S. 134 / Nr. 19 Registersachen (d)

BGE 55 I 134

19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Juli 1929 i. S. Comptoir International
de Réassurances S. A. gegen Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
Verpflichtung zur Eintragung der tatsächlich erfolgten Auflösung einer A.-G.
ins Handelsregister.

A. - Am 9. April 1929 beschloss eine ausserordentliche Generalversammlung der
Rekurrentin, den Sitz der

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Gesellschaft nach Chur zu verlegen. Am 12. April 1929 sandte das
Handelsregisterbureau des Kantons Zürich der Rekurrentin das amtliche
Abmeldungsformular zur Unterzeichnung zu, widerrief jedoch die Zustellung noch
am gleichen Tage, mit der Begründung, dass die Sitzverlegung von Zürich nach
Chur nicht gebilligt werden könne, weil der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft
bereits seit März 1925 eingestellt und das Vermögen liquidiert sei. Am 6. Mai
1929 sodann verfügte die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich:
«1. Rechtsanwalt Dr. A. Chiodera, Präsident des Verwaltungsrates des Comptoir
International de Réassurances in Zürich, ist verpflichtet, bis spätestens am
31. Mai 1929 die Auflösung, eventuell Löschung der genannten Firma zur
Eintragung ins Handelsregister anzumelden...
2. Nichtbeobachtung dieser Aufforderung würde Busse gemäss Art. 864 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 864 - 1 Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
1    Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
2    Die Statuten können dem Ausscheidenden oder seinen Erben ein Recht auf gänzliche oder teilweise Rückzahlung der Anteilscheine mit Ausschluss des Eintrittsgeldes zuerkennen. Sie können die Hinausschiebung der Rückzahlung bis auf die Dauer von drei Jahren nach dem Ausscheiden vorsehen.
3    Die Genossenschaft bleibt indessen auch ohne statutarische Bestimmung hierüber berechtigt, die Rückzahlung bis auf drei Jahre hinauszuschieben, sofern ihr durch diese Zahlung ein erheblicher Schaden erwachsen oder ihr Fortbestand gefährdet würde. Ein allfälliger Anspruch der Genossenschaft auf Bezahlung einer angemessenen Auslösungssumme wird durch diese Bestimmung nicht berührt.
4    Die Ansprüche des Ausscheidenden oder seiner Erben verjähren in drei Jahren vom Zeitpunkt an gerechnet, auf den die Auszahlung verlangt werden kann.
OR
nach sich ziehen.»
B. - Gegen diese Verfügung hat die genannte Gesellschaft am 13. Mai 1929
rechtzeitig beim Bundesgericht Beschwerde erhoben mit dem Antrag, es sei ihr
die Sitzverlegung nach Chur zu gestatten. Zur Begründung macht sie geltend,
dass die A.-G. nicht aufgelöst sei und daher die Voraussetzungen zur Löschung
der Firma nicht gegeben seien. Ferner behauptet sie, dass im Besitz der
Aktien, von den Mitgliedern des Verwaltungsrates abgesehen, bisher keine
Änderung eingetreten sei und auch heute nicht beabsichtigt werde. Allerdings
hätten die Aktionäre früher beabsichtigt, die Firma löschen zu lassen, heute
sei es ihnen aber, wie im Beschlusse über die Sitzverlegung zum Ausdruck
komme, um die Wiederaufnahme der während einiger Jahre ausgesetzten
wirtschaftlichen Tätigkeit der A-G. zu tun. Der Widerruf der Abmeldung durch
die Handelsregisterbehörde Zürich verstosse gegen Treu und Glauben.
Die Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich und das Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement haben die Abweisung der Beschwerde beantragt, im
wesentlichen

