S. 415 / Nr. 55 Doppelbesteuerung (d)

BGE 54 I 415

55. Auszug aus dem Urteil vom 7. Dezember 1928 i.S. Brauerei Haldengut gegen
Regierungsrat Schwyz.

Regeste:
Sekundäres Steuerdomizil des Geschäftsbetriebes in einem anderen Kanton als
demjenigen des Hauptsitzes eines Unternehmens. Voraussetzungen. Depot einer
Brauerei, von dem aus die Kunden einer bestimmten Gegend bedient werden.
Betriebsstelle der Brauerei oder des «Depothalters» als selbständigen
Gewerbetreibenden?

Die rekurrierende Aktiengesellschaft hat ihren Sitz in Winterthur. Sie
unterhält in St. Gallen und Einsiedeln «in eigener Regie», am letzteren Orte
zudem in eigener Liegenschaft geführte Depots für die sie anerkanntermassen
dort steuerpflichtig ist. Ferner lässt sie seit langen Jahren ein solches
Fass- und Flaschenbierlager, von dem aus die Kunden im angrenzenden Gebiete
bedient werden, in der Grinau, Gemeinde Tuggen Kt. Schwyz durch einen Johann
Fäh führen. Nach dem mit

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Fäh darüber geschlossenen Vertrage vom 1. November 1912, der in den heute in
Betracht kommenden Punkten seither unverändert geblieben ist, überträgt die
Rekurrentin dem Fäh den Verkauf ihres Bieres in einem bestimmten Gebiete. Fäh
verpflichtet sich den Absatz nach Möglichkeit zu heben und den darauf
bezüglichen Weisungen der Rekurrentin «strikte» nachzukommen. Die
Rechnungsstellung an die Abnehmer und der Einzug der Rechnungen geschieht
durch die Rekurrentin von Winterthur aus. Sie setzt auch den Verkaufspreis des
Bieres fest und bestimmt ausschliesslich darüber, ob an einen Kunden geliefert
werden darf. Die zum Betriebe des Bierdepots erforderlichen Räume
(Biervorratskeller, Eiskeller, Scheunen- und Stallanteil) hat Fäh auf seine
Kosten zu beschaffen, ebenso die Pferde für den Biertransport. Dagegen werden
der nötige Vorrat an Kisten und Flaschen nebst einer Bürstmaschine, Wagen und
Schlitten für die Spedition und das Eis zur Kühlung des eingelagerten Bieres
von der Rekurrentin gestellt. Sie übernimmt ferner die Reparaturen an dem von
ihr gestellten Inventar und vergütet an Fäh für die von ihm zu haltenden 2 bis
3 Pferde jährlich als Amortisationsquote 600 Fr. Im übrigen wird Fäh für seine
Leistungen durch eine Provision auf den abgesetzten Biermengen entschädigt.
Bis zum Jahre 1926 ist die Rekurrentin im Kanton Schwyz nur für das Depot in
Einsiedeln besteuert worden. Anlässlich der allgemeinen Steuerrevision des
Jahres 1927 stellte ihr die Gemeindekanzlei Tuggen «aus Auftrag des
Regierungsrats Schwyz» im Juli 1927 auch ein Steuererklärungsformular für das
dortige Depot zur Ausfüllung zu. Die Rekurrentin sandte dasselbe durch
Schreiben vom 19. Juli 1927 unausgefüllt zurück mit dem Bemerken, dass es sich
um einen Irrtum handeln müsse: da sie in Tuggen kein Grundeigentum besitze,
könne sie hier auch nicht zur Steuer herangezogen werden. Mit Verfügung vom 2.
November 1927 schätzte

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darauf die Steuerkommission die Rekurrentin von Amtes wegen für ein in Tuggen
zu versteuerndes Vermögen von 4000 Fr. ein und zwar unter der Rubrik II des
Einschätzungsformulars: «Kapitalvermögen, Handels- und Gewerbefonds.» Die
Rekurrentin zog diese Verfügung an den Regierungsrat von Schwyz weiter,
indessen ohne Erfolg.
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats ist,
soweit damit bundesrechtswidrige Doppelbesteuerung (Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV) geltend
gemacht wurde, vom Bundesgericht abgewiesen worden.
Gründe:
«Zur Begründung der Rüge der Verletzung von Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV genügt es nicht,
dass die Rekurrentin für das nämliche Steuerjahr (1927) auf ihrem
Gesamtvermögen und -einkommen mit Ausnahme der auf die Depots Einsiedeln und
St. Gallen fallenden Quoten bereits im Kanton Zürich besteuert worden ist.
Nachdem auch der Kanton Schwyz das Besteuerungsrecht für das Depot Tuggen noch
während des Steuerjahres selbst in Anspruch genommen hat (BGE 54 I 306 mit
Zitaten), kann massgebend vielmehr einzig sein, ob und inwieweit ihm ein
solches Recht nach den für die interkantonale Ausscheidung der Steuerhoheiten
massgebenden bundesrechtlichen Grundsätzen materiell zusteht. In dem Umfang,
als dies der Fall ist, wird sich umgekehrt der Kanton Zürich der Besteuerung
der Rekurrentin zu enthalten haben. Ob mit Rücksicht darauf die Rekurrentin
auch die teilweise Rückerstattung für 1927 in Zürich schon bezahlter Steuern
verlangen könnte, was von den Umständen abhängt, unter denen die Zahlung
geschah, ist nicht zu untersuchen, weil ein solches Rückerstattungsbegehren
nicht gestellt wird, sondern der Rekurs ausschliesslich auf die Aufhebung der
schwyzerischen Einschätzung gerichtet ist.»
«Nach feststehender neuerer Rechtsprechung (vgl.

