder durch ein ähnliches auf
Zufall gestelltes Mittel entschieden wird - vorhanden sei. In dieser Beziehung
sei vorerst zu entscheiden, ob diese Voraussetzung nur dann erfüllt sei, wenn
der Gewinnanfall ausschliesslich auf den Zufall gestellt sei, oder auch dann,
wenn der Zufall nur die wesentliche Rolle spiele. Es müsse das erstere
angenommen werden. Denn bei der Los- und Nummernziehung spiele ausschliesslich
der Zufall mit; wenn das Gesetz verlange, dass die andern Ausspielmittel
ebenfalls und zwar der «Los- oder Nummerziehung ähnlich auf den Zufall»
gestellt sein müssen, so gebe es deutlich zu erkennen, dass darunter nur die
ausschliesslich auf Zufall gestellten Mittel verstanden seien; noch deutlicher
drücke sich der französische Text aus, der von «procédé analogue» spreche.
Vorliegend seien nun bei den unter III des Urteils erwähnten Veranstaltungen
die Gewinne vom Kassationsbeklagten (des von ihm vorgeschobenen
«Preisgerichtes») verteilt worden und zwar nach seinen Behauptungen in der
Weise, dass in allen Fällen auf die Reihenfolge und Sauberkeit der Lösungen,
sowie darauf abgestellt worden sei, ob der betreffende Teilnehmer schon früher
Kunde des Geschäfts gewesen sei. Durch die vielfältigen Möglichkeiten der
Vertauschung und Kombination
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dieser verschiedenen Kriterien sei die Zufallsmöglichkeit zwar gesteigert,
aber keines der drei Kriterien sei derart, dass die Entscheidung, wenn die
Veranstaltung zur Anwendung gelangt wäre, in ähnlicher Weise, wie bei Nummern-
oder Losziehung, durch den Zufall bewirkt worden wäre. Der Zeitpunkt des
Eintreffens der Lösung hange unter andern auch von der Raschheit der
Auffassung ab; beim Kriterium der Kundeneigenschaft seien die frübern
Kaufsleistungen massgebend. Dem Charakter eines wirklichen Wettbewerbes aber
seien die Veranstaltungen besonders dadurch genähert worden, dass auch die
Sauberkeit der Lösung berücksichtigt werden solle. Unter diesen Umständen habe
der Zufall bei der Preisverteilung nicht die durch das Gesetz verlangte Rolle
gespielt.
Dass der Kassationsbeklagte in dieser Weise vorgegangen sei, sei zwar nicht
strikte nachgewiesen, aber gewisse Anhaltspunkte lägen dafür vor. Jedenfalls
sei in verschiedenen seiner Auskündungen auf Sauberkeit und Frühzeitigkeit der
Lösung als für die Gewinnverteilung massgebend hingewiesen worden.
C. - Gegen dieses Urteil erhebt die Schweizerische Bundesanwaltschaft
rechtzeitig und formrichtig Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht, mit dem
Begehren: Das Urteil der Ersten Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
vom 18. Mai 1928 i. S. Obrecht sei inbezug auf Dispositiv III, a-k und
Dispositiv IV aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Erste
Strafkammer zurückzuweisen.
D. - Der Kassationsbeklagte schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Art. 1 Abs. 2 BG betreffend die Lotterie und die gewerbsmässigen Wetten
vom 8. Juni 1923 bestimmt: «Als Lotterie gilt jede Veranstaltung, bei der
gegen Leistung eines Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäftes ein
vermögensrechtlicher Vorteil als Gewinn in
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Aussicht gestellt wird, über dessen Erwerbung, Grösse oder Beschaffenheit
planmässig durch Ziehung von Losen oder Nummern oder durch ein ähnliches auf
Zufall gestelltes Mittel entschieden wird (der französische Text spricht von
«procédé analogue»)».
Darnach sind es drei Merkmale, welche vorliegen müssen, um den Begriff der
Lotterie zu erfüllen, nämlich: Leistung eines Einsatzes oder Abschluss eines
Rechtsgeschäftes, Inaussichtstellung eines vermögensrechtlichen Vorteiles als
Gewinn und schliesslich die Entscheidung über Erwerb, Grösse oder
Beschaffenheit des Gewinnes nach Plan durch Ziehung von Losen oder Nummern
oder «durch ein ähnliches auf Zufall gestelltes Mittel».