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unter Hinweis darauf, dass die A.-G., die seit März 1925 ihren
Geschäftsbetrieb eingestellt habe, tatsächlich aufgelöst und liquidiert sei,
so dass die Sitzverlegung nur einer gesetzwidrigen Verwertung des
Aktienmantels der aufgelösten Gesellschaft diene.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach der bisherigen, in einem grundsätzlichen Entscheide i. S. Saval A.-G. vom
4. März 1929 niedergelegten Praxis des Bundesrates, an der festzuhalten ist,
besteht die Verpflichtung zur Eintragung der tatsächlich erfolgten Auflösung
einer A.-G. im Handelsregister auch dann, wenn ein förmlicher
Auflösungsbeschluss i. S. von Art. 664 Ziff. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 864 - 1 Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
1    Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
2    Die Statuten können dem Ausscheidenden oder seinen Erben ein Recht auf gänzliche oder teilweise Rückzahlung der Anteilscheine mit Ausschluss des Eintrittsgeldes zuerkennen. Sie können die Hinausschiebung der Rückzahlung bis auf die Dauer von drei Jahren nach dem Ausscheiden vorsehen.
3    Die Genossenschaft bleibt indessen auch ohne statutarische Bestimmung hierüber berechtigt, die Rückzahlung bis auf drei Jahre hinauszuschieben, sofern ihr durch diese Zahlung ein erheblicher Schaden erwachsen oder ihr Fortbestand gefährdet würde. Ein allfälliger Anspruch der Genossenschaft auf Bezahlung einer angemessenen Auslösungssumme wird durch diese Bestimmung nicht berührt.
4    Die Ansprüche des Ausscheidenden oder seiner Erben verjähren in drei Jahren vom Zeitpunkt an gerechnet, auf den die Auszahlung verlangt werden kann.
OR nicht vorliegt, die A.-G.
aber während längerer Zeit keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfaltet hat
und von den Beteiligten in Wirklichkeit aufgegeben worden ist. Diese
Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach den in den amtlichen Berichten
enthaltenen Feststellungen ist der Geschäftsbetrieb der Rekurrentin seit März
1925 stillgelegt und die A.-G. tatsächlich aufgelöst und liquidiert. Die
letzte Jahresrechnung ist pro 1923-24 erstellt worden. Unterm 25. Oktober 1928
hat denn auch der Verwaltungsratspräsident der Rekurrentin, Dr. Chiodera, dem
Handelsregisteramt des Kantons Zürich u. a. mitgeteilt, «dass sämtliche
Aktiven und Passiven der Gesellschaft schon seit Jahren liquidiert seien», und
dass der Gegenwert des Aktienkapitals nur noch in einer Forderung auf die
Firma Bleichroeder & Cie in Hamburg bestehe. Die A.-G. existiert also seit
Jahren nur noch auf dem Papier und ist daher zu löschen. Angesichts ihrer
tatsächlich erfolgten Auflösung könnte sie nicht anders als auf dem Wege der
Neugründung wieder ins Leben gerufen werden. Durch Verwertung des
Aktienmantels, welchem Vorgange hier die Sitzverlegung offenbar dienen soll,
kann das Unternehmen nicht etwa in andere Hände hinübergespielt und dadurch
zum Wiederaufleben gebracht werden, da darin eine Umgehung der gesetzlichen

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Vorschriften über die Gründung von Aktiengesellschaften läge.
Der Einwand der Rekurrentin, das Verhalten der Registerbehörden verstosse
gegen Treu und Glauben, erweist sich als haltlos. Die Zustellung eines
Formulars zur Abmeldung der A.-G. beruhte offenbar auf einem Irrtum des
Handelsregisteramtes des Kantons Zürich und konnte widerrufen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 I 134
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 02. Juli 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 I 134
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Verpflichtung zur Eintragung der tatsächlich erfolgten Auflösung einer A.-G. ins Handelsregister.


Gesetzesregister
OR: 664  864
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 864 - 1 Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
1    Die Statuten bestimmen, ob und welche Ansprüche an das Genossenschaftsvermögen den ausscheidenden Genossenschaftern oder deren Erben zustehen. Diese Ansprüche sind auf Grund des bilanzmässigen Reinvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens mit Ausschluss der Reserven zu berechnen.
2    Die Statuten können dem Ausscheidenden oder seinen Erben ein Recht auf gänzliche oder teilweise Rückzahlung der Anteilscheine mit Ausschluss des Eintrittsgeldes zuerkennen. Sie können die Hinausschiebung der Rückzahlung bis auf die Dauer von drei Jahren nach dem Ausscheiden vorsehen.
3    Die Genossenschaft bleibt indessen auch ohne statutarische Bestimmung hierüber berechtigt, die Rückzahlung bis auf drei Jahre hinauszuschieben, sofern ihr durch diese Zahlung ein erheblicher Schaden erwachsen oder ihr Fortbestand gefährdet würde. Ein allfälliger Anspruch der Genossenschaft auf Bezahlung einer angemessenen Auslösungssumme wird durch diese Bestimmung nicht berührt.
4    Die Ansprüche des Ausscheidenden oder seiner Erben verjähren in drei Jahren vom Zeitpunkt an gerechnet, auf den die Auszahlung verlangt werden kann.
BGE Register
55-I-134
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
sitzverlegung • chur • bundesgericht • unternehmung • entscheid • aktienmantel • treu und glauben • verwaltungsrat • bilanz • dauer • begründung des entscheids • rechtsanwalt • irrtum • bundesrat • aktienkapital • verhalten • aktiengesellschaft • tag • weiler • busse
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