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z. B. BGE 52 I 241 Erw. 2 a mit Zitaten) bedarf es für die Begründung eines
sekundären Steuerdomizils der Geschäftsniederlassung in einem Kanton nicht
mehr einer Zweigniederlassung im Sinne des Zivilrechts oder eines «unter
relativ selbständiger Leitung stehenden Teilbetriebes, der ohne erhebliche
organisatorische Änderungen vom Hauptgeschäft losgelöst und verselbständigt
werden könnte.» Vielmehr genügt das Bestehen ständiger körperlicher Anlagen
oder Einrichtungen in dem betreffenden Gebiete, mittelst deren sich ein
qualitativ und quantitativ wesentlicher Teil des technischen oder
kommerziellen Betriebes des Unternehmens vollzieht. Diese Voraussetzungen sind
hier gegeben. Es ist dazu nicht nötig, dass die Räume, von denen aus jene
Betriebshandlungen vor sich gehen, im Eigentum des Unternehmens stehen oder
dass es als Mieter daran den Besitz hat, sofern sie ihm nur kraft der Abreden
mit der Person, der es die Vornahme der betreffenden Verrichtungen übertragen
hat, tatsächlich für diesen Zweck zur Verfügung stehen. In den Urteilen i. S.
Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Solothurn (BGE 45 I 207
ff., insbes. 214 Erw. 2) und i. S. «La Suisse» gegen Bern vom 17. September
1926 (zitiert in BGE 53 I 369), die die Generalagentur einer inländischen
Versicherungsgesellschaft in einem anderen Kanton als demjenigen ihres Sitzes
betrafen, hat das Bundesgericht es denn auch als nicht entscheidend
betrachtet, dass die Bureauräume für die Agentur vertraglich vom Agenten auf
seine Kosten zu stellen waren. Wenn dennoch damals das Bestehen eines
sekundären Steuerdomizils der Gesellschaft am Orte der Generalagentur verneint
wurde, so geschah es lediglich im Hinblick auf die sonstige Stellung des
Generalagenten im Verhältnis zur Gesellschaft, die ihn nicht als Angestellten,
Organ derselben, sondern als selbständigen (gewerbetreibenden, die Bureaux der
Agentur also als Betriebseinrichtungen nicht des «vertretenen» Unternehmens,
sondern eines fremden

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Gewerbebetriebes erscheinen liessen. Auch für die Entscheidung dieser
letzteren Frage kommt es (vgl. die angeführten Urteile, ferner BGE 46 I 234)
vom Standpunkte des interkantonalen Steuerrechts nicht sowohl darauf an,
welches zivilrechtlich die Natur des Vertragsverhältnisses zwischen dem
Unternehmen und dem Dritten ist, den es mit der Vornahme gewisser in seinem
Interesse liegender geschäftlicher Handlungen betraut hat (ob Dienstvertrag
oder Auftrag bezw. Werkvertrag), sondern wie wirtschaftlich betrachtet die
Verhältnisse sich darstellen. Der Umstand, dass der Dritte für seine Dienste
nicht durch ein pauschal bestimmtes Honorar, sondern nach Leistungen in Form
von Provisionen entschädigt wird, kann dabei für sich allein sowenig den
Ausschlag geben, wie er zivilrechtlich die Annahme eines Dienstvertrages
ausschliesst. Massgebend müssen die gesamten Umstände des Falles, vor allem
das Mass persönlicher (und wirtschaftlicher) Selbständigkeit sein, das dem
Dritten bei der Erfüllung seiner Aufgabe zukommt. Im vorliegenden Falle stellt
aber die Rekurrentin nicht bloss, wenn nicht die Lagerräume, so doch das zum
Betrieb des Depots erforderliche Inventar und Material (einschliesslich des
Eises), ausgenommen die Pferde für den Biertransport. Der Depothalter ist auch
in der Art der Ausübung und Organisation seiner Tätigkeit keineswegs innerhalb
der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Rekurrentin frei, wie es in den oben
erwähnten Fällen der Rentenanstalt und der La Suisse für den Generalagenten
zutraf. Nicht nur befindet die Rekurrentin ausschliesslich darüber, an wen er
sich mit Lieferungsangeboten wenden («ob an einen Kunden geliefert werden»)
darf. Auch im übrigen ist es nicht etwa seinem Ermessen überlassen, wie er
sich bei der ihm übertragenen Anwerbung neuer Kunden («Hebung des Absatzes»)
verhalten und einrichten will; der Vertrag verpflichtet ihn vielmehr sich auch
in dieser Beziehung, wie sonst, strenge an die Weisungen der Brauerei