Dass bei den eingeklagten Handlungen des Kassationsbeklagten die zwei ersten
Voraussetzungen (Leistung eines Einsatzes und Inaussichtstellung eines
vermögensrechtlichen Vorteiles als Gewinn) zutrafen, ist erwiesen und heute
nicht mehr bestritten; ebenso, umgekehrt, dass es sich dabei nicht um Ziehung
von «Losen oder Nummern» handelte; einzig umstritten bleibt also die Frage, ob
es sich bei der Gewinnentscheidung um ein «durch ein ähnliches (wie bei der
Los- oder Nummernziehung) auf Zufall gestelltes Mittel» handle.
Dass von Lotterie nur da gesprochen werden kann, wo der Zufall über den
Gewinnanfall zu entscheiden hat, steht in Doktrin und Praxis fest (vgl.
BURCKHARDT, Komm. zur BV S. 334; OLSHAUSEN, Komm. zum DRStGB Bd. II, § 285 S.
1126; BINDING, Lehrtuch des Strafrechts (1906) S. 1902; Zeitschrift des bern.
Juristenvereins Bd. 44 (1906) S. 346; dazu Bd. 35 S. 439). Dagegen decken sich
die Auffassungen über den Begriff des «Zufalls» nicht vollständig.
Staub (Deutsche Juristenzeitung, Bd. VI (1901) S. 193) erklärt das Ereignis
für eine Person als zufällig, auf dessen Eintritt sie nicht einwirken kann,
sei es, dass die Ursachen, die das Ereignis herbeiführen, so mächtig sind,
dass die Kraft des Menschen überhaupt oder die Kraft des Betreffenden
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vereinzelt ihre Wirkung nicht aufhalten kann, oder aber, dass jene Ursachen
der betreffenden Person unbekannt sind -. «Nicht der Erfolg», sagt Staub, «ist
ein nicht-zufälliger, der sicher ist; es gibt überhaupt keinen sichern Erfolg,
da ausser den Ursachen, die der Mensch in den Kreis seiner Berechnung zieht,
noch andere ihm bekannte Momente vorhanden sind, die dazwischentreten und den
Eintritt des nach menschlicher Erwartung zu gewärtigenden Erfolges verhindern
können. Zufällig ist der Erfolg, der zum wesentlichen auf Ursachen aufbaut,
die sich der menschlichen Berechnung entziehen.»
Liszt (Deutsche Juristenzeitung, Bd. VI S. 195) schliesst sich wesentlich der
Auffassung Staubs an und fügt bei: «Der Begriff der Ausspielung (§ 286
Strafgesetzbuch) ist nicht überall schon gegeben, wo der Zufall mitwirkt,
sondern nur, wo er die entscheidende Rolle spielt, wo er der ausschlaggebende
Faktor ist -. Bei der menschlichen Betätigung tritt zu dem berechenbaren noch
ein anderer Faktor hinzu, der sich jeder Berechnung entzieht. Damit ist aber
der aleatorische Charakter der Betätigung gewiss noch nicht gegeben, -
Geschicklichkeitsspiel liegt vor, wenn Mitspielende das begründete Vertrauen
auf die eigene Geschicklichkeit besitzen: Glücksspiel, soweit diese
Voraussetzung nicht zutrifft -. «Bei der Entscheidung durch Losziehung oder
ein ähnliches Mittel muss sich jedenfalls das letztere in erster Linie auf das
die Losziehung charakterisierende Moment des Zufalles beziehen, der, wie die
Ziehung des Loses, die entscheidende Rolle spielt -. Die Ausspielung setzt
voraus, dass die Entscheidung durch ein (Glücks-)Spiel der Vertragsgegner des
Veranstalters erfolgt. Ausspielung ist begrifflich ausgeschlossen, wo die
Entscheidung durch eine wirtschaftliche Tätigkeit herbeigeführt wird - Zufall
ist das Unberechenbare bezüglich der Faktoren, die wir nicht kennen oder nicht
zu beherrschen vermögen -. Das blosse Zuhilfekommen des Zufalles zur geistigen
oder geschäftlichen Tätigkeit genügt nicht für «Spiel»; der Zufall muss die
Entscheidung bewirken.»
Seite: 61
Das Deutsche Reichsgericht, Strafsenat, hat in Band 34 (1901) S. 142, 143 über
den Begriff der nach § 186 Abs. 2 Strafgesetzbuch verbotenen «Ausspielung»,
die der Lotterie ähnlich sei, ausgeführt, dass darunter «jede Veranstaltung zu
verstehen sei, durch welche dem Publikum durch Entrichtung eines Einsatzes die
Hoffnung in Aussicht gestellt wird, je nach dem Ergebnis einer durch den
Zufall bedingten Ziehung oder eines ähnlichen zur Herbeiführung des
Ergebnisses benützten Mittels einen mehr oder weniger bestimmt bezeichneten
Gegenstand zu gewinnen». Dabei habe die blosse abstrakte Möglichkeit, den
Zufall durch besondere Geschicklichkeit und Umsicht auszuschliessen, ausser
Betracht zu fallen; vielmehr sei nur der gewöhnliche Verlauf der Dinge unter
den konkreten Verhältnissen, also insbesondere mit Rücksicht auf die
durchschnittliche Befähigung der beteiligten Person entscheidend... Auch sei
es richtig, das Wesen des Zufalles in dem Mangel der Erkennbarkeit der einem
Ereignis zugrunde liegenden Kausalität zu finden». - In einem spätern
Entscheid (Bd. 60 [1926] S. 387) hat dann das Reichsgericht diese Auffassung
dahin präzisiert, dass aus dem Spielplan selber den Lotterieteilnehmern
erkennbar sein müsse, dass über die Gewinnzuteilung wesentlich der Zufall
entscheidet.
Garraud, Traité du droit pénal français, zweite Ausgabe, Bd. VI Nr. 2407,
nimmt Bezug auf das französische Gesetz vom 24. Mai 1836, das in Art. 1 jede
Lotterie aller Art untersagt, und führt dann in Nr. 2410 (S. 68) aus, dass
nach jenem Gesetze «la loterie est toute opération, offrant l'espérance d'un
gain acquis par la voie du sort - si le jeu du hasard est celui, dont l'issus,
bonne ou mauvaise, dépend exclusivement de la chance des joueurs; mais si
cette chance est réalisée par la voie du sort le jeu du hasard devient une
loterie; peu importe, le procédé matériel, par lequel le sort a été ou sera
consulté.»
Aus der schweizerischen Rechtsprechung ist hervorzuheben das Urteil der
Polizeikammer des bernischen Obergerichts (Z. b. J. V. Bd. 44 1908 S. 349),
welches erklärt,
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dass «das Wesen des Zufalles in dem Mangel der Erkennbarkeit der einem
Ereignisse zugrunde liegenden Kausalität besteht; objektiv gibt es keinen
Zufall, jedes Ereignis hat seinen zureichenden Grund und ist die notwendige
Wirkung der vorangegangenen Ursache; der Zufall besteht nur subjektiv in der
Unberechenbarkeit des Erfolges (SABATH, Das Glücksspiel, Berlin 1906; RGE Bd.
27 Strafsenat S. 95).
2.- Bei Beantwortung der Frage, welcher Zufallsbegriff dem eidg.
Lotteriegesetz von 1923 zugrunde liege, ist davon auszugehen, dass das Gesetz
einerseits eine Legaldefinition der Lotterie aufstellt und andererseits (in
Art. 56 Abs. 2) den Bundesrat ermächtigt, auf dem Verordnungswege
lotterieähnliche Unternehmungen den Vorschriften über die Lotterien zu
unterstellen. Daraus folgt, dass die über den Zufallsbegriff bestehende
Doktrin, sowie die (auf anderen Gesetzgebungen aufgebaute) Praxis nur insoweit
hier zur Auslegung herangezogen werden kann, als sie sich im Rahmen der
Legaldefinition hält, sowie dass diese Legaldefinition nicht extensiv dahin
interpretiert werden kann, dass alle Veranstaltungen darunter fallen, auf
welche die dem Lotterieverbot zugrunde liegenden gesetzgeberischen Gründe
ebenfalls zutreffen. Das Letztere erhellt namentlich aus dem Gutachten
Blumenstein zu seinem Gesetzesentwurf («Vom Gesetzgeber erwartet man vor allem
eine genaue Umschreibung des Lotteriebegriffs und der ausnahmsweise zulässigen
Lotterien ...»), sowie aus den parlamentarischen Beratungen (vgl. u. a.