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zu halten, die ihm demnach sein Tun und Lassen in allen Einzelheiten
verbindlich vorschreiben kann. Nimmt man hinzu, dass er auch an die Kosten der
von ihm zu stellenden Zugtiere einen nicht unbedeutenden festen Betrag
jährlich zurückvergütet erhält und dass die Rechnungstellung an die Abnehmer
über das vom Depot gelieferte Bier und der Inkasso ausschliesslich durch die
Rekurrentin von Winterthur aus geschehen, so ist die ganze Stellung des
Depothalters keine wesentlich andere als diejenige eines Angestellten der
Rekurrentin, der mit der Entgegennahme der aus einem bestimmten Gebiete für
sie eingehenden Bestellungen und deren Ausführung betraut ist. Auch die
ökonomischen Leistungen, die dem Depothalter daneben obliegen ­
Zurverfügungstellung der Lagerräume und der Zugtiere ­, sind nicht derart und
bedeuten keine so erhebliche Investition von Kapital auf eigene Gefahr, dass
sie eine andere Beurteilung rechtfertigen würden und den Charakter des
Depothalters als eines blossen Organs der Rekurrentin, wie er aus dem ganzen
sonstigen Inhalte des Verhältnisses folgt, zu Gunsten der Annahme eines von
demjenigen der Rekurrentin verschiedenen, selbständigen Geschäftsbetriebes
zurücktreten zu lassen vermöchten. Der Tatbestand unterscheidet sich demnach
in den Beziehungen, auf die es für die interkantonale Steuerausscheidung
ankommt, nicht von demjenigen eines «Regiedepots» in dem von der Rekurrentin
vorausgesetzten Sinne, das in ihr gehörenden oder von ihr selbst gemieteten
Räumen durch einen zu ihrem gewöhnlichen Personal gehörenden (fest entlöhnten)
Angestellten geführt würde.»
«Die Handlungen, die vom streitigen Depot ausgehen - die Lieferung des
Fabrikates der Rekurrentin an die Kunden einer bestimmten Gegend - sind auch
für den Geschäftsbetrieb der Rekurrentin qualitativ, nach ihrer Natur
wesentlich, wofür statt weiterer Ausführungen auf das schon erwähnte Urteil in
Sachen Peter, Cailler & Kohler (BGE 52 I 242) verwiesen werden kann. Und

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ebenso ist das Erfordernis quantitativer Erheblichkeit erfüllt, indem es dafür
(vgl. ebenda, ferner BGE 51 I 402) nicht auf das Grössenverhältnis zum
Gesamtbetrieb, sondern auf die Bedeutung des Teilbetriebes für sich betrachtet
ankommt. Ein Lager, von dem aus nach dem eigenen Zugeständnis der Rekurrentin
jährlich im Durchschnitt rund 1900 hl Bier abgesetzt werden, ist aber keine
bloss nebensächliche, untergeordnete Betriebsstelle mehr (vgl. das Urteil vom
12. März 1915 i. S. Löwenbräu Burgdorf, wo die Steuerpflicht für ein gleiches
Depot einer ausserkantonalen Brauerei schon bei geringerem Absatze,
durchschnittlich etwa 1100 hl im Jahre ebenfalls bejaht worden ist).»
«Die Annahme eines sekundären Steuerdomizils der Rekurrentin am Orte ihres
Depots in Tuggen berechtigt freilich den Kanton Schwyz nicht, das in diesem
Depot investierte Vermögen als solches, gesondert zu besteuern. Gegenstand der
Besteuerung kann vielmehr nur ein Bruchteil des gesamten Reinvermögens der
Rekurrentin sein, der dem Verhältnis der jenem Teilbetriebe zugehörigen
Vermögenswerte zu den Gesamtaktiven entspricht. Indessen ist ein Antrag, die
Einschätzung eventuell aus diesem Gesichtspunkte herabzusetzen, nicht gestellt
worden und es wäre das Bundesgericht dazu auch nicht in der Lage, weil die
erforderlichen Angaben über die gesamte Vermögenslage der Rekurrentin nicht
gemacht worden sind. Dieser bleibt es immerhin unbenommen, für spätere
Steuerjahre eine solche Ermässigung zu verlangen, wenn sie den Nachweis
leistet, dass die Besteuerung für ein Vermögen von 4000 Fr. über das nach
jenem Masst ab Zulässige hinausgeht und den kantonalen Steuerbehörden dazu auf
Verlangen rechtzeitig die Ausweise nicht nur über die dem Betriebe des
Tuggener Depots zudienenden Vermögensstücke und deren Wert, sondern auch über
ihre gesamten Aktiven und Schulden unterbreitet.»
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 54 I 415
Date : 01. Januar 1927
Published : 07. Dezember 1928
Source : Bundesgericht
Status : 54 I 415
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Sekundäres Steuerdomizil des Geschäftsbetriebes in einem anderen Kanton als demjenigen des...


Legislation register
BV: 46
BGE-register
45-I-207 • 46-I-225 • 51-I-395 • 52-I-238 • 53-I-366 • 54-I-301 • 54-I-415
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