Stenogr. Bulletin Ständerat 1921 S. 37, 38, 108, Nationalrat 1922 S. 861,
speziell Berichterstatter Mächler: «Man kann sich fragen, ob einem derartigen
Gesetze eine Definition vorangestellt werden soll. Definition in einem Gesetze
ist stets gefährlich. Wenn man es mit Schlaumeiern zu tun hat, wie diejenigen
sind, die Lotterien veranstalten, so ist die Gefahr nicht ganz ausgeschlossen,
dass die Definition zu eng wird und man irgend einen Umweg findet, um das
gleiche Ziel zu erreichen. Diese Gefahr
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der Definition ist nun ausgeschaltet durch eine Bestimmung in Art. 61 (neu 56)
des Gesetzes, nach welcher der Bundesrat auf dem Verordnungswege
lotterieähnliche Unternehmungen gleich behandeln kann. Im übrigen darf gesagt
werden, dass die Definition übereinstimmt mit der Wissenschaft n; ferner
Stenogr. Bulletin Nationalrat 1922 S. 861, 882. Das Gesetz will also mit der
Aufstellung einer Legaldefinition den Kreis der von Gesetzeswegen unter das
Lotterieverbot fallenden Veranstaltungen genau begrenzen, was eine - im
Strafrecht überhaupt verpönte - extensive Interpretation dieser
Legaldefinition ausschliesst, in der Meinung, dass die nicht zweifelsohne
unter den gesetzlichen Lotteriebegriff fallenden Veranstaltungen
gegebenenfalls auf dem Verordnungswege unter das Lotterieverbot subsumiert
werden sollen.
Die bisher vom Kassationshof des Bundesgerichts über das Lotteriegesetz
erlassenen Urteile (BGE 51 I 161; 52 I 65; 53 I 417; 54 I 222) haben sich mit
der hier zur Beantwortung stehenden Frage nicht direkt befasst; immerhin ist
die Feststellung dabei erheblich, dass bei Diskrepanz des Gesetzestextes in
den verschiedenen Landessprachen auf den in den gewerbepolizeilichen
Beschränkungen am wenigst weitgehenden Text abzustellen sei (BGE 51 I 191).
Schon früher, in BGE 41 I 37, hatte das Bundesgericht die «Lotterielose» in
Gegensatz gestellt zu den «Prämienobligationen» und dabei ausgeführt, dass er
es sich beim Erwerb von Lotterielosen um ein nur bedingt geschütztes
Rechtsgeschäft mit Spielvertragscharakter (Art. 515
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 515 - 1 Aus Lotterie- oder Ausspielgeschäften entsteht nur dann eine Forderung, wenn die Unternehmung von der zuständigen Behörde bewilligt worden ist. |
|
1 | Aus Lotterie- oder Ausspielgeschäften entsteht nur dann eine Forderung, wenn die Unternehmung von der zuständigen Behörde bewilligt worden ist. |
2 | Fehlt diese Bewilligung, so wird eine solche Forderung wie eine Spielforderung behandelt. |
3 | Für auswärts gestattete Lotterien oder Ausspielverträge wird in der Schweiz ein Rechtsschutz nur gewährt, wenn die zuständige schweizerische Behörde den Vertrieb der Lose bewilligt hat. |
Leistung des Erwerbspreises keine sichere, sondern eine in ihrem Bestand
völlig vom Zufall abhängige Gegenleistung entspricht».
Dass bei Los- und Nummernziehung der Zufall im Sinne des Art. 1 des
Lotteriegesetzes die entscheidende Rolle spielt, ist unbestreitbar und
unbestritten, so dass unter den «der Los- und Nummernziehung ähnlichen auf
Zufall gestellte Mittel» nur solche verstanden werden
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können, welche mit der Los- und Nummernziehung das gemeinsam haben, dass bei
ihnen der Zufall gleichmässig die entscheidende Rolle spielt; damit scheiden
alle diejenigen Ausspielmittel aus, bei denen der Zufall nicht von
massgebender und entscheidender Bedeutung ist. (Damit stimmen übrigens
OLSHAUSEN - Bd. II S. 1126 -; BINDING, S. 1902; LISZT (Deutsche
Juristenzeitung Bd. VI S. 195) selbst für ihre Rechtssprechung überein).
Der Zufall muss die entscheidende Rolle spielen, und zwar so, dass je nach der
Veranstaltung und der Organisation der Entscheidungsmassnahmen des
Unternehmens andere Momente, die für die Entscheidung kausal mit in Betracht
fallen könnten, durchaus in den Hintergrund treten. Wirken im Unternehmen bei
der Entscheidung über den Gewinnanfall Faktoren mit, welche in der teilweisen
Betätigung des Einlegers oder Unternehmers oder eines Dritten liegen, so fehlt
die Voraussetzung des Zufalles im Sinne des Gesetzes; denn dann entscheidet
nicht mehr, wie bei der Los- oder Nummernziehung, etwas Unberechenbares, etwas
ausserhalb jeder menschlichen Einwirkung stehendes, über den Gewinnanfall,
sondern die menschliche Betätigung in Verbindung mit Unberechenbarem und
Unbekanntem. Hätte der Gesetzgeber auch diejenigen Ausspielverfahren in den
Lotteriebegriff einbeziehen wollen, bei denen der Zufall wohl eine grosse und
wesentliche, aber nicht die allein entscheidende Rolle spielt, so hätte er das
eindeutig im Texte selber zum Ausdruck bringen können («z. B. ein ähnliches,
vorwiegend oder - wesentlich - auf Zufall gestelltes Mittel»). So wie Art. 1
des Lotteriegesetzes lautet, ist eine solche Auslegung ohne Zwang nicht
möglich, auch wenn das vom Standpunkte des gesetzgeberischen Gesetzeszweckes
aus als Mangel angesehen werden wollte.
3.- Der Zufall wird auch nicht etwa geschaffen dadurch, dass der Veranstalter
eines Ausspielverfahrens gewisse Gewinnzuteilungsfaktoren seiner eigenen
Beurteilung unterstellt. Der zur Begründung dieses Standpunktes
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angerufene RGE Bd. 24 Strafsenat S. 324 kommt schon deswegen nicht in Frage,
weil es sich dort um ein mit dem Lotterieunternehmen hierin nicht
vergleichbares Hydrageschäft handelte. Allerdings könnte es sich fragen, ob
nicht dann auf das Vorliegen eines ausschliesslich auf den Zufall abstellendes
Gewinnzuteilungsmittels zu erkennen sei, wo der Unternehmer in rein
willkürlicher Weise entscheidet und eine Berücksichtigung objektiver
Verteilungsfaktoren über die Gewinnzuteilung, nicht in Frage kommt. Allein die
Frage kann hier offen bleiben, da dafür die Voraussetzungen hier fehlen.
Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz musste nämlich aus den
Auskündigungen geschlossen werden, dass die Gewinnzuteilung sich nach der
Reihenfolge des Einganges der Lösungen, nach deren Sauberkeit und schliesslich
nach der Eigenschaft des Einsenders als früherem Kunden richtete. Damit
entfällt die Annahme, dass nach den Auskündigungen über die Gewinnzuteilung
nicht durch ein der Los- oder Nummernziehung ähnliches auf Zufall gestelltes
Mittel entschieden wurde; denn selbst wenn man annehmen wollte, dass der
Zeitpunkt des Einganges der Lösung und die Kundeneigenschaft der Einsender
eine Zufallssache sei, so ist doch eine Gewinnzuteilung ausschliesslich nach
dem Zufall ausgeschlossen angesichts des dritten Verteilungsfaktors -
Sauberkeit der Lösung - deshalb, weil danach eine individuelle - geistige,
mechanische oder manuelle - Leistung der Teilnehmer über die Gewinnzuteilung
mitentscheidet, deren Bewertung im Gegensatz zu den beiden andern Faktoren an
sich kontrollierbar ist. Dass aber für die Frage, ob es sich um eine Lotterie
im Sinne von Art. 1 des Lotteriegesetzes handle oder nicht, auf das
Gewinnzuteilungsverfahren abgestellt werden muss, welches aus den
Auskündigungen (Offerten u. dgl.) objektiv hervorgeht, muss schon deswegen
angenommen werden, weil anders beim Abstellen auf das, was der einzelne
Interessent daraus herausgelesen hat, je nach dessen Auffassungsvermögen und
nach der
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Umsicht, die er bei der Prüfung angewendet hat, die gleiche Veranstaltung bald
als Lotterie und bald als etwas anderes erscheinen würde. (In diesem Sinne
vgl. den bereits zitierten RGE Bd. 60 Strafsenat S. 385).
Bei dieser Sachlage kann inbezug auf diejenigen der eingeklagten Tatbestände,
welche Gegenstand des freisprechenden vorinstanzlichen Urteiles sind, der
Tatbestand von Art. 1 des Lotteriegesetzes nicht als erfüllt angesehen werden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.